Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

=

fahrungsmässigen Sein, sondern das Sein ist so, wie ich es widerspruchsfrei denke: das Sein (rò ov) ist Denken (λóyos). Diese őv) Gleichung macht den Sinn der ,,Ontologie" aus. Daraus folgt positiv: was ich notwendig denke, existiert auch die Denknotwendigkeit ist die Seinsnotwendigkeit; und negativ: was ich unmöglich denken kann, existiert auch nicht die Denkunmöglichkeit ist die Seinsunmöglichkeit. Das Kriterium für die Existenz oder Nichtexistenz eines Wesens ist also nicht die Erfahrung, sondern nur das Vermögen oder das Unvermögen des menschlichen Denkens. Weil ich mir irgend ein logisch in sich zusammenhängendes Hirngespinst von Begriffen über die Welt gebildet habe, so ist die Welt so, wie dieses Hirngespinst. Weil ich, in dieses Netzwerk eingesponnen, mir etwas anderes, z. B. das, was grosse Naturforscher über das Weltwesen entdeckt haben, nicht zu denken vermag, deshalb existiert es nicht. So lautet in seiner positiven und in seiner negativen Form ,,der ontologische Schluss", dessen Eigentümlichkeit mithin darin besteht, dass man glaubt, aus dem blossen Denken die Existenz (welche ja nur durch die Anschauung festgestellt werden kann) eines Wesens sicher erschliessen zu können. So wird in Wahrheit mithin die Schwäche und Enge des kleinen Menschengeistes zum Massstab und Beherrscher des Alls gemacht! Nicht etwa soll er seine Begriffe nach der erfahrungsmässigen Beobachtung bilden und verbessern, sondern das unendliche Weltall hat sich seinen kleinlichen Begriffen unterzuordnen. Die notwendige Folge davon, dass man hier den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess in dieser Weise auf den Kopf stellt, ist die Abwendung von allem erfahrungsmässigen Forschen, das Verlassen der Empirie, das blosse Grübeln in Begriffen, dessen Erzeugnisse Begriffsdichtungen sind, die von nun an für höchste Wahrheit und Wissenschaft gehalten werden. Zwei Jahrtausende lang denkt und schliesst von nun an der Menschengeist vorzugsweise ontologisch, statt der Thatsachen gelten Begriffe, und die erdichtete Begriffswelt dringt so in Fleisch und Blut der Menschen ein, dass es erst der Riesenarbeit der Naturforscher von des Kopernikus' Tagen an bis heute, und der kritischen Herkulesthaten der Philosophen von Bacons Zeit bis in unsere Kantische Periode

hinein bedurfte, um den Koloss mit thönernen Füssen zu stürzen. Und trotzdem Kant es für so einleuchtend hielt, dass, wenn ich mir hundert Thaler denke, ich sie deshalb noch nicht habe, und dass ein Kaufmann, wenn er auch den Zahlen in seinem Geschäftsbuche einige Nullen anhängt, seinen Vermögensstand dadurch um nichts verbessert, trotzdem giebt es auch jetzt noch ausgedehnte Gebiete des menschlichen Vorstellens, wo dies Verfahren für durchaus erfolgreich gilt und sanktioniert ist, jedes Antasten und Bezweifeln dieser Methode aber für ein Attentat auf die heiligsten Besitztümer der Menschheit verschrieen wird.

Es ist vielleicht zu erklären, warum das philosophische Denken in diesen ontologischen Irrweg einlenkte. Die Eleaten sind die ersten eigentlich dialektischen Denker, d. h. die ersten, welche auf die scharfe logische Zergliederung der Begriffe allen Eifer verwenden. Während die früheren Philosophen harmlos dem Zeugnis der Sinne sich überlassen hatten, wird hier zuerst eine Disharmonie zwischen Sinneszeugnis und Verstandesforderung entdeckt; zum ersten Mal wird hier der Verstand sich seiner Macht und Schneidigkeit bewusst, zum ersten Mal emanzipiert sich der Geist von dem Gängelband der Sinne, er fühlt sich selbständig und erhaben über jene niederen Diener, und wie es stets geschieht, so wird auch hier das neue Prinzip, die neue Erkenntnisquelle im Überschwung der stets einseitigen Begeisterung für die einzige zum Ziele führende und das Geheimnis des Alls ausströmende gehalten und masslos überschätzt. So gering sonst auch die Ergebnisse dieses Verfahrens für die positiven Wissenschaften waren, so wurde dadurch doch, und das ist allerdings als nichts Geringes hervorzuheben, eine Gymnastik des Denkens geschaffen, und eine Schärfe des begrifflichen Unterscheidens erzeugt, durch welche allein es erst möglich wurde, jene naive Empirie der ersten Forscher zu einer wirklich kritisch-empirischen Methode umzugestalten, und insofern erscheint der Irrweg nur als ein Umweg: auch er mündet schliesslich in das Ziel ein.

Schon in der einseitigen Hervorhebung der Form bei den Pythagoreern sahen wir eine Hinwendung zum Idealismus. Nur im reinen Denken ist Wahrheit zu finden

dieser Grundsatz

der Eleaten ist ein durch und durch idealistischer. Wo in der Folgezeit die Form zum Erklärungsprinzip der Dinge gemacht und das ontologische Verfahren zur allein gültigen Erfahrungsmethode erhoben wird, haben wir den Gipfel des Idealismus, d. h. des absolut einseitigen, überschwänglichen, schwärmerischen und unkritischen Idealismus, der nicht der unsere sein kann. Wir werden sehen, dass Platons Idealismus nichts anderes als die Verschmelzung jenes Pythagoreischen, allerdings in einer Beziehung (hinsichtlich der Immaterialität) verfeinerten Prinzips der Form und der eleatisch-ontologischen Methode ist.

Der eleatische Idealismus ist vollster Dogmatismus, da jede Bestätigung durch die Erfahrung verworfen, die Lehrsätze also lediglich geglaubt werden. Je höher der Dogmatismus steigt, um so unausbleiblicher entspringt daraus der Skeptizismus. Er zeigt sich einerseits schon als ein charakteristischer Zug in der Lehre der Eleaten selbst, insofern er sich grundsätzlich gegen die Sinne und deren Zeugnisse richtet. Aber andrerseits erwecken die Eleaten ihn bei anderen und zwar gegen ihre eigene Lehre und gegen deren Kardinalpunkt, die Unfehlbarkeit des begrifflichen Denkens.

Zeno sagt:,,Aus dem Denken folgt die Unmöglichkeit des Werdens, der Veränderung, der Vielheit, der Bewegung." Der naive,,gesunde Menschenverstand" in Diogenes erwidert: Aber die Sinne zeigen mir mit unleugbarer Deutlichkeit die Veränderung, die Vielheit, die Bewegung als unbezweifelbare Thatsachen. Die Sinne lügen hierin nicht: wenn du, Eleat, Widersprüche in den Begriffen der Veränderung u. s. w. findest, so folgt daraus nicht die Fehlerhaftigkeit und Unmöglichkeit der Veränderung, sondern die Fehlerhaftigkeit deines Denkens. Siehe hier, die Thatsächlichkeit der Bewegung! und zur Bekräftigung läuft Diogenes spottend um Zeno herum. So siegt die Ontologie nicht auf der Stelle und nicht hinsichtlich der von ihren Urhebern angestrebten Sätze, vielmehr denken die zunächst folgenden Philosophen noch im alten naturphilosophisch - empirischen Geiste; aber in feinerer Gestalt wird sie wiederkehren, sie wird sich mit den intimsten Interessen des menschlichen

Selbsterhaltungstriebes d. h. mit den religiösen Interessen verbünden, und dann wird sie siegen.

Werfen wir einen Blick auf die ersten Schritte der griechischen Philosophie zurück, so ergiebt sich, dass wir hier bereits einen wichtigen Abschnitt erreicht haben. Schon hier sind alle Grundbegriffe erfasst, über welche weder metaphysische Spekulation noch naturwissenschaftliche Forschung je hinauskommt: Stoff, Form, Werden, Sein. Alle Spekulation, sei sie empirisch, sei sie metaphysisch, hat es in letzter Instanz mit der Zergliederung und Verbindung dieser Grundbegriffe zu thun. Der Unterschied zwischen den heutigen Forschern und den Alten hinsichtlich dieser Grundvorstellungen ist allein der, dass, was die letzteren nur in oberflächlicher Allgemeinheit als Grundprinzipien der Dinge erkannten, wir durch immermehr eindringende, auf empirische Untersuchungen sich stützende Spezifikation in die Einzelheiten zerlegt haben: was wir heute die einzelnen Naturgesetze nennen, sind entweder Gesetze des Stoffes oder der Form, oder des Werdens, oder des Seins. Es ist interessant zu sehen, wie in den Anfängen menschlicher Wissenschaft je einer dieser Grundbegriffe von je einer naturphilosophischen Richtung entdeckt und einseitig zum einzigen Prinzip gemacht wird. Eben wegen dieses einen Prinzips, auf dem diese vier ersten Philosophien ihre Spekulationen basieren, kann man diesen ersten Abschnitt der griechischen Philosophie in den ionischen Physiologen, den Pythagoreern, Heraklit und den Eleaten die Einheitslehre nennen. Ihm folgt dann der Abschnitt der Vielheitslehre, der sich naturgemäss aus jenem ersten entwickelt. Denn ein absolut neues Prinzip wird jetzt nicht mehr entdeckt, wenn auch relativ neue aufgestellt werden; somit besteht die Arbeit aller folgenden Philosophen darin, eine harmonische Verbindung jener vier ersten Prinzipien anzustreben in diesem Bemühen stimmen Empedokles, Anaxagoras, Demokrit, Platon und Aristoteles sämtlich überein, so himmelweit verschieden sonst auch bei jedem die Lösung der Aufgabe ausfällt. Aber wir können auch hier schon einsehen, dass eine wahrhaft widerspruchslose organische Verbindung dieser vier Prinzipien unmöglich ist, und daher jede scheinbar hergestellte Ver

einigung zuletzt durch die in ihr selbst waltenden, einander widerstrebenden Kräfte von innen heraus gesprengt werden muss. Der Stoff, die Form und das Werden sind Vorstellungen, die der unmittelbaren sinnlichen Erfahrung entnommen sind: sie sind insofern Erfahrungsbegriffe, die unter die Kategorie der natürlichen Kausalität fallen. Das ewig unveränderliche, alle Vielheit, Grösse und Bewegung ausschliessende Sein der Eleaten aber ist ein rein abstrakter Gedanke, dem absolut keine in irgend welcher Erfahrung gegebene Erscheinung entspricht, denn dieses Sein ist gleichbedeutend mit der übernatürlichen Kausalität“. Dieses,,Sein", dem kein ontologischer Schluss je ein anschaubares Dasein verleiht, wenn andrerseits seine Existenz ebenso wenig geleugnet werden kann, steht also von vornherein in einem unheilbaren Widerstreit mit jenen Begriffen: diese sind Erfahrungsbegriffe, jener ist durch keine Erfahrung zu bewahrheiten. Diese sind empirisch-physischer Natur, jener ist ontologisch-metaphysischer Art. Aus diesem entwickelt sich die Erfahrungswissenschaft, aus jenem die Ontologie. Solange beide verbunden werden, vereinigt man Unvereinbares, man erzeugt unlösbaren Widerspruch und Zwiespalt und in der dualistischen Divergenz ihrer Prinzipien wird die Philosophie und damit alle Wissenschaften vom Pfade wahrer Erkenntnis abgeleitet. Sie wird in dem Grade auf denselben zurückgeführt, als jener ontologische Begriff mehr und mehr in seiner wahren Bedeutung als Grenzbegriff und Ding an sich erkannt, und jede positive Aussage über sein Wesen, damit aber auch alle Ontologie, als unmöglich erkannt wird und erst nach dieser kritischen Berichtigung der Ontologie durch Kant kann der helle Tag des wahren kritischen Empirismus in ungetrübtem Glanze hereinbrechen.

« ZurückWeiter »