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ist auch in anima nur sekundär, seiner Entstehung wie seinem Erkenntniswerte nach, die Anschauung ist in jedem Falle das Primäre. Platon stellt den Erkenntnisprozess auf den Kopf, wenn er, wie im Universum, so in der Seele die Begriffe das erste, der Zeit wie der Beschaffenheit nach, die konkreten Anschauungen das zweite sein lässt. Nicht bloss die Entwicklung des kindlichen Individuums zeigt den Gang vom Sinnlich-Konkreten zum BegrifflichAbstrakten, sondern auch die Entwicklung der gesamten Menschheit dokumentiert ihn in Sprache, Wissen und Wollen: hätte es z. B. zu Platons Zeiten schon unsere Sprachvergleichung gegeben, er hätte nie die Ideenlehre aufstellen können; denn die Sprachwissenschaft zeigt ja überall, wie die Wörter, welche heute den höchsten geistigen und abstrakten Sinn haben, ursprünglich nichts anderes als blosse Sinneswahrnehmungen konkretester Natur bedeuteten, wie also das Konkret-Sinnliche das Primäre war (z. B. Weisheit, Wissen, Witz, Wittern; Sapientia von sapere schmecken u. s. w.).*)

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Vielleicht wird mancher meiner Leser schon ungeduldig sich fragen: Wozu denn all dieses? wer wird denn so thöricht sein, einen abstrakten Begriff für eine reale Existenz zu halten? Aber er wird seine Ungeduld zügeln, sobald er hört, dass Platon wie Aristoteles, wie das gesamte Mittelalter, wie noch heut zu Tage ein grosser Teil selbst der Naturwissenschaftler in der That dem allgemeinen Begriff reale Existenz zuschrieben und zuschreiben. Vergebens kämpften im Mittelalter die Nominalisten gegen diese Auffassung; die Philosophie Bacons, Hobbes', Lockes, Berkeleys, Humes hat, man kann ohne Übertreibung sagen, keinen anderen Inhalt, als die Aufgabe, diesen Wahn zu zerstören, so dass Hume z. B. die unter ,,drittens" angeführte Auseinandersetzung, welche ihrem Grundgedanken nach Berkeley zuerst gab, mit Recht als,,eine der grössten und wichtigsten Entdeckungen, welche die Philosophie der jüngsten Zeit gemacht habe", bezeichnen konnte. Sobald wir im Folgenden den Leser zu den aus dieser

*) Die Beweise Occams gegen die Begriffe als Ideen geben wir erst bei der Darstellung der Frage im Mittelalter.

falschen Auffassung sich ergebenden grossartigen Konsequenzen einer ganzen Weltanschauung hinführen, wird er erfahren, wie treffend der scharfsinnige Hume urteilte.

Im Gegensatz zu dem wahren Wesen des allgemeinen Begriffs als eines blossen Denkaktes erteilt Platon ihm, wie gesagt, eine von unserem Denken ganz unabhängige reale Existenz. Die Hauptmomente in der Schlussfolgerung dazu sind diese, die wir zum Zweck der Kritik mit Ziffern versehen wollen: 1) Das wahrhaft Wirkliche ist das, worin die urteilenden Menschen übereinstimmen; 2) die Menschen stimmen in dem überein, worin die beurteilten Dinge übereinstimmen; 3) die Dinge stimmen in dem ihnen Gemeinschaftlichen überein, d. h. in ihrem allgemeinen Begriff also der allgemeine Begriff ist das wahrhaft Wirkliche; 4) schliesst Platon nun weiter: Dieses wahrhaft Wirkliche wäre nicht wahrhaft wirklich, wenn es nicht existierte. Also existiert es, und ist demnach der allgemeine Begriff ein von unserem Denken ganz unabhängig für sich bestehendes, wirkliches Wesen.

Ehe wir das Wesen der platonischen Idee weiter entwickeln, unterwerfen wir die eben gegebene Deduktion einer neuen Kritik. Dass der unter 1) gegebene Satz falsch ist, und dass der consensus omnium kein Kriterium der Wahrheit bildet, vielmehr die darauf gebaute Schlussfolgerung eine ontologische ist, haben wir bereits oben entwickelt.

Ad 2). Das, worin die urteilenden Menschen übereinstimmen, deckt sich durchaus nicht mit dem, worin die beurteilten Dinge übereinstimmen, aus dem einfachen Grunde, weil die Menschen über die Dinge falsch urteilen können und es oft genug thun. Die Dinge können ihnen in einem Punkte übereinzustimmen scheinen, in dem die Dinge in Wirklichkeit durchaus nicht übereinstimmen. Jede falsche Klassifikation der Dinge, jede falsche Naturtheorie ist Beispiel dafür. Weil die urteilenden Menschen denken, die Dinge stimmen in diesem oder dem überein, deshalb sind dieselben durchaus noch nicht einstimmig. Die Denk notwendigkeit ist noch nicht die Seins notwendigkeit, geschweige ist die Denkeinstimmigkeit einer Anzahl von Menschen eine Norm für das

wahre Natur sein der Dinge. Hier haben wir demnach einen ontologischen Schluss.

Ad 3). Die Dinge stimmen in dem ihnen Gemeinschaftlichen, d. h. in dem allgemeinen Begriff überein. Die einzelnen wirklichen Dinge in der Natur stimmen überhaupt nicht in ,,dem allgemeinen Begriff" überein. Denn der Begriff ist nur ein Gedachtes, nur eine Abstraktion in unserem Kopfe, die mit den wirklichen Naturdingen keine andere Beziehung hat, als in die wir sie rein subjektiv in unserem Denken setzen, die aber objektiv, von uns ganz unabhängig, in der Natur der Einzeldinge selbst gar keine Beziehung hat, weil sie für diese und in ihnen überhaupt gar nicht existiert. Ein bloss subjektiv Gedachtes wird also auch hier wieder für objektiv Seiendes genommen, Denken Sein gesetzt, d. h. auch hier wieder der ontologische Beweis gebraucht.

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Ad 4). Hier tritt uns wiederum nackt und unverhüllt der ontologische Beweis entgegen. Weil ich den ,,allgemeinen Begriff" (und zwar in Folge einer Reihe von Irrtümern und Fehlschlüssen, die wir dargelegt haben) als etwas Wirkliches denke, deshalb ist er wirklich, existiert er. Weil ich mir auf Grund einer Reihe von Schlüssen die Sonne als von Wesen bevölkert denke, die aus Platina konstruiert sind, deshalb ist sie von solchen Wesen bevölkert. Wir haben bereits bei Gelegenheit der eleatischen Philosophie das ontologische Verfahren geschildert; dort trat es noch verhältnismässig unschuldig auf, jetzt aber werden wir es so ideenschwanger finden, dass ganz neue Welten aus seinem Schosse herausgeboren werden. Denn der ganze Platonismus beruht in der That überall auf dem ontologischen Schluss als seinem Grundfundament.

Das in den Einzeldingen allein wahrhaft Wirkliche ist der allgemeine Begriff, der ein existierendes Wesen ist, die Idee. In allen einzelnen Bäumen, so viele und so verschiedene sind, ist also das Wirkliche nur der Allgemein-Baum, der Idee- Baum, die Baum-Idee. Alle einzelnen Eichen, Tannen, Buchen, Palmen sind nichts wahrhaft Wirkliches, sie sind vergänglich und hinfällig. Das Bleibende ist nur die Idee-Eiche, die Idee-Tanne, oder, da über all diesen noch ein allgemeiner Begriff ,,Baum" steht, die

Baum-Idee.

Da alle einzelnen Bäume hinfällig und nichtig sind, da nur die Baum-Idee das Wirkliche ist, so ist sie auch allein das wahrhaft Wirkende, d. h. das Hervorbringende, Schaffende, Erhaltende. Die Baum-Idee ist also die schöpferische Ursache, der erzeugende Urgrund der Bäume; so die Löwen - Idee die schöpferische Ursache der Löwen, die Menschen-Idee die der Menschen, die Tisch-Idee die der Tische, die Wasser-Idee die des Wassers, die Becher-Idee die der Becher etc. etc. Die platonische Idee ist also eine neue Form der Kausalität die uns in der Entwicklung des Denkens entgegentritt, und die, wie wir schon oben andeuteten (S. 57), in sich enthält das alte Form-Prinzip der Pythagoreer, verfeinert und entwickelt nach eleatisch-ontologischer Weise. Die Ideen sind die eigentlichen hervorbringenden, ewigen Ursachen der vergänglichen Dinge; sie sind die absolut vollkommenen Urbilder, deren mangelhafte Abbilder die erscheinenden Dinge dieser Welt sind. So viele Klassen oder Arten von Dingen, oder was dasselbe sagt, so viele Allgemeinbegriffe, die ja die Bezeichnungen der Gattungen und Arten sind, es giebt, so viel Ideen giebt es. Die Ideen sind die hervorbringenden Kausalitäten, die in der Natur und auf die Natur wirkenden Kräfte, sie sind die ,,Mütter" aller Dinge, wie Goethe sie im zweiten Teil des Faust nennt. So viele Arten von Naturwesen überhaupt vorhanden sind, so viele Kausalitäten oder wirkende Kräfte von ganz besonderer, jede andere ausschliessender Beschaffenheit giebt es. In diesem Gedanken und seinen Konsequenzen liegt nun hinsichtlich der wahrhaft wissenschaftlichen Betrachtung und Erklärung der Dinge ganz entschieden ein gewaltiger Rückschritt gegenüber den Tendenzen, welche die vorsokratischen Naturphilosophen im Geiste wahrhaft kritischer Wissenschaft bereits verfolgten. Jede wahre Wissenschaft hat das Streben, die,,Einheit der Natur" so viel wie möglich zu bewahren. Deshalb sucht sie aus möglichst wenig Prinzipien möglichst viele Erscheinungen zu erklären oder, anders ausgedrückt, der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen möglichst wenige Kausalitäten zu Grunde zu legen. So strebt die moderne Naturwissenschaft danach, auf immer wenigere, allgemeinere Gesetze (= Kausali

täten) die spezielleren Gesetze zurückzuführen. Das platonische Verfahren ist das ganz entgegengesetzte: Hier giebt es für jede Dinggruppe, für jede Gattung, für jede Spezies eine eigene und besondere Kausalität, die unwandelbar von Ewigkeit zu Ewigkeit dieselbe bleibt und mit keiner anderen ihrem Wesen nach identisch ist. Für die Spezies A giebt es hier die A-Kausal-Idee, für die Spezies B die jede andere ausschliessende B-Kausalidee etc. etc. Die,,einheitliche Natur" wird also hier in schlimmer Weise in zahllos viele, einander ausschliessende Naturen zerlegt; die eine Kausalkraft, in der alle Naturerscheinungen in letztem Grunde stammverwandt sind, zerfällt in zahllos viele partikularistische Kräfte. So erklärt man denn das Wesen keines einzigen Dinges mehr aus den Urelementen, die es konstituiert haben, und die in allen, der erscheinenden Form nach noch so verschiedenen Dingen im Grunde dieselben sind, sondern setzt jedes Ding selbst in seiner Ganzheit schon als eine Urwesenheit voraus. Man erklärt also den Löwen durch das Löwenwesen = Löwenidee, den Bären. durch das Bärenwesen = Bärenidee; man erklärt also dasselbe durch dasselbe, idem per idem, d. h. das erst zu Erklärende setzt man als Erklärungsgrund bereits voraus, man giebt eine tautologische Erklärung, die bekanntlich keine ist. So ist demnach offenbar die Naturerklärung durch die ,,Idee", d. h. durch den existent gedachten Gattungs- oder Spezies - Begriff eine durchaus unwissenschaftliche und nichtssagende; und um nichts besser als die S. 32 gekennzeichnete polytheologische Erklärungsweise ist diese polyideologische, ja sie ist im Grunde mit jener identisch, wie denn auch die Neuplatoniker die Ideen wieder mit Göttern identifizieren (die Idee des Meeres Poseidon etc.), und aus den Ideenordnungen Götterordnungen machen. In der christlichen Fortentwicklung der Lehre setzt dann Dionysius Areopagita statt der Götterordnungen die Engelordnungen (Seraphim, Cherubim, Throni u. s. w.).

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Wir müssen jetzt das Wie und Wo der platonischen Ideen noch eingehender kennen lernen. Die Welt enthält zahllos viele Arten von Wesen, mithin giebt es auch zahllos viele,,Ideen"; der Welt von Dingen entspricht also eine Welt von Ideen, eine

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