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betrachtet. In zahllos vielen Naturkörpern, zumal in den niederen, meerbewohnenden Tierformen, die den am Meere wohnenden Griechen ja auffallen mussten, zeigt sich z. B. die Gestalt des Dreiecks oder Vierecks oder des Kreises. Also sind diese Naturkörper die Verkörperungen des reinen Dreiecks, Vierecks oder Kreises; diese mathematischen Gestaltungen haben also jene Naturkörperformen hervorgebracht. Was hat aber diese mathematischen Gestaltungen erzeugt? Das Dreieck ist zusammengesetzt aus drei, das Viereck aus vier Seiten, der grössere Kreis ist gezogen durch den Radius = 3, der kleinere durch den Radius 2. Also, wie ja auch die analytische Geometrie (Descartes) die geometrischen Verhältnisse auf Zahlen zurückführt, sind es die Zahlen, welche jene mathematischen Verhältnisse schufen, mithin sind die Zahlen überhaupt, und vor allem die Eins, aus der ja erst alle übrigen Zahlen hervorgehen, die Schöpfer der Welt. So denken sich denn die Pythagoreer die Zahlen nicht etwa als blosse subjektive Erzeugnisse des menschlichen Denkens, sondern wirklich als objektive, in der Natur existierende mächtige Wesen, die alles verwalten und gestalten. Und auch dieses lässt sich leicht begreifen! Um die ungeheuere Wichtigkeit der Zahl für das menschliche Leben zu verstehen, wollen wir uns denken, die Zahl und alles, was von ihr abhängt, verschwände plötzlich aus unserem Kulturzustande. Damit wäre also alles Zählen, Messen und Rechnen aufgehoben, aller Handel und Wandel, Eigentum, Verkehr und Ordnung, Technik und Wissenschaft zerstört kurz mit der Beseitigung der allmächtigen Zahl, die so als Trägerin aller Kultur und Wissenschaft erscheint, sänke die Menschheit unfehlbar in einen tierischen Zustand zurück. Nun hat bekanntlich das Zählen sich sehr langsam in der Menschheit entwickelt, die Völkerkunde lehrt uns Stämme kennen, bei denen das Zahlenvorstellen noch in den allerdürftigsten Anfängen steckt. Die Pythagoreer sind unter den Griechen die ersten, die sich eingehend mit der Betrachtung der Zahl beschäftigen und ihre Bedeutung erkennen was Wunder, wenn sie, ganz geblendet und berauscht von der allbeherrschenden Tragweite derselben, mit der Einseitigkeit jedes Finders und Entdeckers sie zu einem objektiven Weltprinzip er

höhen, indem sie den subjektiv-psychologischen Prozess der Zahlenentstehung noch gar nicht beachten. Aber gerade uns kann dies um so weniger in Erstaunen setzen, ja wir könnten das Verfahren der Pythagoreer als eine geniale Anticipation betrachten, wenn wir bedenken, dass auch unsere Naturwissenschaft seit Newton erst dann glaubt sich Genüge gethan zu haben, wenn sie die Qualität auf die Quantität, die Physik auf die Mathematik zurückgeführt hat wenn sie das Wesen einer Erscheinung in einer mathematischen Formel d. h. in einer allgemein gültigen Zahl ausgedrückt hat.

Die Bedeutung der Pythagoreer für die Erkenntnistheorie besteht nach alledem erstens darin, dass sie durch die einseitige Hervorhebung der Form den ersten Anstoss zur Entwicklung des Idealismus gegeben haben. Indem sie zweitens auf Grund ihres Prinzips vor allem die Grössen- und Zahlenverhältnisse in's Auge fassten, sind sie in Europa die Begründer der Mathematik geworden, und wenn auch phantastische Zahlenspekulationen sie vielfach weit über die Grenzen exakter Wissenschaft hinausführten, haben wir ihnen doch hochwichtige mathematische Entdeckungen zu verdanken. Damit hängen eng ihre Verdienste in der Astronomie zusammen. Auf Grund ihrer an sich falschen Spekulationen stellten sie in gewissem Grade schon die Lehre von dem glühenden Erdinnern, von der Axendrehung der Erde (Hiketas und Ekphantus von Syrakus in der ersten Hälfte des 4. Jahrh.) und der Bewegung der Erde um die Sonne (Aristarch von Samos, 281 v. Chr. hypothetisch, der Babylonier Seleukos, 150 v. Chr. apodiktisch) auf, und Kopernikus hat nicht unterlassen, sich selbst auf diese seine Vorgänger zu berufen. So liefern sie uns ein interessantes Beispiel für die scheinbar paradoxe und in der Geschichte der Wissenschaften doch häufig wiederkehrende Erscheinung, dass falsche Hypothesen zu richtigen Entdeckungen führen. Wenn schon die ionischen Physiologen durch das Suchen nach dem gemeinsamen Urgrunde der Welt den Gedanken der Einheit der Natur vorbereiten, so endlich in noch höherem Grade die Pythagoreer in ihrer Lehre von der Weltharmonie, dem

einheitlichen Zusammenhange, dem durchweg harmonischen Verhältnisse aller Teile des Alls.

Nicht minder wichtig als die Aufzählung der Verdienste der Pythagoreer ist nun aber für die Erkenntnistheorie die Hervorhebung der Punkte, in welchen sie als die Repräsentanten fundamentaler Irrtümer des naiven menschlichen Denkens gelten können. Die Zahl ist bei ihnen sozusagen der Weltenschöpfer. Die Zahl wird von ihnen, wenn nicht personifiziert, so doch substanziiert, hypostasiert, d. h. sie wird für ein unabhängig von unserem Denken in der Natur liegendes Objektives gehalten, dergestalt, dass z. B. nach ihrer Anschauung die Form eines Krystalls durch die in seinem Stoffe wirkende Zahl sich bildet. Es ist eine ungemein wichtige Epoche, wo das menschliche Denken auf die Subjektivität der mathematischen Verhältnisse, also ihrer allgemeinsten Grundvorstellungen, Raum und Zeit, aufmerksam wird und die naive Anschauungsweise des unbelehrten Verstandes überwindet. Darin ferner, dass die Pythagoreer die Zahl für ein objektives Wesen halten, zeigt sich, dass sie eine ausserordentlich wichtige logische Unterscheidung, nämlich die des Sachgrundes (Realgrundes) und des Erkenntnis grundes (Idealgrundes) noch nicht vollzogen haben. Eine Vergiftung möge auf der menschlichen Haut eigentümliche Flecken hervorrufen. So sind diese Flecken das Symptom, an welchem der Arzt die Vergiftung erkennt; sie sind für den Arzt der Grund seiner Erkenntnis jenes Zustandes die Flecken sind aber nicht der Grund der Erkrankung der Organe, vielmehr die Folgen derselben; der Grund der Erkrankung ist das Gift. Dieses ist der Sach- oder Realgrund der Krankheit, die Flecken der Erkenntnis oder Idealgrund derselben. Die Unkenntnis dieser einfachen Unterscheidung, die Verwechslung des Sach- und des Erkenntnisgrundes giebt nicht bloss im gewöhnlichen Leben, sondern auch in der Wissenschaft zu unzähligen Irrtümern Anlass, wozu sich mit Leichtigkeit von überall her Beispiele vorbringen liessen. Die Pythagoreer halten die Zahl für den Sachgrund der harmonischen Formen, während sie doch in Wahrheit nur der Erkenntnisgrund ist, denn dass ein harmonisches Verhältnis besteht, erkennen wir, indem wir alle Elemente jenes Verhältnisses genau mit ein

ander vergleichen und sie messen d. h. sie nach konventionellen Einheiten zählen. Wenn daher die Pythagoreer behaupten: die Welt ist harmonisch so sagen sie wohl, dass es so ist; da aber ihr Realgrund der Harmonie, die Zahl, in Wahrheit nur ein Erkenntnisgrund ist, so wissen sie nicht zu sagen, warum es so ist. Wenn die Geometrie behauptet, die Winkel im Dreieck sind gleich zwei Rechten, so sagt sie zwar, dass es so ist; bekanntlich ist es ihr aber bis heute noch nicht gelungen, zu sagen, warum es so ist. Ganz wie die Geometrie im angeführten Falle des Dreiecks, beschreiben die Pythagoreer die Welt als eine harmonische, aber sie erklären nicht die Entstehung dieser Harmoniesie geben eine (logische oder mathematische) Definition dieser Harmonie, nicht aber eine genetische Erklärung, ebenso wie die Mathematik in Bezug auf alle ihre Grundvoraussetzungen wohl Definitionen, nicht aber genetische Erklärungen liefert. So geben sie auf die Frage nach der Urkausalität der Welt ebensowenig eine erklärende Antwort, wie z. B. die heutige Physik, wenn sie eine Reihe von Erscheinungen auf eine mathematische Formel zurückgeführt hat, denn in diesem menschlichen Ausdruck der Erscheinungen durch die Formel beschreibt zwar die Physik, wie jene Erscheinungsreihe für die menschliche Auffassung sich darstellt, nicht aber erklärt sie damit genetisch, warum diese Erscheinungsweise gerade so ist, wie sie sich darstellt.

Schon diese ersten Anfänge haben uns demnach die folgenden wichtigen Unterschiede in Bezug auf die Kausalität kennen gelehrt. Die Kausalität wird gefasst als übernatürliche und als natürliche, als lebendiger Stoff (Hylozoismus Keimform des Materialismus) und als Form (Anfang des Idealismus). Der Sachgrund darf nicht mit dem Erkenntnisgrund, die Beschreibung (die logische Definition) nicht mit der genetischen Erklärung verwechselt werden.

Zweites Kapitel.

Werden und Sein. Heraklit und die Eleaten.

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Der

Inhalt: Die Verwandlung von Stoff und Form. Das Werden. Kampf als Vater aller Dinge. Der feurige Weltäther. Die Welt als Entwicklung. Heraklit und Darwin. Das Gesetz der Erhaltung der Energie. - Die Widersprüche im Begriffe des Werdens (der Entwicklung) und der Kausalität. Erster (logischer) Widerspruch. Zweite (empirische) Schwierigkeit. Dieselben Widersprüche im Begriffe der Bewegung, der Entwicklung, des mathematisch unendlich Kleinen und des physikalisch unendlich Kleinen (des Atoms). Dritter Widerspruch (der endlose Regress und die tautologische Ableitung). Vierter Widerspruch (die erste Ursache). Dieselben Widersprüche im Schöpfungsbegriff. Die eleatischen Philosophen. Die Lehre des Parmenides. Das eleatische ,,Sein" in abstracto und in concreto. Der Beweis gegen die Vielheit, die Zahl, den Raum, die Sinneswahrnehmung, die Bewegung. Achilleus und die Schildkröte.

Die Beweise Zenos.

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Der fliegende Pfeil. Die Verdienste der Eleaten. Die Richtung auf
das unendlich Kleine. Atom, Differential, Zelle. Die Sinneswelt und die
Welt an sich. Die Subjektivität des Raumes. Die Schuld der Eleaten.
Die Ontologie. Das ontologische Schlussverfahren und seine Folgen.
Der dogmatische Idealismus. Versuche der Vereinigung der vier Prinzipien:
Stoff, Form, Werden, Sein. Ihre Unvereinbarkeit.

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toff und Form wurden für die allgemeinsten Prinzipien aller Dinge gehalten und zwar auf Grund von Überlegungen, die, wie wir zeigten und was wir noch besonders hervorheben wollen, sich auf die rein sinnliche Wahrnehmung und sogar ganz äusserliche, auf der Oberfläche verweilende, erfahrungsmässige Beobachtung stützen, sodass die Keime des Materialismus sowohl wie des Idealismus aus der rein sinnlichen Wahr

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