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1865.

Die Lösung der schleswig-holsteinischen Frage.

Freiburg i. B, 15. Januar 1865.

In seinen gegen die Annerion der Herzogthümer gerichteten Sylvesterbetrachtungen (im Januarheft der Preuß. Jahrbücher) erweist mir Ludwig Häusser die Ehre, zur Bekräftigung seiner Ansicht folgenden Satz aus meinen „historischen und politischen Auffäßen“ anzuführen: „Braunschweig oder Schleswig-Holstein oder Dresden ist heute für Preußen zu keinem geringeren Preise feil als die Herrschaft über ganz Deutschland". Wohl= thuend klingt ein Lob aus solchem Munde; dennoch fühle ich mich verpflichtet zu gestehen, daß jene Worte zu den wenigen Stellen meines Buchs gehören, welche ich schon jezt als falsch erkenne. Ich schrieb sie nieder im Juli 1864, in einem Augenblicke, da ich gleich vielen besser Unterrichteten die Einverleibung Schleswig-Holsteins in den preußischen Staat zwar für sehr wünschenswerth, aber für unausführbar hielt. Seitdem ist die Annexion der Herzogthümer eine praktische Frage, und der Irrthum, der in jenem Sage liegt, mir längst klar geworden. Noch stehen wir Liberalen rathlos und mit weit abweichenden Meinungen dieser ernsten Frage gegenüber, die so unerwartet in den Vordergrund getreten; und doch ist eine Verständigung dringend nöthig. Darum möge nach Häusser's beredten und gewichtigen Worten gegen die Annexion auch der entgegengesetzten Ueberzeugung hier eine Stätte gegönnt werden.

Unvergleichlich schwierig ist die Lage der liberalen Partei. Noch niemals besaß sie geringeren Einfluß auf die Leitung der Geschicke Preußens, und es bleibt eine starke Zumuthung, kurzweg eine Staatskunst zu unterstüßen, deren Mittel wir verwerfen, deren Ziele uns verhüllt sind. Wir bezweifeln freilich, ob die auswärtige Politik des Herrn v. Bismarck alle jene Vorwürfe verdient, welche die Sylvesterbetrachtung ihr spendet. Wir meinen, für ein abschließendes Urtheil sei die Zeit noch nicht gekommen, und wir halten für wohl möglich, daß die Absicht, Schleswig-Holstein von

Dänemark loszureißen, bereits im Januar 1864 im Stillen am Berliner Hofe bestand. Aber die Mittel und Wege, welche zur Verwirklichung dieser Absicht angewendet wurden, kann kein Liberaler unbedingt billigen, ohne fich selber untreu zu werden, und die kleinen Ränke, wodurch ungeschickte Handlanger heute Preußens Herrschaft in Transalbingien vorzubereiten suchen, müssen jeden redlichen Mann abstoßen. Niemand unter uns glaubt an die sogenannten Erbansprüche des Hauses Hohenzollern auf Schleswig-Holstein, Niemand hört ohne Ekel die niedrigen Schmähreden der feudalen Blätter wider den Herzog von Augustenburg. Während also solche plumpe Agitationen hartnäckig Spott und Haß gegen Preußen herausfordern, bleiben die Absichten des Kabinets dunkel, und man wird versucht zu glauben, daß ein fester, unwiderruflicher Entschluß noch nicht gefaßt ist. Noch ist an entscheidender Stelle ein unzweideutiges Wort nicht ausgesprochen worden, die Thaten der Regierung weisen vielmehr darauf hin, daß man sich zwei Wege offen zu halten denkt. Die Einberufung der Kronsyndici deutet auf die Annerion; die Bestellung der Ressortcommissionen, welche über das Verhältniß Preußens zu Schleswig-Holstein Vorschläge machen sollen, deutet auf die Selbständigkeit der Herzog= thümer. Und angenommen, der Minister des Auswärtigen hegte wirklich die Absicht, Schleswig-Holstein seinem Staate einzuverleiben: wer bürgt uns dafür, daß er diese Absicht nicht wieder aufgiebt, sei es, weil er bei seinem königlichen Herrn auf Widerspruch stößt, sei es, weil er nicht für gerathen hält mit Preußens einzigem Alliirten zu brechen? Es ist mißlich, in so unklarer Lage mit einer Meinung hervorzutreten, welche leicht durch die Ereignisse der nächsten Wochen widerlegt werden kann. Aber wir dürfen uns der Frage nicht entziehen: was muß geschehen um die durch Deutschlands Schwert eroberten Lande im Frieden für Deutschland zu sichern? Da springt denn zunächst in die Augen, daß das positive Recht und das Wohl Deutschlands einander schnurstracks zuwider- · Laufen.

Will man in Schleswig-Holstein das positive Recht über alle anderen Rücksichten stellen, nun wohl, so seze man den Herzog von Augustenburg auf den Thron. Seine Erbansprüche sind so wohl begründet als dies irgend möglich ist bei Rechten, die in entlegene Jahrhunderte zurückreichen. Man gebe ihm die holsteinische Stimme am Bundestage und sehe dann zu, ob der souveräne Herzog von Holstein sich bewogen findet auch Schleswig unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes schützende Privilegien zu stellen. Möglich, daß er sich dazu herabläßt, möglich auch, daß der deutsche Bund dem neuen Staate das Prädicat Großherzogthum gewährt, wonach die Hofblätter des Herzogs sich seit Langem sehnen. Und

wenn die zunächst betheiligten Kriegsministerien von Hannover, Braunschweig, Schwerin, Oldenburg, Strelitz und die Senate von Hamburg, Lübeck und Bremen ihren Segen dazu geben, so gelingt es vielleicht, die Brigade, welche Holstein zur zweiten Division des zehnten Bundesarmeecorps stellt, durch ein paar tausend Soldaten aus Schleswig zu verstärken. Beliebt dem Herzog dagegen ein im deutschen Bunde nicht mehr ungewöhnliches Verhältniß, zieht er vor, als Herzog von Holstein Bundesglied, als Herzog von Schleswig europäische Macht zu sein, so haben wir rechtlich gar kein Mittel ihn eines Besseren zu belehren. Für Deutschlands Seemacht ist ja in dem einen wie in dem anderen Falle zur Genüge gesorgt. Jenes Land, das nach der Versicherung seiner Hofpublicisten berufen ist die deutsche Seemacht zu führen, Hannover, hat sich bereits zur Erbauung zweier Strandbatterien und eines Wachtschiffs auf der Elbe aufgeschwungen. Die Hoffnung ist wohl nicht zu unbescheiden, daß der Großherzog von Schleswig-Holstein das Gleiche für das Vaterland leisten wird. Thut er es nicht, so läßt uns das positive Recht wiederum rathlos. Solche Aussichten eröffnen sich, wenn man das Recht in SchleswigHolstein entscheiden läßt! Soll das Blut auf Alsen und den Düppeler Schanzen darum geflossen sein, damit dieser deutsche Krieg mit einem particularistischen Possenspiele endige? Doch glücklicherweise steht die rechtlich allein zulässige Beendigung der schleswig-holsteinischen Frage in unlösbarem Widerspruche mit der Thatsache, daß die Herzogthümer sich im Besize der beiden Großmächte befinden. Die rechtliche Lösung kann nur dann eintreten, wenn Preußen, was der Himmel verhüte, ein zweites Bronzell erlebt.

So bleibt, um Deutschlands wichtigste Interessen zu wahren, nur übrig ein im guten Sinne revolutionärer Entschluß. Man muß den Rechtsboden verlassen. Die bundesstaatliche Unterordnung SchleswigHolsteins unter Preußen ist aber ebenso revolutionär, ebenso widerrechtlich, wie die Annexion. Unbegreiflich, daß so Viele unserer politischen Freunde diese einfache Wahrheit übersehen. In dem Chaos unseres Bundesrechts ist vielleicht nur ein Punkt über jeden Zweifel erhaben: die Souveränität der Dynastien und die völkerrechtliche Natur des Bundes. Im ersten Artikel der Wiener Schlußacte und an unzähligen Stellen der Bundesgesetze wird dieser Fundamentalsaß eingeschärft. Die Organe der Herren von Beust und Pfordten haben nur zu sehr Recht, wenn sie versichern: jeder Vertrag, der die Souveränität eines Bundesfürsten schmälert, ist widerrechtlich.

Steht es aber so, ist es geboten den Rechtsboden zu verlassen, so bleibt lediglich die politische Erwägung übrig, wie durch den nothwendi

gen Rechtsbruch eine dauerhafte, für das Vaterland heilsame Ordnung gegründet werden kann. Eine solche Ordnung können wir nicht finden in einem herzoglichen Schleswig-Holstein unter preußischer Vormundschaft. Wir wollen keinen neuen Hof, wir wollen nicht, daß der Dünkel particularistischer Selbstgenügsamkeit eine neue warme Brutstatt finde. Ein Mann, der die Herzogthümer kennt und für sie gekämpft und gelitten hat, Wilhelm Beseler, sagte vor sieben Jahren trocken: „das Haus Augustenburg ist todt für Schleswig-Holstein." Aber laßt den Herzog Friedrich erst regieren, und alle Schulmeister des Landes werden den Kindern das Märchen predigen, daß die angestammte Erbweisheit der Augustenburger von Anbeginn bestimmt sei die Herzogthümer zu regieren und daß es so bleiben solle bis an das Ende aller Tage. Im Kampfe mit den Dänen waren die Herzogthümer fort und fort gezwungen, ihres großen Vaterlandes zu gedenken, hoffend hinüberzuschauen gen Süden. Troßdem ist in den Landen ein sehr zäher Particularismus groß geworden. Was haben wir vollends zu erwarten, wenn man ihnen jetzt, da der Däne verjagt ist, ein politisches Sonderleben gönnt? Wahrlich, ehe drei Jahre in's Land gehen, wird man mit Schrecken erkennen, daß zwischen die drei Hochburgen des Particularismus im Norden: Hannover, Mecklenburg, Hamburg, eine vierte hineingeschoben und abermals eine jener kleinen deutschen „Nationalitäten" gegründet ist, deren unveräußerliche Rechte von dem Nachbarn jenseits des Rheines mit so liebevoller Sorgfalt verthei= digt werden.

Und wie glaubt man, daß der neue Kleinstaat im Innern gedeihen könne? Eine Fülle der schwierigsten politischen Aufgaben liegt vor ihm. In Holstein ließ der Däne Alles gehen und liegen wie es ging und lag, in Schleswig ward eine harte Willkürherrschaft geübt. Jetzt sollen die beiden Lande zu einem Ganzen verbunden werden, eine durchgreifende Gesetzgebung muß die Grundfesten des Staatslebens von Neuem ordnen. Der ganze Norden Schleswigs erträgt murrend das neue Wesen; dort gilt es zu germanisiren, die dänischen Sympathien zu ersticken und dennoch gerecht und mild zu verfahren gegen die besiegte Nationalität. Die deutsche Volksbildung, unter den Dänen vernachlässigt, bedarf einsichtiger Förderung; es scheint unziemlich, daß fürderhin unter deutscher Herrschaft die Kieler Hochschule in einem Zustande verharre, der ihrem alten Ruhme wenig entspricht. Man bedarf der tüchtigsten geistigen Kräfte, um das heranwachsende Geschlecht in Nordschleswig allmählig der deutschen Gefittung zu gewinnen. Wir müssen zwar leider ernstlich bezweifeln, ob ein selbständiges Schleswig-Holstein den patriotischen Entschluß fassen wird in den Zollverein einzutreten. Allzulange hat man sich dort eingewöhnt

in ein behagliches Sonderleben; ein wohlhabendes Agriculturvolk erträgt nicht leicht hohe Zölle auf Eisen und Colonialwaaren; und der holsteinische Handwerker, den die Fortschritte der Industrie noch wenig berührt, hat guten Grund den Mitbewerb der Gewerbtreibenden des Zollvereins ernstlich zu fürchten. Aber seßen wir den günstigsten Fall, den Eintritt der Herzogthümer in unsern Zollverband, so wird eine gründliche Umwälzung in Handel und Wandel die Folge sein. Diese Neugestaltung und der ganze Zug der modernen Gesittung muß früher oder später zu einer einschneidenden Verwaltungsreform führen. Denn das Durcheinander von Hardesvögten, Klostervögten, Bauervögten, von bevorrechteten Städten, Amtsbezirken, klösterlichen Districten, adligen Güterdistricten und octroyirten Kögen dies vielgerühmte holsteinische Selfgovernment erinnert offenbar mehr an die Zustände Mecklenburgs oder Sachsens und Hannovers vor dem Jahre 1830 als an die englische Selbstverwaltung. Wird ein Kleinstaat, belastet mit der größten Staatsschuld, die Europa aufweist, alle diese Aufgaben lösen können? Wir bezweifeln es, wir begreifen nicht, wie dieser schwache Staat an bedrohter Grenze die sittliche Kraft erlan= gen soll, um das Erste und Wichtigste zu leisten, was Deutschland von ihm fordern muß: Versöhnung Nordschleswigs mit dem deutschen Leben.

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Und welchen Namen sollen wir der Unterordnung des selbständigen Schleswig-Holstein unter Preußen geben? Von einem Bundesstaate kann ehrlicherweise da nicht die Rede sein, wo dem einen Bundesgenossen nur Rechte zustehen, dem anderen nur Pflichten obliegen. Wenn anders das Land militärisch gesichert und eine deutsche Seemacht in der Nordsee gegründet werden soll, so müssen die Herzogthümer ihre Militärhoheit an Preußen abtreten, sie müssen der norddeutschen Großmacht die Leitung ihrer auswärtigen Politik in die Hand geben, Häfen und feste Pläße ihr einräumen und ihr den Bau des norddeutschen Canals gestatten, also daß preußische Kriegsschiffe in preußischem Fahrwasser von Pillau bis in die Nordsee gelangen können. Und für alle diese Opfer erhält SchleswigHolstein nicht einmal das ärmliche Recht, durch eine parlamentarische Vertretung indirect einzuwirken auf die Leitung seines Heeres, seiner Seemacht und seiner auswärtigen Verhältnisse. Denn Jedermann sieht, daß es nicht angeht neben dem preußischen Landtage etwa noch einen weiteren preußisch - schleswig-Holsteinischen Reichstag zu bilden. Nennen wir das Kind beim rechten Namen. Ein so gestaltetes Schleswig-Holstein wäre Nichts als eine Barriere, ein zugewandter Ort, ein Vasallenstaat PreuBens. Ist das eine ehrenhafte Zumuthung an einen ehrenwerthen deutschen Stamm? Man hofft, diese Unterordnung unter Preußen werde ein heilsames Erempel bilden für das übrige Deutschland. Wir fürchten lei

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