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und eben gegen diese richtet sich feindlich der alte Geist mit instinktiver Gewalt.

Nach der bisher geltenden ptolemäischen Lehre war da oben, wo es blau wird, die diesseitige Welt zu Ende, begrenzt durch das feste krystallene Gewölbe, an welchem die Fixsterne festgeheftet waren; über dem Gewölbe war der Himmel; zwischen der Fixsternsphäre und der in ihrem Mittelpunkte ruhenden Erde drehten sich um diese, entweder an besondere Krystallsphären geheftet oder von Engeln getragen oder frei schwebend, die mehr oder weniger immer noch nach antiker Auffassung als lebendige, göttliche Wesen gedachten Planeten (Sonne und Mond zu ihnen zählend), die gerade wegen ihres beseelten göttlichen Charakters die irdischen Zustände sehr wohl beeinflussen konnten und eben deshalb durch ihre eigene Natur zu astrologischer Beobachtung herausforderten. Diese Raumvorstellung zerstört und verbessert Kopernikus mit grausamer Gründlichkeit und vernichtet zugleich mit dieser,,Dogmatik der Sinnlichkeit" auch die ganze Sinnlichkeit der Dogmatik, welcher jenes Raumbild zu Grunde liegt. Das Gewölbe mit Platons Ideenwelt und der naiven mittelalterlichkirchlichen Walhalla bricht zusammen und löst sich, hier ganz wörtlich: in blauen Dunst auf. Ins Unendliche dehnt sich der Raum und nirgends zeigt sich dort der reservierte Platz des Seelenlandes, dessen innere Ordnung der Areopagite doch so anschaulich beschrieben hatte.

Und wenn dort oben kein räumlich beschränkter Himmel, so kann in ihm auch kein räumlich beschränkter Gott sein, so müssen die naiven und in Wahrheit heidnischen anthropomorphistischen und anthropopathischen Vorstellungen von der Gottheit überhaupt aufgegeben werden. Nicht an einen bestimmten Raum und an eine bestimmte räumliche Gestalt ist die Gottheit gebunden, sie ist überall, in allen Gestalten, sie durchdringt jeden noch so kleinen Teil des Universums, sie ist in Wahrheit allgegenwärtig und allmächtig. Willst du den Himmel erwerben, so baue ihn dir in deiner eigenen Brust auf; willst du die Gottheit finden, such' sie im All und das All in ihr. So wird in diesem vom Dualismus ab- und dem Pantheismus zulenkenden Gedankenstrom zwar

der enge mittelalterliche Begriff zerstört, aber zugleich auch der Begriff Gottes und mit ihm der ganze Kreis der eschatologischen Vorstellungen unendlich vertieft und verfeinert, einem rohen sinnlichen Materialismus entrissen und wirklich vergeistigt und idealisiert.

Wenn dann aber alles eo ipso von der Gottheit durchdrungen ist, so ist es auch der Mensch. Auch er hat schon von Natur Teil an Gott, und es bedarf nicht erst künstlicher Vermittlung. Er braucht vielmehr den göttlichen Funken, der in ihm lebt, nur anzufachen, um ganz und voll von dem Göttlichen durchwärmt und durchleuchtet zu werden. So bedarf er zur Läuterung und Erlösung nicht erst des Beistandes äusserer Gebräuche und hierarchischer Ämter dem im Menschen von Natur wirkenden Göttlichen braucht er sich nur willig zu überlassen, um alle Gnadenwirkungen desselben aus sich heraus an sich zu erfahren. liegen auch diese religiösen Konsequenzen des Kopernikanismus ganz auf dem Wege des Nominalismus, aber auch ganz auf dem Wege des Protestantismus, dessen leider vielfach vergessene Grundanschauung ja auch das allgemeine Priestertum ist.

So

Nicht bloss hinsichtlich des menschlichen Wesens, sondern auch hinsichtlich der gesamten irdischen Natur entspringen dem Heliozentrismus neue und mächtige Folgerungen. Bisher ist die Erde der Mittelpunkt des Weltalls gewesen; um ihretwillen war die Welt geschaffen worden, denn auf ihr sollte der Weltzweck, die Erlösung, verwirklicht werden. Sie war der auserlesene Schauplatz der Thaten Gottes, der Augapfel seiner Fürsorge. Jetzt wird die Erde erkannt als Planet unter Planeten, als ein Staubkorn im Weltall; und wenn auch die Qualität nicht im geraden Verhältnis zur Quantität zu stehen braucht, so ist doch nun der Zweifel wenigstens unausbleiblich, warum gerade sie den Vorzug haben solle, warum nicht auch alle übrigen Himmelskörper und ihre etwaigen Bewohner Gegenstand der Gnade und Vorsehung eines Gottes seien, der doch überall und sicherlich mit Gerechtigkeit und Allliebe waltet.

Und wenn der Zweifel einmal und mit Recht die Erde als den allein auserwählten Weltkörper trifft, so trifft er mit demselben Fritz Schultze, Philosophie der Naturwissenschaft.

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Rechte auch den Gedanken eines allein erwählten Volkes Gottes; unmöglich nur auf einen kleinen Teil der Menschheit kann sich die Allliebe erstrecken; nicht der Jude oder der Christ allein, die Menschheit muss im Schosse Gottes, ihres Vaters, ruhen. Wo bleibt die Lehre der Kirche, dass nur die ihr Angehörigen zur Seligkeit auserlesen seien? Indem der geozentrische Irrtum zusammenbricht, verliert auch der anthropozentrische und erst recht jeder phylozentrische und pisteozentrische Wahn seinen Grund und Boden. So muss denn auch mit Notwendigkeit jene teleologische Überhebung von der Tafel gewischt werden, als ob nur um des Menschen willen alles geschaffen und allein unter diesem Gesichtspunkte zu betrachten sei.

Aber nicht bloss auf die religiösen Grundbegriffe wirkt die Kopernikanische Lehre umbildend ein, für den gesamten Stand der menschlichen Erkenntnis überhaupt leitet sie eine gewaltige Umwälzung ein. Die Beweise für das ptolemäische Weltsystem ruhen in letzter Instanz auf dem Glauben an die Untrüglichkeit des rein sinnlichen Augenscheins. Jetzt wird plötzlich durch das grossartigste aller Beispiele gezeigt, dass die Sinne lügen, dass der Sinnenschein nicht das Kriterium der Wahrheit, die Sinnenwelt nicht die wahre Welt ist. Welche einleuchtendere Widerlegung jeder Art naiven Materialismus oder rohen Realismus, welche tiefere Begründung jedes wahren philosophischen wie religiösen Idealismus könnte gefunden werden! Denn auf allen Gebieten vernichtet der Kopernikanismus nur die rohen Vorstellungen; wirklichen Ideen- und Idealwelten des Geistes kommt er zu statten. Der Mensch hat hinsichtlich des Weltgebäudes darum nicht das Richtige erkannt, weil er seinen eigenen planetarischen Standpunkt und den dadurch bedingten Sehwinkel nicht in Rechnung gezogen hatte. Er hatte die fälschlich rein subjektiv von ihm konstruierte Welt ohne weiteres für die objektive gehalten, weil er sich der Notwendigkeit seiner rein subjektiven und darum stets beschränkten Betrachtungsweise nicht bewusst geworden war. Er hatte die Welt untersucht, ohne sich selbst untersucht zu haben, das Objektive zu erkennen gestrebt, ohne die Natur des erkennenden Subjektiven zu beachten. Muss jetzt nicht die Frage auftreten: Da wir uns

hinsichtlich der Erkenntnismöglichkeit so gründlich geirrt haben, unter welchen Bedingungen ist denn da Erkenntnis überhaupt möglich? und wie weit reicht sie? und was liegt etwa ganz jenseit ihres Gebietes? Muss nicht auf die Revision des Kosmos jetzt auch eine Revision des Nus folgen? Der Ansatz zur Rechnung des Kritizismus ist gegeben, und es sind die Baco, Descartes, Locke, Leibniz, Berkeley, Hume, Kant u. s. f., welche sie Posten für Posten erledigen. So reicht, da Naturerkenntnis und Geisteserkenntnis Korrelate sind und sich stets proportional verhalten, die Kopernikanische Welttheorie hinein bis in die Kantische Erkenntnistheorie, weshalb Kant seine kritische Entdeckung so gern der Kopernikanischen verglich.

Aber auch für den Entwicklungsgang der gesamten modernen Naturwissenschaft hat die neue Lehre in Wahrheit die Fundamente gelegt und die Namen und Gedankenthaten Keplers, Galileis, Harveys, Newtons, Kants, Laplaces, Lamarcks und Darwins bilden eine genau in sich zusammenhängende Kette von Folgerungen aus der Kopernikanischen Grundwurzel. Kopernikus hat zwar die allgemeine Natur der Bewegung im Planetensystem richtig erkannt, aber noch nicht die besondere Natur dieser Bewegung um die Sonne bei jedem einzelnen der bewegten Körper. Diese Aufgabe löste erst Kepler. In seinen drei Gesetzen stellt er fest erstens die Gestalt der Planetenbahnen; zweitens das hinsichtlich der Verhältnisse in Zeit und Raum gesetzmässige Gleichartige in den Bewegungen der ihm bekannten Planeten; drittens das bei jedem einzelnen dieser Planeten seinen besonderen Verhältnissen in Raum und Zeit nach gesetzmässig individuell Verschiedenartige seiner Bewegung. Kopernikus musste vor allem die Revolution der Weltkörper einführen, Kepler dagegen in aller Revolution die Harmonie zeigen und beschreiben. Daher das Werk jenes den Titel führte:,,De corporum coelestium revolutionibus", ein Hauptwerk dieses sich nannte,De harmonia inundi". Aber die wahre Ursache dieser Harmonie ist noch nicht bekannt. Die Harmonie ist von Kepler zwar beschrieben, aber nicht erklärt. Indem Galilei einerseits neue Beweise für die heliozentrische Theorie beibringt, andrerseits die Gesetze

der Fallbewegung entdeckt, setzt er Newton in den Stand, zu zeigen, dass allen noch so verschiedenen Bewegungserscheinungen im Planetensystem eine und dieselbe, mit der Ursache der irdischen Fallerscheinungen identische Ursache zu Grunde liegt. Und so wird hinsichtlich all dieser grossen Bewegungsvorgänge im Weltsystem die volle Einheit und Einheitlichkeit nachgewiesen, d. h. der Monismus des Mechanischen begründet.

Kopernikus' und seiner Nachfolger Forschungen gehen auf den Makrokosmos. Aber die Grundbegriffe über diesen werden nicht geändert, ohne dass nicht auch der Begriff des Mikrokosmos, der Begriff des Organismus, eine entsprechende Umbildung erführe. Wie durch die Entdeckung des Umlaufs der Planeten um die Sonne die wahre Natur des Weltgebäudes erschlossen wird, so thut nun auch die wahre Erkenntnis der körperlichen Natur der tierischen Organismen ihren ersten wichtigen Schritt, indem William Harvey den Umlauf des Blutes und das Herz als den Zentralkörper dieses kreisenden Planetenstromes erkennt und damit das Fundament der gesamten neueren biologischen Wissenschaft legt.

Die bewegende Ursache im Planetensystem ist überall dieselbe, die Bewegungen erfolgen überall nach denselben Gesetzen. Sollte da aber nicht auch hinsichtlich der Natur dessen, was bewegt wird, also der Weltkörper selber, sich eine Einheitlichkeit nachweisen lassen? Hier ist es zuerst Kant, später Laplace, die diese Einheitlichkeit, diese Stammesverwandtschaft, die gemeinsame Abstammung all der bewegten Himmelskörper aus der gemeinsamen Stammmutter, der Sonne, nachweisen und damit unser Planetensystem nicht mehr bloss als ein Seiendes begreifen, sondern auch das Gewordensein dieses Seienden nach natürlich-mechanischen Gesetzen erklären; so begründen sie den Monismus der unorganischen Natur, den dann die moderne Chemie und Physik von Boyles Erneuerung des Atomismus an bis zur Spektralanalyse hin immer mehr im einzelnen nachweisen.

Hatten durch Kopernikus die Raumbegriffe eine ungeheure Korrektur erfahren, so sind es nun auch durch Kant und Laplace, aber in der Nachfolge des Kopernikus, die Zeit

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