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Dogmatismus, unter dem wir noch heute mehr oder weniger zu leiden haben und zwar war es der Platonismus, der aus dem Sokratismus hervorblühend, dem Mittelalter diesen dogmatischen Kern und Inhalt gab.

Auf Grund der Sokratischen Bestimmungen philosophiert nun Platon (427 [428]-347 v. Chr.) folgendermassen weiter: Das, worin die urteilenden Menschen übereinstimmen, ist das Wahre, das wahrhaft Wirkliche. Nun beziehen sich doch die Urteile auf die Objekte, auf die Dinge. Die Urteilenden in ihren Urteilen. können also nur in dem übereinstimmen, worin die Dinge übereinstimmen. Das mithin, worin die Dinge übereinstimmen, ist an den Dingen das wahrhaft Wirkliche. Worin stimmen denn die Dinge überein? In dem, was ihnen gemeinschaftlich ist. Und was ist dieses Gemeinschaftliche? Betrachten wir z. B. die Bäume. Alle Bäume sind einander darin gleich, dass sie Wurzeln, Stamm, Äste, Blätter haben; sie sind aber darin ungleich, dass ihre Stämme, Äste, Blätter an Grösse, Form, Farbe u. s. w. vielfältig von einander abweichen. Das Verschiedene also, wie die bestimmte Grösse, Form, Farbe u. s. w., worin die Bäume nicht übereinstimmen, ist nicht das wahrhaft Wirkliche der Bäume, sondern nur das, was sie alle gemeinsam haben. Dieses vielen, sonst im Einzelnen von einander abweichenden Dingen Gemeinschaftliche ist das, was wir als den allgemeinen Begriff dieser Dinggruppe bezeichnen. Also nur der Inhalt des allgemeinen Begriffs ist nach Sokrates-Platon das wahrhaft Wirkliche der Dinge. Dieses wahrhaft Wirkliche wäre aber nicht wahrhaft wirklich, schliesst Platon weiter, wenn es nicht existierte. Also existiert es, und ist demnach der allgemeine Begriff ein von unserem Denken ganz unabhängig für sich bestehendes, wirkliches Wesen. Diesen so als existierendes Wesen genommenen allgemeinen Begriff nennt nun Platon ,,Idee" (daher seine metaphysische Grundlehre als ,,Ideenlehre" bezeichnet wird), ein Wort, welches bei ihm, wie nun einleuchtet, durchaus nicht den modernen Sinn eines blossen Gedankens hat, vielmehr im Griechischen als dos oder idéa die plastische Gestalt, das anschauliche Bild bedeutet und also die wirkliche Urgestalt, das Urvorbild, das

Urmodell, den existenten begrifflich-allgemeinen Urtypus einer Gruppe gleichartiger Dinge bedeuten soll.

Machen wir hier erst einen Augenblick Halt in der Deduktion, um uns über das wahre Wesen des allgemeinen Begriffs, des Kardinalprinzips alles folgenden Philosophierens, kritisch klar zu werden. Was ist dieser allgemeine Begriff? Erstens: Der allgemeine Begriff z. B. der Bäume also Wurzel, Stamm, Äste, Blätter ganz in abstracto enthaltend soll das wahrhaft Wirkliche an den Bäumen sein, dem gegenüber mithin die bestimmte Zahl und Gestalt der Wurzeln z. B. dieser Eiche, ebenso deren gerade so beschaffener, knorriger, schwarzbrauner Stamm, ebenso deren gerade so geschnittene Blätter u. s. w., kurz alles daran sichtbar, tastbar, überhaupt sinnlich wahrnehmbar uns entgegen springende Konkrete nicht wahrhaft wirklich sein soll. Ist denn wirklich dieses Eichblatt, das ich sehe und taste, nicht ein wirkliches Eichblatt? Sind alle jene einzelnen Blätter, jene einzelnen Äste, Stämme, Wurzeln nicht wirklich und nur ,,das Blatt, der Stamm etc. im Allgemeinen" wirklich? Sind jene verschiedenen Einzelheiten weniger wirklich als jene Allgemeinheiten? In Wahrheit besteht der,,Baum" doch wohl aus der Summe aller seiner Wurzeln, seiner Äste, Blätter, d. h. aus der Summe aller seiner Einzelheiten. Sind diese Einzelheiten nicht wirklich, so ist auch der ganze Baum nichts Wirkliches. Ist der ganze Baum wirklich, so sind es auch alle seine Einzelheiten, woraus er lediglich besteht. Also in Wahrheit setzen sich jene Allgemeinheiten erst aus lauter Einzelheiten zusammen; in Wahrheit sind nur diese konkreten Einzelnen wirklich, der Baum im Allgemeinen, abgesehen von allem Einzelnen und ohne alles Einzelne, nur ein Gedankending, ausser dem Gedanken aber ein Nichts. Man ziehe doch einmal alle Einzelheiten von dem Baume ab. Was bleibt? Lediglich Null. Jener allgemeine Begriff ist also ausserhalb unseres Denkens gar nichts Wirkliches, sondern nur ein Gedachtes. Wir wollen dies jetzt zweitens auch in indirekter Weise zeigen. Angenommen der allgemeine Begriff, z. B. Baum, wäre ein wirklich existierendes Wesen, so müsste dieses, da es nur Baum im Allgemeinen, aber gar kein bestimmter Baum

ist, weder eine Eiche, noch eine Tanne, noch eine Buche, noch eine Palme, noch irgend ein in concreto existierender Baum sein; und doch müsste es, da ja der allgemeine Begriff ,,Baum" alle Bäume umfasst, gleichzeitig sowohl Eiche, als Tanne, als Buche, als Palme, als jeder andere existierende Baum sein. Es müsste also der allgemeine Begriff,,Baum" gleichzeitig nichts baumhaft Existierendes und alles baumhaft Existierende sein; und so bei jedem anderen Allgemeinbegriff, wie bei Pferd, Mensch etc. Der Begriff ist also nur ein Gedachtes, nichts ausser dem Denken Existierendes, und daraus erklärt sich das Verhältnis zwischen Ding und Begriff. Jedes individuelle Ding entspricht dem Begriff und thut es nicht. Denn es hat die im Begriff enthaltenen Merkmale, aber als konkretes Individuum hat es unzählig viel mehr Merkmale, die eben seine Individualität ausmachen gegenüber jeder anderen Individualität. Aber drittens: Wenn wir sagen: Der Begriff ist nur ein Gedachtes, so müssen wir auch hier noch eine Einschränkung machen, indem wir hinzufügen: aber nichts. in bestimmter Weise Vorstellbares. Man versuche es doch, sich den Begriff „Dreieck" deutlich vorzustellen: Es dürfte die Vorstellung weder eines gleichseitigen noch eines ungleichseitigen, weder eines rechtwinkligen noch schiefwinkligen sein ein solches abstraktes Dreieck sich vorzustellen, ist unmöglich; stets ist es ein Dreieck von bestimmter Form und Grösse, das sich in unserer Vorstellung erhebt, sobald wir es innerlich deutlich und klar anschauen. So bei jedem Begriff wie Mensch, Tier, Hund u. s. w. Wir stellen niemals abstrakte Begriffe, sondern stets konkrete Anschauungen vor, sobald wir deutlich vorstellen. Es ist höchst interessant, sein Vorstellen unter diesem Gesichtspunkt z. B. beim Lesen einer Erzählung zu beobachten. Sobald man sich genau kontrolliert, entdeckt man, dass man ganz unwillkürlich die geschilderten Gegenden sich bildet nach denen, die man selbst einmal in Wirklichkeit gesehen hat, oder die Begebenheiten in Örtlichkeiten verlegt, die man selbst besucht und kennen gelernt hat, und die den geschilderten am meisten ähnlich sind. Ein anderes Experiment zum Beweis ist dies: Man lasse sich abstrakte Wörter zurufen und beobachte, welche Vorstellung im Geiste ohne weiteres auf

taucht; z. B. Hund. Es ist nicht ein Hund in abstracto, sondern der noch gestern von mir gestreichelte Hund meines Freundes, der mir plötzlich dabei einfällt, und so in jedem anderen Falle. Also der allgemeine Begriff, geschweige dass er etwas ausser unserem Denken für sich existierendes Wirkliches sei, ist auch in unserem Denken so wenig wirklich, dass er nicht einmal eine deutliche konkrete Vorstellung ist, er ist also nur ein Wort, und zwar ein Wort, das ein Postulat enthält, die Forderung, dass man sich bei diesem Worte einen konkreten Repräsentanten, ein Beispiel aus der Gruppe von Wesen vorstelle, auf welche sich das Begriffswort bezieht. Der ungeheure Wert des Begriffes für unser abstraktes Denken, das Hobbes mit Recht, wenn auch einseitig, als eine Art Rechnen mit Wortzeichen charakterisiert, wird dadurch nicht im Mindesten geschmälert, der Begriff selbst aber auf sein wahres Wesen zurückgeführt und seiner ihm zum unermesslichen Schaden der Wissenschaft zugelegten Wesenheit als einer realen, von uns unabhängigen Existenz entkleidet.

Man darf aber auch den Erkenntniswert des abstrakten Begriffes durchaus nicht überschätzen; selbst sein Erkenntniswert ist nur ein relativer, wie Spinoza bereits gezeigt hat. Denn der Begriff giebt stets nur eine unvollständige oder inadäquate, niemals eine vollständige oder adäquate Erkenntnis. Die adäquate Erkenntnis z. B. eines Baumes ist die klare und deutliche Vorstellung aller seiner Merkmale; diese kann ich offenbar nur haben in der unmittelbaren Anschauung des Baumes und durch dieselbe. Der abstrakte Begriff,,Baum" dagegen enthält nur einige wenige Merkmale, etwa die Vorstellungen,,Wurzeln, Stamm, Äste, Blätter" und lässt also die ganze unzählige Fülle der konkreten Merkmale aus. Während mithin die unmittelbare Anschauung des wirklichen Baumes die adäquate Gesamtvorstellung giebt, enthält der abstrakte Begriff nur einen Teil der Merkmale, ist also selbst nur Teilvorstellung und gewährt nur eine inadäquate Erkenntnis. Daauch das blosse Begriffswissen ohne Anschauung blind und leer her bleibt. Denn auch die psychologische Entstehung des abstrakten Begriffes lehrt uns, dass der Begriff keineswegs hervorgeht aus einem Prozess geistiger Erhellung, Erläuterung und Aufklärung,

vielmehr aus einem Prozess der Verdunklung, des Vergessens und der Verundeutlichung. In der sinnlichen Anschauung nahmen wir eine Anzahl verschiedener Bäume klar und deutlich wahr. Entfernt von ihnen, bleiben in unserer Erinnerung nur wenige der Eindrücke zurück, nämlich diejenigen, deren Intensität deshalb am stärksten war, weil sie sich bei jedem Baume wiederholten: d. h. die Merkmale, in denen die einzelnen Bäume sich ähnlich sind. Die ganze ungeheure Fülle der konkreten Verschiedenheiten, worin gerade das charakteristische Wesen des individuellen Baumes besteht, dagegen verschwimmt uns und gerät endlich völlig in das Dunkel der Vergessenheit. So ist der Begriff nur ein schwacher Überrest der adäquaten Vorstellung, ein Torso, der gerade deshalb auch so ausserordentlich vieldeutig ist, sehr verschiedene Erklärungen zulässt und vielfache Missverständnisse erregt. Je abstrakter der Begriff wird, um so weniger Merkmale enthält er, um so torsohafter wird er; die abstraktesten Begriffe stehen also der adäquaten Erkenntnis am fernsten. Ja, der abstrakte Begriff wird endlich noch um so schwankender und unbestimmter seinem Erkenntnisgehalt nach, insofern er sich bei verschiedenen Menschen je nach ihren verschiedenen Interessen ganz verschieden bildet. Jeder apperzipiert an den Gegenständen am stärksten diejenigen Merkmale, die seinem Interesse am meisten entsprechen, alles übrige bleibt in der Dämmerung. Da nun die Interessen verschieden sind, so ist auch das Vorstellungsresiduum von denselben Anschauungen in verschiedenen Menschen sehr verschieden, d. h. jeder bildet einen anderen abstrakten Begriff auf Grund derselben Objekte. Der Holzhändler betrachtet einen Baum unter den Gesichtspunkten von Brenn- und Nutzholz, der Obsthändler hinsichtlich der Art und Beschaffenheit seiner Früchte, der Maler hinsichtlich seiner malerischen Form, der Botaniker hinsichtlich seiner physiologischen Prozesse jeder hat also einen merklich verschiedenen Begriff ,,Baum". Wenn zwei dasselbe vorstellen, so ist es nicht dasselbe, könnte man hier travestierend sagen, und es kann uns nach alledem nicht Wunder nehmen, wenn Spinoza die notiones universales als prorsus ficticias bezeichnet. Der abstrakte Begriff also, weit davon entfernt, ein extra animam existierendes Wesen zu sein,

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