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zismus verkündigt durch Pyrrhon von Elis, nach welchem er deshalb auch als Pyrrhonismus bezeichnet wird; aber es ist sehr charakteristisch, dass er mit aller Schärfe in Platons Schule selbst hervorbricht. Es ist die sogen. mittlere Akademie, eine Weiterentwicklung der platonischen Schule, welche auf Grund des Platonismus und seines Dualismus die Unmöglichkeit der Erkenntnis behauptet und den Zweifel an Allem als das einzig richtige Prinzip proklamiert. Mit Sicherheit können wir nichts erkennen; anstatt einer Wahrheit giebt es höchstens eine unsichere Wahrscheinlichkeit; man thut in allen Fällen am besten, sein Urteil zurückzuhalten das sind die Resultate, die jetzt gewonnen werden. Und dieser Skeptizismus ist viel wirkungsvoller und durchgreifender und deshalb viel bedenklicher, als der Skeptizismus, den wir bei den Sophisten vor Sokrates finden. Der Skeptizismus der Sophisten lag noch vor der gewaltigen Entwicklungsperiode der griechischen Philosophie, wie sie in Sokrates, Platon und Aristoteles heranwächst. Er hatte hinter sich nur erst die Naturphilosophie und schöpfte aus den Widersprüchen dieser den Beweis für die Unmöglichkeit der Erkenntnis. Der jetzige Skeptizismus dagegen hat die grosse Entwicklung der ganzen griechischen Philosophie hinter sich und kann deshalb von sich sagen und sagt es: Das einzige Resultat alles Forschens und Denkens überhaupt ist nichts Anderes als die Einsicht in die Unmöglichkeit des Erkennens. Ich, der Skeptizismus, bin das einzig Mögliche, die alleinige Wahrheit, das A und das O des menschlichen Denkens. Dieser Skeptizismus wird deshalb auch im Altertum kritisch und erkenntnis-theoretisch nicht mehr überwunden, wie der Skeptizismus und Nihilismus der Sophisten durch Sokrates überwunden wurde. Er bleibt, und indem er alles bisher Geglaubte und Wertgehaltene zersetzt, unterhöhlt er sachte die Fundamente des antiken Wesens, zerfrisst die geniale Selbstsicherheit des klassischen Geistes und nimmt eifrig Teil an der Arbeit, den Zusammensturz der vorchristlichen Weltanschauung herbeizuführen. Bald steigt er auf zu grösserer Höhe, bald sinkt er wieder herab zu geringerer Wirksamkeit, aber bis weit in die christliche Zeitrechnung hinein macht er sich geltend, und erst da verschwindet er, wo der christliche

Glaube so erstarkt ist, dass er als Welteroberer die Zweifellehre, die ihm mit zum Siege verholfen hat, selbst diktatorisch zu Boden werfen kann.

Welches ist nun der Einfluss, den dieser Skeptizismus auf das wissenschaftliche Denken und Forschen ausübt? Wenn es unmöglich ist, theoretisch irgend etwas mit Sicherheit hinzustellen, so ist damit auch ausgesprochen, dass es Thorheit wäre, sich mit wissenschaftlichen Problemen irgendwie abgeben zu wollen. So liegt in diesem Skeptizismus die unmittelbare Anleitung, von jeder gründlichen Beschäftigung mit wissenschaftlichen Untersuchungen sich abzuwenden. Mithin wird nicht bloss die Naturwissenschaft, sondern auch alles übrige gesunde philosophische Denken bei Seite geschoben werden. Durch Mangel an Übung im Denken und Forschen büsst jetzt naturgemäss der menschliche Geist an Kraft ein und sinkt von seiner früheren Höhe herab, und die unmittelbare Folge dieser Trägheit und Schwäche im Denken ist die Hinneigung zu zügellosen Phantastereien und der dunkeln Mystik des Wunderbaren, von deren trüben und regellos hereinbrechenden Fluten die fruchtbare Ackerkrume natürlicher Kausalerkenntnis bald völlig weggerissen wird. Zu demselben Resultat führt aber auch die andere philosophische Richtung, die sich neben dem Skeptizismus und zum Teil unter seinem Einfluss Bahn bricht und dessen Wirkung beträchtlich vergrössert:

2) Der Epikureismus.

Wenn es ganz unmöglich ist, irgend eine theoretische Sicherheit zu gewinnen, so bleibt offenbar für das Interesse des Menschen das Feld der praktischen Lebensführung als Gegenstand seines Nachdenkens allein übrig, und es beschäftigt ihn nur noch die einzige Aufgabe, wie er sich sein Leben so glücklich wie möglich gestalten könne, d. h. er als rein egoistischer Einzelmensch, denn das Glück der Gesamtheit bleibt ihm gleichgültig. Das theoretische Erkennen wird also zu Gunsten rein praktischer Fragen der menschlichen Glückseligkeit bei Seite geschoben. Wie können wir glücklich leben? Diese nunmehr

brennend gewordene Zeitfrage will Epikur (geb. 341 v. Chr.), eine grossartige und keineswegs im Sinne des Schlemmers, der Karrikatur des echten Epikureers, zu denkende Persönlichkeit, beantworten.

Um glücklich zu leben, müssen wir uns zunächst von alle dem befreien, was uns unglücklich macht, also von dem ganzen Heer der Leiden, denen der Mensch ausgesetzt ist. Volle Leidensfreiheit in körperlicher wie geistiger Beziehung ist also die negative Bedingung zum Glück. Aber positiv werden wir erst dadurch glücklich, dass wir wirklich geniessen. Der höchste Gipfel, nicht bloss des materiellen, sondern vor allen Dingen des geistigen Genusses, auf welchen Epikur ein ganz besonderes Gewicht legt, muss erstiegen werden, will man der Glückseligkeit sich teilhaftig machen, und nun rechnet Epikur mit ausserordentlichem Scharfsinn alle die Bedingungen aus, durch welche der Mensch sich zu diesem Zustand höchster Befriedigung erheben kann.

Um fortgesetzt geniessen zu können, dazu gehört vor allen Dingen die fortgesetzte Erhaltung der Genussfähigkeit. Diese wird aber nur dann vollständig bewahrt, wenn der Genuss nur selten und in mässigem Grade gesucht wird. Zu viel geniessen macht in jedem Falle unfähig zum Genuss: Mässig geniessen! ist darum der erste Grundsatz, den Epikur ausspricht, und erst der spätere Epikureer sinkt, fern von der geistigen Grösse des Stifters der Schule, in den Abgrund der Schlemmerei hinab, wo die Horazische Bezeichnung,,sus de grege Epicuri" auf ihn passt. Der echte Epikureer dagegen ist der durch und durch mässige Mann, der sich für die feinsten körperlichen wie geistigen Genüsse fortwährend frisch erhält.

Was nun die Welt- und Naturauffassung des Epikureers anbetrifft, so kann offenbar nur ein solches System ihm genügen, das möglichst genau zu seinem Glückseligkeitsideale passt. Eine Welt, wie Platon sie wollte, voll von dämonischen und fatalistischen Einflüssen, die mit unberechenbarer Willkür den Menschen ergreifen und seinem Glücke entreissen können, ist dem Epikureer unheimlich. Eine solche Weltauffassung mit ihren Gespenstern und trüben Nebeln flösst dem Gemüte Furcht ein und quält die Einbildungskraft mit allerlei Bedenken und Schauern, welche die

Behaglichkeit des Genusses zerstören. Darum denkt sich der Epikureer die Welt bloss als Natur; etwas Übernatürliches kann und darf es für ihn nicht geben, und so ist denn die Lehre Demokrits, der rein atheistische Materialismus, die physikalische Grundlage für die ethische Lehre des Epikureismus. In dieser Welt des blossen Stoffes, wo alles nur nach mechanischen Ursachen und Wirkungen geschieht, giebt es keine unheimlichen Dämonen, kein Fatum, das den Menschen in seiner despotischen Launenhaftigkeit grundlos überfallen könnte; die Götter werden (eine andere Art der Götterdämmerung) von Epikur aus der Natur hinaus in die leeren Zwischenräume zwischen den verschiedenen Welten verbannt, und es wird ihnen, mediatisiert wie sie sind, nicht der geringste Einfluss auf die Natur- und Menschenwelt gelassen.

Wenn dies in kurzen Zügen das Bild des Epikureismus ist, so liegt es auf der Hand, dass, um wirklich im Sinne desselben zu leben, es ausserordentlich starker und willenskräftiger Charaktere bedarf. Denn es wird ja hier der Genuss als Prinzip proklamiert und doch die Herrschaft über die Genüsse gefordert. Nicht der Mensch soll dem Genuss, sondern der Genuss dem Menschen unterthan sein. Der Genuss soll nicht an sich letzter Zweck, sondern nur Mittel zur Glückseligkeit sein. Bei schwachen Charakteren, also bei der Mehrzahl der Menschen, wird sich aber dies Verhältnis stets umkehren, zuerst der materielle Genuss den geistigen ganz und gar verdrängen, und dieser dann selbst in üppige Masslosigkeit und wüste Schlemmerei ausarten. Und das sind denn auch die Früchte, die der Epikureismus wirklich trägt. Wollust und Völlerei glauben durch Epikur ihre philosophische Begründung und Rechtfertigung erhalten zu haben, und tragen mit der furchtbaren Schamlosigkeit, wie sie in späterer Zeit uns Juvenals Satiren schildern, ihre geile Nacktheit zur Schau. Die Folge davon ist körperlicher wie geistiger Verfall, und noch wirksamer als der Skeptizismus befördert somit der Epikureismus das Entstehen von Schwäche und Faulheit im Denken. Trotzdem, dass Epikur ja gerade die Natur als verehrungswürdige Göttin auf den Thron erhoben hatte, als welche sie auch seinen kongenialen Jüngern, wie dem Lucrez, erscheint; trotzdem, dass man erwarten sollte, gerade

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von hier aus die Naturwissenschaft einen neuen Aufschwung nehmen zu sehen zeigt sich, dass in dem blossen viehischen Genuss des Natürlichen das wahre Interesse an der Natur bald zu Grunde geht. Völlige Teilnahmlosigkeit für jede ernste Forscherarbeit über Welt und Natur vernichtet bald jedes Verständnis für das wirkliche Wesen derselben, abergläubische Phantasterei setzt sich dafür an die Stelle, und ihr Mystizismus leitet von selbst hinüber zur positiven Naturverachtung. Auch der Stoizismus endlich, so würdig sonst seine äussere Erscheinung ist, wirkt doch in letzter Instanz an der Heraufbeschwörung dieses Zeitverhängnisses mit.

3) Der Stoizismus.

Bei genauerer Betrachtung hat Epikur die Bedingungen zur sicheren Erreichung der Glückseligkeit doch nicht richtig angegeben. Die Frage: wie werde ich glücklich? muss tiefer, gründlicher, ethischer gefasst und beantwortet werden, und eben das erstrebt der Stoizismus, dessen Begründer Zeno von Cittium wird (lebte zwischen 350 und 258 v. Chr.). Worin ist offenbar der Epikureismus mangelhaft? Das Glück soll bestehen in der Leidensfreiheit und im Genuss. Aber wir können die Leidensfreiheit nicht ohne weiteres befehlen; die ganze Flut körperlicher, geistiger und gemütlicher Leiden in der Welt stürzt auf uns ein, und wir können ihr nicht entfliehen. So bleibt die Leidensfreiheit eine unrealisierbare Chimäre. Und wenn mein Glück abhängig ist vom Genuss, so ist es offenbar auch abhängig von den Gegenständen des Genusses, den Genussmitteln. Fehlen mir jemals diese, wo bleibt mein Glück? Ja, die Entbehrung nach dem Besitze wird den Mangel um so schmerzlicher empfinden lassen. Darum sagt der Stoizismus: Nur dann bist du glücklich, wenn du überhaupt keinen Mangel irgend welcher Art empfindest. Wer begehrt, empfindet Mangel, denn begehren ist vermissen, ist haben wollen, was man leider nicht hat. Wer aber Mangel empfindet, ist unglücklich. Willst du mithin von jedem Unglück dich befreien, so musst du aufhören, irgend etwas zu begehren. Begehre nichts! lautet die erste grosse Mahnung des Stoizismus.

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