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Politische Correspondenz.

Berlin, 10. September 1866.

Die Wünsche, welche unsere letzte Monatsrundschau beim Beginne des Landtags aussprach, sind seitdem zum guten Theile in Erfüllung gegangen. Als wir sie niederschrieben, war eine peinliche, unfruchtbare Pause in dem parlamentarischen Leben eingetreten. Der Groll, die Eigenrichtigkeit der halbverschollenen Tage des Haders entlud sich noch einmal in den Fractionssizungen; die Parteien der alten Opposition suchten noch den Muth der Selbstüberwindung, welcher dem Politiker so schwer fällt, wenn die Ereignisse seinen Berechnungen nicht entsprachen. Nicht ohne Sorge konnten die besonnenen Freunde der Freiheit dem Durcheinander der Adreßentwürfe zuschauen; fast schien es, als sollte die Gefahr des Absolutismus, welche durch den Verlauf unserer Revolution allerdings gegeben ist, durch die Schuld der Liberalen näher gerückt werden, als wollten die parlamentarischen Parteien ihre eigene Unfruchtbarkeit in demselben Augenblicke erweisen, da die Krone sich in der Fülle der Kraft gezeigt hatte. Dieser Sorge sind wir Gottlob enthoben. Ein kluger und rechtzeitiger Entschluß, den das Land dem Präsidenten v. Forckenbeck nicht vergessen wird, sette den endlosen Adreßberathungen ein Ziel. Seitdem ist das Eis gebrochen, die Verhandlungen fließen in ruhiger, sicherer Strömung. Bewußt oder unbewußt ist in allen politischen Köpfen die Einsicht zum Durchbruch gekommen, daß heute die Lebenskraft der Parteien abhängt von ihrer Fähigkeit, die große nationale Politik der Regierung zu verstehen und zu fördern. In einer Zeit, da das Ministerium auf die besten Ueberlieferungen aus den Tagen Friedrich's des Großen zurückgreift, muß jeder gute Preuße gouvernemental sein. Doch mit Nichten war die gouvernementale Haltung des Hauses der Abgeordneten eine blinde Unterwerfung; die Unterstüßung, welche es der Regierung gewährte, war eine freie, selbständige, würdig eines geseßgebenden Körpers, der ein Bewußtsein hat von seiner Bedeutung.

Eine zwiefache Aufgabe ist der gegenwärtigen Session auferlegt. Es galt zunächst den Conflict zu beseitigen; dies ist endlich geschehen durch die Ertheilung der Indemnität. Eine absolute Sicherheit, daß ähnliche Verfassungskämpfe nie wiederkehren, ist allerdings nicht vorhanden; aber

unfertig wie unser constitutionelles Leben noch immer ist

liegt die

beste heute denkbare Bürgschaft gegen die Wiederkehr solcher Conflicte in der Thatsache, daß die Krone in dem Augenblicke ihres schönsten Triumphes die Nothwendigkeit der Versöhnung empfunden, die Verfassungsverlegung eingestanden und entschuldigt hat. Die Beweisgründe, welche eine geringe Minderheit gegen die Indemnitätsertheilung vorführte, geziemten sich in der That mehr für das Barreau als für die parlamentarische Rednerbühne. Namentlich den Abgeordneten Gneist, der um die politische Theorie sich so große Verdienste erworben hat, sehen wir auf dem besten Wege sich für die praktische Politik unmöglich zu machen, was wir im Interesse aller Parteien lebhaft beklagen würden. Seine Haltung war um so unbegreiflicher, da Niemandem entgehen kann, daß mit der Constituirung des norddeutschen Bundes eine wesentliche Abänderung der preußischen Verfassung eintreten muß; und wer darf neue Thürme bauen auf ein Haus, von dem binnen Kurzem ein Theil abgetragen werden. foll? Mag das Land untergehen, die Prinzipien bleiben“ — rief man einst im Convente. Derselbe Fanatismus des trockenen Verstandes, doch glücklicherweise nicht die revolutionäre Thatkraft Robespierre's, sprach aus der Rede Johann Jacoby's, der in der That in der erhabenen Einsamkeit seines theoretischen Traumlebens gar nicht bemerkt hat, daß eine Revolution zwischen der letzten und der heutigen Session mitteninne liegt. Der Redner hat die verdiente Strafe gefunden in dem Beifall, den die schwäbische Demokratie „dem einzigen Charakter des preußischen Landtags“ zurief; die Männer unserer äußersten Linken werden ebensowenig wie die unverbesserlichen Demagogen des Südens jemals begreifen, daß die Politik die Wissenschaft des Erreichbaren ist.

Nachdem also der innere Hader begraben war, der seit Jahren den Feinden Preußens willkommenen Vorwand für redliche und unredliche Angriffe bot, ging der Landtag an seine zweite, dankbarere Aufgabe, an die Mitwirkung bei der Neugestaltung Deutschlands. Die beschlossene Einverleibung der neuen Provinzen war ein tapferer Schritt vorwärts, und hier zeigte sich, daß der Liberalismus wohl im Stande ist, als ein selbst= ständiger und darum werthvoller Bundesgenosse der Regierung in die Hände zu arbeiten. Die Regierungsvorlage litt an einem logischen Widerspruche. Sie ging zwar von der Erkenntniß aus, daß Preußens Stärke, dem losen Gefüge der österreichischen Monarchie gegenüber, in

seiner festen einheitlichen Organisation besteht; sie berief sich daher auf den Artikel 2 der Verfassung, der von der Erweiterung des Staatsgebietes spricht. Doch um den unvermeidlichen Uebergangszustand rechtlich zu begründen, stüßte sie sich gleichzeitig auf den Artikel 55, der von der Personalunion handelt. Diesen Widerspruch hat die Commission kurzerhand beseitigt. Die sofortige Einverleibung der neu erworbenen Länder ward beschloffen, der provisorischen „wohlwollenden Dictatur" eine feste Zeitgrenze gesezt, von welcher ab die preußische Verfassung in den neuen Provinzen gelten wird. Auf beiden Seiten war der beste Wille unverkennbar; die Regierung ging willig auf die Verbefferungsvorschläge ein; der neue Geseßentwurf über die Einverleibung der Elbherzogthümer stellt sich von vorn herein auf den von der Kammer behaupteten Standpunkt. Als den Rechtstitel der Einverleibung bezeichnete Graf Bismarck mit einem classischen Worte das Recht der deutschen Nation zu existiren, zu athmen und dafür den geeigneten Boden zu gewinnen." In der Debatte trug Herr Waldeck diesmal den Preis davon; es war eine Freude, wie jugendfrisch und hoffnungsvoll der greise Niedersachse sich zurecht zu finden wußte in dieser neuen Zeit, die das tapfere Sachsenland, zum ersten male seit den Tagen unserer großen Kaiser, wieder unter Einer mächtigen Krone vereinigt hat. Der warmherzige Patriotismus, der kerngesunde Menschenverstand dieser Rede aus demokratischem Munde wird seines Eindrucks nicht verfehlen. Fragen wir, welche Elemente der nothwendigen Einverleibung widerstreben, so finden wir zunächst den hannoverschen Adel, der mit staunenswerther Unbefangenheit soeben ein Haupt der österreichischen Partei, Herrn v. Röffing, als Wortführer an den König geschickt hat. Wir finden ferner die armseligste Kleinstädterei, welche den Gedanken gar nicht fassen kann, daß außerhalb der heimischen Stadtmauern auch noch Menschen wohnen. Die zahlungsfähige Moral in Frankfurt schaudert vor der allgemeinen Wehrpflicht, sie trägt sich mit der Frage, ob man nicht den wohlhabenden Bürgerssöhnen natürlich nur den wohlhaben= den gestatten solle ihr Freiwilligenjahr in der Vaterstadt abzudienen. In der Stadt Hannover huldigt man der Ansicht, daß eine wirkliche Hauptstadt ein Unglück für Deutschland sei, und meint, das norddeutsche Parlament werde in dem Welfenschlosse die passenden Räumlichkeiten finden. Das Augustenburgerthum läßt nicht ab die Welt durch immer neue Beweise seiner politischen Unfähigkeit zu ermüden; soeben haben diese Legitimisten die Parole der Reichsverfassung ausgegeben, damit nur ja der einzige Weg, der jezt noch zur deutschen Einheit führt, nicht betreten werde. Doch zu diesen Parteien, mit welchen eine ernsthafte Verhandlung nicht möglich ist, gesellen sich leider auch einzelne patriotische Männer,

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welche ihre beste Kraft an den Ausbau der heimischen Verfassung geseht haben und nun den Inhalt eines ganzen ehrenwerthen Lebens verloren sehen: so Fr. Detcker. Ihm ist zu Muthe wie weiland dem alten Pütter, als das heilige römische Reich zusammenbrach und die schönen Folianten und Hefte der Reichsjurisprudenz zu Maculatur wurden. Der gelehrte Jurist trauerte bekanntlich um das heilige Reich, indem er sich keine Hosen mehr anschaffte. Von einem rüstigen Patrioten wie Fr. Detder erwarten wir mehr Lebenskraft; der Verfassung, welcher sein Streben galt, folgt nicht die Anarchie, wie einst dem römischen Reiche, sondern ein gesichertes Rechtsleben in größeren, gesünderen Verhältnissen. Es liegt auf der Hand, daß der complicirte Bau des norddeutschen Bundes eines einheitlichen Kernes bedarf, nicht eines preußischen Staats mit sechs verschiedenen Landesverfassungen; die norddeutsche Welt ist der Zersplitterung bis zum Ekel satt, auch der bestgemeinte particularistische Widerstand gegen das Nothwendige wird nur die eine Folge haben, daß einige brave Männer sich dabei zu Grunde richten. Ueber die Schonung aller berechtigten Eigenthümlichkeiten, welche Preußens Staatseinheit ertragen kann, find Regierung und Landtag einig. Ganz müßig erscheint insbesondere die oft ausgesprochene Sorge, es werde der Versuch einer deutsch-evangelischen Nationalkirche gewagt werden; zu kirchlichen Neubildungen ist diese durchaus weltlich-politische Revolution wahrlich am wenigsten angethan. Alles in Allem hoffen wir, die neuen Provinzen werden mit den alten sogar noch schneller sich verschmelzen, als einst das weite Schlesien mit den schwachen Erblanden Friedrich's.

Im Verlaufe dieser Debatte zeigte sich deutlich die Zersetzung der alten Parteien. Aus der Fortschrittspartei sind einige ihrer tüchtigsten Mitglieder ausgetreten. Auch der zurückgebliebene Stamm ist noch bunt genug; noch in jeder Debatte gingen die Ansichten der Parteigenossen weit auseinander. Wir wenigstens begreifen nicht, wie der preußische Patriot Waldeck mit dem vaterlandslosen Particularismus einiger Mitglieder der äußersten Linken auf die Dauer unter Einer Fahne kämpfen soll. Von der großen conservativen Partei hat sich eine „junge Rechte" unter Graf Bethusy's Führung abgelöst; sie zählt einige vielversprechende politische Talente in ihren Reihen und stimmt in vielen Fragen mit den Anschauungen der altliberalen Partei überein, die noch immer eine wesentlich aus Notabilitäten, aus Feldherren ohne Heer bestehende Fraction bildet. Alle diese Erscheinungen weisen auf eine Neugestaltung der Parteien, welche auch in der Presse immer von Neuem (soeben wieder in der trefflichen Schrift „Worauf es jetzt ankommt" von F. Kreyßig) gefordert wird. Die gegenwärtige kurze Session freilich wird diesen Umschwung des Partei

lebens noch nicht bringen; doch in einer nahen Zukunft ist die Bildung einer oder mehrerer national-liberaler Fractionen unvermeidlich. Darauf deutet schon der Gang unserer deutschen Politik. In den annektirten Provinzen findet Preußen zuverlässige Freunde nur in den Reihen der gemäßigt-conservativen und vornehmlich der liberalen Partei. Noch greller tritt dies Verhältniß hervor in Süddeutschland; hier sind die Begriffe ,,streng-conservativ“ und „österreichisch" vollkommen gleichbedeutend. Zudem hat die Haltung des Herrenhauses genugsam bewiesen, wie wenig die extreme Feudalpartei von der nationalen Staatskunst des Grafen Bismarck erbaut ist. Zwar über die Wuchergesetzdebatte des hohen Hauses sind wir versucht mit Heiterkeit hinwegzusehen, wenn es nicht gar so beschämend wäre, daß in dem Oberhause eines civilisirten Staats noch eine so kindliche Unkenntniß der einfachsten volkswirthschaftlichen Wahrheiten vorherrscht. Bedenklicher war die barsche Abweisung, welche der patriotische Adreß-Entwurf des Oberbürgermeisters Hobrecht erfuhr; noch deutlicher redeten die Klagen des Herrn v. Kleist-Rezow über den Krieg wider das heilige Desterreich, die Schmähungen der Kreuzzeitung gegen das revolutionäre Königreich Italien, und am Allerdeutlichsten die HerzensergieBungen einiger westphälischer Edelleute. Graf Westphalen giebt seine Stelle im Herrenhause auf, weil der deutsche Bund schnöde zertrümmert ward; Freiherr v. d. Busche protestirt gegen die Vergrößerung unseres Staats und harrt der besseren Zeiten, da die Welfen wieder bis an das Ende aller Dinge regieren werden; der Herzog v. Croy erklärt, daß er fortan nur ein Belgier sei, nicht mehr ein Preuße. Mit solcher Gesinnung können die Sieger von Königgräß sich allerdings nicht verständigen. Wenn nicht gehäufte Fehler von beiden Seiten den natürlichen Gang der Dinge stören, so ist ein streng-conservatives Parteiregiment in der nächsten Zukunft unmöglich; wir werden eine conservative Regierung haben, welche, soweit die menschliche Gebrechlichkeit dies erlaubt, über den Parteien steht, das will sagen, auf die besonnenen Elemente aller gemäßigten Fractionen sich stüßt und in den Extremen von rechts und links ihre geborenen Gegner findet.

Zwei wichtige Arbeiten stehen dem Landtage noch bevor. Die Erledigung der Anleihevorlage wird noch harte Kämpfe kosten; schwere Bedenken haben sich erhoben sowohl gegen die Höhe der Anleihe, als gegen das altpreußische Institut des Staatsschaßes, den wir unsererseits in so drangvollen Tagen für unentbehrlich halten. Indeß steht zu hoffen, daß auch hierüber eine Verständigung erreicht wird. Auch das Wahlgesetz für das Parlament wird angenommen werden. Zwar ist das allgemeine und direkte Stimmrecht ein auf deutschem Boden in diesem Umfange

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