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Nicht ohne sonderliche Bedeutung ist gerade in dieser gastlichen Stadt Bretten die Tagung unseres Vereins für Reformations-Geschichte an seinem Jubelfest des 25jährigen Bestehens festgesetzt worden. Es wurde in den Begrüßungen schon darauf hingewiesen, und es ist jedem einzelnen von Ihnen gegenwärtig, wie an diese Stadt die Erinnerung anknüpft nicht nur an den Freund des Reformationshelden Luther, an seinen Mitarbeiter und an den Fortsetzer des großen Werks, sondern auch an eine ganz besonders geartete Richtung der Geistesgeschichte, die in der Person des größten Sohnes aus dieser Stadt mit der Reformation sich verknüpft und das Werk Luthers selbständig beeinflußt hat. Wenn mir nun die Aufgabe geworden ist, Ihnen, meine verehrten Festgäste aus hiesiger Stadt und Umgebung, ein Bild zu zeichnen aus dem Arbeitsgebiet unseres Vereins, und Ihnen in einem engen Rahmen zu zeigen, wie nüzlich und notwendig unser Verein ist, was läge da wohl näher, als Ihnen von Ihrem Melanchthon zu erzählen, dem sanften Philippus, wie er als Mann der Gelehrsamkeit und diplomatischen Vermittlung dem feurigen Propheten und troßigen Kriegsmann ergänzend zur Seite trat, wie er hauptsächlich der Begründer der lutherischen Kirche und ihrer Lehre geworden ist. Doch ich fürchte wohl mit Recht, daß ich da Eulen nach Athen tragen würde. Denn über Ihren Melanchthon müssen Sie hier in Bretten doch eigentlich viel mehr wissen als ich; vollends, nachdem vor nicht allzulanger Zeit hier sein 400jähriges Geburtsjubiläum gefeiert und vor wenigen Jahren das seine Erinnerungen bergende Haus eingeweiht worden ist. Sein Name aber kann uns weiter leiten in die Tiefe der Probleme, die die reformationsgeschichtliche Forschung gegenwärtig beschäftigen und noch in geraumer Zukunft beschäftigen werden. Kreuzen

sich doch in ihm die beiden wichtigsten Geistesströmungen, die in irgend welcher immerhin bedeutsamen Weise das Werden der neuen Zeit beeinflußt haben. Wie nun diese Kreuzung gewirkt hat, das ist bis jetzt bei weitem noch nicht genügend geklärt. Wie die humanistische Bewegung das Lebenswerk Luthers befruchtet und verändert hat, wie der Humanismus dann selbst auf der ganzen Linie ein anderer geworden ist, angeregt von den Wittenberger Taten und Gedanken, wie überhaupt mit dem Humanismus auch die übrigen geistigen Nebenströmungen des 16. Jahrhunderts irgend einmal den Hauptstrom gekreuzt und dann, mit reformatorischer Fülle gekräftigt, wieder selbständig neue Betten gegraben haben, um einzeln endlich einzumünden in das große geistige Sammelbecken der Gegenwart, darüber haben wir bis jetzt nur Ahnungen, keine Forschungen.

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Der Name Melanchthons führt uns somit mehr noch als der Luthers zum Nachsinnen über die geistesgeschichtliche Bedeutung des 16. Jahrhunderts. Er stellt eine Reihe von Fragen über die Mächtigkeit und Tiefe der Haupt- und Nebenströmungen in diesem, für das Verständnis der Gegenwart zweifellos wichtigsten Zeitalter. Es sind Fragen, die nach vorwärts und rückwärts weisen. Wir sehen uns vor Probleme gestellt, durch deren Behandlung aus kräftig reformatorischem Bewußtsein heraus unser Verein im zweiten Vierteljahrhundert seines Bestehens mitzuarbeiten haben wird an der Ermittlung der geschichtlichen Wirklichkeit, nachdem bis jetzt im großen und ganzen die einzelnen Daten im Leben und Denken unserer Reformatoren und die territoriale Verbreitung der Bewegung über die einzelnen Länder festgestellt worden ist.

Aus dieser Flucht von Problemen greifen wir eines heraus, das durch wissenschaftliche Erörterungen 1), wie durch konfessionelle und politische Kämpfe aus der jüngsten Gegenwart 2) gleich nahe liegt: Welchen Anteil hat die Reformation an der Entstehung der Toleranz?

Wir fühlen es ganz instinktiv, irgendwie muß der Befreiungskampf, der in der Klosterzelle des Augustinermönchs zu

Erfurt ausgerungen wurde, zur Proklamierung des Prinzips der Geistesfreiheit beigetragen haben. Doch sobald wir das laut verkündigen wollen, hören wir die Rufe katholischer Forscher, welche uns haarklein beweisen, wie unduldsam die Vorkämpfer und Helden der Reformation oft gegen die Altgläubigen und deren Gottesdienste nicht nur geschrieben, sondern auch gehandelt haben; ja wie die Klosterfrauen oft allen Prinzipien der Menschlichkeit zum Troh, am meisten belästigt und vergewaltigt worden seien 3). Und auch das müssen wir hören, daß nicht nur im Gegensatz zur päpstlich bleibenden katholischen Kirche sich die Unduldsamkeit der Reformatoren äußert, sondern auch gegenüber fast allen Meinungsäußerungen, die freier gerichtet waren, als die Führer der Reformation für gut hielten. Also scheint es nichts zu sein mit der Meinung, die lange ein Glaubenssat war, daß Luther die Gewissensfreiheit der Welt gebracht habe. Alle die Vorkämpfer für Glaubensfreiheit in der Zeit der Aufklärung, da der Toleranzbegriff seine lezte Ausprägung erhielt, von einem Castellio4) und Giordano Bruno5) an bis auf Lessing) und Friedrich den Großen 7), die haben sich immer rückhaltlos auf Luther berufen. Er war ihnen im Gegensatz zu seiner Kirche der Heros der Gewissens- und Geistesfreiheit, der Anfänger der Aufklärung. Sie scheinen also gründlich sich geirrt zu haben? Und irren wir uns auch, wenn wir aus unserem am Evangelium der Reformation genährten Glaubensbewußtsein heraus die feste Überzeugung haben, daß hier der Funke entsprungen ist, der zur leuchtenden Sonne wurde für die verschiedengläubigsten Menschen, die nebeneinander leben und miteinander auskommen müssen?

Nichtwahr, Sie fühlen mit mir das Problem? Lösen können wir es heute abend nicht, dazu sind noch zu viel Einzeluntersuchungen notwendig; aber uns die Grundlinien klar machen können wir, von denen die Lösungsversuche ausgehen müssen.

Wir wollen den Anteil ermessen, den die Reformation an der Ausbildung des Geistes der Duldsamkeit und des Rechts der Gewissens- und Kultusfreiheit gehabt hat. Da können wir nicht umhin, uns zunächst das vor Luthers Auftreten gel

tende Prinzip der Intoleranz in der alleinseligmachenden mittelalterlichen Kirche nach Ursprung und Begründung näher anzusehen. Der Geist der Unduldsamkeit stammt nicht aus der Predigt dessen, der seine Feinde liebte und den Vater bat: vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Die Intoleranz der mittelalterlichen Kirche ist ein Erbe der Antike. Der Anspruch des Christentums auf universale Geltung, daß das Heil aller Welt gekommen sei, dieser absolute Anspruch des Christentums verband sich mit den antifen, d. h. mit den griechischen, römischen und jüdischen Auffassungen von Welt, Staat und Kirche. In der Stunde des Untergangs der alten Welt, als im Jahre 380 von Kaiser Theodosius die christliche Religion zur ausschließlichen Staatsreligion erklärt wurde, ist in jüdisch-theokratischer Weise das römische Staatswesen mit dem sichtbaren Reich Gottes in der Kirche zur Einheit verbunden worden. Das bleibt so durch allen Wandel der Zeiten und Völkerschicksale bis zu Luthers Auftreten. Und nur kurze Zeit nach Theodosius hat Augustin mit Hilfe der griechisch-platonischen Philosophie die Intoleranz gegen alle nichtchristlichen Religionen und gegenüber allen nichtrömischen Auffassungen des Christentums theoretisch begründet. Er hat die christlich antike Weltanschauung aufgebaut, die an den entscheidenden Wendepunkten der mittelalterlichen Geistesgeschichte durch jeweils neue Stoffzufuhren aus dem Gedankenmaterial der Antike nur immer fester begründet und bis auf Luther wenig verändert worden ist.

Das Wesentliche an dieser antik-mittelalterlichen Weltanschauung ist, daß die Gottheit als ein oberes, überweltliches System von Kräften der Wahrheit, Güte und Schönheit vor= gestellt wird. Durch Christus und durch seine Kirche greift das im Jenseits schon fertig vorliegende System der Wahrheit herunter auf diese Erde. Alle an sich von unten, aus der Sünde stammenden Teile der Welt können an der oberen Sphäre der Gottheit teilhaben und dem Verderben entgehen, nur wenn sie in irgend welcher Weise mit der von dort stammenden Kirche in Verbindung treten, mit der Kirche, in der die Wahr

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