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innersten Wesen klar gestellt. Es ist begreiflich, dass an dieser Stelle, wo speziell die induktive Methode ihr Amt antritt, Descartes von Baco an Ausführlichkeit übertroffen wird. Descartes begnügt sich, dem Gedanken der induktiven Methode kurz den folgenden Ausdruck zu verleihen:

,,Die letzte (Regel war): überall so vollständige Aufzählungen und so umfassende Übersichten zu machen, dass ich sicher wäre, nichts auszulassen."

Wenn der Inhalt der vierten Regel in Bacos Methodenlehre eine eingehendere Behandlung findet, so ergänzt nun wieder durch seine dritte Regel (die wir hier an vierter Stelle behandeln) Descartes den Baconischen Kanon, der gerade an dieser Stelle eine Lücke zeigt. Denn erst durch diese dritte Regel der Synthesis (wie wir sie nennen wollen) erhält die wissenschaftliche Forschung ihren Abschluss und erreicht ihr Ziel. Diese dritte Regel der Synthesis oder Deduktion lautet bei Descartes folgendermassen:

,,Die dritte (Regel war): meine Gedanken richtig zu ordnen; zu beginnen mit den einfachsten und fasslichsten Objekten und aufzusteigen allmählich und gleichsam stufenweise bis zu der Erkenntnis der kompliziertesten, und selbst solche Dinge in gewisser Weise zu ordnen, bei denen ihrer Natur nach nicht die einen den anderen vorausgehen."

Das verwickelte Problem ist in seine einfachsten Teile zerlegt und jeder einfachste Teil in seinem Wesen erkannt. Das zu erklärende zusammengesetzte Objekt besteht aus diesen einfachsten Teilen, mithin, wenn wir die einfachsten Teile durch jene Induktion verstanden haben, so haben wir alle Vorbedingungen erfüllt, um nun auch die Summe aller jener Teile, das Ganze, zu verstehen. Es bleibt nur noch ein Schritt zu thun übrig. Nachdem wir jeden einzelnen Teil für sich induktiv erläutert haben, komponieren oder synthesieren wir jetzt wieder diese nunmehr klar und deutlich gewordenen einfachsten Teile zum Ganzen; wir vollziehen wieder die Zusammensetzung des Komplizierten aus dem Einfachen, oder, was dasselbe sagen will, wir geben damit die Ableitung oder Deduktion des Ganzen aus den einfachsten

Teilen, womit offenbar die klare, deutliche und zweifellose Erkenntnis des Ganzen erreicht ist. Aber ist es denn nötig, diesen letzten Schritt noch zu thun? Er ist fast der notwendigste von allen. Denn das Ganze, wozu wir die Teile nun schliesslich synthesieren, ist ein völlig verschiedenes von dem Ganzen, von dessen Zerlegung in Teile durch die Analyse wir ausgingen. Jenes alte Ganze war ein verworrenes, undurchsichtiges, unbestimmtes, chaotisches, in dem wir die Natur weder der Teile, noch ihres Zusammenhanges verstanden. Dieses neue Ganze ist im Gegenteil nun in allen seinen Teilen ein klares und deutliches, ein durch und durch bestimmtes, völlig geordnetes, dessen Zusammenhänge uns in allen Fasern einleuchten. Würden wir aber diese schliessliche Synthesis nicht vollziehen, so würde uns gerade der kausale Zusammenhang der Teile doch noch unklar bleiben, so klar uns die einzelnen Teile sein möchten. Wie erst durch die Teile das Ganze verstanden wird, so empfangen andererseits die Teile wieder Licht und Verständnis aus der wechselseitigen Verbindung, in welcher wir sie in dem Ganzen stehen sehen, und so muss erst recht das Ganze durch Synthese hergestellt werden. Ohne diese ,,hätten wir die Teile in der Hand, fehlt leider nur das geistige Band"; wir hätten die zerstreuten Glieder eines Organismus und doch damit kein Bild von diesem Organismus selbst, weil uns der kausale Zusammenhang und die Wechselwirkung der Teile untereinander fehlte, die nur in dem Ganzen des Organismus hervorleuchten. So giebt also die Synthese erst der Forschung den befriedigenden Abschluss, und die Rekomposition des richtigen Begriffes bildet Ziel und Vollendung der Erkenntnis.

Vier Hauptsächlichkeiten also sind es, welche die Cartesianische Erkenntnismethode vorschreibt: 1) Die Herstellung der subjektiven Bedingungen zur richtigen Forschung im Geiste des Forschers; 2) die Zerlegung des verwickelten Problems in seine einfachsten Teile (Analysis); 3) die induktive Untersuchung jedes der einfachsten Teile (Induktion); 4) die Herstellung des neuen, nunmehr in allen seinen Teilen und deren Beziehungen klar und deutlich erfassten Ganzen (Synthesis). Descartes betont selbst, dass ihm bei der Aufstellung dieser Methode die Mathematik als

Muster und Vorbild vorgeschwebt habe. In ihr führt sich jeder

noch so verwickelte Satz in letzter Instanz auf allereinfachste Elemente zurück. Soll ein Problem gelöst werden, so wird dasselbe in alle seine Teile zerlegt, jeder Teil durch vollständige Betrachtung erläutert und darauf durch Synthese die Erkenntnis des Ganzen gewonnen. Was so in der Mathematik echte Erkenntnis erzeugt, muss auch in den anderen Wissenschaften wirksam sein. Nicht bloss mathematisch soll die Methode bleiben, Universalmethode soll sie werden. Wie weit war das Mittelalter einer derartigen Behandlung der Erkenntnisstoffe fern geblieben! Schroff stellt sich jener Scholastik diese Methodik entgegen. Es handle sich um die anthropologische Frage nach dem Wesen der Menschheit. Rasch hat das Mittelalter im Sinne Augustins und der Kirchenlehre die Antwort bei der Hand. Doch ist sie die richtige? Klar und deutlich nach Art der mathematischen Axiome ist sie nicht. So erhebt sich gegen sie der erschütternde Zweifel das fordert das erste Gesetz der Forschung. Nun wird nach dem zweiten Gebot die Analysis des Begriffs Menschheit begonnen. Da zeigt sich gleich, dass hier ein unendlich verwickeltes Problem in seine Teile aufzulösen ist. Diese Teile sind die Rassen, die Völker, die Stämme, die Individuen. Geographie und Ethnographie, Anatomie und Psychologie u. s. w. u. s. w. müssen sich hier zu mühsamster Arbeit verbinden, um nach der dritten Regel die einzelnen Teile der Menschheit genau zu charakterisieren, alles zur Sache Gehörige herbeizuschaffen und zu befragen. So will es die Induktion. Offenbar liegt in diesen Forderungen eine ungeheure Aufgabe vor, in der man heute kaum bis zur Auflösung, geschweige zur Lösung gelangt ist. Eben erst haben die anthropologischen Wissenschaften mit der Analysis und Induktion begonnen in unabsehbarer Ferne liegt noch die Synthesis, und doch hatte das Mittelalter die Kühnheit, in spielender Leichtigkeit die Frage zu beantworten.

Als Begründer dieser modernen Methodenlehre ist weder Baco noch Descartes allein zu bezeichnen beide haben gleichmässig daran gearbeitet. Die Ähnlichkeiten und Unterschiede bei beiden springen leicht in die Augen. Die erste Regel Descartes'

giebt im kurzen Auszuge, was Baco in gründlicher Weise in seiner Idolenlehre entwickelt. Dagegen hat Baco zwei bedeutungsvolle Momente der wissenschaftlichen Forschung vernachlässigt, eben die, welche Descartes in seiner zweiten Regel der Analyse und in der dritten der Synthese fordert. Hinwiederum die Induktion, deren Ausführung Baco die Hälfte des Neuen Organon widmet, ist bei Descartes in seiner vierten Regel nur mit wenigen Strichen gezeichnet. So steht also das Verdienst auf beiden Seiten gleich: Idolenlehre und Induktion bringt Baco, Analyse und Synthese Descartes vorzugsweise.

Hinsichtlich der Cartesianischen Synthese oder Deduktion dürfen wir nicht verfehlen, den durchgreifenden Unterschied hervorzuheben, in welchem sie sich gegenüber der Deduktion der Aristotelischen Logik, und also des Mittelalters, befindet. Diese logische Deduktion besteht lediglich in einem Schlussverfahren, welches sich um die Richtigkeit der Prämissen nicht bekümmert. Rein logisch genommen, ist es eine durchaus fehlerlose Deduktion, wenn ich schliesse: Alle Menschen sind weiss, die Neger sind Menschen, die Neger sind weiss. Den Syllogismus kümmert es nicht, ob der Obersatz, aus dem geschlossen wird, richtig ist oder nicht. Diese syllogistische Deduktion hat es mit der eigentlichen Wahrheitsforschung also gar nicht zu thun; sie ist ein lediglich dialektisches Kombinieren von Begriffen, ohne dass diese der Prüfung unterzogen wären. Sie ist von nur formaler, nicht von materialer Bedeutung. Dagegen die Cartesianische Deduktion der modernen Wissenschaft stellt vor allen Dingen erst den Obersatz sicher; der Inhalt desselben gilt ihr in erster, das Formale in zweiter Linie. Die Prämissen sind die einfachsten Teile, aus denen das Ganze synthesiert wird. Durch die induktive Herbeiziehung alles erforderlichen Materials müssen aber die Prämissen erst bewiesen sein. Erst nachdem die Obersätze empirisch fest begründet sind, wird die Deduktion vollzogen. Hier handelt es sich also nicht bloss um eine dialektische Figur, hier liegt vielmehr ein wirklich schöpferisches Verfahren vor. Diese Deduktion entdeckt neues; die logische Deduktion entdeckt überhaupt nichts, sondern subsumiert nur einen Begriff unter einen

andern. Das ist das erste Merkmal, durch welches sich die Cartesianische Deduktion von der bloss logischen unterscheidet. Aber sie ist auch noch in einer anderen bedeutungsvollen Hinsicht davon unterschieden, und eben hier wird sie uns eine Perspektive eröffnen, an deren Ende wir schon den Kantischen Kritizismus erblicken.

Diese Deduktion der modernen Wissenschaft, wie Descartes sie darstellt, beruht nämlich in letzter Instanz auf einer intuitiven Erkenntnis der allerersten Prämissen. Wie Descartes wollen auch wir uns zur Erläuterung dieses Begriffs an der Mathematik orientieren. Die Mathematik führt alle ihre noch so verwickelten Sätze auf gewisse einfachste Sätze oder Axiome zurück. Sind diese ihre allerersten Prämissen, aus denen sie alles ableitet, bewiesen? Sie sind unbewiesene Wahrheiten und doch deutlich, klar und zweifellos. Als allereinfachste Sätze sind sie selbst nicht mehr ableitbar. In der sichersten aller Wissenschaften sind also die ersten Gründe nicht bloss unbewiesen, sondern auch unbeweisbar. Sie können nicht aus noch Einfacherem weder logisch, noch empirisch abgeleitet werden. Es genügt, sich klar vorzustellen, dass zwischen zwei Punkten die gerade Linie die kürzeste ist, und die Wahrheit des Satzes leuchtet sofort ein. Solche einfachste, unbeweisbare und doch absolut sichere Erkenntnisse nennen wir intuitive Erkenntnisse. Wir verbinden mit diesem Ausdruck in keiner Weise eine mystische Bedeutung oder transcendente Beziehung, sondern bezeichnen damit ausschliesslich die Thatsache (ohne dieselbe vorläufig kritisch zu erörtern), dass gewisse sicherste Erkenntnisse nicht beruhen auf logischen Beweisen, sondern durch blosse Anschauung oder Intuition in ihrem Wesen klar einleuchten. Alle mathematische Deduktion beruht demnach in letzter Grundlage auf Intuition. Was so von der Mathematik gilt, soll nach Descartes in letzter Instanz von jeder Erkenntnis überhaupt gelten; jede Deduktion, worauf sie sich auch beziehen möge, soll sich zuletzt auf gewisse einfachste Sätze stützen, die trotz ihrer Unbeweisbarkeit doch sicher und einleuchtend sind.

Sehen wir uns unter unseren fundamentalen Erkenntnissen um, so finden wir allerdings Sätze, die wir nicht beweisen können,

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