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Alles, was darauf abzweckt, unsere Fähigkeiten zu beschränken, ist immer eine h.rabwürdigende Lehre; man muß sie auf das erhabene Ziel des Das seyns, auf die moralische Vervollkommnung, hins leiten. Nicht durch die partielle Ertödtung der einen øder der andern Potenz unseres Wesens seßen wir uns in den Stand, dieses Ziel zu umfassen; uns ihm zu nähern, haben wir der Mittel nicht zu viel, und wenn der Himmel dem Menschen mehr Genie beschieden hatte, so würde er eben dadurch um so viel mehr Tugend haben. :

Unter den verschiedenen Zweigen der Philosophie ist die Metaphyfik derjenige, welcher die Deutschen besonders beschäftigt hat. Die Gegenstände, welche sie umfaßt, können in drei Classen getheilt werden. Die erste bezieht sich auf das Geheimniß der Schōpfung, d. h. auf das Unendliche in allen Dingen; die zweite auf die Bildung der Ideen im menschlichen Geiste; die dritte auf die Uebung unserer Fähigkeis ten, ohne zur Quelle derfelben aufzusteigen.

Das erste dieser Studien, ich meine dasjenige, wodurch man das Geheimniß des Universums fens nen lernen möchte, ist bei den Griechen eben so betrieben worden, wie es gegenwärtig von den Deutschen betrieben wird. Läugnen läßt sich nicht, daß eine solche Untersuchung, wie erhaben sie auch in ihrem Princip sey, uns unsere Ohnmacht auf jedem Schritte fühlbar mache; und auf Anstrens gungen, welche zu keinem Ergebniß führen, folgt Muthlosigkeit. Die Nüglichkeit der dritten Classe metaphysischer Beobachtungen, die, welche sich auf die Kenntniß der Acte unseres Verstandes beschränkt, kann nicht bestritten werden; allein diese Nüglichkeit begränzt sich durch den sirkel täglicher Erfahrungen.

Die philosophischen Forschungen der zweiten Classe, die, welche die Natur unserer Scele und den Urs sprung unserer Ideen umfassen, scheinen mir von allen die anziehendsten zu seyn. Es ist nicht wahrs fcheinlich, daß wir jemals zu Anschauen der Wahrs heiten gelangen werden, welche die Existenz dicser Welt erklären: das Verlangen, welches wir darnach) fühlen, gehört zur Zahl der edlen Gedanken, die uns nach einem andern Leben hinziehen. Aber ge, wiß ist uns die Fähigkeit, uns selbst zu erforschen, nicht vergeblich ertheilt worden. Dieser Fähigkeit bedienen wir uns zwar schon dann, wenn wir den -Gang unseres Geistes, so wie er ist, beobachtenz aber wenn wir uns noch höher erheben, wenn wir zu erforschen suchen, ob dieser Geist unkräftig hans delt, oder nur, von äußeren Gegenständen augereizt, zu denken vermag: dann werden wir über den frcien Willen des Menschen, und folglich über das Laster und die Lugend, zu besseren Einsichten gelangen.

Denn eine Menge moralischer und religiöser Fragen hängt von der Art und Weise ab, auf welche man den Ursprung und die Bildung unserer Ideen betrachtet; und gerade die Verschiedenheit der Systeme in dieser Hinsicht trennt die deutschen Phis losophen von den französischen. Leicht begreift sich, daß, wenn die Verschiedenheit in der Quelle liegt, sie sich auch in allem offenbaren müsse, was davon abgeleitet wird. Es ist demnach unmöglich, Deutschland kennen zu lernen, ohne den Gang der Philos sophie zu zeichnen, der von den Zeiten Leibnizens bis auf die unsrigen nicht aufgehört hat, eine bes deutende Herrschaft über die Republik der Wissen, schaften auszuüben.

Es giebt zwei Arten, die Metaphysik des

menschlichen Verstandes ins Auge zu fassen: entwes der in der Theorie, oder den Resultaten nach. Die Prüfung der Theorie erfordert eine Fähigkeit, welche ich nicht besige; allein es ist leicht, den Einfluß zu beobachten, welchen die eine oder die andere meta, physische Meinung auf die Entwickelung des Geistes und des Gemüths ausübt. An ihren Frú ch ten sollt ihr sie erkennen, sagt das Evans gelium, und diese Marime kann uns auch bei Prúfung verschiedener Philosophieen leiten; denn alles, was auf Immoralität abzweckt, ist immer nur Sophisterei. Dies Leben hat nur in sofern einen Werth, als es zur religiösen Erziehung unseres Herzens dient, als es uns zu einer erhabeneren Bestimmung vorbereitet, beides durch die freie Wahl der Tugend auf Erden. Metaphyfik, gesellschafts liche Institutionen, Künste, Wissenschaften - alles muß nach der moralischen Vervollkommnung des Menschen gewürdigt werden: dies ist der Probiers stein, der dem Unwissenden, wie dem Unterrichteten gegeben ist. Denn, wenn auch die Kenntniß der Mittel nur ben Eingeweihten zukommt, so sind doch die Resultate für das Fassungsvermögen Al ler da.

Um die Metaphyfik gehörig zu fassen, muß man mit der Methode des Raisonnements vertraut seyn, deren man sich in der Geometrie bedient. In jener Wissenschaft, wie in dieser, zerstört das kleinste Glied der Kette, wenn es übersprungen wird, den Zusammenhang, welcher zur Evidenz führt. Metas physische Raisonnements sind abstracter, und nicht minder scharf, als die der Mathematik; und doch ist ihr Gegenstand unbestimmt. Im Studium der Metaphysit muß man die beiden, am meisten ents

gegengesezten Fähigkeiten vereinigen: Einbildungs, kraft und Berechnung; eine Wolke muß mit eben der Genauigkeit gemessen werden, wie ein Erdflrich, und kein Studium erfordert eine so angestrengte Aufmerksamkeit. Bei dem allen giebt es in den allerhöchsten Fragen immer einen Gesichtspunkt, der dem Fassungsvermögen der großen Mehrheit ents spricht; und dieser ist es, den ich aufzufassen und darzustellen gedente.

Ich fragte eines Tages Fichte'n, einen von den kräftigsten Denkern Deutschlands, ob er mir nicht seine Moral vor seiner Mataphysik mittheilen fönnte? ,,Die eine hängt von der andern ab,“ Dieser Ausspruch war voll tiefen Sinnes; er schließt in sich alle Bewegungss gründe, um derentwillen man sich für die Philos sophie intereffiren kann.

war seine Antwort.

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Man hat sich gewöhnt, fie als die Zerstörerin alles Herzensglaubens zu betrachten. Wäre sie dies wirklich, so würde sie auch die Feindin der Menschen seyn. Aber so verhält es sich weder mit der Lehre Platons, noch mit der der Deutschen. Sie betrach ten das Gefühl als eine Thatsache, als eine ure sprüngliche Thatsache des Gemüths, und geben der pbilofophirenden Vernunft keine andere Bestimmung, als die Bedeutung dieser Thatsache zu erforschen.

Das Räthsel der Welt ist der Gegenstand vieles vergeblichen Nachsinnens für eine große Zahl von Männern gewesen, die der Bewunderung nicht unwürdig waren, weil sie sich zu etwas Besserem berufen fühlten, als diese Welt ist; Geister höherer Art schwärmen unaufhörlich um den Abgrund ends loser Gedanken. Dennoch muß man sich davon wegwenden; denn der Geißt mattet sich vergeblich

in diesen Anstrengungen zur Bestürmung des Him, mels ab.

Der Ursprung des Gedankens hat alle wahre Philosophen beschäftigt. Giebt es zwei Naturen im Menschen? Und wenn es nur eine giebt; ist e der Geist oder die Materie? Giebt es deren zwei, stammen alsdann die Ideen von den Sinnen her, øder entspringen sie aus unserer Seele, oder find fie das zusammengesezte Produkt der Thätigkeit äußerer Gegenstände auf uns hin, und der inneren Fähigkeiten, die wir besigen?

An diese drei Fragen, welche zu allen Zeiten die philosophische Welt entzweiet haben, ist die Forschung gebunden, welche die Zugend unmittel bar berührt, nehmlich, ob Verhängniß oder freier Wille die Beschlüsse des Menschen bestimmt.

Bei den Alten rührte das Verhängniß von dem Willen der Götter her; die Neueren schreiben es dem Laufe der Dinge zu. Bei den Alten hob das Verhängniß den freien Willen; denn der Wille des Menschen kämpfte an gegen die Schickung und der moralische Widerstand war unüberwindlich. Das Verhängniß der Neueren hingegen zerstört nothwens dig den Glauben an den freien Willen; denn wenn die Umstände uns zu dem machen, was wir sind: fo können wir uns ihrem Uebergewicht nicht entgegen stammen; wenn die äußerlichen Gegenstände die Ursache alles dessen sind, was in unserer Seele vorgeht welcher unabhängiger Gedanke sollte uns dann von ihrem Einflusse befreien? Das vom Himmel kommende Verhängniß erfüllte die Seele mit einem heiligen Sch., während das Ver hängniß, das uns an die Erde knüpft, uns nur herabwürdigt. „Aber wozu alle diese Fragen?"

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