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es sind vielmehr ihre Beziehungen auf unsere inneren Gefühle, die uns anregen: Beziehungen, welche sich eben so gut mit Einfachheit als mit Pomp vertragen.

Ich befand mich vor einiger Zeit in einer Lands firche, die von allem Schmuck entblößt war; kein Gemälde zierte die weißen Wandé; die Kirche war feit kurzem erbaut, und kein Gedanke an eine lange Vergangenheit machte sie ehrwürdig; sogar die Mus fik, welche die strengsten Heiligen als einen Genuß der Seeligen in den Himmel verseßt haben - so, gar die Musik ließ sich kaum vernehmen, und die Psalmen wurden von unharmonischen Stimmen ges sungen, welche die irdische Arbeit und die Last der Jahre heiser und verworren gemacht hatten. Aber mitten unter dieser ländlichen Versammlung, der es an allem menschlichen Glanze fehlte, sah man einen frommen Mann, dessen Herz voll war von der Göttlichkeit seiner Sendung *). Seine Blicke, feine Physiognomie, konnten zum Muster dienen für einige von den Gemälden, womit andere Tempel geschmückt sind; seine Töne entsprachen einem Cons cert von Engeln. Da stand vor uns eine mensch), liche Creatur, welche überzeugt war von unserer Un Sterblichkeit, von der unserer verlornen Freunde, von der unserer Kinder, die uns in der Bahn der Zeit nur wenig überleben werden! Die innige les einer reinen Seele erschien als eine neue Offenbarung. Der Mann stieg von der Kanzel, um den Gläubigen, die im Schuße seines Beispiels les ben, das Abendmahl zu reichen. Sein Sohn war, wie er, Geistlicher, und hatte in jungeren Zügen, wie sein Vater, den Ausdruck der Frömmigkeit und

*) Herr Celerier, Pastor von Satigny, bei Genf.

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Andacht. Jest reichten sich, nach dem Gebrauche, der Vater und der Sohn das Brod und den Kelch, welcher bei Protestanten zur Erinnerung an das rührendste aller Mysterien dienen; der Sohn fah in seinem Vater nur den Hirten, in dem von ihm gewählten Stande ergraut; der Vater achtete in seis nem Sohne den Beruf, dem er gefolgt war. Beide. richteten, indem sie das Abendmahl genossen, an einander die Stellen des Evangeliums, welche Frems de wie Freunde mit demselben Bande umschließen sollen; und indem Beide ihre innigsten Gefühle in ihren Herzen bewahrten, schienen fie in Gegenwart der Gottheit; für welche Väter und Söhne gleich sehr Diener des Grabes und Kinder der Hoffnung find, ihre persönlichen Verhältnisse zu vergessen.

Welche Poesie, welche Rührung, als Quelle aller Poesie, könnte in einem solchen Augenblicke dem Gottesdienste fehlen! Die Menschen, deren. Wünsche uneigennüßig, deren Gedanken religiós sind; die Menschen, welche im Heiligthum ihres Gewissens leben, und die Strahlen des Universums in demselben, wie in einem Brennspiegel, zusammenzufassen vers stehn: diese, und nur diese, find Priester des Cultus. der Seele, und nichts vermag fie jemals zu veruns einigen. Eine unausfüllbare Kluft trennt die, welche sich von der Berechnung des Eigennußes, und die, welche sich von ihren Gefühlen leiten lassen; alle übrigen Unterschiede der Meinungen sind nichts, aber dieser ist radical. Möglich, daß einst ein Schrei der Einheit sich erhebt, möglich, daß die Allgemeinheit der Christen dieselbe theologische, politische und moralis sche Religion zu bekennen verlangt; aber bis dies Wunder gezeitigt ist, sollen Alle, die ein Herz has ben, dem fie folgen, sich gegenseitig achten,

Fünftes Capitel.

Von der religiösen Anlage, die man Mysticismus nennt.

Die religiöse Anlage, welche Mysticismus ges nannt wird, ist nichts anderes, als eine innigere Art und Weise, das Christenthum zu fühlen und aufzufassen. Da in dem Worte Mysticismus das Wort Mysterium (Geheimniß) enthalten ist: so hat man gewähnt, die Mystiker hätten außerordentliche Glaubenslehren und bildeten eine besondere Sekte. Mysterien kennen sie nur, in sofern ihr religióses Gefühl dergleichen in sich schließt; und das Gefühl ist zugleich das Klarste, das Einfachste und das Unerklärlichste, was es giebt. Indeß muß man doch die Theosophen, d. h. diejenigen, welche fich, wie Jacob Böhm, St. Martin, u. f. w. mit der philosophischen Theologie beschäftigen, von den einfachen Mystikern unterscheiden. Jene wollen das Geheimniß der Schöpfung ergründen; diese halten sich an ihrem eigenen Herzen. Mehrere Kira chenvåter, Thomas a Kempis, Fenelon, St. Franciskus von Sales, u. f. w. und bei den Protestanten eine Anzahl von englischen und deutschen Schrifts ftellern find Mystiker gewesen, d. h. Menschen, welche aus der Religion eine Liebe machten, und Fie allen ihren Gedanken, wie allen ihren Handluns gen beimischten.

Für die ganze Lehre der Mystiker giebt es keine andere Grundlage, als das religiöse Gefühl, und dieses besteht in einem inneren Frieden voll Leben. Die Stürme der Leidenschaften vertragen sich mit keiner Ruhe; die Gelassenheit eines trockenen und mittelmäßigen Geistes tödtet das Leben des Ger

müths; nur in dem religiösen Gefühl trift man eine vollkommene Vereinigung der Bewegung und Nube. Diese Stimmung ist, glaub' ich, in feinem Meus schen anhaltend, wie fromm-er auch seyn möge; aber die Erinnerung und die Erwartung dieser heis ligen Bewegungen entscheiden über das Betragen. Derer, die sie kennen gelernt haben.

Betrachtet man die Leiden und Freuden des Lebens als eine Wirkung des Zufalls und des Glücksspiels, dann müssen Verzweifelung und Freude, so zu fagen, convulsivische Bewegungen seyn.

Denn

welch ein Zufall, wie der, der über unseré Eristenz gebietet! Welchen Stolz, oder welche Rene muß man nicht empfinden, wenn es auf einen Schritt ankommt, der auf unser Schicksal hat Einfluß haben können? Welchen Foltern der Ungewißheit würs de man nicht preis gegeben seyn, wenn unsere Vernunft allein über unser Geschick in dieser Welt ents schiede? Allein, glaubt man, im Gegentheil, es gebe nur zwei für das Wohlfeyn entscheidende Dinge, nemlich Reinheit der Absicht und Ergebung in das Ereigniß, sobald dieses nicht mehr von uns abs hångt: dann werden unstreitig noch mehrere Um stånde bewirken, daß wir empfindlich leiden, aber feiner wird das Band zerreißen, das uns an den. Himmel knüpft. Gegen das Unmögliche ankämpfen, erzeugt in uns die bittersten Gefühle; und der Zorn des Satans ist nichts weiter, als Freiheit im Kampf mit Nothwendigkeit, ohne Krast diese zu zähmen oder zu unterwerfen.

Die vorherrschende Meinung mystischer Christen ist: die einzige Huldigung, welche Gott gefallen fónne, sey die des Willens, den er dem Menschen seschenkt hat. In Wahrheit, welches noch uneis

gennüßigere Opfer könnten wir der Gottheit dars bringen? Cultus, Weihrauch, Lobgefänge haben. beinahe immer die Glückseligkeiten der Erde zum Zweck, und fo umgiebt die Schmeichelei dieser Welt bie Monarchen: Aber sich in den Willen Gottes er geben, nichts wollen, als was er will, dies ist die reinste religiöse Handlung, deren die menschliche Seele fähig ist. Um von dem Menschen diese Ergebung zu erhalten, werden drei Aufforderungen an ihn gerichtet: die Jugend, die männlichen Jahre und das Alter. Wohl denen, die sich der ersten unterwerfen!

In allen Dingen ist es der Stolz, der Gift in die Wunde bringt; die rebellische Seele klagt den Himmel an. Der religiöse Mensa hingegen läßt den Schmerz nach der Absicht Dessen wirken, der ihn verhängt hat. Er bedient sich aller Mittel, die in seiner Gewalt stehen, ihn zu vermeiden, oder zu erleichtern; aber wenn das Geschick unwiderruf, lich ist, so find die geheiligten Charaktere des höchs ften Willens darin ausgedrückt.

Giebt es ein zufälliges Unglück, das mit dem Alter und dem Tode verglichen werden könnte? Und doch ergeben sich beinahe alle Menschen darein, weil es dagegen keine Waffen giebt. Woher kommt es also, daß Jeder sich gegen besonderes Unglück empórt, während sich Alle unter das allgemeine Uns glück schmiegen? Daher, daß man das Schickfal wie eine Regierung betrachtet, der man Allen Leis des zuzufügen gestattet, wofern sie nur Keinem Privilegien bewilligt. Das Unglück, das wir mit unserm Nächsten gemein haben, ist eben so hart und verursacht uns eben so viel Leiden, als unser bes sonderes Unglück; und doch treibt es uns nie zu ders

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