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im Reiche Gottes gute Bürger sein wollten, konnten es nicht im römischen Reiche sein; sie verachteten die Autorität des römischen Gesetzes, gestützt auf die Autorität des göttlichen; zu der advokatorisch-realistischen Nüchternheit und Spitzfindigkeit des ersteren stellte sich in schroffen Gegensatz die schwärmerisch - idealistische Einfalt des letzteren. In dem Kampf der Gegensätze aber blieb das Christentum Sieger. Die Kirche unterwarf sich die Welt und nahm sie in sich auf als ihre Provinz, d. h. aber doch: sie verweltlichte sich in dem Grade, als sie die Welt sich einverleibte. Die civitas terrena forderte wieder ihre Rechte; kein Wunder, dass sie auch auf die civitas dei ihren umgestaltenden Einfluss ausübte. Die Kirche wollte über die Welt herrschen, so musste sie auch wieder in ihr, von ihr sein; es musste der Sinn für die Welt und das Weltliche zurückkehren.

So tritt das Göttliche wieder in das Weltliche ein; es wird um so mehr hereingezogen, als die rohe Sinnlichkeit der neubekehrten Völker das Übersinnliche nur in der Form des Greifbaren, Anschaulichen, Materiellen zu verstehen vermochte. In demselben Grade aber tritt das Weltliche in das Göttliche ein und macht sich in ihm breit: Der Mensch wird im Heiligen, die Materie in der Hostie, den Reliquien etc. vergöttlicht, oder, was dasselbe besagt, das Göttliche wird materialisiert und naturalisiert. Ein neuer Olymp erhebt sich, dem es an Göttern und Heroen nicht fehlt, und nicht minder als in den Mysterien der grossen Göttermutter Cybele, Isis oder Venus Urania tritt der Kultus der Natürlichkeit wieder auf in den Auswüchsen des Kultus der christlichen Gottesmutter. Von Weltverachtung kann hier wenigstens in praxi schon keine Rede mehr sein, ebenso wenig wie sich dieser Umschwung noch mit einer absoluten Naturverachtung verträgt man entfernt sich schon von ihr, ohne es zu wissen, um so mehr, als gerade die neubekehrten Völker Westeuropas, jetzt die kräftigsten Träger des Glaubens, im Grunde noch Naturvölker sind, deren Zusammenhang mit der Natur sich noch nicht so gelockert hatte, als es bei den hinsterbenden, schlaffen Überkulturmenschsn Griechenlands und Roms der Fall gewesen war.

Aber auch hinsichtlich der Beurteilung der menschlichen Ver

hältnisse tritt die Naturkausalität wieder in ihre Rechte ein durch die Wiedererweckung des Studiums des römischen Rechtes. Die Beherrschung der Welt erfordert einen festgegliederten Stand von Herrschern, genau vorgeschriebene Formeln und Gesetze. Die jüdische Priesterhierarchie und das jüdische Ceremoniell kehren. zurück mutatis mutandis - und wie der römische Staat gezwungen war, eine Fülle von Gesetzen zu schaffen und sie mit juristischer, nüchternscharfer Methode zu interpretieren, so reicht auch für die Kirche die lautere Einfalt des ungeschriebenen Gesetzes nicht mehr aus; auch sie muss Gesetze machen und interpretieren. Der priesterliche Anwalt für den Himmel muss zugleich gewandter Advokat für die Erde sein. Je nüchterner der Geist aber im Sinne des Corpus juris hier geschult wird, um so mehr entwöhnt er sich enthusiastischer Schwärmerei, um so mehr gewöhnt er sich, die Folgerichtigkeit der ,,Logik der Thatsachen" und damit auch der natürlichen Kausalität wieder anzuerkennen. Diese juristische Schulung, wie sie besonders seit dem 12. Jahrhundert durch die Rezeption des römischen Rechts notwendig wird, zwingt zu realistischer Betrachtung der Dinge und zum Aufsuchen der natürlichen Zusammenhänge, und wenn dies zunächst sich auch nur auf die sozialen Verhältnisse der Menschenwelt bezieht die Übertragung auch auf die Verhältnisse der Natur kann mit der Zeit nicht ausbleiben.

Auch in der sorgfältigen Pflege, welche das Mittelalter der formalen Logik angedeihen lässt, liegt, wie schon angedeutet, ein solches naturalistisches Element, das an der Aufhebung der Naturverachtung mitzuarbeiten berufen ist. Handelt es sich in ihr auch nur um abstrakte Begriffe, so handelt es sich doch stets darum, dieselben in den logisch richtigen Kausalzusammenhang zu bringen. Die natürliche Kausalität fordert also ihre Herrschaft auch im Reiche des menschlichen Denkens zurück. Dass der folgerichtige Kausalnexus betont wird, darin liegt hier das Wichtige um so besser und eher müssen bald die logischen Widersprüche in der kirchlichen Dogmatik entdeckt werden, um so eher wird bald der Geist sich unbefriedigt davon abwenden, um so eher wird er bald den strengen, von seiner logischen Schule geforderten kausalen Zusammenhang, den er im Gebiete des Glaubens nicht

finden kann, im Gebiete der Natur aufsuchen. Es ist gewiss charakteristisch, dass der grosse logische Tausendkünstler Raymund Lull im 13. Jahrhundert nicht bloss eine ars inveniendi geben will, sondern sogar förmliche Maschinen dazu konstruierte. Handelt es sich dabei auch nur um,,Erfindung" neuer Begriffskombinationen auf mechanischem Wege, so wendet er seine Aufmerksamkeit doch auch schon auf Naturstudien; so lebt doch in demselben Jahrhundert auch bereits der Mann, Roger Baco, der mit seiner scientia experimentalis sich der Erforschung der Natur in eminenter Weise zuwendet und auf Grund derselben sich mit der Erfindung wirklich physikalischer Mechanismen beschäftigt.

So lange die Welt im harten Kampfe noch zu besiegen war, hatten die Streiter Gottes alle Entbehrungen und Mühen des Lebens im Felde zu erdulden. Jetzt ist sie unterworfen; die Krieger residieren in ihren sicheren Klöstern als Herrscher in behaglicher Ruhe. Auf die Zeit der sieben mageren Kühe folgt die der sieben fetten; ein mässiger Epikur tritt wieder in seine uralten Rechte. Ohne Natur kein Genuss. Wie könnte auf die Dauer die Natur verachten, wer nicht mehr in der thebaischen Wüste als Einsiedler den Leib kasteit, sondern in Feld, Weinberg und Garten eines reichen Klosters ihre Gaben liebt und pflegt! Dogmatisch und theoretisch bleibt sie im Bann, aber die Praxis des Lebens denkt anders über sie. Auch hier zeigt sich in der Anschauung des Mittelalters die bei ihm so beliebte ,,doppelte Wahrheit".

Die Begierde nach Weltherrschaft lässt die Kirche die Kreuzzüge in Szene setzen. Von neuem kommen Orient und Occident in nahe Berührung; in hohem Grade vermehren sich jetzt im Abendlande die Kenntnisse von fremden Ländern, Völkern und Naturdingen. Auch dadurch entstehen neue Interessen rein naturalistischer Art, ganz abgesehen davon, dass man durch diesen Kontakt auch mit den Arabern und ihren naturwissenschaftlichen Forschungen und auf diesem Umwege auch wieder mit ,,dem Ersten der Physiker", Aristoteles, bekannt und bedeutsam angeregt wird, worauf wir noch zurückkommen werden. Nicht minder ist in dieser Beziehung die Thätigkeit der Missionare von Wichtigkeit, welche die Kirche vom 13. Jahrhundert ab nach dem öst

lichen Asien zu den Tartaren sendet, und unter denen besonders Rubruquis (Wilhelm Ruysbroek) mit seinem Reisebericht, als mit ,,dem grössten geographischen Meisterstück des Mittelalters", nach Peschel, hervorragt. So drängt von den verschiedensten Punkten die Natur förmlich selbst dahin, dass der auf ihr lastende Bann von ihr genommen werde.

Die Natur kann denn doch in Wahrheit kein so Nichtiges sein, wenn sie für die Kirche ein so Wichtiges ist. Schon Scotus Erigena sucht sich mit der Schöpfung aus Nichts durch künstliche Umdeutungen im Sinne natürlicher Logik abzufinden und schwankt zwischen rein theistischen und pantheistisch-emanatistischen Vorstellungen hinsichtlich der Weltentstehung hin und her. In Thomas' von Aquino auf aristotelischen Prinzipien basiertem Entwicklungssystem ist das Reich der Natur schon die notwendige Entwicklungs-Vorstufe zum Reich der Gnade, also die Natur doch von anerkannter Geltung im Weltsystem, und es ist ebenfalls bezeichnend, dass die Philonische Annahme einer zeitlosen, also ganz supranaturalistischen Schöpfung immer mehr hinter der Annahme eines naturgemässen Kausalgeschehens im Sinne des mosaischen Schöpfungsberichts zurücktritt.

Der Glaubensverfall in der Kirche, die Verweltlichung derselben und eine relative Anerkennung der Welt und Natur gehen Hand in Hand mit einander. Dem allgemeinen Glaubensverfall gegenüber sind es schon vom 12. Jahrhundert an gewisse engere Kreise in der Kirche, welche, Vorboten der späteren Reformation, das Bedürfnis nach erneuter Glaubensvertiefung fühlen. Es ist psychologisch interessant zu sehen, wie gerade diese Vertiefung des Glaubens eine liebevolle Versenkung in die Natur, eine manchmal schwärmerisch-inbrünstige Verehrung derselben hervorbringt. Das ist besonders bei den Vertretern jener mittelalterlichen, der Kirche allerdings als ketzerisch verdächtigen Mystik der Fall, deren häretisches Wesen darin besteht, dass sie die Fülle des Glaubensinhaltes und die Wärme der Glaubensinbrunst nicht aus dem grossen Meere der kirchlich-objektiven Autoritäten schöpfen will, sondern aus dem kleineren, rein subjektiven, aber eben deshalb das individuelle Bedürfnis im höheren Grade befriedigenden

Quell, der in der Brust eines jeden Menschen selbst strömt. Die Dinge der Natur sind an sich als blosse Kreaturen zwar hinfällig und nichtig, aber immerhin sind sie doch Geschöpfe Gottes; sie sind aus seiner Hand hervorgegangen, sie tragen also auch seinen Stempel und sein Gepräge, sie haben also selbst etwas Göttliches an sich. Nicht nur, dass man Gottes Weisheit, Güte und Allmacht. aus ihnen erkennen kann, sie haben etwas vom Göttlichen in ihrem eigenen Wesen und sind also verehrungswert. Wenn schon die Weltflüchtigen in der Wahl oftmals entzückender Örtlichkeiten für ihre Einsiedeleien und Klosteranlagen im hohen Grade ästhetischen Sinn für Naturschönheit bekunden, und somit Weltflucht bei ihnen nicht gleichbedeutend mit Naturflucht ist, so bezeugen auch ihre Naturschilderungen in Prosa wie Poesie ausdrücklich eine vielfach überquellende mystische Naturandacht, die so weit geht, in allen Geschöpfen Brüder, Schwestern und Verwandte des Menschen zu sehen, die demgemäss mit innigster Nächstenliebe zu umfassen sind. Da ist schon der heilige Franz von Assisi, der in seinem berühmten Sonnenhymnus den Bruder Sol, die Schwester Luna, den Bruder Wind, die Schwester Wasser, die Mutter Erde, den Bruder Tod und durch sie ihren Schöpfer preist; der seine Genossen mit schwärmerischem Naturenthusiasmus so sehr zu erfüllen weiss, dass der Bruder Egidius in orgiastischer Liebesinbrunst zum Schöpfer Felsen und Bäume umarmt, sie mit Küssen bedeckt und mit Thränen benetzt; dass der Bruder Antonius sich mit seiner Predigt an die Fische des Po wendet, als die Menschen ihn nicht mehr hören wollen. Und eine ähnliche Grundstimmung, wenn auch nicht in dieser Überschwenglichkeit, findet sich bei Männern wie Bernhard von Clairvaux, charakterisiert die von dem Deutschen Hugo von St. Viktor ausgehenden romanischen Mystiker, die sogen. Viktoriner, und den grossen Theologen des 13. Jahrhunderts, Johannes Fidanza Bonaventura, und bewegt sich als wirklich zu wissenschaftlichen Versuchen der Natur-Erforschung antreibende Kraft in dem schon oben genannten Raymund Lull, den sie zur Encheiresis naturae, zur Erfassung des innersten Kerns der Natur drängt, und dessen berühmt-wunderlich-logische Künste, dessen mystische Spekulation

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