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Jahrhunderts kürzere oder längere Zeit bewegte und einem Teil unserer nationalen Literatur ihr Gepräge aufdrückte.

Die Pflege der Individualität wird Herzenssache. Man kann nicht genug Autobiographien, Physiognomien und Silhouetten studieren, in denen die ,, schönen Seelen" ihr Wesen enthüllen. Gerade das aber, was der einzelnen Person ihren individuellen Charakter verleiht, was sie von allen übrigen unterscheidet, ist nicht das klare Verstandesleben, in welchem alle übereinstimmen oder wenigstens übereinstimmen können, sondern ihr dunkles Trieb- und Gefühlsleben. ,,Was ich weiss, kann jeder wissen; mein Herz habe ich für mich allein," schreibt Werther. Der Begriff der Monade erklärt diesen dunklen Untergrund der Seele. Denn die Monade zerfällt in zwei leise ineinander übergehende Gebiete des Unbewussten und des Bewussten. In der Tiefe des Unbewussten schlummern die angeborenen Vorstellungen, aber sie ringen danach, in die Helle des bewussten Lebens hineinzutreten. Nicht dass die Vorstellungen im Bewusstsein erst geboren würden aus dem Unbewussten treten sie vielmehr nur in das Bewusstsein ein. So ist diese dunkle Welt der Triebe und Gefühle der schöpferische Urgrund für alle bewusste Gedankenwelt, die wahre Quelle alles produktiven und genialen Schaffens. Hier also liegt das wahre Geheimnis und Heiligtum der Seele, von hier stammen alle die grossen, dämonischen Leistungen des Geistes. Es ist im Menschen das eigentlich Göttliche, dessen Zeugungen die wahrhaft inspirierten Offenbarungen sind, die man gläubig hinzunehmen hat, die in ihrer, wenn auch dunkeln Form doch mehr wert sind als die klaren Gebilde des kalten Verstandes. So entwickelt sich jene Richtung, die man als Gefühls- und Genie- oder Glaubensphilosophie bezeichnet hat, deren rhapsodisch-enthusiastische Vertretung in der Hand eines Lavater und vor allem eines Hamann, jenes mystischen ,,Magus des Nordens" lag, deren philosophisch klarsten Ausdruck aber Friedrich Heinrich Jakobis Glaubensphilosophie gab. Auch hier reichen die Wurzeln bis in die Monadenlehre zurück.

Die Monade ist Individuum; die Monade ist Grund der

Dinge, das Individuum also das eigentliche, wahrhaft Wirkliche. So muss in allen Beziehungen vorzugsweise das Individuum geachtet und anerkannt werden; es darf nicht sklavisch geknechtet und zertreten werden; es ist der Herr, dem die Freiheit gehört des Gedankens, des Glaubens, des Staates. Hier eröffnet uns die Monadologie den Ausblick in all die Freiheitsbestrebungen, die stürmisch bis heute auf allen Gebieten die Geister bewegen und vor allem in der gesuchten Anerkennung und Würdigung des Individuums ihren Grund haben. Im Mittelalter hat das Individuum weder Geltung noch Macht. Alle Autorität und Würde liegen bei den grossen Gesamtheiten: Kirche, Stand, Zunft, die das unfreie Individuum geistig wie materiell beherrschen. Es ist aber gerade ein wesentlicher Charakterzug der Neuzeit gegenüber dem Mittelalter, dass das Individuum gegen jede Unterdrückung sich auflehnt. So entsteht der Kampf des Individuellen gegen alles Absolutistisch-Korporative, insofern dieses der Freiheit jenes Eintrag thun will. Wir stehen alle noch mitten in diesem Kampfe, dessen Phasen die Geschichte der letzten hundert Jahre bilden, denn zwei Kämpfe sind es zumal, die wir immer noch gegen den mittelalterlichen Geist auszufechten haben, der eine der soeben angeführte für das Recht und die Freiheit des Individuums gegen alle absolutistischen Allgemeinmächte; der andere, nicht weniger wichtige, der für die Natur und ihre Wissenschaft gegen alle dieselben bedrohenden mystisch-transscendenten Verdunkelungen. Auch Leibniz hat für beide Kämpfe seine Heerkräfte ins Feld gestellt, und gerade darin, dass er philosophisch und theoretisch dasselbe grosse Problem zur Lösung stellt, welches heute auf politischem und sozialem Gebiet praktisch die Menschheit überall bewegt: wie nämlich die notwendige individuelle Freiheit zu vereinigen sei mit den ebenfalls notwendigen grossen Allgemeinmächten, zeigt sich, ein wie durchaus moderner Philosoph Leibniz ist.

Wir haben in der Betrachtung der Systeme von Descartes, Spinoza und Leibniz die positiven wie negativen Beziehungen ihrer einzelnen Lehren zu entsprechenden Lehren des heutigen Naturalismus bereits genügend hervorgehoben, und es lässt sich

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nun das Gesamtergebnis hinsichtlich des Verhältnisses des idealistischen Naturalismus zur modernen Naturwissenschaft in kurzen Worten zusammenfassen: Der idealistische Naturalismus hat intuitiv, begrifflich, metaphysisch bereits eine Reihe von fundamentalen Gedanken entwickelt, welche der heutige Naturalismus wieder aufgenommen hat und seinerseits nunmehr - und darin liegt der Unterschied empirisch, induktiv, experimentell zu bewahrheiten und auszubilden strebt. Descartes lieferte besonders die Methodik des Forschens; Spinoza hat vorzugsweise den Gedanken eines rein immanenten Naturalismus gegenüber jedem transcendenten Supranaturalismus, eine rein monistische Fassung des natürlichen Alls und die Herrschaft ausschliesslich natürlich-mechanischer Kausalität vertreten; Leibniz endlich die Aufmerksamkeit wieder auf das Einzelne und Unendlichkleine als erklärenden Grundbestandteil des grossen Ganzen gelenkt, dieses Einzelne aber nicht in atomistischer Zersplitterung, vielmehr in dem einheitlichen Zusammenhange einer kontinuierlichen Stufenleiter vorzustellen gelehrt, woraus in Kant und Herder die ersten Grundlegungen der eigentlichen Entwicklungstheorie hervorgingen. Man nehme dem modernen Naturalismus eins der genannten Elemente, und er verliert seinen eigentümlichen Charakter. Somit ist kein Grund vorhanden, von seiten der heutigen Naturwissenschaft hochmütig auf diese Metaphysiker herabzusehen. Sie haben prophetisch Ideen verkündigt, welche der späteren Empirie zu Leitsternen geworden sind. Seinen idealen Gehalt in der Bedeutung des Gehalts an Ideen hat also der heutige, sonst so realistische Naturalismus auch jenen Idealisten zu verdanken; er hat viel weniger neue Ideen den Thatsachen als neue Thatsachen den alten Ideen hinzugefügt. Thatsachen kann jeder Strebsame finden, der offene Augen und Ohren hat. Ideen finden ist seltener und schwerer. Wenn unter einem idealistischen Naturalisten ein Forscher verstanden wird, welcher der Naturwissenschaft Ideen geliefert hat, so ist es wahrlich ruhm- und ehrenvoll, ein idealistischer Naturalist wie Descartes, Spinoza und Leibniz zu heissen.

Drittes Kapitel.

Die Begründung des skeptischen Naturalismus.

Inhalt: Der Dogmatismus des realistischen und idealistischen Naturalismus. Kritizismus und Skeptizismus. Locke, Berkeley, Hume.

-

Der Hu

meïsmus und die Entwicklungstheorie. - I. Lockes Sensualismus: Der Begriff der Erfahrung und des Erfahrbaren.

-

Erfahrung sinnliche Wahr

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nehmung. Der Geist als tabula rasa. Sensation und Reflexion. Primäre und sekundäre Qualitäten. Objektive und subjektive Weltauffassung. Einfache und zusammengesetzte Vorstellungen. Descendenztheorie der Vorstellungen. Verneinung der Lehre von den angeborenen Ideen. Vier Klassen angeborener Ideen. Die Lehre bei Platon, Descartes, Spinoza, LeibDie praktische Bedeutung der Lehre von den angeborenen Ideen. Lockes Widerlegung der Lehre. Der angeborene Begriff des Unendlichen.

niz.

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Der Satz der Identität und des Widerspruchs. Verwerfung der Plato-nisch-Aristotelischen Ideenlehre. Lockes Darwinistische Folgerungen.

Kritik des Locke'schen Sensualismus.

-

Die richtige Fassung des ,,Angeborenen“.

Der Geist keine tabula rasa.

Gegensatz zwischen den früheren

und der heutigen Theorie des Angeborenen. II. Deismus, Materialismus,

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Letzte Konsequenz des Deismus. 2) Der Materialismus: Ansatzpunkte zum Materialismus in Locke (der,,vereinfachte Sensualismus" Condillacs), in Descartes (de la Mettrie, l'homme machine), in Spinoza, in Leibniz. Système de la nature. Inhalt der materialistischen Theorie: Natur, Mensch, Religion, Moral. Kritik des Materialismus: der theoretische und ethische Materialismus ; der Materialismus als methodologisches Forschungsprinzip für die Naturwissenschaften. 3) Berkeleys Phaenomenalismus: Inhalt, kritische Bedeutung und dogmatische Wendung. Rekapitulation und Übergang zum Skeptizismus Humes. III. Der Skeptizismus Humes.

2) Die

1) Einleitung: Rechtfertigung der Bezeichnung „skeptischer Naturalismus“. Humes Grundgedanke. Entwicklung desselben aus der Lehre Lockes und Berkeleys. Die Skepsis gerichtet gegen den Rationalismus wie gegen den Empirismus. Die Erkenntnis des Kausalnexus ist unmöglich. Beweise Humes: Das Wesen der abstrakten Begriffe nach Berkeley. Die repräsentativen Einzelvorstellungen. Die Einzelvorstellungen: Eindrücke und Gedanken. Zurückführung aller Vorstellungen auf Eindrücke. erkennen nur Vorstellungen, keine Dinge an sich. Die Vorstellungsverbindungen und ihre Gesetze: Ähnlichkeit; Zusammenhang in Zeit und Raum; Erkenntnis kausale Verknüpfung der Vorstel

ursächliche Verknüpfung.

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Wir

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Eindrücke.

Die inneren Eindrücke.

Das Wesen der ,,Kraft". Der Das Wesen der Kraft KauDer Kausalitätssatz ein Gewohnheitsglaube.

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und die Eleaten: Die eleatischen Beweise gegen das Werden zurückgeführt auf die Beweise Humes gegen die Kausalität. stische Fassung der Kausalität. lichkeit jeder Erkenntnis. Schema. 4) Anwendung der Humeschen Skepsis auf die Entwicklungstheorie: Metaphysische Kausalität (Gott und Welt). Psychologische Kausalität (Seele und Körper). - Mathematische, physikalische, chemische, mechanische Kausalität. Die Entwicklungstheorie.

Logische und sensualiIdealisten und Realisten. Die Unmög

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Der Begriff der Entwicklung. Die Entstehung eines Individuums innerhalb einer und derselben Art. Die Entstehung einer neuen Art. geologischen Schichten. Räumliches Getrenntsein und zeitliche Folge. Post hoc und propter hoc. Ähnlichkeit und Berührung in Raum und Zeit kein Beweis für innere Verwandtschaft und Abstammung. Die Embryologie. Äussere Formen und inneres Wesen. Ontogenie und Phylogenie. Allgemeine Schwierigkeiten. Besondere Schwierigkeiten. mus der Entwicklungstheorie verworfen, nicht die Theorie selbst. Kritik trifft ausnahmslos alle menschlichen Theorien. Der Wert der Entwicklungstheorie gegenüber anderen Theorien. Ihre Tragweite. Grenzen. Dualismus und Entwicklungslehre. Theismus und Darwinismus.

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5) Hume und Kant: Der Widerspruch in Humes Skepsis. Problem. Übergang des Skeptizismus zum Kritizismus in Kant.

er realistische Naturalismus Bacos wie der idealistische Descartes' stimmen darin überein, dass sie im Gegensatze zu den Bestrebungen des Mittelalters nicht das Übernatürliche durch übernatürliche Mittel (Offenbarung, Inspiration, Ekstase u. s. w.), sondern die Natur auf natürlichem Wege erfor

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