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sondere Schutzschrift für Raymund von Sabunde, den Verfasser jener berühmten theologia naturalis (1436) zu schreiben, woraus schon zur Genüge hervorgehen würde, wie unliebsam der Kirche der Gedanke einer natürlichen Theologie war, hätte sie es nicht selbst auch noch dadurch deutlich bewiesen, dass sie den Prolog des Raymund schen Werkes auf dem Tridentiner Konzil (1545) dem Index einverleibte. Aber die Einwirkung des Naturwesens auf die Theologie war nun einmal da und liess sich durch kein Anathem mehr wegdekretieren; wird doch in der nach-reformatorischen Zeit die natürliche Theologie stehende Rubrik und Lieblingstummelplatz der freier denkenden Theologen.

Trotz alledem geht im Grunde dem rechten Kleriker das Streben nach Natur sehr gegen die Natur; um so mehr aber finden wir es bei den beiden anderen massgebenden Ständen des Mittelalters, dem Ritter- und dem Bürgerstand, als ein déren Wesen nicht bloss nicht widerstrebendes, sondern darin vielmehr tief begründetes Element vor, welches aus seiner Unbewusstheit mächtig zur Bewusstheit sich emporringt.

Der Ritter wie der Geistliche des Mittelalters beide sind Idealisten; bei beiden quellen die letzten Grundmotive ihres Handelns aus der Phantasie hervor, die ihnen eine andere Welt vorspiegelt als die wirklich vorhandene. Aber trotz dieser Gleichheit sind doch Ritter und Kleriker auf allen Punkten in einem charakteristischen Gegensatz, der in seiner folgerichtigen Durchführung endlich zum schneidigen Widerspruch führen muss. Die Phantasiewelt des Klerikers geht nicht bloss über das Diesseits hinaus, sondern negiert sogar in letzter Instanz das Diesseits völlig; nur auf das Jenseits ist alles Streben gerichtet. Die Fantasiewelt des Ritters dagegen liegt im Diesseits; diese seine irdische Existenz ist es, welche er sich bunt und reich gestalten, worüber er im Streit der Waffen seine Herrschaft herstellen möchte. Er sucht zwar auch das Jenseits, aber zunächst will er ausgesprochenermassen diese Welt sein eigen nennen und seinen Wünschen unterwerfen. Der Geistliche kämpft gegen den Weltsinn und strebt, ihn zu unterdrücken; dem Ritter dagegen verleiht Kraft und Stärke gerade sein Weltsinn, den er zu seinen Zwecken erst recht pflegen

Fritz Schultze, Philosophie der Naturwissenschaft.

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und entwickeln muss. Der Mittelpunkt der Welt für jedes Individuum ist dessen Ich. Wer gründlich sich der Welt begeben will, hat vor allem sein Ich zu unterjochen, sein Selbst auszurotten. Daher ist tiefste Demütigung des Ichs das prinzipielle Strebeziel des geistlichen Menschen. Im Kampf aber auf blutigem Feld siegt nur, wer Mut und Vertrauen in sich selbst fühlt und setzt; dem glänzenden Helden des Rittertums ist Demütigung die höchste Schmach; nichts pflegt er mehr, als das Gegenteil der Demut, das verwegene Selbstgefühl, den mannhaften Trotz, der Hölle und Teufel in die Schranken zu rufen wagt. Die Kirche fordert von ihrem Kleriker die bedingungslose Unterwerfung, die völlige Ausrottung aller individuellen Sonderbestrebungen zu Gunsten der allmächtigen und einzigen Autorität der Kirche. Nicht das geistliche Individuum soll herrschen, sondern das kirchliche Staatsganze mit seinen Gesetzen und Zwecken. Das Individuum gilt nur als Objekt, nicht als Subjekt; nicht der Teil, sondern das Ganze, nicht das Einzelne, sondern die Gattung ist massgebend. So muss die Kirche ihrem innersten Wesen nach platonisch-realistisch gesinnt, ihre ganze Praxis von dieser Tendenz getragen sein. Das Rittertum ist dagegen vom Wesen des Nominalismus durchdrungen; in ihm gilt der einzelne als der wirkliche. Des Ritters Streben ist auf die Auszeichnung gerichtet, eine ganz besondere Heldenperson zu sein, die sich im Zweikampf bewährt und in ihren glänzenden Eigenschaften möglichst unersetzbar ist. So steht das Rittertum in seiner Betonung der Geltung des einzelnen im prinzipiellen Gegensatz zur Kirche und ihren Forderungen. Der Kleriker will eine geistige Welt erobern, der Ritter eine körperliche. Was jener üben muss, um wohlgerüstet in den Kampf zu gehen, ist Geisteskraft, der Ritter braucht zu seinen Zwecken Körperkraft. Er schützt, pflegt, übt und entwickelt das Fleisch, das jener verachtet und abtötet. Er setzt einer Scholastik eine Gymnastik entgegen; er will nicht die sieben Wissenschaften des Trivium und Quadrivium, er will die sieben,,noblen Passionen" (Reiten, Schwimmen, Pfeilschiessen, Fechten, Tanzen, Schachspielen und Versemachen), die mitten im Weltgenuss stehen. So sind seine Bestrebungen überall auf das Weltliche und Natürliche gerichtet, denen er unbewusst

zu ihrem Rechte verhilft. Seine Sprache ist nicht das tote, nur künstlich erhaltene Latein; er liebt und pflegt seine lebendige, mit ihm geborene Mutter- und Volkssprache, in der er singt und sagt. Und was er singt und sagt, sind nicht die übersinnlichen Gedanken der Weltentsagung und Fleischabtötung der kirchlichen Hymnik; seine Epik und Lyrik geht auf die Verherrlichung des Weltlichen und Sinnlichen, auf Heldentum und Liebe; die Empfindungen, welche die Kirche verwirft, feiert er. So vergisst er nicht über seinen Gott seine Welt, über seinen Himmel seine Natur, über die Mutter Gottes und den Heiligen nicht die geliebte Frau und den Freund.

Überall steht so das Rittertum im Kampf mit dem Unnatürlichen; überall verficht es die weltlichen Gefühle, Gedanken, Institutionen und ist also in seinem Drängen nach Natur ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Wiedergeburt der Naturverehrung aus der Naturverachtung heraus. Gerade in den grössten Thaten des Rittertums zeigt sich seine Dissonanz mit dem prinzipiellen Wesen der Kirche. In den Kreuzzügen soll es der Kirche und ihrer Herrschaft dienen; in Wahrheit wirkt es im Dienste der Welt und der Natur. Eine Fülle von neuen erd- und völkerkundlichen Anschauungen werden durch die ritterlichen Heerfahrten in das Abendland eingeführt; sie bringen die engen Schranken des mittelalterlichen Daseins zu lebhaftem Bewusstsein und erregen den Trieb, über diese Beschränktheit, die räumliche wie die geistige, hinauszukommen. Mit Begeisterung und in der Hoffnung, des höchsten Glückes teilhaftig zu werden, zieht der ritterliche Held dem gepriesenen Lande zu, wo er die Fusstapfen des Erlösers zu finden meint. Da, wo alle Missklänge gelöst sein sollten, am Grabe Christi, findet er nichts als Hader und Eigennutz, als Hinterlist und Parteikampf. Das wahre Wesen der römischen Kirchlichkeit wird ihm an der Stelle klar, wo statt der alles verklärenden Gottesliebe er nur fanatische Unduldsamkeit und politisches Intriguenspiel antrifft. Ja, die verketzerten Heiden, die er kennen lernt, zeigen sich an Edelsinn und Grossmut dem Christen nicht bloss gewachsen, sondern vielfach überlegen. Da wird der ritterliche Held zum Zweifler, und es ist kein Wunder, wenn unter solchen

Umständen am Hofe des ritterlichen Kaisers die Freigeisterei sich in staunenswertem Grade ausbildet. Die Worte, welche Friedrich II. in den Mund gelegt werden, als gesprochen beim Anblick einer priesterlichen Prozession: Wie lange wird dieser Trug noch währen? und seine Äusserung von den drei grossen Betrügern (Moses, Christus, Muhamed), mögen sie nun wahr sein oder nicht, sind eben Signatur des notwendig entstehenden ritterlichen Skeptizismus. Und dieser zweiflerische Sinn bleibt nicht im innersten Gemüte heimlich verborgen in dem Kampfe zwischen Staat und Kirche, zwischen Kaiser und Papst lodert er hell heraus; es ist der Kampf zwischen dem höchsten Ritter und dem höchsten Kleriker, zwischen der natürlichen Gesellschaft und ihren Rechten und den Feinden derselben, zwischen der Natur und der Unnatur.

Dadurch, dass Kirchentum und Rittertum beide in der Phantasie wurzeln und ihre Vertreter Idealisten sind, wird der innere Widerspruch zwischen beiden einigermassen verdeckt und kommt erst im Verlauf der Entwicklung zum Vorschein. Der Gegensatz indessen, der zwischen dem Bürgertum und der mittelalterlichen Kirche (wie im übrigen auch zwischen Bürgertum und Rittertum) besteht, liegt von vornherein offen auf der Hand. Die Welt jener beiden höheren Stände ist die der beweglichen Einbildung, die Welt des dritten Standes ist die des nüchternen Verstandes; jene sind Idealisten, dieser ist Realist. Ritter und Kleriker geniessen die Arbeit anderer:

Presbyteri labiis orant, Laicique laborant;

Plebs, dum pro populo presbyter orat, arat.

Der

Bürger und Bauer mühen sich ab in werkthätiger Arbeit. Bürgerstand ist Arbeiterstand. Seine Arbeit ist aber in jeder Beziehung rein weltlicher und natürlicher Art; sie ist auf die Stoffe und Formen der Natur, auf die Be- und Umarbeitung dieser Stoffe und Formen im Interesse seiner realistischen Zwecke und Bedürf

nisse gerichtet. Nur diese Arbeit, welche Kleriker und Ritter als handwerksmässig verachten, erhält ihm sein Leben. Aber der Arbeiter sind viele, die Wettbewerbung ist gross; so gilt es, dass

jeder einzelne sich so tüchtig wie möglich mache; auch hier ruht alles auf und in dem einzelnen, seiner Fähigkeit, seinem Fleisse, seinem Talente. Der Bürger ist eo ipso Nominalist, seine Lebensverhältnisse gebieten es ihm. Was das Individuum hier erringt, hat es durch sich, aus eigener Kraft. Dies Bewusstsein giebt ihm ein hohes Selbstgefühl und damit den richtigen Sinn für Unabhängigkeit und Freiheit. Der mittelalterliche Städter ist an sich republikanisch gesinnt, seine Stadt bildet eine kleine Republik. Die Arbeit im eigenen Interesse, weit entfernt, einen unfreien Geist zu erzeugen, macht im Gegenteil den Geist beweglich, umsichtig, selbständig und geschickt zu Anstrengungen und hohen Aufgaben. Aus freier Arbeit entspringt die Freiheit des Geistes, aus der geistigen Freiheit die geistige Zeugungskraft. So lernt der Bürger in seiner Gewerbsthätigkeit nicht bloss die Natur der von ihm bearbeiteten Stoffe kennen und erwirbt nicht bloss eine mechanische Handgeschicklichkeit, nein, sein freier, regsamer Geist strebt von diesen Grundlagen aus höher empor, er wird schöpferischer Künstler. Der Reichtum, welchen Handel und Gewerbe ihm bringen, gestattet ihm, seine Stadt und sein Haus mit Kunstwerken zu schmücken; weltliche Bauten, weltliche Malereien, weltliche Geräte und Schmucksachen finden hier ihre Entstehung. Aber er ist nicht Ackerbauer; sein Leben gründet sich auf Handel und Gewerbe. Somit nötigen ihn die Bedingungen von Nachfrage und Angebot, von Aus- und Einfuhr, seinen Blick in die Ferne zu richten. Fremde Völker, fremde Länder, fremde Erzeugnisse, fremde Sprachen alles das muss ihm bekannt sein, wenn er richtig blühen und gedeihen will. Er darf nicht engherzig und borniert an der Scholle kleben, in ihm muss seiner Existenz wegen ein weiter, weltbürgerlicher Sinn sich bilden, und dieser wirkt wieder notwendig zurück auf sein eigenes städtisches Gemeinwesen. Hier in dem Ausbau und in der Vertretung desselben wird er Politiker und Diplomat. Ihm vor allen, dessen Eigentum vielfach über weite Strecken zerstreut umherwandert, muss an Frieden und Sicherheit, an geordneten Zuständen im Lande und in den Ländern, an der Pflege des Rechtes liegen. Da er aber durchaus auf sich selbst gestellt ist, finden doch seine Interessen weder bei

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