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fehlte an allem, namentlich auch an Transportmitteln. Man sah Knaben Patronenpackete auf Schubkarren zum Bahnhofe fahren; das ganze Dienst. mann-Institut war in Anspruch genommen, um Waffen nach der Eisenbahn zu schaffen; Proviant und Lazarethwagen wurden von Menschenhänden, Kanonen und Proßkasten von Droschkengäulen gezogen; eine Frau aus dem Volke trug drei Trommeln. Dazwischen rollten Geldwagen durch die Straßen, welche die Generalkasse in Sicherheit bringen sollten; dann wieder Truppendetachements in halber Ausrüstung; Kriegsminister v. Tschirschnig folgte in Gala Uniform, aber - ohne Degen.«<

Wir lassen dahin gestellt sein, wie viel an diesen Schilderungen übertrieben ist oder nicht; jedenfalls herrschte Verwirrung; das lezte hannöversche Bataillon war eben nach Süden (Göttingen) abgegangen, als die Preußen einrückten. Der Empfang, den sie fanden, war nicht unfreundlich; Neugier und Gutmüthigkeit (wie immer) thaten das Jhre. Der nächste Tag war ein Ruhetag. Nothgedrungen. Der 12stündige Marsch hatte die Truppen hart mitgenommen.

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Am 19. schickte sich General v. Falckenstein an, dem immer noch bei Göttingen stehenden Feinde, nach Süden hin, zu folgen. An Stelle der zu diesem Behufe abrückenden Division Goeben rückte, wie schon erwähnt, von Norden her die Brigade Korth, vom Manteuffelschen Corps, in Hannover ein. (Am 20. die Brigade Flies in Celle.) Division Goeben erreichte am Tage des Ausmarsches (19.) die Linie Nordstemmen - Hildesheim, am 20. Alfeld. Alfeld liegt sechs Meilen von Göttingen. Die Stellung von Freund und Feind an diesem Tage (20.) war also die folgende:

Die Hannoveraner: in Göttingen.

Die Preußen: Division Goeben in Alfeld;

Division Manteuffel in Hannover und Celle;
Division Beyer in Cassel und Umgegend.

Von einer Gefahr für die Hannoveraner konnte an diesem Tage noch nicht die Rede sein; der Weg nach Süden, wie an den vorhergehenden Tagen, war auch an diesem Tage (20.) noch völlig frei; kein Mann, das schwache Coburg - Gothasche Contingent abgerechnet, stand an der thüringischen Bahn entlang; nichts war da, das im Stande gewesen wäre, das Entweichen König Georgs und seiner Armee in den Thüringer Wald hinein, oder an der Werra hin auf Meiningen und die bairische Grenze zu, zu hindern. Aber König Georg und seine Rathgeber, sei es in Verwirrung oder Verblen. dung, ließen diesen glücklichen Moment entschlüpfen.

Endlich am 20. wurde der Entschluß gefaßt, der schon am 17. gefaßt werden konnte: die Defensiv - Stellung bei Göttingen aufzugeben und im weiteren Vormarsch gegen Süden aber nach links hin ausbiegend, um

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einem Zusammenstoß mit der von Cassel aus heranrückenden Division Beyer zu entgehn über Heiligenstadt, Mühlhausen, Langensalza und Eisenach die Vereinigung mit den Baiern zu suchen. In Ausführung dieses Entschlusses brach die Armee am 21. in südöstlicher Richtung auf, erreichte am selben Tage (21.) Heiligenstadt, am 22. Mühlhausen, am 23. Langensalza und stand in der That mit einer Avantgarden - Brigade am 24. vor Eisenach. Aber hier in dem Moment, wo das Entkommen zu glücken schien unterblieb die Vorwärtsbewegung. Ein um diese Stunde eintreffendes, die Sistirung der Feindseligkeiten anordnendes Telegramm hinderte daran, nicht unsre Truppenmacht. Diese war zwar am 24. eine andre als am 20.; sie hatte sich mehr als verdreifacht und auf der Linie Eisenach-Gotha standen etwa 6000 Mann;*) aber auch diese 6000 Mann waren, bei ihrer Vertheilung auf drei Meilen hin, eine bloße Scheinmacht, eine Coulisse, die durch einen Vorstoß der hannöverschen Armee ohne Mühe durchstoßen werden konnte. Dieser Vorstoß unterblieb. Auf das Telegramm, das ihn hinderte, kommen wir an andrer Stelle (vergl. S. 37) ausführlicher zurück; jedenfalls war nunmehr der lezte Moment versäumt, der noch einen Durchbruch ohne Schwierigkeiten und ohne besondre Opfer ermöglicht hätte. Schon der fol gende Tag zeigte eine erheblich veränderte Situation: aus der scheinbaren Macht auf der Linie Eisenach - Gotha war über Nacht eine wirkliche geworden. Unter Benutzung der überall wieder hergestellten Eisenbahnstrecken und unter Beschreibung weiter Curven waren über Magdeburg einerseits, über Cassel andrerseits zwei Brigaden der bisher von Norden her operirenden Divisionen Goeben und Manteuffel auf der Südlinie angelangt und hatten hier die Brigade Kummer die Position bei Eisenach,

die Brigade Flies unsre Stellung bei Gotha

mit je 5 bis 6000 Mann verstärkt. In Eisenach war außerdem noch die Vorhut der Division Beyer, das Detachement Selchow, eingetroffen, oder traf doch im Laufe des Tages ein. Jezt war man in der Lage, den Angriff

*) Aus Berlin, Erfurt, Magdeburg hatte man an die bedrohte Stelle rasch alle Bataillone (meist Landwehr) geworfen, die man irgendwie entbehren konnte. So standen denn am 24. Nachmittags

in Eisenach: 2 Bataillone vom 4. Garde Regiment,

das Ersaß, Bataillon vom Regiment Nr. 71;

in Gotha: 2 Bataillone Coburg-Gotha,

Landwehr - Bataillon Potsdam

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vom 20.,

Aschersleben vom 27.,
Torgau

vom 32.,

des Feindes erwarten zu können; auf welchen Punkt hin er sich auch wenden mochte, überall war man im Stande, ihm mit einer erheblichen Truppen macht entgegenzutreten, bei Gotha mit etwa 8000, bei Eisenach mit etwa 12,000 Mann. Die Gesammtaufstellung am 25. und 26. war folgende:

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So war denn vom 25. ab die hannöversche Armee umstellt. Gleichviel ob sie in ihrer Stellung beharrte, oder ob sie zum Angriff schritt, ihre Lage, wenn auch nicht absolut hoffnungslos (wie immer wieder betont werden muß), war jedenfalls eine außerordentlich gefährdete.

Da, im lezten Moment (freilich auf irrthümliche Information hin, wie sich später erwies) kam Nachricht, daß unser bis dahin durch seine Schachzüge nicht eben ausgezeichneter Gegner einen wahren Meisterzug gethan und den Gedanken an Defensive wie Angriff gleichmäßig verwerfend, sich für ein drittes entschieden habe: ins eigne Land zurückzugehen und nach Norden hin auszuweichen. Glückte dies (und es war möglich), so konnte ihn dies freilich nicht retten, aber indem er uns zwang, ihm auf seinen Kreuz- und Querzügen zu folgen, kostete er uns das was wir am wenigsten geben konnten: Zeit. Dies durfte nicht sein. General v. Flies erhielt Befehl, dem Feinde (von Gotha aus) zu folgen und an der »Klinge zu bleiben«. Diesem Befehle kam er nach.

Die Aufgabe, die unsern verschiedenen in Nord und Süd stehenden Truppenkörpern ausführlich zugedacht war, wurde dadurch auf einen Schlag geändert, die Rollen getauscht. Das Nordcorps drängte nicht mehr dem Süden, sondern das Südcorps, oder doch ein Theil desselben (Flies), drängte dem Norden zu. Nur darin blieb die Situation dieselbe, daß, so oder so, die Hannoveraner schließlich zwischen zwei Feuer kommen mußten. Und doch unterblieb gerade das. Es unterblieb, weil die Hannoveraner, wie schon angedeutet, den Plan, nach Norden hin auszuweichen, in Wahrheit nicht gefaßt hatten und somit von einem Nachdrängen unsrerseits nicht wohl die Rede sein konnte. Die Sachlage, wie sie wirklich war, hätte wohl mehr eine Beobachtung, ein Festhalten, als ein Rencontre gefordert. General Flies indeß, in exacter Befolgung des einmal empfangenen Befehls, glaubte dem Gegner unter allen Umständen »an der Klinge bleiben zu müssen«. So wurde, weil der Feind feststand, aus dem Nachdrängen nothwendig ein Zusammenstoß. Dieser interessante, nicht unblutige und jedenfalls mehr als manche große Schlacht besprochene Kampf, war das »Gefecht bei Langensalza«. Wir gehen zu seiner Schilderung über.

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