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Das Universum besteht also in unendlich vielen Stufenformen vom scheinbar Unbewussten bis zum Höchstbewussten aufwärts. Die Natur bildet eine Stufenreihe von Wesen. Vom Stein durch die Pflanzen und Tiere zum Menschen bis hinauf zur höchsten Monadenform, der Gottheit, stellt sich das All als ein einziges und einheitliches, kontinuierlich zusammenhängendes Stufenreich von verschiedenen, doch verwandten Gliedern dar. Alle sind Monaden, niedere, höhere, höchste. Die höchste Monade ist die Gottheit selbst. Vom unbewussten Stoff bis hinauf zur Gottheit eine einheitliche Stufenleiter von unendlich vielen Gradformen, nirgends eine Kluft, eine Lücke, weder zwischen Gott und Mensch, noch Mensch und Tier, noch Tier und Pflanze, noch Organischem und Anorganischem, und immer zwischen zwei Formen wieder eine vermittelnde

Übergangsform! Natura non facit saltum. Durch ,,unendlich kleine Differenzen" hindurch steigt das All lückenlos vom Niedrigsten bis zum Höchsten empor.. Hier ist es, wo der Begriff des ,,Unendlichkleinen" in Leibnizens Weltsystem die wichtige Aufgabe der kontinuierlichen Vermittlung der Gegensätze übernimmt; hier ist also auch der Punkt, wo bei Leibniz aus seinen philosophisch-kosmischen Problemen des kontinuierlichen Zusammenhangs der Dinge sich von selbst das Problem des mathematischen Begreifens dieses kontinuierlichen Zusammenhanges durch unendlich kleine Grössen hindurch d. h. die Methode der Differentialrechnung entwickelte, welche der Philosoph bekanntlich gleichzeitig mit Newton erfand.

Es liegt auf der Hand, wie nahe Leibnizens Weltauffassung schon der modernen kommt. Um so mehr ist sogleich der trennende Unterschied hervorzuheben. Er lässt sich durch zwei Schlagwörter bezeichnen: Leibnizens Weltsystem bildet nur eine Stufenleiter, nicht eine Entwicklungsreihe. Wie unterscheiden sich beide? In den modernen Theorien werden die höheren Daseinsformen als aus den niederen allmählich entstanden aufgefasst. Der Grundbegriff ist also hier die allmähliche zeitliche Auseinanderentwicklung. Ursprünglich waren nur wenig niedere Formen, erst nach und nach bildeten aus ihnen hervor sich die

höheren; einzelne Formen, ja ganze Formenreihen können aussterben und verschwinden; die ganze Entwicklungsreihe ist nicht in voller Ununterbrochenheit heute noch lebend vorhanden; die ganze Reihe kann nicht in lebendiger Gestalt, sondern nur im historischen Bilde erfasst und erwiesen werden. Leibniz kennt nicht eine solche Auseinander folge, sondern nur eine Aufeinanderfolge, die von Ewigkeit so war wie heute und ewig sein wird, in der alle Glieder unvergänglich sind, also auch alle, heute wie immer, lebendig existieren, in der kein Glied aussterben und verschwinden, aber auch keins neu hinzuentstehen kann. Das Universum ist eine Stufenleiter, dessen Sprossen überund untereinander stehen, aber diese Sprossen sowohl als ihre Abstände sind ewig unveränderlich. Alle Sprossen sind aus demselben Monadenholze geschnitzt und insofern alle verwandt und eines Wesens, aber diese Verwandtschaft ist keine Abstammung von- und auseinander, vielmehr nur eine Wesensgleichheit neben einander. Hier ist also nur Stufenleiter, nicht Entwicklung; nur Aufeinander folge dem Grade nach, doch keine Nacheinanderfolge der Zeit nach, nur Gradation, nicht Evolution.

Die Unmöglichkeit der Annahme einer Auseinanderentwicklung liegt in Leibnizens Monadenbegriff. Die Monade ist ein in sich abgeschlossenes, weder Wirkungen ausstrahlendes, noch empfangendes Wesen. Bei dieser starren Unveränderlichkeit kann eine Entwicklung zu höheren Formen, d. h. zu solchen, die im inneren Leben der Monade nicht schon angelegt liegen, natürlich nicht angeregt werden; allein was in der Monade als solcher angelegt ist, kann sie nach Leibniz in ihrem Innern zu immer grösserer Klarheit und Deutlichkeit entwickeln, und insofern ist eine rein innerliche Entfaltung, die aber stets in dem Rahmen ihres eigenen, fest abgesteckten Wesens bleibt, nicht ausgeschlossen; jede Monade strebt vielmehr, in ihrem Innern, ihr Wesen klarer und deutlicher zu entfalten, alles, was ihr Wesen ausmacht, sich zu deutlicherem Bewusstsein zu bringen, ihre innere seelische oder Vorstellungswelt von den niederen Graden des Vorstellens (den,,kleinen Vorstellungen, petites perceptions") empor

zuarbeiten, und zwar gehen alle diese Entwicklungsvorgänge nach rein mechanischer Kausalität vor sich.

Wo, wie hier bei Leibniz, der Gedanke der Stufenfolge einmal erfasst ist, bedarf es offenbar nur noch eines Schrittes, um die Gradation nicht bloss als seiende, sondern als gewordene und fortgesetzt werdende aufzufassen und das Reich der ewigen Entelechien als Reihe von wechselnden Evolutionen zu begreifen. Wie sollte dem genialen Auge Leibnizens dieser Ausblick entgangen sein! Hypothetisch stellt er den Gedanken der Evolution wirklich einmal hin. In den,,Nouveaux Essais" liv. III, cap. VI behandelt er den Begriff der Gattungen und Arten. Am Schluss des § 23 daselbst, in dem sich starke Anklänge an heutige Meinungen finden, heisst es endlich:,,Encore les mélanges des espèces, et même les changemens dans une même espèce réussissent souvent avec beaucoup de succès dans les plantes. Peut-être que dans quelque tems ou dans quelque lieu de l'univers, les espèces des animaux sont ou étoient ou seront plus sujets à changer, qu'elles ne sont présentement parmi nous, et plusieurs animaux qui ont quelque chose du chat, comme le lion, le tigre et le lynx pourroient avoir été d'une même race et pourront être maintenant comme des sousdivisions nouvelles de l'an

cienne espèce des chats. Ainsi je reviens toujours à ce que j'ai dit plus d'une fois que nos déterminations des espèces Physiques sont provisionelles et proportionelles à nos connoissances."*) es doch, als ob man hier Lamarck reden hörte!

So bezaubernd auch der Gedanke eines einheitlichen Stufenreiches der Natur wirkt in der Leibnizischen, monadologischen Auffassung zeigt sich eine Fülle von Widersprüchen, die den rein dogmatischen Charakter des Systems enthüllen und über dasselbe hinauszuschreiten zwingen. Wenn die Monaden einander gänzlich ausschliessen, wenn zwischen ihnen eine Wechselwirkung nicht stattfindet, so existiert offenbar zwischen je zwei Monaden allemal eine nicht zu überbrückende Kluft. Je zwei Monaden stehen sich immer dualistisch gegenüber, d. h. aber zwischen allen

*) Opera philosophica, ed. Erdmann, p. 317.

Monaden bestehen ebenso viele dualistische Gegensätze, als solche Monaden vorhanden sind. Alle Monaden stehen in Wahrheit in einem Verhältnis egoistischer Abschliessung zu einander, das wir mit dem Wort Pluralismus, und zwar, um auszudrücken, dass derselbe das Gegenteil der Einheitlichkeit ist, antimonistischer Pluralismus bezeichnen können. Hier liegt ein Grundwiderspruch zu Tage: statt der Einheitsnatur, auf welche die Tendenz der Monadologie geht, haben wir eine unendliche Vielheit von Naturen, deren Zusammenhang völlig auseinanderfällt. So stimmt denn in Wahrheit Leibnizens Naturbegriff weniger als der Spinozas mit der Forderung der unitas naturae überein.

Und doch will Leibniz die Einheit festhalten, doch so, dass auch die Individualität darüber volle Selbständigkeit behält. Eben hierin liegt aber die Unmöglichkeit seines Strebens: Wenn das Einzelne ein Glied einer einheitlichen Kette bildet, so kann dieses Glied kein absolut selbständiges Wesen sein, oder soll jedes Glied ein absolut selbständiges Wesen sein, so isoliert sich jedes, und die Kette hört auf. Es ist unmöglich, die gleichzeitige absolute Einheitlichkeit und absolute Selbständigkeit derselben vielen zu behaupten. Bei absoluter Einheitlichkeit bleibt für die einzelnen nur eine relative Selbständigkeit übrig. Mithin unter dem Gesichtspunkte natürlicher Kausalität lässt sich dieser Widerspruch offenbar nicht beseitigen. So greift denn Leibniz zur letzten Aushilfe: der Einführung der übernatürlichen Kausalität.

Die sämtlichen Monaden, obgleich sie exklusiv zu einander stehen, bilden dennoch eine harmonische Einheit oder einheitliche Harmonie. Gott ist es, der die Harmonie von Ewigkeit her eingerichtet oder prästabiliert hat: in diesem Verhältnis der prästabilierten Harmonie befindet sich also die ganze Welt, und so bezieht sich demnach der Begriff der harmonia praestabilita bei Leibniz gar nicht bloss auf das Verhältnis von Seele und Körper, sondern auf das Verhältnis sämtlicher Monaden im Universum.

Die Harmonie folgt nicht aus der Natur der Monaden als

solcher, also nicht aus Natur und Welt, als welche ja die Monaden sind, also auch nicht aus weltlich-natürlichen Ursachen, sie stammt vielmehr von Gott und ist somit ausserweltlich und übernatürlich. Hier ergiebt sich ein neuer Widerspruch: Leibnizens Lehre soll Naturalismus sein; die Methodik des Naturalismus fordert überall die natürliche Kausalität, und hier bricht der Begriff der übernatürlichen Ursächlichkeit wieder durch. Der deus ex machina muss einspringen, um den Knoten des metaphysischen Dramas zu lösen. Gott verbindet alle Monaden zu einem wunderbar harmonischen Universum, in welchem die höchste Schönheit, Vollkommenheit und Zweckmässigkeit überall waltet. Die Einwürfe des Pessimismus gegen diese rein optimistische Weltanschauung sucht Leibniz zumal in seiner,, Theodicee" möglichst zu beseitigen. Im Interesse der rein mechanischen Kausalität hatte der Naturalismus Spinozas die teleologische Weltanschauung verworfen; mit jener theologischen Wiedereinführung der übernatürlichen Kausalität stellt sich bei Leibniz auch sogleich wieder die Teleologie mit den causae finales ein, wenn auch insofern Leibniz den mechanischen Ursachen Genugthuung widerfahren lässt, als er, wie in den inneren Entwicklungsprozessen der Monaden, so auch in ihren äusserlichen Verbindungen und Trennungen die Herrschaft der causae efficientes anerkennt. Indessen die Stufenleiter der Monaden hat Gott in zweckmässiger Über- und Unterordnung aufgebaut, und so entpuppt sich denn dieses Stufenreich der Monaden, das im Anfang des Systems durch sein scheinbar so naturalistisches Ansehen gefiel, plötzlich als nächster Verwandter der Ideen- und Entelechienwelt von Platon und Aristoteles. Und wie bei dem letzteren, so bricht auch bei Leibniz der Dualismus, der überwunden werden sollte und auch überwunden schien, im Verlaufe des Systems auf allen Punkten wieder hervor.

Auch den Cartesianischen Widerspruch zwischen Seele und Körper wollte Leibniz durch die Annahme aufheben, dass das Wesen jeder Monade die Einheit von Denken und Ausdehnung sei. Was folgt nun in Wahrheit aus dieser Annahme für das

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