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Dichter geben könne seine Individualität sei, aber mit seiner Forderung, daß sie es auch wert sein müsse, vor Mit- und Nachwelt ausgestellt zu werden, nimmt man es so genau nicht. Irgend eine Neuheit, eine Nuance, ein Tasten, selbst eine Monstrosität, kurz: das Interessante tritt an Stelle des Seelenhaften und Göttlichen. Alles, was die modernen Literaturen an Drama, Roman oder Lyrik uns bieten, was zuweilen menschlich Erschütterndes, oft Nachdenkliches enthält und uns selten ohne Belehrung läßt über Mit- und Umwelt, als document humain immer merkwürdig, als Befriedigung mehr oder minder gesunder Neugier oder Sensationslust willkommen und oft mit erstaunlichem technischen Können, Kraft und Geschick der Darstellung und letzter Pariser Finesse ausgeführt - als Dichtung mißverstanden ist diese Literatur die, der Dunkelheit des menschlichen Herzens überantwortet, alles höheren Wissens bar, in die Gefühlsmode des Jahrfünfts gekleidet ist, in dem sie erscheint, nur ein Zeugnis des ungeheuren „avilissement des cœurs*.

Dichtung ist im allgemeinen Bewußtsein noch immer die redende Malerei, der Spiegel der Welt. Ein Dichter, so ist die Meinung, hat nicht so sehr zu verkünden, was ohne ihn nicht in der Welt wäre, was ihm als ein heiliges Vermächtnis der Menschheit zur Verkündung anvertraut ist, als vielmehr dem eine Stimme zu geben, was eben da ist, was er um sich und in sich vorfindet. Ein Dichter ist, wer das Talent des Ausdrucks hat, der, der dem Stummen eine Sprache fand, der, dem gegeben ist, zu sagen, was er leidet. Nicht sein Seinund Erleben zeichnet ihn vor den anderen Menschen aus, sondern sein Vermögen, ihm Ausdruck zu verleihen.

So kommt es, daß gerade für die Dichtung eine Lehre noch in Ansehen steht, die sogar für die bildende Kunst schon als so gut wie überwunden gelten kann, die Lehre von der Mimesis. Den idealen Dichter stellt man sich immer noch vor als Proteus. So wenig ist es er selbst und das höhere Licht das man in ihm sucht, daß man ihn im Gegenteil um so höher schätzt, je weniger er er selbst zu sein scheint, je mehr er hinter dem von ihm Dargestellten verschwindet. Er ist der, der sich an alle Dinge hingibt, der im Anderen lebt, der Bettler unter der Treppe über den das Leben des Hauses hingeht. Die Lust am Anderssein, die Phantasie gilt daher der modernen Welt als vornehmliches Kennzeichen des Dichters. Gestaltungskraft, das, glaubt man, sei die Kraft, fremdes Wesen darzustellen. Man glaubt wohl über den Naturalismus hinaus zu sein, dem als der Schönheit letzter Schluß gilt, wenn die Fratze sich in der Fratze spiegelt, wenn Menschen, die nur das Affentalent gemeiner Nachahmung besitzen, es auf Kosten unseres Geschmackes greulich und schrecklich üben“ (Schiller), aber man sieht nicht, daß, solange Darstellung um der Darstellung willen erstrebt wird, die Sphäre des Imitatorischen, des falsch Artistischen nicht verlassen ist.

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Es ist kein geringerer als Schiller, der mit bewunderungswürdigem Scharfblick erkannt hat, daß Dichtung nicht zu allen Zeiten die Gleiche sein kann. Er sah: die Gegenstände der Umwelt die sich dem modernen Dichter darbieten, werden nur dadurch dichterischer Darstellung würdig, daß sie von innen heraus, durch das Subjekt des Dichters vergeistigt

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werden, daß die Natur, durch die Idee ergänzt, aus einem beschränkten Objekt zu einem unendlichen wird. In Zeiten, so erkennt er, wo die Menschheit ihren vollständigen Ausdruck in der Wirklichkeit findet, kann Poesie Wirkliches nachahmen, wo aber vollständige Menschheit nur in der Idee existiert, da kann Poesie nicht mehr naiv, nicht mehr nur Darstellung sein.

Die moderne Literatur hat sich des Schillerschen Gedankens gleichsam als einer Rückendeckung bedient. Da es ihr längst nicht mehr um Darstellung vollständiger Menschheit zu tun ist, sondern um Darstellung an sich, um das naive Interesse an der Umwelt beobachtend zu betätigen, so glaubte sie durch Humor und Rührung, durch poetische Verklärung" das dunkel dennoch als unwert Empfundene der poetischen Darstellung wert zu machen. Sie machte damit die Wirrnis vollständig, denn indem sie in schmählicher Connivenz das Kleine wichtig nimmt, verstellt sie die höchste Wahrheit der Ideen und bringt die Menschen nicht nur um das Große, sondern sogar um die Idee des Großen.

Zu Ende gedacht führt aber Schillers Gedankengang nicht zu sentimentalischer Darstellung eines an sich unwürdigen Gegenstandes, sondern dazu, die primäre Rolle welche das Imitatorische im modernen Begriff der Dichtung spielt, überhaupt aufzugeben.

Poesie, so sagte Herder, ist die Muttersprache des Menschengeschlechts. Der Dichter, so können wir hinzufügen, ist der Urtypus der Menschheit. Er, den der Gott gewählt hat als Pfeil, seinen Rhythmus vom Bogen zu schießen, ist als der dem Dienste der Götter geweihte am reinsten Mensch. Vollständiger als die

übrigen Menschen trägt er die vollständige Menschheit
in sich; er ist fähig, die Spannung des Entgegengesetzten
in sich zu ertragen; Wirklichkeit ist in ihm die mystische
Einheit der Gegensätze. Da nun für die in Fragmente
gespaltene Menschheit die Weisheit Goethes gilt:
Du mußt herrschen und gewinnen

Oder dienen und verlieren
Leiden oder triumphieren

Ambos oder Hammer sein

so ist für den, der das Schicksal trägt, Allheit zu sein, der der Degen ist und die Scheide, das Opfer und der Stoß, keine Lebensmöglichkeit, es sei denn, er stelle als zeitloses Gebilde der Phantasie aus sich heraus, was die Grenzen der Wirklichkeit sprengen würde. Daher ist das Leben des Dichters in der Phantasie und sein Gegenstand die vollständige Menschheit. Aber er ist damit das Gegenteil des Proteus der ohne Gestalt ist, um in alle Gestalten einzugehen, vielmehr: weil er selbst voller Gestalt ist, stellt er Gestalten aus sich heraus... Nicht der Sprecher der anderen Dinge ist er, nicht in Andere denkt er sich hinein, er schweift nicht ab in fremde Herzen, sondern einzig und allein sein eigen Herz ist es, das er dem göttlichen Strahle entgegenträgt und das er in den Gestalten seiner Einbildungskraft zum Ausdruck und zur Darstellung bringt.

Man könnte meinen, es komme auf das gleiche hinaus: ein Selbst, welches das All in sich trägt und die Auflösung des Selbst ins All. Aber wer so meint, erfaßt nicht das was an der vollständigen Menschheit das Wesentliche ist. Menschheit kann nur in der Form des Einzelwesens existieren, und zwar aus zwiefachem

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Grunde einmal, weil Individualität zum Begriff des Menschentumes gehört, weil auch die Idee der Menschheit nur als einzelner Mensch gedacht werden kann, sodann weil es sich bei der vollständigen Menschheit nicht nur um das Vorhandensein sämtlicher wesentlicher Elemente des Menschentumes, sondern auch darum handelt, daß diese Elemente in jenem Gefüge, jenem Ausgewogensein gegeneinander vorhanden sind, in welchem sie, ihrer göttlichen Bestimmung gemäß, in einem Individuum wohnen sollen, denn die Idee ist nicht nur das ewig Seiende, sondern auch das Seinsollende. Wer sich der Urform des Menschseins entzieht, um in genießerischem Schwelgen an allen Formen der Menschheit teilzuhaben, wer ohne Selbst jedes Selbst sein will, der ist ein Ungeschöpf, ein ohnmächtig Sündigender gegen das Gesetz der Individuation, ein Verworfener, ein Proteus, ein Nichts, kein Dichter, sondern die Karikatur des Dichters. Ihn, der kein Mensch ist, kann kein Gott erwählen, um ihm das Göttliche im Menschlichen zu offenbaren, verloren an alle Formen, erfaßt er den göttlichen Sinn keiner einzigen, keiner einzigen Stellung und Aufgabe im Ganzen.

Hebbels Proteus ist weit eher als Sehnsuchtsbild des unerbittlich in die Schranken einer begrenzten Individualität Gebannten denn als Ausdruck seines eigenen Wesens zu verstehen. Das ungeheure dichterische Bekenntnis von der Allheit im Ich besitzen wir in einem Gedicht aus dem Stern des Bundes.

Von hier aus gesehen wird nun klar, welche höchst beschränkte Bedeutung in der Tätigkeit der dichterischen Phantasie dem Imitatorischen (und dem Phan

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