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ches alle Dinge als Vorstellungen hineintauchen, angenommen würde? dass also das Zeitliche die seitens unseres Bewusstseins den Dingen gegebene Lokalfarbe, also ein Subjektives, nicht aber ein von ihm loszutrennendes Objektives an sich wäre? Alle diese Erörterungen sind keine strikten Beweise, aber sie haben den Wert einer Hinleitung auf den Inhalt des zu erläuternden, schwierigen Problems.

2) Die Phänomenalität des Raumes.

Was der Raum und die Zeit sei, wissen wir jetzt noch nicht; wir werfen vorerst auch nur die eine Frage auf: Wie ist der Raum? indem wir die Zeit zu späterer Behandlung zurückstellen*). Wir wollen also den Raum lediglich so beschreiben, wie er jedem von uns erscheint. Dieser Raum stellt sich uns allen als eine nach allen Seiten hin in den drei Dimensionen der Höhe, Breite und Tiefe sich erstreckende kontinuierliche Ausdehnung dar. Wir können uns diese drei Dimensionen als drei gerade Linien vorstellen, die senkrecht auf einander stehen: die eine Linie geht in die Höhe, die zweite durchschneidet sie senkrecht der Breite nach, die dritte der Tiefe nach, und alle schneiden sich in einem Punkte. Wo ist nun für jeden einzelnen Menschen der ideelle Durchkreuzungspunkt jener drei Linien? Für jeden Menschen in ihm selbst, genauer gesagt, in seinem Kopfe, da, wo er denkt. Von hier aus bestimmt jeder die drei Dimensionen und bezeichnet das über ihn hinausgehende als Höhe, das rechts und links von ihm auslaufende als Breite, und das in der Verlängerung nach vorn und hinten sich erstreckende als Tiefe. Nach jenem ideellen Durchschnittspunkt bestimmt jeder auch die Teile seines Körpers als obere, untere, rechte, linke, vordere und hintere. Für jeden einzelnen Menschen ist mithin der Ausgangspunkt für seine Anschauungen und Bestimmungen hinsichtlich des Raumes sein eignes Empfinden, welches in Wahrheit für jeden den ideellen Durchkreuzungspunkt jener gedachten drei Senkrechten bildet. Der

*) Vgl. hierzu Liebmann, Zur Analysis der Wirklichkeit 1. Aufl. S. 45 f., dem wir hier zum Teil folgen.

Raum also, den notwendig jeder Mensch vorstellt, ist ein dreidimensionaler, welcher in jedem Individuum seinen Mittelpunkt findet und sich von da für dasselbe ins Unendliche ausdehnt; so ist schon für jeden Menschen der Raum ein individuell bestimmter Raum, und also von jedem einzelnen Subjekt und dessen Anschauung abhängig.

Mit einer solchen individuellen Raumbestimmung geben sich die Wissenschaften, wie z. B. Astronomie und Geographie, freilich nicht zufrieden. Die Geographie teilt die Erde in Längen- und Breitengrade ein, die sie von irgend einem Punkte der Erde, etwa von der Insel Ferro aus, zu zählen beginnt. Die Astronomie bestimmt ihre ungeheuren Masse auch nicht vom Kopfe eines Astronomen, sondern etwa von einer Fixsterngruppe aus, welche sie als Ausgangspunkt für ihre Zählung und Messung der Himmelsräume annimmt. Aber alle diese objektiven Raumbestimmungen sind offenbar das künstliche Werk abstrakter Reflexion und keineswegs die Raumanschauungen, wie sie jeder Mensch von Natur besitzt. Diese letzteren sind durchaus individuell und subjektiv gefärbt, was noch mehr hervortritt, wenn man die Thatsache ins Auge fasst, dass jeder Mensch den Raum in Wahrheit perspektivisch sieht. Ferne Gegenstände erscheinen uns kleiner als sie sind; ihre Umrisslinien nicht gerade, wie sie wirklich sind, sondern schief. Wir verbessern jedoch unsern thatsächlichen Augenschein durch unser sich auf Erfahrung stützendes Urteil: Der ferne kleine Gegenstand, sagen wir uns, ist in Wirklichkeit ein grosser, die schräg gesehene Linie in Wahrheit eine gerade. Diese letztere, durch Urteil korrigierte Raumvorstellung kommt aber erst durch Erfahrung und Reflexion zu Stande. Erst dadurch, dass ich an den fernen Körper nahe hinanging und ihn dann grösser fand, als er sich von weitem ausnahm, habe ich meine Anschauung verbessert. Was ich aber trotz aller dieser erfahrungsmässigen Ueberlegung mit meinen Augen wirklich sehe, ist doch ein kleiner Körper, in dem anderen Falle eine schräge Linie. Der Raum also stellt sich perspektivisch dar, d. h. wir nehmen nur einen völlig subjektiv, nach dem Standpunkt des anschauenden Individuums sich bestimmenden Raum wahr; und wenn wir auch durch die Erfahrung und das

sich darauf stützende Urteil die Fehler unserer Sinneswahrnehmung in Gedanken verbessern und ausgleichen, so sind Erfahrung und Urteil und die Verbesserung ,,in Gedanken" doch auch wieder subjektiv bedingte Thätigkeiten, so dass gleichwohl auch die in Gedanken verbesserte Raumvorstellung eine subjektive bleibt, wie denn in all unserem Raumsehen unser Urteil en fortgesetzt unbewusst thätig und wirksam ist.

Die Subjektivität unserer Raumanschauung tritt uns ebenfalls in dem sog. pseudo skopischen Sehen entgegen, d. h. in dem trügerischen Sehen, in welchem unsere Augen uns Linien und ganze Figuren grösser und kleiner, als sie der objektiven Messung nach, schief, gebrochen und gebogen zu einander, wo sie in Wahrheit völlig parallel, kurz anders erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit sind. Interessante Beispiele dafür finden sich bei Wundt, Physiologische Psychologie (1. Aufl.) S. 562 ff., worauf ich hier verwiesen haben will.

Die Subjektivität des von uns wahrgenommenen Raumbildes. leuchtet ferner ein, wenn wir uns klar machen, welche Sinne vorzugsweise an der Bildung unserer Raum anschauung beteiligt sind. Verfügten wir nur über die Sinne des Gehörs, des Geruchs und des Geschmacks, so würde unsre Raumanschauung nur eine sehr unvollkommene und entschieden nicht die sein, welche wir jetzt haben. Denn es liegt auf der Hand, dass vorzugsweise Gesichts- und Tastsinn uns unsre Raumanschauung entwerfen helfen, und zwar der erstere in noch höherem Masse als der letztere; denn der Tastsinn reicht immer nur auf Armeslänge, der Gesichtsinn fliegt zu den Sternen empor. Der Tastsinn tritt daher auch immer nur sekundär und sekundierend dem Gesichtsinn zur Seite und ergänzt ihn durch die Berührung mit den Körpern. Aber der grosse gewaltige Raum, den wir vor uns sich dehnen sehen, hängt vom Gesichtsinn ab. Diese Betrachtung führt uns sogleich zu einem sehr erleuchtenden Ergebnis. Unsre Raumanschauung hängt also vorzugsweise von den Akten des Sehens ab, welche in ausserordentlich komplizierten Vorgängen bestehen; das letzte Resultat dieser Vorgänge ist allemal die Gesichtsanschauung, welche der Sehende gerade vorstellt. Hinsicht

lich all dieser bei jedem Sehakte auftretenden, verwickelten Prozesse im äusseren Auge und dem inneren Centralorgan des Gehirnes und in der beide verbindenden Nervenleitung sind bekanntlich von Physiologen und Physikern sehr verschiedene Hypothesen aufgestellt. Diese verschiedenen Ansichten aber berühren unsre Frage jetzt nicht weiter; wir brauchen uns jetzt nicht darum zu kümmern, dass das Bild jedes gesehenen Gegenstandes auf unsrer Netzhaut verkehrt steht, und wir deshalb eigentlich die ganze Welt auf dem Kopfe stehend sehen müssten; noch darum, dass wir mit zwei Augen von jedem Gegenstande zwei Bilder empfangen und doch nur einen Gegenstand sehen; noch gehen uns hier die besondern (nativistischen oder genetischen) Theorien der verschiedenen Physiologen wie Johannes Müller, Volkmann, Donders, Nagel, Panum, Hering, Kundt, Helmholtz u. a. m.*) an; denn es genügt zu sagen, dass alle diese hinsichtlich der Erklärung der Prozesse des Sehens von einander abweichenden Meinungen in dem einen, jetzt für uns allein wichtigen Punkte einverstanden sind, dass nämlich das Sehen ein durch und durch subjektiv bedingter Vorgang sei. Wenn uns also das Raumbild vorzugsweise durch das Sehen vermittelt wird, wenn es vom Sehen abhängt, so ist es ein Gesichtsraum bild und mithin ebenso subjektiv bedingt, wie alles, was sichtbar ist und gesehen wird. Das Raumbild ist aber um so mehr ganz subjektiv bedingt, als es nicht blos durch die physiologischen Sehakte, sondern zugleich und erst durch intellektuelle logische (sei es nun bewusste oder unbewusste) Urteilsakte zu stande kommt, die doch wohl gänzlich subjektiver Natur sind. Denn das äussere Sehorgan besorgt trotz seiner künstlichen Einrichtung das Sehen nicht allein; es bedarf zum richtigen Sehen auch einer intakten Intelligenz, denn jede Wahrnehmung ist nicht blos ein physiologischer und physikalischer Vorgang, sondern stets auch ein Akt der überlegenden Intelligenz, wie es in betreff des Sehens z. B. jeder malende und bildende Künstler sehr wohl weiss, und wes

*) S. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, Leipzig 1874 S. 631 ff.

halb es so schwer ist, richtig sehen, überhaupt richtig wahrnehmen zu lernen. Jedes Gesichtsbild, mithin auch das Raumbild, ist also nicht blos ein sensuales, sondern ein intellektuales Phänomen, ein Erzeugnis mehrerer stets zusammen wirkender und sich gegenseitig bestimmender Elemente, ein Produkt psychologischer Chemie, um einen Ausdruck Stuart Mills hier in etwas veränderter Form anzuwenden. Ein richtiges Sehen hängt also ab erstens von der Gesundheit des äusseren Sinnesorganes, zweitens von dem richtigen Verlauf des logischen Verstandesprozesses, und drittens also auch von der Intaktheit des diesem letzteren zu Grunde liegenden physiologischen Substrats, des Gehirns. Nun sind. aber die Vorgänge in den Sinnesorganen, die Urteilsakte, die Gehirnprozesse lauter subjektiv bedingte und subjektiv bedingende Faktoren, so dass also auch ihr Erzeugnis, jedes Wahrnehmungsbild, mithin auch jedes Gesichtsbild und somit das gesamte Raumbild sich völlig in Subjektivität auflöst.

Wir wollen aus der Erfahrung einige diese Sätze erläuternden Thatsachen vorführen. Da das Gesichtsbild und also auch das Raumbild von der vollen Integrität des äusseren Organes abhängt, so kann der Blindgeborne nie eine vollkommene Raumvorstellung haben; sein Raum ist lediglich ein beschränkter Tastraum. Man mache einen kleinen Versuch: man schliesse das eine Auge und bewege, mit einem Finger auf den Augapfel des andren Auges drückend, den Augapfel hin und her. Die Folge davon ist, dass der ganze Gesichtsraum vor uns hin- und hertanzt. Es hängt also unser normales Raumbild von der normalen Funktion des äussern Sehorgans ab. Wie sehr aber urteilender Verstand Bedingung der Entstehung des normalen Raumbildes ist, zeigen die interessanten Fälle der operierten Blindgebornen. Wurden erwachsenen Blindgebornen, welche über ihre Eindrücke berichten konnten, die Augen geöffnet, so nahmen sie auf der Stelle Farben wahr, aber sie sahen keine Körper, keine Höhe und Tiefe, keine Entfernung, also überhaupt nicht perspektivisch, vielmehr erschien ihnen die vielgestaltige Welt nur wie eine ebene, mit Farben bedeckte Fläche, welche unmittelbar vor ihren Augen lag, so dass sie fürchteten, beim Vorwärtsschreiten sich daran zu stossen. Von Kaspar Hau

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