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hinaus so gut wie ganz vernichtet wird und die Philosophie sich zuerst in teleologische Metaphysik und darauf völlig in Theologie verwandelt. Es ist die Periode, wo man vorzugsweise, ja fast ausschliesslich die übernatürliche Kausalität behandelt.

Eine erledigende Kritik der Teleologie können wir an dieser Stelle noch nicht geben. Aber doch lassen sich hier Gesichtspunkte aufstellen, aus denen betrachtet die Schwäche der Teleologie deutlich wird und die Schlussfolgerungen des Anaxagoras wie seiner teleologischen Nachfolger sich als hinfällig erweisen. Diese Schlussfolgerung heisst in der Kürze: Die Welt ist zweckmässig geordnet, also muss es ein Ordnendes geben, und da planvolle, zweckmässige Ordnung nur durch denkende Überlegung möglich ist, so muss das Ordnende ein Denkendes sein. Nun folgt aus dem blossen toten Weltstoff die Ordnung nicht, also liegt auch das Ordnende nicht in dem Stoffe selbst, sondern ist ein vom Stoffe Verschiedenes und zwar ein Denkendes, also ein der Welt als Weltordner gegenüberstehender und von ihr verschiedener Weltbaumeister, der Nus.

Prüfen wir Schritt für Schritt diese Gedanken und sehen wir, ob das Gewebe fest ist oder uns unter den Fingern zerreisst.

Der erste Satz der Teleologie, auf dem ihr ganzes Gebäude

ruht, sagt: Die Welt ist zweckmässig geordnet. Angenommen erstens: Die Erfahrung zeigte uns in unserer Erfahrungswelt auch sehr viel Zweckmässiges, ja nur Zweckmässiges, so würden wir daraus doch noch nicht das Recht zu dem Urteil: ,,Die Welt, d. h. das gesamte All ist zweckmässig" ableiten können. Die unserer Kenntnis zugängliche Welt, unsere Erfahrungswelt, ist nur ein verschwindend kleines Stück des ungeheuren Weltalls. Den unvergleichlich grösseren und grössten Teil des Alls kennen wir gar nicht. Keine Logik der Welt erlaubt einen strikten Schluss von dem Teil auf das Ganze. Wir sehen so zu sagen nur in eine Schlucht des unendlichen Weltgebirges hinein wie dürften

wir nach der Gesteinsart dieser einen Schlucht die Beschaffenheit

des ganzen Gebirges beurteilen wollen? Unsere Erfahrungswelt könnte immerhin eine durchaus zweckmässige und doch nur ein Spezialfall unter den unendlich vielen Weltarten, nur eine

Spezies unter den unendlich vielen Weltspezies sein, für die es durchaus keine zwingende Notwendigkeit giebt, dass sie gerade so sein müssten, wie unsere Welt. Aber um zweitens die Welt als zweckmässig oder zweckentsprechend beurteilen zu können, müssten wir doch vor allen den Zweck der Welt, dem sie gemäss sein, dem sie entsprechen sollte, kennen. Welcher Mensch dürfte sich anmassen zu behaupten, er kenne den Zweck der Welt! Jede derartige Behauptung und es werden ja deren mit tönendem Munde ausgesprochen ist natürlich ein dogmatisches Phantasiegebilde, denn den Zweck des Alls könnte nur der kennen, der das All in allen seinen Teilen von Ewigkeit zu Ewigkeit mit vollster Klarheit durchschaute. Wie bodenlos nichtig aber verhält sich dieser Anforderung gegenüber das Stückwerkwissen der Menschheit! Von einem Zweck des Alls können wir also nie etwas wissen, also ebenso wenig von einem Zweck des uns zugänglichen Teiles des Alls, unserer Erfahrungswelt, denn um diese als wirklich zweckmässig beurteilen zu können, müssten wir ebenfalls erst wissen, was denn der Zweck sei, in Hinsicht auf den wir sie als ihm entsprechend beurteilen dürften; dazu müsste aber jeder Schleier über die Rätsel dieser Erfahrungswelt gelichtet sein, was ja nur dann völlig möglich wäre (da sich der Teil vollkommen ja nur aus dem Ganzen, in dessen Zusammenhang er steht, erklären lässt), wenn wir das ganze All in vollster Klarheit erkennten, welches letztere eben nie möglich ist. Also wir kennen weder den Zweck des gesamten Alls noch den unserer speziellen Welt. Aber kennten wir ihn drittens auch, so würde uns das doch wenig helfen, denn ob die Welt nun auch wirklich in allen ihren kleinsten Teilen diesem Zwecke völlig angemessen eingerichtet wäre, und ob sie es von Ewigkeit her gewesen oder erst allmählich dazu gekommen wäre, und ob sie für alle Zeit sich in dieser Einrichtung erhielte, das wären drei Fragen, die ewig offen blieben, da wir ja niemals das All in allen seinen Teilen kennen und erkennen können. So könnten wir also, selbst wenn wir den Zweck der Welt kennten, doch noch nicht die zweckmässige Einrichtung der Welt behaupten. Viertens zeigt uns nun aber die Wissenschaft, dass, je tiefer sie in das Innere der Natur eindringt, sie um so mehr Erscheinungen

entdeckt, die ganz und gar nicht als zweckmässig im teleologischen Sinne bezeichnet werden können, sondern ganz entschieden der Teleologie widersprechen. Hierher gehören alle die Erscheinungen der sogen. Dysteleologie (d. h. der Unzweckmässigkeit), wie z. B. die rudimentären Organe der Pflanzen und Tiere (vgl. Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte, 6. Aufl. S. 14 u. 644, und Generelle Morphologie, II. S. 266). Ja,,es ist", wie Lange (Geschichte des Materialismus, II. S. 246) vortrefflich sagt,,,nun aber gar nicht mehr zu bezweifeln, dass die Natur in einer Weise fortschreitet, welche mit menschlicher Zweckmässigkeit keine Ähnlichkeit hat; ja, dass ihr wesentlichstes Mittel ein solches ist, welches, mit dem Massstabe menschlichen Verstandes gemessen, nur dem blindesten Zufall gleichgestellt werden kann. Über diesen Punkt ist kein zukünftiger Beweis mehr zu erwarten; die Thatsachen sprechen so deutlich und auf den verschiedensten Gebieten der Natur so einstimmig, dass keine Weltansicht mehr zulässig ist, welche diesen Thatsachen und ihrer notwendigen Deutung widerspricht. Wenn ein Mensch, um einen Hasen zu schiessen, Millionen Gewehrläufe auf einer grossen Heide nach allen beliebigen Richtungen abfeuerte; wenn er, um in ein verschlossenes Zimmer zu kommen, sich zehntausend beliebige Schlüssel kaufte und alle versuchte; wenn er, um ein Haus zu haben, eine Stadt baute und die überflüssigen Häuser dem Wind und Wetter überliesse: so würde wohl Niemand dergleichen zweckmässig nennen, und noch viel weniger würde man irgend eine höhere Weisheit, verborgene Gründe und überlegene Klugheit hinter diesem Verfahren vermuten. Wer aber in den neueren Naturwissenschaften Kenntnis nehmen will von den Gesetzen der Erhaltung und Fortpflanzung der Arten

selbst solcher Arten, deren Zweck wir überhaupt nicht einsehen, wie z. B. der Eingeweidewürmer, der wird allenthalben eine ungeheuere Vergeudung von Lebenskeimen finden. Der Untergang der Lebenskeime, das Fehlschlagen des Begonnenen ist die Regel; die,,naturgemässe" Entwicklung ist ein Spezialfall unter Tausenden, es ist die Ausnahme, und diese Ausnahme schafft jene Natur, deren zweckmässige Selbsterhaltung der Teleologe kurzsichtig bewundert."

Aber die Naturwissenschaft zeigt uns noch

mehr, nämlich wie die sogen. zweckmässigen Erscheinungen auf ganz mechanischem Wege, also durch blosse naturnotwendige Gesetze, oder, wie der Teleologe sich ausdrücken würde, durch blinden Zufall zu Stande kommen. Was Empedokles zuerst divinierte, das erhebt uns, gestützt auf ein täglich wachsendes Beweismaterial, die moderne Entwicklungstheorie immer mehr über allen Zweifel, dass nämlich, wie Lange (Geschichte des Materialismus, Bd. I. S. 107. 3. Aufl.) es ausdrückt,,,die gesamte Zweckmässigkeit des Alls und insbesondere auch der Organismus lediglich ein aus der Unendlichkeit des mechanischen Geschehens sich ergebender Spezialfall ist." So wird also durch die Fortschritte der Wissenschaft die auch nur hypothetische Setzung eines Zweckprinzips gänzlich unnötig gemacht; das eine Prinzip des mechanischen Geschehens, d. h. der erfahrungsmässig gegebenen Naturgesetze, erweist sich als völlig ausreichend zur Erklärung der gesamten Naturerscheinungen, so dass es die Newton'sche regula philosophandi: Dass nämlich die Erklärungsprinzipien in der Wissenschaft nicht ohne Not vermehrt werden dürfen, völlig überschreiten hiesse, wollte man noch ein besonderes Zweckmässigkeitsprinzip beibehalten.

Gleich der erste Fundamentalsatz der Teleologie: „Die Welt ist zweckmässig,“ erweist sich also als eine völlig unbewiesene, ja unbeweisbare (denn das zu Beweisende liegt ausserhalb der Grenzen aller Erfahrung) dogmatische Behauptung, die selbst als Hypothese der Wissenschaft nicht einmal von nöten ist. Damit fällt also auch die daraus hergeleitete Annahme eines ordnenden Prinzips, das ein vom Stoffe verschiedenes, denkendes Wesen sei, als unbewiesen schon von selbst zusammen. Prüfen wir indessen jetzt auch noch die darauf bezüglichen Schlüsse. Es wird sich zeigen, dass wir es hier mit drei unmöglichen Schlüssen zu thun haben, dem Schluss vom Teil auf das Ganze, dem Schluss aus partikulären Prämissen und dem aus der Analogie. Der erste Schluss lautet (vergl. oben S. 70): Das die Welt Ordnende muss ein Denkendes sein, denn planvolle, zweckmässige Ordnung ist nur durch denkende Überlegung möglich. Es ist richtig, dass, wenn der Mensch ordnend verfährt, er dazu sein menschliches Denken und Überlegen nötig hat. Angenommen nun, das Weltall wäre

wirklich zweckmässig geordnet, so würde aus dem Verfahren des Menschen doch noch gar nichts folgen über das Verfahren des Weltalls. Der Mensch ist nur ein verschwindend kleiner Teil der Natur; es kann nie geschlossen werden, dass, was für diesen Teil gilt, auch für das Ganze Gültigkeit habe. Der Mensch mag immerhin Zweckmässigkeit durch Denken erreichen, so könnte die Natur dasselbe Ziel doch durch ganz andere Mittel ermöglichen, die mit unserem Mittel, dem Denken, gar keine Ähnlichkeit zu haben brauchten. Das Menschlein ordnet seine kleinlichen Angelegenheiten durch sein bisschen Denken. Weder das Menschlein, noch seine Angelegenheiten, noch sein bisschen Denken stehen nach Quantität oder nach Qualität in irgend einem massgebenden Verhältnis zu dem unendlichen Weltall, dessen ungeheuren Prozessen und dessen riesigen Mitteln, die unserer Wenigkeit hohnlachen. Der Mensch, sein Ordnen, sein Denken, sind im Vergleich zum All nur allerpartikulärste Erscheinungen; sowie man vom Teil nicht auf das Ganze schliessen kann, so kann man auch aus partikulären Prämissen nichts folgern, lehrt die Logik. Wo wären aber die Prämissen partikulärer als hier, wo geschlossen wird: Einiges in der Welt ist zweckmässig geordnet; einige Wesen (die Menschen) ordnen ihre Angelegenheiten in zweckmässiger Weise durch Denken, also ist das ganze Universum zweckmässig durch Denken geordnet. Es gehört die ganze hochmütige Verblendung und dünkelhafte Befangenheit des vom anthropozentrischen Irrtum durchwachsenen Menschen, der sich für das A und O der Welt hält, dazu, um einen solchen Fehlschluss zu vollziehen; freilich lenkt hier das innerste selbstsüchtige Interesse des Menschen seinen Verstand, und leider beherrscht ja der Wille den Intellekt und macht ihn zu seinem gehorsamen Sophisten. Der Schluss: ,,Das die Welt Ordnende muss ein Denkendes sein", ist endlich auch als blosser Analogieschluss ein Fehlschluss, nur ex analogia hominis, nicht ex analogia universi, um baconisch zu reden, gezogen, insofern die gesamte Welt nach der Analogie des menschlichen Wesens und seiner Eigentümlichkeiten beurteilt wird, wobei die erste Voraussetzung, dass die Natur wirklich zweckmässig sei, ja auch nur unbewiesen angenommen ist, wie wir gesehen haben.

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