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„Dabei muss man aber durchaus mit strengem Ernst auf seiner Hut sein, dass man als konforme oder proportionale Fälle nur die gelten lässt, welche (wie wir schon oben sagten) natürliche Ähnlichkeiten zeigen, d. h. reale, in der substantiellen Natur der Dinge selbst liegende Ähnlichkeiten, nicht bloss zufällige oder vereinzelte, noch weniger abergläubische und wunderbare, wie sie die Schriftsteller über natürliche Magie oft aufzeigen, Menschen freilich von so leichtem Gewicht, dass man sie bei den ernsten Dingen, die wir hier vorhaben, gar nicht nennen sollte; Menschen, die mit grosser Eitelkeit und Unwissenheit nichtige Ähnlichkeiten und geheimnisvolle Beziehungen zwischen den Dingen beschreiben und vielfach auch erdichten."

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Baco ist es also, der hier mit allem Nachdruck die Naturforschung auf die Verwandtschaft der Dinge hinweist. Dem eindringenden Blick des vergleichenden Forschers enthüllt sich die Einheit der Natur; was wir als starre, gesonderte, unverwandte Arten hinstellen, das ist nur das Produkt menschlicher abstrakter Verstandesunterscheidung in der Natur steht alles in einheitSo sind schon bei Baco die Gedanken angelegt, die sein drei Jahrhunderte später lebender Landsmann, Darwin, ausführlicher entwickelte und begründete. Bacos Auffassung der induktiven Methode liegt demnach ganz in der Richtung auf die Tendenz unserer modernen Naturwissenschaft, in der Mannigfaltigkeit stets die Einheit zu suchen, die Einheit der Natur

licher Verwandtschaft.

zum

Polarstern aller Naturbetrachtung zu erheben. Nur einer solchen Naturforschung gesteht Baco den Namen der,,experientia literata" zu. Nur diese ist es, welche es wie die Bienen macht, die von überall aus den Pflanzen ihr Material nicht bloss sammeln, sondern es zu Wachs und Honig verarbeiten, während die Beschreiber der Natur es nur machen wie die bloss sammelnden Ameisen, die Metaphysiker aber wie die Spinnen ihre Fäden rein aus sich selbst ziehen und doch nie die Natur in ihre Netze einfangen.

Mit dem zweiten Teile der Magna Instauratio, dem Neuen Organon, ist die eigentliche Philosophie Bacos zu Ende. Denn nun beginnt ja die spezielle Arbeit, nach den aufgestellten Grund

sätzen die Natur zu erforschen. Baco vorwerfen, dass er bei dieser Arbeit nichts geleistet habe, wie Liebig diesen Vorwurf erhoben hat, heisst soviel als etwa Kopernikus vorwerfen, dass er nicht auch Keplers und Newtons Arbeit gethan habe. Wenn Baco auch in der empirischen Naturwissenschaft mit seinen im Einzelnen verfehlten Experimenten selbst nichts Positives hervorbrachte, so entwarf er doch das Programm, welches die Nachwelt ausgeführt hat und zwar auf Bacos begeisternde Anregung hin. Dieses Programm enthält in seinen einzelnen Teilen die Magna Instauratio. Die Kritik der Wissenschaften bildet den ersten, die Methodenlehre den zweiten Teil. Jetzt sollte den Forderungen der Methodenlehre gemäss als dritter Teil folgen die Sammlung der Thatsachen, die ,,einfache Aufzählung", wie Baco es nannte. Dass dieser dritte Teil, die sylva sylvarum, nur noch einen historischen Wert haben kann, liegt auf der Hand, denn die wahre sylva sylvarum wäre ja der ganze Inbegriff aller heutigen Naturbeschreibung. Auf dieser Materialiensammlung sollte sich nun der vierte Teil aufbauen, die Interpretation der Natur, d. h. die eigentliche Naturwissenschaft, enthaltend die Naturgesetze selbst. Endlich der fünfte und sechste Teil sollten das Ziel der Baconischen Philosophie vollenden, nämlich zeigen, wie diese Gesetze teils schon in Erfindungen verkörpert seien, teils wie sie zu neuen Erfindungen zu verwenden seien. Diese Ableitung der Erfindungen aus den gefundenen Naturgesetzen ist es, was Baco als,,Deduktion“ bezeichnet. Selbstverständlich giebt Baco, indem er diese Teile als notwendig hinstellt, nur Postulate, nicht Resultate. Das Titelbild der Magna Instauratio zeigt eben nur ein Schiff, wie es gerade durch die Säulen des Herkules hindurch segelt in den endlosen Ocean hinein; es zeigt noch nicht dies Schiff, wie es die Weltumsegelung bereits vollendet hat.

Durch Wissen zum Können, durch Können zur Macht über die Natur, dadurch zur sittlichen Freiheit, Kultur und Humanität; Naturwissenschaft und Technik das notwendige Mittelglied in diesem Prozess das ist in der Kürze noch einmal das Baconische Ideengerüst des Realismus,

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wodurch sein Urheber sich völlig vom mittelalterlichen Geist abund dem modernen Geist zuwendet. Die Unterscheidungsmerkmale liegen klar und schroff auf der Hand. Baco will die Glückseligkeit des Menschen schon im Diesseits begründen und befördern, das Streben des Mittelalters ist allein auf das Jenseits gerichtet; Baco will Neues entdecken und erfinden, das Mittelalter nur Altes bewahren und erhalten; in Bacos Augen ist der Zweifel die höchste Pflicht gegen den Geist, in den Augen des Mittelalters die höchste Sünde wider den Geist. Baco will die Trugbegriffe vom Throne stossen, das Mittelalter immer neue Trugbegriffe darauf setzen. Bacos Parole lautet: Kein Autoritätsglaube! Das Mittelalter verkündet: Unterwerft euch der Autorität! Bacos naturwissenschaftliche Methodik geht auf Sachkenntnis, des Mittelalters theologische Scholastik nur auf Wortweisheit. Baco bekämpft jede anthropomorphistische Weltanschauung, das Mittelalter empfindet, fühlt, will und denkt ausschliesslich anthropomorphistisch. Baco verwirft die Anwendung des Zweck- und Gattungsbegriffes auf Welt und Natur; das Mittelalter kann sich Welt und Natur gar nicht anders denken als unter dem Gesichtspunkt des Zweck- und Begriffssystems hier trennen sich also die Wege völlig, hier ist keine Vermittlung mehr möglich, die Philosophie Bacos ist Mark- und Grenzstein zweier völlig verschiedener Welten.

Bacos Werke waren schon bei seinen Lebzeiten epochemachend, denn sie trafen den Zeitgeist in seinem innersten Wesen

gleichwohl konnte in den hochwogenden Fluten des revolutionären Treibens, welches bald nach Bacos Tode die nächsten Dezennien hindurch England durchwühlte, die von ihm gestreute Saat nicht sogleich aufgehen. Es waren zuerst nur einige wenige Männer, welche, aus den politischen Stürmen zur ewigen Mutter Natur sich flüchtend, in der Stille die,,Neue Philosophie", wie sie dieselbe in ihren Schriften nennen, zu pflegen anfingen. Sie versammelten sich zuerst in Oxford im Hause des nachmaligen Bischofs Wilkins und besprachen hier Gegenstände der Physik, Chemie, Astronomie, Statik, Mechanik, Anatomie u. s. w., indem

sie ausdrücklich politische und theologische Objekte von ihren Diskussionen ausschlossen. Später kamen sie in London zusammen, und hier zogen sie bald die Aufmerksamkeit König Karls II. auf sich. Im Jahre 1660 accreditierte der König gewissermassen von Staatswegen die,,Neue Philosophie", indem er aus jenen sich versammelnden Forschern die,,Königl. Gesellschaft der Wissenschaften" bildete. Damit war der Baconismus zum vollen Siege gelangt, und von diesem Jahre an datiert der ungeheure Aufschwung der realistischen Wissenschaften zunächst in England und dann auch auf dem Kontinent.,,In wenig Monaten" (nach der Gründung der Royal Society), sagt Macaulay in seiner Geschichte Englands,,,ward die Erfahrungswissenschaft Mode. Die Transfusion des Blutes, das Wägen der Luft, die Fixierung des Quecksilbers traten in dem öffentlichen Bewusstsein an die Stelle, welche noch kürzlich von den Streitigkeiten über die Rota eingenommen ward. Träume über die beste Form der Regierung wichen Träumen über Schwingen, mit welchen man vom Tower nach der Abtei fliegen könnte, und über Schiffe mit doppelten Kielen, welche im heftigsten Sturme nicht untergehen würden. Alle Klassen wurden durch die vorherrschende Stimmung fortgerissen; Kavaliere und Rundköpfe, Männer der Staatskirche und Puritaner waren auf einmal verbündet. Geistliche, Juristen, Staatsmänner, Edle, Fürsten erhöhten den Triumph der Philosophie Bacos. Dichter sangen mit Inbrunst von dem Herannahen des goldenen Zeitalters; Cowley drängte in Versen, welche reich an Gedanken und glänzend an Geist waren, das erwählte Volk, Besitz zu nehmen von dem verheissenen Lande, wo Milch und Honig flösse, welches ihr grosser Befreier und Gesetzgeber von der Höhe von Pisga gesehen hätte, das zu betreten ihm aber nicht vergönnt worden wäre. Dryden stimmte mit mehr Eifer als Kunde in den allgemeinen Ruf ein und prophezeite Dinge, welche weder er noch sonst jemand begriff ... ..... Sowohl der oberste Richter Hale als der Lordsiegelbewahrer Guildford stahlen ihrer Beschäftigung in den Gerichtshöfen einige Stunden, um über Hydrostatik zu schreiben.... Die Chemie beschäftigte eine Zeitlang die Aufmerksamkeit des wandelbaren Buckingham.... Karl selbst hatte ein Laboratorium

zu Whitehall und war dort viel thätiger und aufmerksamer als am Tische des Geheimen Rats . . . . . Es war fast notwendig für einen feinen Gentleman, über Luftpumpen und Fernröhre zu sprechen, und selbst Frauen von gutem Ton hielten es dann und wann für angemessen, Geschmack für die Naturwissenschaften zu affektieren, kamen in Kutschen mit Sechsen, um die Gresham - Merkwürdigkeiten zu besuchen, und brachen in einen Schrei des Entzückens darüber aus, dass ein Magnet wirklich eine Nadel anziehe, und dass eine Fliege, durch ein Mikroskop betrachtet, wirklich so gross sei wie ein Sperling .... Der Geist von Francis Bacon“, schliesst Macaulay,,,war wiedererstanden, ein Geist wunderbarer Kühnheit und Nüchternheit." Und sogleich folgte den naturwissenschaftlichen Entdeckungen auch die praktische Anwendung. Eine weitgehende Reform der Landwirtschaft begann, die Medizin wurde auf empirischer Basis völlig umgewandelt, die ersten gesundheitspolizeilichen Massregeln wurden getroffen; in der Chemie trat bahnbrechend Boyle, in der Botanik Sloane, in der Zoologie Ray auf. John Wallis reformierte die Statik, Halley stellte seine Forschungen über Ebbe und Flut, die Gesetze des Magnetismus und den Lauf der Kometen an. So erhob sich eine glänzende Reihe von wissenschaftlichen Gestirnen, unter denen endlich Isaac Newton mit seinen ,,Mathematischen Prinzipien der Naturphilosophie" als leuchtende Sonne emporstieg. Auch die Länder des Kontinents folgten dem Zuge des neuen Geistes; ich brauche für Deutschland nur an Kepler, an Otto von Guerike, an Walther von Tschirnhausen zu erinnern. So wie die Royal Society ihre Forschungen in den,,Philosophical Transactions" veröffentlichte, so erschien nun auch in Frankreich das ,,Journal des Savants", in Deutschland die,,Acta Eruditorum".

Aber noch auf einem anderen Gebiete, nämlich dem der Pädagogik, sollte, zumal in Deutschland, die Baconische Philosophie eine epochemachende Reform hervorrufen. Gegenüber dem Formalismus der ausschliesslichen Lateinschule waren es Wolfgang Ratke und seine Anhänger, die Ratichianer, welche den Sprachunterricht nach Baconischen Grundsätzen umzugestalten strebten; war es endlich einer der grössten Pädagogen aller Zeiten,

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