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der Metaphysik, insofern sie eine der hauptsächlichsten formae, die quantitas, behandelt. Baco, dem selbst eine tiefere Einsicht in die Mathematik abging, welss sie daher auch nur anhangsweise als Hülfstruppe zu schätzen. Den Anspruch eines Primats der Mathematik gegenüber der Naturwissenschaft weist er entschieden zurück, ist sich aber andererseits bewusst, dass viele Naturerscheinungen weder richtig begriffen, noch praktisch verwendet werden könnten ohne Hülfe und Dazwischenkunft der Mathematik. Ja, im,,Neuen Organon" thut er sogar den charakteristischen und die Mathematik verständnisvoll würdigenden Ausspruch: ,,Am besten schreitet aber die Naturforschung vor, wenn das Physische in dem Mathematischen endet."

Das dritte Objekt der philosophischen Naturwissenschaft, neben Gott und Natur, war der Mensch. Hinsichtlich seines seelischen wie leiblichen Wesens weiss Baco eine Fülle von ganz neu zu schaffenden Wissenschaften anzugeben; hinsichtlich des ersteren ist sein Augenmerk auf eine Art physiologischer Psychologie gerichtet, betreffs des letzteren fordert er nicht bloss eine vergleichende Anatomie, sondern zur Erkenntnis der leiblichen Vorgänge des Menschen auch Vivisektionen an Tieren, die mit Humanität ausgeführt werden sollen. Den ausgedehnten Betrachtungen über den Zustand der damaligen medizinischen Wissenschaften, seiner Kritik derselben und seinen Verbesserungsvorschlägen zollt eine medizinische Autorität unserer Tage den höchsten Beifall. Was die noch übrigen Teile des Werkes (Buch V -IX) über Logik, Rhetorik, Ethik, Politik und über Bibelbetrachtung sagen, interessiert uns hier nicht in gleichem Masse, wie das auf die Naturwissenschaft Bezügliche, und wir übergehen es daher. Überall zeigt sich aber schon in diesem Werke klar und deutlich das Bestreben Bacos, an die Stelle des Begriffs der übernatürlichen Kausalität so viel wie möglich den Begriff der natürlichen Ursächlichkeit zu setzen, weshalb Theologie sowohl wie Teleologie thunlichst in den Hintergrund gedrängt werden.

Der Beweis der durchgängigen Mangelhaftigkeit des bestehenden Gebäudes der Wissenschaft ist geführt. Woher denn

dieser Zustand des Verfalls, oder besser gesagt, der Unentwickeltheit? Die Erklärung, welche Baco u. a. am nachdrücklichsten hervorhebt, ist nicht bloss für ihn selbst charakteristisch, sondern sie enthüllt uns überhaupt eine spezifische Eigentümlichkeit des modernen Realismus, seine geringe Hochschätzung nämlich gegen das klassische Altertum. Unser übertriebener Respekt vor dem Altertum, seinen Werken, seiner Autorität, erklärt Baco, hat uns vor allem anderen bisher verhindert, auf eigenen Füssen zu stehen und mit eigenen Augen zu sehen. Und doch hat dieses Altertum gar nicht die Würde des erfahrenen Alters, dem man mit Recht sich unterwerfen müsste, denn, sagt Baco in Übereinstimmung mit Giordano Bruno, antiquitas saeculi juventus mundi (das Altertum ist die Jugendzeit der Welt); wir sind um so viel tausend Jahre älter und also auch gereifter als jene sogenannten Alten. Die Weltanschauung des Altertums strotzt von den grössten Irrtümern: Platon hat sie durch theologische Dogmen, Aristoteles durch logische Kategorien verdorben; hätte man statt dieser beiden wenigstens noch Naturphilosophen wie Empedokles, Demokrit und andere zum Muster genommen, so wäre man bald auf den richtigen Weg wahrer Naturforschung gekommen; so aber hat der herrschsüchtige Aristoteles alle seine philosophischen Nebenbuhler, wie die türkischen Sultane ihre Brüder, ums Leben gebracht; an Stelle der wertvollen Naturphilosophie des Altertums hat er seine Wortweisheit zu setzen gewusst, eine Wortklauberei, die zwar für scholastische Professoren sehr bequem war, aber sehr wenig am Platze ist, wo es sich um wahre Weltweisheit, d. h. um Sachkenntnisse handelt. Diese sind jetzt ins Leben zu rufen, und eben dazu die Methode und das Instrument, die Logik des Entdeckens und Erfindens, zu geben, ist die Aufgabe des zweiten Teiles der Magna Instauratio, welcher im Gegensatz zu dem vorzugsweise die deduktive Logik entwickelnden Organon des Aristoteles die induktive Logik enthalten soll und deshalb mit einer gewissen Polemik von Baco als das,,Neue Organon" (Novum Organon) bezeichnet ist.

Dieses ,,Neue Organon", Bacos berühmtestes Werk, erschien, nachdem er es zwölfmal umgearbeitet hatte, zuerst im Jahre 1620,

während Baco noch im Zenith seiner politischen Machtfülle stand, und ist seitdem in zahlreichen Auflagen in alle Kultursprachen übertragen. Es umfasst sozusagen die ,,Institutionen" des Realismus; es enthält, trotzdem auch ein Leonardo da Vinci, ein Ludovicus Vives, ein Marius Nizolius schon vor Baco nachdrücklich auf den Wert der Induktion und des Experimentes für die Erforschung der Natur hingewiesen hatten, zum ersten Mal in ausführlicher Darstellung die mustergültigen Grundlinien der experimentellen Methode der Erfahrungswissenschaften, und alle Systeme der induktiven Logik, wie sie besonders in England ausgebildet sind, bis auf die neuesten von Whewell, Stuart Mill und Jevons, haben deshalb hier ihren Urquell.

Das Ziel wirklicher Naturwissenschaft ist nicht bloss die Beschreibung der Natur, welche die Naturgeschichte im engeren Sinne giebt, vielmehr die Erklärung der Naturerscheinungen durch Auffindung der ihnen zu Grunde liegenden Naturgesetze. Dieser richtigen Interpretation der Natur stellen sich aber zwei grosse Hindernisse in den Weg: einmal sind es eine Reihe von vorgefassten Meinungen, von Vorurteilen, durch deren Brille der Mensch die Natur im falschen Lichte sieht andererseits begeht der Mensch immer und immer wieder den Fehler, dass er aus einer zu geringen Menge von Erfahrungsmaterial heraus voreilig auf das Wesen der Dinge schliesst. So antizipiert sein Geist ein Bild der Natur, das, aus falschen Voraussetzungen abstrahiert, nur ein Trugbild sein kann. Die allgemeine Methodenlehre der Naturforschung hat also zwei Hauptaufgaben: erstens die negative, die menschlichen Trugbegriffe oder, wie sie Baco nennt, die Idole (Götzenbilder) zu zerstören; zweitens die positive, den Weg zu zeigen, wie in richtiger Weise wissenschaftliche Erfahrung gemacht wird: daher zerfällt auch das Neue Organon in zwei Teile, den zerstörenden (pars destruens), der die Idole kennzeichnet und sie vernichtet, und den aufbauenden (pars construens), der die Methode der Induktion entwickelt.

Wenden wir uns zunächst dem ersten,,,zerstörenden Teil", Seinen Inhalt bildet 1) die widerlegende Zurückweisung der Gültigkeit der sich selbst überlassenen natürlichen Vernunft, die

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an sich kein Licht, sondern ein Irrlicht ist; 2) die Kritik des bisherigen Beweisverfahrens; 3) die Abstossung der hergebrachten Theorien und Systeme.

Die natürliche Vernunft, so lange sie sich selbst überlassen bleibt, wie ein Kind, das nicht erzogen wird, wird beherrscht von Idolen oder Trugbegriffen, die zerstört werden müssen, ehe es zu einer objektiven Naturbetrachtung kommen kann. Diese Trugbegriffe zerfallen in zwei grosse Hauptgruppen: 1) in die dem Menschen aus seinem inneren Wesen naturgemäss von selbst erwachsenden und insofern angeborenen (idola innata); 2) in die dem Menschen von aussen kommenden, also angelernten (idola adscititia). Die ersteren entspringen aus der physiologisch-psychologischen Natur des Menschen unmittelbar; sie haften also jedem Menschen an und mischen sich gerade deshalb um so trügerischer in die Erforschung der Dinge ein. Die letzteren dagegen sind erst aus dem und im Laufe der geschichtlichen Entwicklung der Menschen entstanden; da diese geschichtliche Entwicklung bei jedem Volke, bei jedem Individuum eine etwas verschiedene ist, so sind auch alle diese Trugbegriffe der zweiten Gruppe je nach Nationalität, Zeit und Individuum verschieden. Die beiden Hauptgruppen zerfallen wieder in je zwei Untergruppen, und zwar die natürlich gegebenen in die beiden Klassen der Idole des Stammes (idola tribus) und der Idole der Höhle (idola specus); die geschichtlich gegebenen in die Trugbegriffe des Marktes (idola fori) und die Götzenbilder des Theaters (idola theatri). In diesen eigentümlichen Benennungen für an sich einfache Verhältnisse zeigt sich die im Zeitalter der Elisabeth und Jakobs starke, vorzugsweise aus den humanistischen Studien stammende und bei Baco in hohem Masse ausgeprägte Neigung zu bilderreicher, vielfach geistvoller, manchmal aber auch schwülstiger Redeweise. Der Begriff der idola tribus erklärt sich einfach als die dem ganzen menschlichen Stamme angehörenden Trugvorstellungen. Die idola specus haben ihren eigentümlichen Namen wahrscheinlich von dem bekannten Bilde, welches Platon am Anfang des VII. Buches seines,,Staates" gebraucht: dort wird nämlich die menschliche Seele mit einer dunklen Höhle verglichen, in Fritz Schultze, Philosophie der Naturwissenschaft.

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welche nur die überhimmlischen Ideen einen Schimmer des Lichts hineinwerfen; die Höhle hier bedeutet also den dunklen Abgrund der Individualität, und so sind die Trugbegriffe der Höhle die spezifischen Vorurteile und Idiosynkrasien, die der eigentümlichen Natur des besonderen Individuums entstammen. Die idola fori sind diejenigen Trugbegriffe, welche erst in dem Wechselverkehr der Menschen mit den Menschen sich bilden; der Schauplatz für diesen Verkehr ist das Forum, der Marktplatz; also sind die Trugbegriffe des Marktes solche, die sich aus dem Verkehr der Menschen unter einander und, wie wir sehen werden, besonders aus dem hauptsächlichsten Verständigungsmittel desselben, der Sprache, ergeben. Die idola theatri endlich sind die auf dem grossen Welttheater im Laufe der Geschichte entstandenen trügerischen Erzeugnisse alles Autoritätsglaubens, die in Wahrheit nicht mehr Wert haben als die Fabeln und Märchen, die auf dem Theater dargestellt werden.

Die Götzenbilder des Stammes trägt jeder Mensch unbewusst in sich, da sie aus der Natur des menschlichen Empfindens, Wollens und Denkens hervorgehen; sie beherrschen ihn also auf Grund seiner psychologischen Natur und sind gerade deshalb die gefährlichsten und hartnäckigsten von allen. Unwillkürlich mischt sich die Beschaffenheit unserer Sinnesorgane, unseres Nervensystems, unserer geistigen Besonderheit, kurz unsere subjektive Natur in die Betrachtung der Dinge, und alles Vorstellen ist stets nur ein Übersetzen aus der objektiven Natur der Dinge in die subjektive des menschlichen Wesens, unter dessen Begrenzungen und Voraussetzungen wir doch allein die Dinge begreifen können. Erst wenn wir alles Subjektive von unserem Objekte abgezogen haben, erhalten wir den wahren Thatbestand an sich ohne die Veränderungen, die unser Subjektivismus unwillkürlich damit vorgenommen. Sind wir nicht kritisch belehrt, so betrachten wir alle Dinge ex analogia hominis, nach der Analogie des Menschen in anthropomorphistischer Weise, nicht ex analogia universi, aus der Natur des Universums selbst heraus. Aber es ist unrichtig," sagt Baco,,,dass der menschliche Sinn das Mass der Dinge sei; vielmehr geschehen alle Auffassungen der Sinne und des Verstandes

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