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Politische Correspondenz.

Berlin, 10. August 1866..

Das Sprichwort von der Langsamkeit der Deutschen ist gleich so vielen anderen Habseligkeiten der alten Zeit durch die jüngste Epoche der deutschen Revolution in die Rumpelkammer geworfen worden. Abermals liegt eine Welt von Ereignissen hinter uns, und die monatliche Rundschau vermag kaum dem Geschehenen zu folgen. Die Hilfe des Auslandes, die Oesterreich würdelos angerufen, versagte, und erst als unsere Heere in unaufhaltsamem Vormarsch bis dicht vor die Mauern Wiens und Preßburgs drangen, demüthigte sich Oesterreich vor dem Verhaßtesten seiner Feinde. Das war ein schöner Tag, da die Weise des „Heil dir im Siegerkranz" zum ersten Male seit fünfzig Jahren mit dramatischer Wahrheit zu Ehren eines siegreich heimkehrenden preußischen Königs erklang, und die Victoria auf dem Thore wirklich ihren Einzug hielt in die Hauptstadt. Jener sittliche, echt deutsche Geist, der die Kämpfenden beseelte, ist auch nach dem Siege im Volke lebendig geblieben: Jubel und dankbare Freude überall, doch nirgends ein Wort selbstgefälliger Ueberhebung.

Auch die Friedenspräliminarien bezeugen, daß es ein deutscher Krieg war, den Preußen führte. Der Sieger trug kein Verlangen nach den halbslavischen Nachbarprovinzen, die einem deutschen Staate ein zweifelhafter Gewinn sein würden; er versagte sogar dem Heere den ersehnten und redlich verdienten Triumph des Einzugs in der feindlichen Hauptstadt. Er beendete den Krieg, sobald Oesterreich sich bereit erklärte, aus dem Bunde auszuscheiden, Preußen in Deutschland freie Hand zu lassen und dergestalt Deutschlands Unabhängigkeit anzuerkennen. Wir wollen keine Eroberungen in Deutschland, äußerte einmal ein offenherziger österreichischer Staatsmann, wir wollen abhängige kleine Fürstenthümer wie Modena und Toscana rings um unsere Grenzen." Damit war der Grundgedanke jener Staatskunst ausgesprochen, welche die nüchterneren

Köpfe am Wiener Hofe jederzeit gegen uns befolgt haben. Auf dem Felde von Königgräß hat sie ihr Ende gefunden. Eine lange Reihe jener kleinen Vasallen, durch deren Hilfe Oesterreich uns beherrschte, wird ihre Selbständigkeit verlieren; die Einverleibung von Hannover, Hessen, Nassau, Frankfurt scheint gesichert. Unsere Geschichte läßt sich nicht abbringen von dem Wege, den sie seit zwei Jahrhunderten eingeschlagen; durch Annerionen rücken wir dem Ziele, der Einheit Deutschlands, näher. Der Friede, welcher aus diesen Präliminarien hervorgeht, wird der glorreichste sein, den Preußen je geschlossen, aber er schafft nur provisorische Zustände, die binnen wenigen Jahren zu neuen Staatsumwälzungen, vielleicht zu neuen Kriegen führen müssen. An der Nation ist es nun, das Werk der preußischen Waffen im Frieden weiterzuführen und durch die Beharrlichkeit und die Leidenschaft dieser nationalen Arbeit die Meinung Europas für unsere große Sache zu gewinnen. Italiens jüngste Geschicke lehren, welch' eine Macht die öffentliche Meinung selbst in diesen cäsarischen Tagen befißt die wirkliche öffentliche Meinung, die in Fleisch und Blut aller Welt eingedrungene Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer politischen Veränderung. Nicht allein auf den Schlachtfeldern Böhmens wurde Venetien den Italienern erobert; die Erwerbung ward vorbereitet durch die friedliche Arbeit der Nation. Aus der Energie und Bestimmtheit der nationalen Forderungen Italiens schöpfte Europa die Einsicht, daß dies Verlangen unabweisbar sei. So geschah, daß Italien durch Niederlagen sich eine Provinz eroberte, und zur Nothwendigkeit ward, was der ganzen Welt nothwendig schien. Auch uns kann es gelingen, durch den nachhaltigen Ernst unserer nationalen Politik die Nachbarn dahin zu bringen, daß sie in einer nahen Zukunft die Vollendung unserer Einheit wie ein unabwendbares Naturereigniß hinnehmen. Die Thaten in Böhmen haben uns das gute Recht, fröhlich und herzhaft zu hoffen, wiedergegeben, das wir in der dumpfen Enge unseres kleinen Lebens fast verloren hatten. Die schwere Arbeit, welche jezt beginnt, wird uns erleichtert durch das Bewußtsein, daß wir sie aufnehmen müssen nicht für uns allein, sondern zum Segen der Welt. Ein Zeitalter wahrhafter Civilisation, gesicherten Weltfriedens kann nicht eintreten, so lange der nationale Staat der Deutschen nicht vollendet ist.

Die Reife unserer politischen Einsicht muß sich zunächst darin bethätigen, daß wir uns zu bescheiden wissen und uns vorderhand mit einem norddeutschen Bundesstaate begnügen. Es ist ein Irrthum, wenn so mancher warmherzige Mann im Süden uns Norddeutschen heute vorwirft, daß wir in beschränktem Uebermuthe dem Süden zuriefen: „Wir brauchen Euch nicht." Wir brauchen Euch wohl; ohne die Schwaben und

Bayern bleibt der deutsche Staat ein Rumpf, das weiß jeder gute Kopf im Norden. Auch der Tadel, daß wir Deutschland zerreißen wollen, trifft uns nicht. Eine lebendige Gemeinschaft des geistigen und des wirthschaftlichen Lebens verband uns bisher mit dem Süden; diese Gemeinschaft, die in solcher Innigkeit zwischen uns und den Deutsch-Oesterrei chern nicht bestand, soll und wird fortdauern, troß der begreiflichen Erbitterung, welche der Uebertritt des Südens zu unseren Feinden im Norden erregt hat. Politisch waren wir unverbunden. Der Deutsche Bund war nur ein Name, und eine Gemeinschaft, die nicht bestand, kann auch nicht zerrissen werden. Bereits droht das Schlagwort „Mainlinie!" in ähnlicherweise sinnverwirrend auf die deutsche Welt zu wirken wie bis vor Kurzem das Schreckgespenst „Bismarck". Dem kalten Kopfe stellt sich die Frage also: ist es möglich, die politische Einigung, die nicht blos befestigt, sondern erst geschaffen werden soll, sogleich über das ganze Deutschland zu erstrecken? Hierauf kann ein besonnener Mann nur mit Nein antworten.

Zunächst steht der Widerspruch des Auslandes einem gesammtdeutschen Bundesstaate entgegen. Nur wenige Deutsche wissen, welche unabsehbaren Combinationen man in der Fremde an die Einigung Deutschlands zu knüpfen pflegt. Thorbecke, der klarblickende Staatsmann, der nüchterne Holländer, sagte schon zur Zeit des Ministeriums Auerswald, wenn Norddeutschland jemals einen Staat bilde, so seien die Tage der niederländischen Selbständigkeit gezählt. In Petersburg ist die Sorge, das einige Deutschland möge seine Hand ausstrecken nach den Ostseeprovinzen, weit lebendiger als man bei uns wähnt. So ausschweifende Pläne müssen, wie sich von selbst versteht, der deutschen Politik für jeßt und vielleicht für immer fern bleiben. Aber schon das Vorhandensein eines solchen Argwohnes im Auslande beweist, wie Großes die Fremden von der Attractionskraft eines nationalen Staates in der Mitte des Festlandes fürchten. Bisher getrösteten sie sich nur des Glaubens, das Schreckbild der deutschen Einheit werde nie ins Leben treten, sie gewöhnten sich während der langen Epoche preußischer Unentschlossenheit die Macht Preußens zu unterschäßen, und nun, da Preußens Fahnen am Neckar und an den Karpathen flattern, geht ein schier komischer Schrecken durch das Ausland: man weiß solche Erfolge nur durch ein Wunder, durch die Zauberkraft der Zündnadel zu erklären. In England und Italien schlägt allmählich die Einsicht durch, daß Deutschlands Einheit eine heilsame Nothwendigkeit ist; alle anderen Völker schauen mißtrauisch auf die neue Macht, die bei uns emporsteigt. Unsere Politik hat guten Grund, ebenso vorsichtig als kühn zu verfahren; namentlich Frankreich gegenüber ist Vorsicht geboten.

Die Haltung des Kaisers Napoleon beim Beginne des deutschen Krieges hat ihm neuen Anspruch auf den Namen eines großen Staatsmannes gegeben. Er kennt die mannichfache innere Verwandtschaft der beiden demokratischen Militärmächte Preußen und Frankreich, er wünscht ein starkes wohlarrondirtes Preußen als einen sicheren Verbündeten, und dem Emporkömmlinge muß das Entstehen neuer illegitimer Throne neben dem seinen willkommen sein. Schon in seinen Jugendschriften wirft er dem preußischen Staate vor, daß dieser die wohlwollenden Absichten seines Oheims mißkannt habe als ob die Herrschsucht Napoleons I. eine wirkliche Großmacht neben sich hätte dulden können. Gleichviel, der Kaiser, bewunderungswürdig klar und sicher in seiner eigenen Politik, doch ein Phantast in seiner abgöttischen Verehrung gegen Cäsar und Napoleon I., wähnt durch die verständige Begünstigung der preußischen Macht in der That eine altnapoleonische Idee zu verwirklichen. Aber Größeres als die Einigung von Norddeutschland will er nicht dulden, und wenn er es wollte, so würde seine Nation ihre Stimme dawider erheben. Uns kommt zu gute, daß des Kaisers eigene Feinde, Orleanisten und Clericale, heute am lautesten wider die neuen Kroaten Friedrichs des Großen" toben. Dennoch ist die Mißgunst gegen Preußens Kräftigung unleugbar die in Frankreich vorherrschende Gesinnung. Eine mit Recht auf ihren Kriegsruhm stolze Nation kann es nicht gelassen hinnehmen, wenn die Welt plötzlich die Frage erhebt: ist Euer Heer wirklich noch das erste der Welt? Vergeblich versuchen die kaiserlichen Blätter zu beschwichtigen, indem sie versichern, das geeinte Norddeutschland sei schwächer als das Siebzigmillionenreich der Mitte, welches bisher nur in der Einbildung be= standen hat. So armselige Sophismen finden nirgends Glauben; das Machtverhältniß auf dem Continente ist in der That zu unseren Gunsten verschoben. Nicht blos die Bekenner jener altfranzösischen Politik, welche Frankreichs Größe in der Schwäche der Nachbarn suchte, auch ein guter Theil der freier gesinnten Jugend schaut mit Unmuth, wie der Sieger von Waterloo Frankreichs alte Bundesgenossen unterwirft. Der gebildete Franzose kennt von unserem Lande nur den Süden; Preußen gilt ihm als eine mehr russische denn deutsche Macht. Die Lehre von dem sogenannten reinen Deutschland ist in Frankreich populär seit den Tagen des Rheinbundes; sie drang tiefer in das Volk, als Börne und seine Genossen von Paris aus die Doctrinen des süddeutschen Radicalismus verbreiteten, und eine starke Einwanderung von zumeist süddeutschen Gewerbtreibenden in die französischen Städte zog. Die Macht dieser populären Vorurtheile, die unsterbliche nationale Sehnsucht nach der Rheingrenze, der bittere Haß der ultramontanen Hofpartei wider den norddeutschen

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Staat das Alles drängt beirrend auf die Mäßigung des Kaisers ein. Die Gefahr ist größer, näher, als unsere Presse wähnt. Es ist heute kein Geheimniß mehr, daß der Kaiser oft geschwankt hat und kaum im Stande war, dem Drängen der nationalen Scheelsucht zu widerstehen. Mehrmals scheint seine gewohnte Kaltblütigkeit einer nervösen Aufregung gewichen zu sein; es bleibt eine widerwärtige, warnende Erinnerung, daß man auch nur in leisen Andeutungen versuchen konnte, die Sieger von Königgräß ebenso zu behandeln wie das durch Frankreichs Hilfe gerettete Italien. Graf Bismarck hat seinen jüngsten diplomatischen Feldzug mit bewunderungswürdiger Kühnheit geführt; der Vorwurf des Kleinmuthes trifft ihn nicht. Die Regierung muß zwingende Gründe gehabt haben, wenn sie versprochen hat, das Gebiet ihrer unmittelbaren Herrschaft nicht über den Main auszudehnen. Und daß Versicherungen solcher Art den fremden Cabinetten in der That gegeben worden sind, das geht aus der Haltung der officiellen Blätter, aus der gesammten Sachlage unzweifelhaft hervor.

In großen nationalen Krisen gelten internationale Vereinbarungen wenig. Wir wären berechtigt, den Fremden unser Wort zu brechen und auf die Gefahr eines europäischen Krieges den Süden in unseren Bundesstaat aufzunehmen, wenn nur dies Unternehmen auf die wirksame Unterstüßung der Süddeutschen rechnen und dem Vaterlande eine Verstärkung seiner Macht bringen könnte. Doch Keines von Beiden ist der Fall. Nicht wir haben die weite Kluft gegraben, welche heute den Süden von dem Norden trennt, nicht erst von gestern stammt jener particularistische Haß gegen den Norden, der in diesem Kriege so schrecklich sich offenbarte. Seit langen Jahren, vornehmlich in den beiden lezten Jahrzehnten, seit der Schwerpunkt unserer Politik und Volkswirthschaft sich nach dem Norden verschoben hat, wurden die alten landschaftlichen Vorurtheile künstlich gepflegt durch die Ultramontanen, durch eine größtentheils ungebildete und pflichtvergessene Presse und durch die von oben her verderbte Volkserziehung. In Altbayern wußte man den Keßerhaß, in Baden die traurigen Ereignisse des Jahres 1849 vortrefflich auszubeuten. Selbst in die harmlosen Kreise der Jugend ist diese widerwärtige Gesinnung gedrungen; auf der Tübinger Universität standen vor wenigen Jahren, und vermuthlich noch heute, die norddeutschen Studenten ganz isolirt unter den schwäbischen Commilitonen eine Erscheinung, die auf jeder norddeutschen Hochschule rein unmöglich wäre. Wer je im Süden Politik und deutsche Geschichte gelehrt hat, der weiß, wie schwer diese Welt verhärteter Vorurtheile fich bekämpfen läßt: die Hörer, im Uebrigen wohlgefinnt, erscheinen doch mit dem festen Vorsaße, Alles für falsch oder übertrieben

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