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Innigkeit, ohne Rücksicht auf Logik und Metaphysik, ja ohne zu grosse Achtung selbst vor der cognitio, und diese letztere wird einseitig und objektiv in Kompendienform von den sogen. Summisten (Robertus Pullus, Alanus de Insulis und, dem berühmtesten, Petrus Lombardus) zu übersichtlich trockener Inventarisierung gebracht. Das Element des Wissens in Logik und Metaphysik wird endlich ganz und gar von dem Elemente des Glaubens losgerissen durch die von der Theologie abgewandten und darum sog. „reinen Philosophen" (puri philosophi), die nun je nach ihrer Neigung die einen in das Labyrinth mehr der logischen, die anderen mehr der metaphysischen Haarspaltereien und Wortklaubereien sich verirren. Das Ende vom Liede ist, dass die vierstimmige Harmonie von Glauben und Wissen sich in eine vielstimmige Disharmonie verwandelt, und eine Stimme der andern ihr Abweichen von der richtigen Stimmführung zum Vorwurf macht. Der pietistisch - mystische Viktoriner verdammt die Metaphysiker, welche über den Aristoteles die Heilslehre vernachlässigen, die aus lauter Grübelei über den Begriff ,,etwas" (aliquid) zu „nihilistae" werden, und denen die Frage, ob der Schlächter oder der Strick das Schlachtvieh führe, mehr Interesse erweckt als das Mysterium der Trinität. Aber er ist ebenso empört über die Summenschreiber, welche soviel dafür sagen, dass Gott sei, als dagegen, und die, wenn sie Dogmen und Ketzereien ohne die entschiedene Betonung des Richtigen einfach neben einander stellen, beinahe selbst zu Ketzern werden. So bricht denn am Ende dieses Zeitraums das aus den verschiedenen Elementen des Glaubens und des Wissens scheinbar so wohl zusammengefügte Gebäude wieder auseinander, und auf der einen Seite erhebt sich ein mässiger und mehr gegen das Vermögen des menschlichen Geistes, als gegen die Wahrheit der kirchlichen Lehren gerichteter Skeptizismus, als dessen Vertreter der berühmte Polyhistor seiner Zeit, Johannes von Salisbury, dasteht, während auf der andern Seite aus Verzweiflung über das Unvermögen des logischen Verstandes die Zufluchtstätte des auf den Beweis verzichtenden gläubigen Mystizismus aufgesucht wird, letzteres besonders von Amalrich von Bene und seinen Anhängern den Amalrikanern.

Wenn nun aber auch der erste Versuch, das Dogma mit den Denkgesetzen zu vereinigen, gescheitert ist, so giebt trotzdem die robuste Glaubenskraft der Zeit den Gedanken an die Möglichkeit der Verbindung beider Elemente durchaus nicht auf. Dass die Dogmen absolute Wahrheit sind, bleibt ihr unerschüttert fest stehen; auf irgend eine Weise müssen sie sich also auch nach den Grundsätzen der Logik bearbeiten und beweisen lassen, und es bedarf nur eines neuen grossen Impulses, um mit frischen Kräften das Werk von neuem zu beginnen. Dieser Impuls geht im 13. Jahrhundert von Aristoteles aus, der jetzt wieder entdeckt wird und nun in demselben Masse zur Herrschaft über die Geister gelangt, als Platon von ihm in den Hintergrund gedrängt wird.

Es waren zwar auch in der sog. vorscholastischen Zeit (750 bis 1100) die Einwirkungen des aristotelischen Geistes nicht durchaus verloren gegangen; auch damals waren Lehren im Umlauf geblieben, die aus der aristotelischen Quelle geflossen waren, doch war man sich dieses Ursprungs nicht mehr bewusst gewesen. Zu einem,,halbbewussten Aristotelismus" war man dann besonders durch den Einfluss des spätrömischen Philosophen Boëthius gelangt, dessen lateinische Übersetzungen einiger logischer Schriften des Aristoteles die Lehrbücher für alle logischen und metaphysischen Grundfragen vom Beginn der Scholastik an gewesen waren. Aus indirekten Quellen, wie aus Augustin und anderen Kirchenvätern, dazu besonders aus den lateinischen Übersetzungen der Galenischen Werke war man sogar auch im Besitz einiges physikalischen, von Aristoteles herstammenden Wissens geblieben aber die direkte Kenntnis der aristotelischen Originalwerke hatte gänzlich gefehlt. Die Kreuzzüge sind es, welche das Abendland mit den Arabern und ihrer Wissenschaft bekannt machen. Während das Abendland den Aristoteles mehr nur dem Namen seinen Werken nach kannte, hatten die Araber die kulturhistórische Pflicht auf sich genommen, die geistigen Schätze des Stagi riten zu hüten und zu bearbeiten. Seine Werke werden ins Athbische übertragen. Während im Abendlande die Sprüchwörtlich gewordene,,mittelalterliche Finsternis" herrscht, besitzen die Araber besonders im 9. und 10. Jahrhundert im Morgenlande" una in

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Spanien blühende Schulen und Universitäten und bringen eine Fülle von Wissenschaft auf allen Gebieten des Geistes und der Natur hervor. Es sind besonders die beiden arabischen Philosophen Averroes und Avicenna, mit deren Werken das Abendland sich bekannt macht. Diese Denker stützen sich ganz und gar auf Aristoteles; aus ihm haben sie den Antrieb für ihre eigenen geistigen Schöpfungen entnommen. Ganz allmählich wird nun auf den interessantesten Umwegen die Kenntnis des Aristoteles dem Abendland erschlossen. Am Ende des 12. Jahrhunderts hat man nur erst, und auch nur schrittweise, die logischen Schriften des Philosophen kennen gelernt. Von der ganzen reichen Fülle der übrigen aristotelischen Schriften, die das Gebiet der Geisteswie der Naturwissenschaften umspannen, kennt man noch nichts; und als die Bekanntschaft endlich gemacht wird, erstreckt sich dieselbe nicht etwa gleich auf die griechischen Originale stehen vielmehr zuerst nur lateinische Übersetzungen, die nach arabischen Übersetzungen angefertigt sind, zu Gebote, ja vielfach nur lateinische Übersetzungen von hebräischen Übersetzungen, die nach den arabischen Übertragungen des Urtextes bearbeitet sind. Sowohl diese arabischen wie die hebräischen

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Übersetzungen schliessen sich aber durchaus nicht genau dem Sinne des griechischen Originals an; sie fassen den Aristoteles vielmehr im neuplatonischen Sinne auf. So spiegeln sie also ein durchaus unwahres Bild des griechischen Philosophen wieder. In dieser getrübten und gefälschten Gestalt allein aber lernt das 13. Jahrhundert die aristotelischen Lehren kennen, was natürlich auf den ganzen ferneren Entwicklungsgang der Scholastik einen entscheidenden Einfluss ausüben muss.

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Die Kirche behandelt zuerst den grossen Heiden mit scharfem Misstrauen und sucht den Eindringling womöglich bei Seite zu schieben. Als aber Aristoteles die Geister immer mehr für sich gewinnt, da muss die Kirche, will sie ihre Autorität gegenüber der des Philosophen nicht einbüssen, das abweisende Verfahren einstellen, und klug entschlossen nimmt sie den Heiden in ihren eigenen Schoss auf und erklärt ihn für eine ihrer stärksten Stützen. Noch im Jahre 1209 werden die physikalischen Schriften des

Aristoteles und gleichzeitig die Werke Davids von Dinanto, des ersten, der die Kirchenlehre nach aristotelischen Prinzipien zu bearbeiten versucht, von ihr verdammt, im Jahre 1215 verfällt die Metaphysik demselben Schicksal, im Jahre 1231 verbietet die Pariser Universität, Vorlesungen über diese Schriften zu halten, aber schon im Jahre 1251 setzt sie selbst die Zahl der Stunden für diese Vorlesungen fest; das Endergebnis aber ist, dass Aristoteles den Beinamen erhält eines ,,Vorläufers Christi in den Dingen der Natur, wie Johannes der Täufer es in Sachen der Gnade war". Und es ist leicht erklärlich, warum Aristoteles zu dieser ausgezeichneten Ehre kommt. Mit Aristoteles ist die grosse Entwicklungsperiode der griechischen Philosophie und des klassischen Griechengeistes überhaupt zu Ende. Von den Epigonen wird nichts mehr an neuen bahnbrechenden Ideen hervorgebracht. Aristoteles hat in seinem System alles vereinigt, was an bewegenden Gedanken bis dahin aufgetreten ist. Nicht bloss bezieht sich dies auf die metaphysischen Grundprinzipien, auch die sämtlichen empirischen Kenntnisse des Altertums sind in seinen Werken aufgespeichert. Was auf dem Gebiete der Naturforschung, der Politik, der Ethik, der Ästhetik, oder welches Feld wir sonst nehmen mögen, der antike Geist an Hauptgesichtspunkten erzeugt hat, Aristoteles hat es mit dem Bienenfleisse des rastlosen Gelehrten gesammelt. So sind seine Werke eine grosse Encyklopädie der Wissenschaften geworden, in deren Licht die ganze Ärmlichkeit des mittelalterlichen Wissens zu Tage tritt. Von nun an werden die Wissenschaften aus den Werken des Aristoteles geschöpft. Aber nicht bloss, dass er dieses empirische Material in seinen Werken aufgehäuft hat, er hat es auch, wenigstens im Sinne des Mittelalters, vollkommen kausal durchdrungen und erklärt; er scheint also das Welträtsel vollständig gelöst zu haben. Seine Erklärungsprinzipien, die logischen Kategorien, die Begriffe der Materie, der Entelechie, der Bewegung, des Unbewegtbewegenden u. s. w. stehen da wie erzene Säulen, auf denen die Welt bis zur ewigen Gottheit hinauf zu ruhen scheint. Zwar Baco von Verulam sagte, Platon habe die Naturauffassung durch Theologie, Aristoteles sie durch logische Kategorien verdorben. Was

aber Baco dem Aristoteles zum Vorwurf macht, gerade das hebt ihn hoch in den Augen des Mittelalters: nach diesen Kategorien regulieren jetzt alle Geister ihr Denken. Den Stoff wie die Form und Methode des Denkens entnehmen sie seinen Werken, denen gegenüber alles, was man selbst bisher besass, als nichtig und wertlos erscheint. So erklärt es sich denn zur Genüge, wie Aristoteles in kürzester Zeit zu seiner unumschränkten Herrschaft über die Geister kommen konnte und musste.

Sowie Aristoteles aber von der Kirche anerkannt ist, erwächst daraus der Scholastik eine ganz neue Aufgabe. Ihre allgemeine Aufgabe war ja, Glauben und Wissen, Kirchenlehre und Verstandesforderung in Kongruenz zu setzen. Jetzt erscheint als Repräsentant alles weltlichen Wissens, gleichsam als Inkarnation der Vernunft Aristoteles. Folgerichtig geht also jetzt ihre Aufgabe dahin, die richtige Gleichung zwischen der Kirchenlehre und der aristotelischen Philosophie herzustellen. Die ersten Versuche dazu werden bereits im Anfange des 13. Jahrhunderts gemacht durch Alexander von Hales und Johannes Fidanza Bonaventura, aber die eigentliche Lösung gelingt erst dem ,,Triumph der kirchlichen Philosophie", dem ,,doctor angelicus" Thomas von Aquino, nachdem sein Lehrer Albert der Grosse ihm die Wege gebahnt und geebnet hat. Die Kirchenlehre wird von ihm nach aristotelischen Begriffen entwickelt und als wahr erwiesen. Die ganze Welt, wie sie von Gott geschaffen ist, strebt zu Gott zurück. Gott ist ihr erster Grund und ihr letzter Zweck, ihre wahre Endursache. Alle Dinge sind also Entelechien, welche sich im Sinne des aristotelischen Entwicklungssystems stufenweise übereinander erheben von den materiellen Dingen, Pflanzen und Tieren an in genau gesonderten, doch kontinuierlich folgenden Gattungen zunächst bis zur Menschheit hinauf, deren höchste Daseinsform die Kirche ist. Diese aber leitet unmittelbar hinüber zu der himmlischen Hierarchie der Engelwelt, die an die Stufen des Thrones der Gottheit reicht. So erreicht alles Materielle seinen höchsten Zweck im Menschen und findet in ihm gewissermassen seine Läuterung und Erlösung, der Mensch aber erreicht sein höchstes Ziel und seine Erlösung in Gott durch die Gnadenmittel

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