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Das Wesen des Dichters

Stefan George: Umriß seines Werkes
Stefan George: Umriß seiner Wirkung

Weiß'sche Universitäts-Buchhandlung

Heidelberg 1920

„Hüte dich nun und bewahre deine Seele wohl,
daß du nicht vergessest der Geschichten, die deine Augen
gesehen haben und daß sie nicht aus deinem Herzen
kommen alle dein Leben lang."

Deut. 4, 9.

„Ich glaube, darum rede ich."

Ps. 116, 10.

Copyright by Weiß'sche Universitäts-Buchhandlung
Heidelberg 1920

UNIV. OF

I.

DAS WESEN DES DICHTERS.

Während sich der bildenden Kunst im letzten Jahrzehnt ein tieferes Verstehen, ein innigeres Teilnehmen zugewendet hat, ist die Dichtkunst unverstanden, mißverstanden, ja mißachtet geblieben; die Rechenschaft darüber was Dichtung ist: die Poetik, ist über das Niveau das Goethe und Schiller ihr geschaffen nicht nur nicht hinaus - sie ist tief unter dieses Niveau heruntergekommen, und wenn wir heut von einem Dichter reden wollen, so müssen wir uns erst zum Bewußtsein bringen, was denn ein Dichter ist, und was wir zutiefst von ihm erwarten.

Man weiß: bei den alten Völkern, bei den Griechen, Indern, Juden, später wieder bei Germanen und Arabern, war Poesie göttlich, die Bildnerin der Sitten der Völker, die Gesetzgeberin. Nach den ältesten Sagen war sie es, welche die Wilden gebändigt hat; die ältesten Gesetzgeber waren Dichter und die ältesten Dichter Gesetzgeber. Orpheus, Homer, Hesiod, ihre ältesten Dichter, betrachteten die Griechen auch als ihre ältesten Weisen. Der Sang der Dichter war Kosmogonie, Gesetze, Sittenlehre und das Lob der Götter und Helden; aus gottesdienstlichen Chören und Gebräuchen entstanden, waren

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