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der Stimme, die Blicke, die gesehen seyn wollen, und mit einem Wort, die ganze Rüßtkammer von Empfindsamkeit, welche starke und aufrichtige Ges müther verschmähen.

Der Urheber von Werthers Leiden hat zuerst über diese Affectationen gespottet. Indeß, da es eins mal in allen Ländern Lächerlichkeiten geben muß, ist es vielleicht besser, daß sie in einer etwas einfältigen Uebertreibung dessen, was gut ist, als in einer eles ganten Ansprüchigkeit auf das Böse bestehen. Der Wunsch nach glücklichem Erfolg ist unüberwindlich in Männern, er ist es noch mehr in Weibern; und deshalb sind die Ansprüche der Mittelmäßigkeit ein zuverlässiges Kennzeichen des zu gewissen Zeiten und in gewissen Gesellschaften herrschenden Geschmacks. Dieselben Personen, welche in Deutschland für empfindsam gelten wollten, würden sich anderwärts leichtsinnig und hochfahrend gezeigt haben.

Die ungemeine Empfindlichkeit des Charakters der Deutschen ist eine von den großen Ursachen der Wichtigkeit, welche sie auf die unbedeutendsten Abs stufungen des Gefühls legen; und diese Empfindlichkeit steht oft mit der Wahrheit der Affectionen in genauer Verbindung. Es ist nicht schwer, fest zu seyn, wenn man nicht gefühlvoll ist; die einzige Eigenschaft, deren es alsdann bedarf, ist der Muth; denn die wohlgeordnete Strenge muß bei sich selbst anfangen. Aber wenn die Beweise von Theilnahme, die Andere uns verweigern oder geben, auf das Glück einfließen: so ist es unmöglich, daß man in seinem Herzen nicht unend lich mehr Neizbarkeit habe, als Diejenigen, die ihre Freunde wie eine Domåne bewirthschaften, indem sie fich dieselben blos einträglich zu machen suchen.

Indeß muß man sich in Acht nehmen vor den so subtilen und so abgestuften Gefühls-Vorschriften, welche so viele deutsche Schriftsteller vervielfältigt haben, und wovon ihre Romane voll find. Ihrer Rechtlichkeit, ihrer Aufrichtigkeit in allen reellen Verhältnissen des Lebens gewiß, fühlen sie sich vers sucht, die Affectation des Schönen als eine Verchrung für das Gute zu betrachten, und sich in dieser Art bisweilen Uebertreibungen zu erlauben, welche alles verderben.

Dieser Wetteifer von Empfindsamkeit zwischen einigen Weibern und einigen Schriststellern Deutschlands, würde im Grunde sehr unschuldig seyn, wenn das Lächerliche, was man mit der Affectation vers bindet, nicht immer eine Art von Ungunst auf die Aufrichtigkeit selbst würfe. Die kalten und selbstischen Männer finden ein besonderes Vergnügen daran, über leidenschaftliche Zuneigungen zu spots ten, und möchten alles, was sie nicht selbst empfins den, für erkünftelt ausgeben. Es giebt sogar wahr. haft gefühlvolle Personen, welche die süßliche Uebers treibung über ihre eigenen Eindrücke mit Ekel erfüllt, und denen man einen Widerwillen gegen das Ges fühl einflößt, wie man ihnen dergleichen durch langweilige Predigten und abergläubische Uebungen gegen die Religion einflößen würde.

Man thut Unrecht, wenn man die positiven Ideen, die wir von dem Guten und dem Bösen haben, auf die Zartheiten der Empfindsamkeit anwens det. Einem Charakter einen Vorwurf daraus mas chen, daß ihm in dieser Hinsicht etwas fehlt, ist ges rade so, als wenn man Jemand darüber verklagen wollte, daß er kein Dichter ist. Die natürliche Empfindlichkeit Derer, die mehr denken, als sie

handeln, kann sie ungerecht machen gegen Personen von einem anderen Schlage. Es bedarf der Einbildungskraft, um zu errathen, welche Leiden das Herz zufügen kann, und die besten Menschen von der Welt sind in dieser Hinsicht oft plump und einfäl tig; fie gehen über Empfindungen weg; als ob fie über Blumen gingen, sich wundernd, daß sie sie welfen machen. Giebt es nicht Menschen, welche den Raphael nicht bewundern, welche die Musik ohne Rührung vernehmen, denen der Ocean und die Himmel nur eintönig scheinen? Wie sollten doch folche die Stürme der Seele begreifen?

Werden selbst die allergefühlvollsten Charaktere in ihren Hoffnungen nicht muthlos gemacht? Kons nen sie nicht von einer Art von innerer Dürre ers griffen werden, als ob die Gottheit sich von ihnen zurückgezogen hatte? Sie bleiben ihren Gefühlen deshalb nicht minder getreu; aber es giebt keinen Weihrauch mehr in dem Tempel, keine Musik mehr im Heiligthume, keine Rührung mehr im Herzen. Bisweilen gebietet auch das Unglück, die Stimme des Gefühls in sich zum Schweigen zu bringen; diese Stimme, welche, je nachdem sie zu dem Ver hängniß paßt, oder nicht paßt, harmonisch oder zerreissend ist. Es ist also unmöglich, aus der Empfindsamkeit eine Pflicht zu machen; denn die, wel che sie haben, leiden daran genug, um nicht sehr oft das Recht und den Wunsch zu haben, sie in Schranken einzuschließen.

Glühende Nationen sprechen von der Empfinde samkeit nur mit Schrecken; friedliche und sinnige Nationen hingegen glauben fle ohne Furcht aufmuns tern zu können. Uebrigens ist dies ein Gegenstand, über welchen nie mit voller Wahrheit geschrieben

worden ist. Die Weiber machen daraus einen Roe man, und die Männer eine Geschichte; aber das menschliche Herz ist noch weit davon entfernt, in seinen innigsten Beziehungen ergründet zu seyn. Einmal wird vielleicht Jemand Alles aufrichtig sas gen, was er gefühlt hat, und dann wird man dars über erstaunen, daß die meisten Marimen und Bes obachtungen irrig sind, und daß im Innern der Sees le, welche man beschreibt, noch eine unbekannte Seele ist.

Neunzehntes Capitel.

Von der Liebe in der Ehe.

In der Ehe ist die Empfindsamkeit eine Pflicht. In jedem anderen Verhältniß mag die Tugend auss reichen; allein in diesem, wo die Schicksale in eins ander verflochten sind, wo ein und derselbe Antrieb so zu sagen zwei Herzen schlagen macht, scheint ein tiefes Gefühl beinahe ein nothwendiges Band zu feyn. Der Leichtsinn der Sitten hat zwischen Gats ten so viel Kummerstoff geworfen, daß die Moralis sten des abgewichenen Jahrhunderts sich gewöhnt hatten, alle Genüsse des Herzens auf die väterliche und mütterliche Liebe zu beziehen, und in der Ehe kaum noch etwas anderes erblickten, als die Bes dingung, welche erforderlich sey, um das Glück, Kinder zu haben, zu genießen. Dies ist falsch, wenn von der moralischen Seite, noch falscher, wenn von Glück die Rede ist.

Gut in Beziehung auf seine Kinder zu seyn, ist so leicht, daß man daraus kein Verdienst machen

follte. In ihren ersten Jahren können sie keinen anderen Willen haben, als den ihrer Aeltern; und sobald sie zur Jugend gelangen, existiren sie durch fich selbst. Gerechtigkeit und Güte machen die vors. nehmsten Pflichten eines Verhältnisses aus, wel ches die Natur so leicht macht. So steht es nicht um die Beziehungen mit dieser Hälfte unserer Selbst, welche Glück und Unglück in den geringsten unserer Handlungen, unserer Blicke, unserer Gedanken fins den kann. Hier gerade kann sich die Moralitat in ihrer ganzen Stärke zeigen; und gerade hier ist auch die wahre Quelle der Glückseligkeit.

Ein Freund von demselben Alter, an dessen Seite man leben und sterben soll; ein Freund, dess sen sämmtliche Angelegenheiten die unsrigen find, dessen Aussichten ohne Ausnahme (so daß selbst das Grab darin begriffen ist) auf uns übergehen: dies ist das Gefühl, welches das ganze Schicksal ents hält. Es ist wahr, bisweilen werden unsere Kinder, noch öfter unsere Eltern, unsere Gefährten durchs Leben; aber dieser seltene und erhabene Genuß wird von den Gefeßen der Natur bekämpft, während die Verbindung durch die Ehe in Uebereinstimmung mit dem ganzen menschlichen Daseyn ist.

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Woher kommt es denn, daß diese so heilige Verbindung so oft verunheiligt wird? Ich will den Muth haben, es zu sagen. Von der seltsamen Uns gleichheit kommt es, welche die Meinung der Ges sellschaft in die Pflichten der beiden Gatten bringt; und an diese muß man sich halten. Das Christens thum hat die Weiber aus einem Zustande gerissen, welcher der Sklaverei glich. Da die Gleichheit vor Gott die Grundlage dieser bewundernswürdigen Res ligion ist: so strebt sie auch dahin, die Gleichheit

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