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auch dem naiven Verstande als das festeste und sicherste Funda. ment jedes Vorstellens, als das vorzugsweise Thatsächliche erscheint, so undenkbar und deshalb in sich unmöglich stellt sie sich dem eleatischen Denken dar. Unter diesem Gesichtspunkte als eine gegen die Richtigkeit einer jeden Sinneswahrnehmung geschwungene Waffe muss man den Beweis vom Scheffel Hirse betrachten, Ein zu Boden fallendes Hirsekorn oder ein kleinster Teil desselben macht kein Geräusch. Ein ganzer Scheffel Hirse macht beim Ausschütten ein starkes Geräusch. Wie können Teile, deren jeder für sich kein Geräusch verursacht, in der Vereinigung ein Geräusch hervorbringen? Dieser hinsichtlich der Gehörswahrnehmung aufgedeckte Widerspruch liesse sich ebenso gut auf jede andere Sinneswahrnehmung beziehen. Ein Stäubchen Metall übt auf die Haut keinen Druck aus, wie also ein Metallklumpen? Ein unendlich kleiner Teil Holz wird nicht gesehen, wie also ein Brett? Der Widerspruch in jeder Sinneswahrnehmung ist also dieser: Jede Sinneswahrnehmung ent- und besteht aus unendlich vielen unend▾ lich kleinen Sinnes wahrnehmungen. Eine unendlich kleine Sinnes, wahrnehmung ist aber keine, denn sie wird nicht wahrgenommen wie also können unendlich viele Unwahrnehmbarkeiten eine Sinneswahrnehmung zusammensetzen? Wenn aber jede einzelne Sinneswahrnehmung so unwahr und trügerisch ist, wie könnte die gesamte Sinneswelt Wahrheit enthalten? Sie ist nichts als täuschender Schein, so lehren die Eleaten.

Im Sein giebt es keine Vielheit, also auch nicht viele ver schiedene Zustände, mithin keine Veränderung, demnach auch keine Veränderung des Orts d. h. keine Bewegung, um so weniger, als für das ,,Sein", für diese wahrhafte Welt an sich, es keinen Ort, weil keinen Raum, giebt. Auch gegen die Bewegung stellt Zeno scharfsinnige indirekte Beweise auf: Die Bewegung kann erstens nicht beginnen, zweitens ihr Ziel nicht erreichen und ist drittens in jedem Punkte einer zwischen Ausgangspunkt und Ziel gesetzten Bahn unmöglich.

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Ehe er B

Ein Körper soll sich von A nach B bewegen.

erreicht, muss er die Hälfte des Weges bis C zurückgelegt haben; ehe er die Hälfte passiert hat, muss er ein Viertel (D), vor diesem ein Achtel (E), vor diesem ein Sechzehntel (F) u. s. w. erreicht haben. Nun besteht aber nicht bloss die ganze Linie A B, sondern auch jedes noch so kleine Stück derselben aus unendlich vielen Teilen. Der Körper muss also in jedem noch so kleinen Stück seines Weges unendlich viele Räume durchlaufen, d. h. er wird schon über das erste noch so kleine Stück seines Weges gar nicht hinaus kommen. Die Bewegung kann demnach so gut wie überhaupt nicht beginnen, geschweige dass sie je ihr Ziel (B) erreichen könnte. Achilleus möge mit einer Schildkröte einen Wettlauf beginnen. Diese möge nur einen kleinen Vorsprung haben, so wird jener schnellfüssigste der Menschen das langsamste der Tiere nie einholen. Achilleus laufe vom Punkt A, die Schild

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Wenn Achill den Punkt B erreicht hat, so ist die Schildkröte bis C gelangt; ist Achill in C angekommen, so ist die Schildkröte bis D vorgerückt. Liegt nun auch zwischen Achill und der Schildkröte nur ein noch so kleines Stück, so besteht dieses doch aus unendlich vielen Teilen, zu deren Durchlaufung Achill einer unendlichen Zeit bedarf. Hat Achill es durchlaufen, so ist die Schildkröte stets, wenn auch um noch so wenig vorgerückt, das Spiel beginnt von neuem, die Bewegung erreicht nie. ihr Ziel. Die Bewegung ist unmöglich, denn sie kommt nicht. über ihren Ausgangspunkt hinaus, und sie erreicht nicht ihren Endpunkt. Sie ist drittens auch in jedem zwischen Anfangs- und Endpunkt liegenden Punkte unmöglich, sagt endlich noch der Beweis vom Pfeil. Der Pfeil, welcher von A nach B fliegt, hat in unendlich vielen Punkten zu sein. Wenn etwas in einem und demselben Punkt ist, so ruht es. Der fliegende Pfeil ist in jedem der unendlich vielen Punkte d. h. er ruht in jedem derselben, und doch ruht er nicht in jedem Punkte, also ist er in jedem Punkte nicht d. h. sein Flug besteht aus unendlich vielen Ruhepunkten und zugleich aus unendlich vielen Bewegungen. Auch hier haben

wir wieder nichts anderes als den Widerspruch zwischen dem unendlich Kleinen, aus dem das Grosse als bestehend gedacht werden muss und doch nicht als entstehend gefasst werden kann: das Problem der Kausalität. Zenos Beweise gegen die Bewegung decken diesen Widerspruch in der Bewegung auf: Jede Bewegung be- und entsteht aus unendlich kleinen Bewegungen. Eine unendlich kleine Bewegung ist aber Nichtbewegung, da jede noch so kleine Bewegung doch in's Unendliche teilbar ist, also nicht unendlich klein ist.

Das Verdienst der eleatischen Philosophie kann kaum hoch genug angeschlagen werden, denn das menschliche Denken verdankt ihr eine Einsicht von ungeheurer Bedeutung und Tragweite, die Einsicht, dass im unendlich Kleinen das Problem von Ursache und Wirkung liegt, und dass das Problem des unendlich Kleinen das Problem der Ursächlichkeit ist. Im unendlich Kleinen liegt das Problem von Ursache und Wirkung, d. h. also die Erklärung des Werdens, der Entstehung, der Bewegung, der Grösse. Überall wo die Wissenschaft dem Rätsel des Werdens auf die Spur kommen will, wo sie erklären oder Ursache und Wirkung aufweisen will, richtet sie ihr Augenmerk von nun an auf das unendlich Kleine.

In physikalischer Beziehung wird der Gedanke des Atoms schon im Altertum und unmittelbar nach dem Auftreten der Eleaten von Leukipp und Demokrit ausgebildet; in mathematischer Hinsicht wird im unmittelbaren Zusammenhange mit dem Gedanken des lebendigen und beseelten Atoms, der Monade, in der neueren Zeit von Leibniz, in der Nachfolge Giordano Brunos, der Gedanke des Differentials gefunden und daraus die Differentialrechnung entwickelt. In seiner Lehre von den petites perceptions erkannte Leibniz in dem Begriff der unendlich kleinen Vorstellung oder Empfindung auch das Grundproblem der Psychologie und stellte die petites perceptions sozusagen als das psychologische Differential hin. Hinsichtlich der Erklärung der Organismen wird in neuester Zeit gewissermassen das organische Atom und Differential entdeckt, die Zelle. Aber das Problem des unendlich Kleinen ist andrerseits auch das Problem der Ursächlichkeit. Wir

haben schon oben gezeigt, dass es unmöglich ist, einzusehen, wie aus dem unendlich Kleinen das Grosse wird, d. h. aber wie überhaupt etwas wird. Das Werden an sich, dies innerste Wesen der Kausalität selbst, die Urkausalität aller Erscheinungen, das Ding an sich bleibt ewig unerklärbar, die Erscheinungswelt ist zugänglich, das Ding an sich verbirgt sich für immer. Wir müssen alle Erscheinungen aus dem Unendlichkleinen erklären, und das Unendlichkleine ist selbst keine Erscheinung. Wenn die Wissenschaft einerseits durch die Richtung auf das Unendlichkleine in gewaltigen Eroberungen um mächtige Kenntnisund Erkenntnisgebiete sich bereichert, so findet sie an diesem unendlich Kleinen doch auch ihre Grenze und ihr unüberschreitbares Ne plus ultra! denn das unendlich Kleine ist in sich nie erreichbar und erkennbar, es ist ein unentbehrlicher Grundstein unserer Erkenntnis und ist doch selbst keine Erkenntnis, weil die Grenze derselben, ein Ding an sich. Wir müssen das Unendlichkleine denken als das, woraus das Grosse be- und entsteht: es ist ein begrifflich notwendiger Gedanke; und doch können wir weder logisch noch empirisch einsehen, wie etwas daraus entsteht denn es ist keine anschauliche Vorstellung. Als Ding an sich ist das Unendlichkleine ein Unbedingtes. Jeder Schluss aber vom Bedingten auf das Unbedingte und umgekehrt ist nach Kant ein Paralogismus.

Es ist ein anderes grosses Verdienst der Eleaten, dass sie zum ersten Mal darauf hingewiesen haben, wie das wahre Wesen der Welt an sich nicht gleichbedeutend ist mit der sinnlichen Wahrnehmung, welche wir von der Welt haben wie vielmehr diese Sinneswelt eine täuschende und trügerische ist, und wir nur durch Denken uns von dem Irrtum, als sei diese Sinnenwelt die wahre Welt, befreien können. Die Sinne geben uns nicht die wahre Welt an sich, darin haben die Eleaten Recht. Die Sinneswelt ist blosser trügerischer Schein, darin haben sie Unrecht, denn die Wahrnehmungswelt ist als Erscheinung kein trügerischer Schein, sondern reale Wirklichkeit, aber den Unterschied zwischen Schein und Erscheinung aufzuhellen, dazu bedurfte es erst des Kant'schen Kritizismus, von dem man mit Recht

sagen könnte, dass diese Unterscheidung seinen ganzen Inhalt bilde.

Im Zusammenhange mit dieser Einsicht haben die Eleaten endlich auch schon den Keim zu einer Lehre gelegt, deren fundamentale Bedeutung für die Umgestaltung unserer Erkenntnis von der Welt man erst nach Kant völlig hat würdigen können, ich meine die Lehre Zenos, dass der Raum nicht dem wahren Sein an sich zukomme, also nur ein Gebilde unserer Sinne sei. Indem Kant die populäre Annahme, dass der von uns mit unseren Sinnen wahrgenommene Raum (und von der Zeit gilt dasselbe) der wirkliche, von uns ganz unabhängige, sich so, wie wir ihn wahrnehmen, ausser uns befindliche Raum sei, als eine zwar ,,unvermeidliche Illusion" aber doch kritisch zu beseitigende Täuschung erklärte und Raum und Zeit für subjektive, aus der Natur der Menschen stammende (nicht in der Natur der Dinge an sich liegende) Anschauungen erwies, durchbrach er mit gewaltiger Hand den Dogmatismus der Sinne und wurde zum Kopernikus der philosophischen Weltanschauung. So wie sich etwa ein Aristarch von Samos zu Kopernikus, so verhält sich Zeno der Eleat hinsichtlich der Lehre vom Raum zu Kant.

Man wird gewiss zugeben, dass wir die Verdienste der Eleaten nicht gering anschlagen. Aber diese Hochschätzung darf uns nicht verhindern, nun auch die Schuld der Eleaten klar in's Licht zu stellen, eine Schuld, welche, wenn wir die dadurch herbeigeführte Hemmung und Missentwicklung des philosophischen Denkens in den folgenden zwei Jahrtausenden betrachten, uns so gross und unaustilgbar erscheint, dass alle ihre Verdienste dagegen wie in nichts zusammenfallen. Um es mit einem Worte zu sagen: ihre Schuld besteht darin, dass sie die Begründer der ontologischen Denkweise oder der Ontologie gewesen sind. Wahrheit kommt nicht aus der sinnlichen Wahrnehmung, sondern nur aus dem Denken. Das wahre Sein der Dinge ist nicht das sinnlich anschaubare, sondern das gedachte Sein. Wer also Wahrheit und Wissenschaft sucht, darf diese nicht von der sinnlichen Erfahrung erwarten, sondern sie lediglich aus seinem widerspruchsfreien Denken schöpfen. Das Denken richtet sich nicht nach dem er

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