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Leidenden übte auf alle Anwesenden einen merkwürdigen Einfluß. Es ist unmöglich, diese Jammertöne zu beschreiben, ich war der Meinung, sie müßten das härteste Gemüth erweichen. Da rief plößlich ein audrer, entfernter Liegender um Hülfe. Ein Elender hatte sich beutesuchend herangeschlichen und versuchte dem armen Schwerverwundeten, den er für besinnungslos hielt, die Stiefel abzuziehen. Leider entkam er unter dem Schuße der Dunkelheit.

Als ich endlich erschöpft von der Anstrengung mein Lager aufgesucht hatte, ward ich bald wieder mit der Meldung aufgeschreckt, daß ein Soldat, der von einem vergifteten Brunnen getrunken, schleunigst ärztliche Hülfe bedürfe. Ein Vergiftungsfall ist in der Regel an sich schon ein casus fatalis für den Arzt; allein ich erwog auch noch die Gefahr, welche hier möglicher weise für Unschuldige, ja für die ganze Stadt erwachsen könnte, wenn der Haß der feindlichen Soldaten dadurch aufgestachelt würde, und beflügelte deshalb meine Schritte nach dem mir bezeichneten Ort, wobei ich zugleich in meinem Gedächtniß alle erdenklichen Gegengifte Nevue passiren ließ. An Ort und Stelle angekommen, fand ich den armen Teufel allerdings in einem üblen Zustand, allein durch gründliche Nachforschung wurde bald ermittelt, daß das vermeintliche Gift nichts andres war, als eine etwas excentrische Wirkung des »Rakoczy«. Der gute Mann hatte seinen ausgehungerten Magen nicht nur mit den verschiedenartigsten Speisen und Getränken vollgepfropft, sondern auch noch ein erkleckliches Quantum Rakoczy darauf gesezt. War es demnach ein Wunder, daß der durch die Beunruhigung seines Gebietes ergrimmte Quellengeist sich rächte?«

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geringe freilich im Hinblick darauf, daß zwölf Stunden lang an wenigstens eben so vielen Punkten gekämpft worden war. Die Baiern verloren:

todt: 9 Offiziere, 92 Mann,

verwundet: 37 Offiziere, 554 Mann,
gefangen: 6 Offiziere, 559 Mann,

in Summa also: 52 Offiziere und 1205 Mann.

Am härtesten war die 3. Division betroffen worden, die, bis gegen Mittag hin, auf der ganzen Linie von Hammelburg bis Hausen und Waldaschach, allein im Feuer stand und auch wohl später noch an den Kämpfen um Winkels und den Sinnberg einen partiellen Antheil nahm. Ihr Führer, Generallieutenant v. Zoller (neben v. d. Tann der beste Offizier der Armee), war gefallen, Generalmajor Graf Pappenheim verwundet. Das 15. Infanterie Regiment verlor 11 Offiziere: 4 todt, 4 verwundet, 3 vermißt.

Der preußische Gesammtverlust bezifferte sich niedriger als der bairische:
todt: 10 Offiziere, 133 Mann,

verwundet: 25 Offiziere, 671 Mann,
gefangen: 1 Offizier, 57 Mann,

in Summa also 36 Offiziere und 861 Mann. In Wahrheit aber, wenn wir von der größern Zahl bairischer Gefangenen absehen, hatten wir schwerere Einbußen erfahren, als der Gegner. Nicht zu verwundern! Aller Orten, mit Ausnahme des Gefechtes bei Nüdlingen, waren wir die Angreifenden gewesen und hatten den Gegner aus Positionen geworfen (oder diesen Positionen doch gegenüber gestanden), denen schwer beizukommen war. Wir erinnern nur an die Gradirwerke und an die Häuserreihe links und rechts neben der Brücke. Während des ganzen Feldzuges operirten die Baiern nach dieser Seite hin mit großem Geschick und brachten uns dadurch um die Vortheile, die, namentlich der östreichischen Kampfesweise gegenüber, unsre Bewaffnung uns unzweifelhaft gab.

Ueberblicken wir unsere Verluste am 10. Juli im Detail, so ergiebt sich, daß das 19. Regiment am schwersten litt (10 Offiziere, 288 Mann). Nächst ihm das 55.*)

Das Füsilier - Bataillon leztgenannten Regiments verlor 6 Offiziere (2 todt) und 101 Mann. Geringer waren die Verluste der übrigen Truppen. theile.

Das 1. Bataillon 15. Regiments hatte 2 todte Offiziere, die Lieutenants Delius und Lindner.

Besonders beklagt wurde der Tod des Majors Rohdewald. Schon in der Nacht war seine Leiche vom Schlachtfelde aus nach der Stadt geschafft und im Kursaale niedergelegt worden. Am andern Morgen zwischen 10 und 11 Uhr fand seine Beerdigung statt. Ein Offizier vom Bataillon Lippe schreibt: Der Sarg wurde von Unteroffizieren getragen. Unter dumpfen Trommelschlägen und den Trauerklängen der Musik sezte sich der Leichenzug,

*) Das 1. Bataillon vom 55. Regiment verlor den Fähnrich v. Wasmer, den ersten Schleswig-Holsteiner, der für Preußen fiel. Mit Rücksicht hierauf geben wir Folgendes. v. Wasmer wurde im Kampf um die Nüdlinger Höhen (vergl. S. 121) verwundet, fiel in bairische Hände und kam in das Lazareth von Münnerstadt. Am 25. Juli wurde er bereits ausgewechselt und nach Kissingen ins preußische Lazareth transportirt, woselbst er leider am 15. August seinen Kopfwunden erlag. Er war, nachdem er in Rendsburg das AbiturientenExamen bestanden, in Minden beim 55. Infanterie-Regiment als Avantageur angenommen worden und hatte sich während des Kampfes als ein tapferer Soldat gezeigt. Seine Leiche wurde nach Holstein zurückgebracht und im Familienbegräbnisse der Familie v. Wasmer zu Sehestedt bei Rendsburg am 20. August beigesezt, wozu der Generalmajor v. Kaphengst, nachdem er Kunde davon erhalten, eine Compagnie Landwehr commandirt hatte und wobei er selbst nebst vielen anderen Offizieren zugegen war. Das Begräbniß war ein tief ergreifendes; die Unteroffiziere, die den Sarg vom Leichenwagen in die Ruhestätte trugen, konnten ihre Thränen nicht zurückhalten und nahmen sich als Andenken an den Kameraden jeder ein Blatt von den auf demselben liegenden Kränzen. Der Generalmajor v. Kaphengst legte zulcht auf den Sarg einen mit weiß und schwarzen Bändern geschmückten Lorberkranz mit den Worten: „Als leyten Gruß von Deinen Kameraden überreiche ich Dir die wohlverdienten Lorbern." Dann folgten die Ehrensalven.

gefolgt von dem ganzen Bataillon, in Bewegung und zog durch die Hauptstraße dem Kirchhofe zu, auf welchem noch Haufen todter Preußen und Baiern mit klaffenden Wunden friedlich neben einander lagen und auf die Vollendung ihrer legten, gemeinsamen Ruhestätte warteten. Divisionsprediger Jordan sprach; dann »Präsentirt das Gewehr« und ein stilles Gebet. So nahmen wir Abschied von unsrem allverehrten Commandeur. Ernst und schweigend kehrte das Bataillon in die Stadt zurück. Eine große Anzahl Fremder, namentlich Engländer, hatte sich zu dieser Feierlichkeit eingefunden. Etwa zu gleicher Stunde begrub auch das 19. Regiment seine 4 todten Offiziere auf dem Kissinger Kirchhofe. An ihre Gräber treten wir später (vergl. S. 148). Hier nur ein Wort über die schweren Verluste, die das Regiment überhaupt zu tragen hatte und deren General v. Goeben, übrigens unter mehrfacher Anerkennung der glänzenden Tapferkeit dieser Truppe, in seiner Relation über das Gefecht bei Kissingen in folgenden Worten Erwähnung thut: »Die schwersten Verluste hatte das 19. Regiment, welches zu der überraschenden Besetzung des Sinnberges (durch den Feind) die Veranlassung gegeben und unter den Folgen davon zu leiden hatte.« Es liegt ein Vorwurf in diesen Worten, der vielleicht um so tiefer trifft, je maßvoller er gehalten ist. Es ist aber bei blos angedeutetem Tadel über das Negiment und seine Führung am 10. Juli nicht geblieben und dieser lauter werdende, und wie wir gleich bemerken wollen, höchst ungerechte Tadel giebt uns Veranlassung, auf die Vorwürfe, die erhoben worden sind, näher einzugehn. Es sind namentlich drei:

1. Oberstlieutenant v. Henning hätte, nach den Nachmittagserfolgen am Sinnberge, also vor Eintreffen der Division Stephan, Nüdlingen besehen sollen.

2. Die seitens der Baiern glücklich ausgeführte Umgehung unsrer linken Flanke war nur in Folge einer Unachtsamkeit möglich.

3. Das Zurücknehmen des Gros des Regiments in dem allerkritischsten Moment umschloß eine allergrößte Gefahr und konnte den Erfolg des Tages in eine Niederlage verwandeln.

So die gemachten Ausstellungen. Wir wollen darauf antworten. Ad 1. Die Besetzung Nüdlingens, am Nachmittag, unterblieb auf ausdrücklichen Befehl des Generals v. Kummer, dem zu dieser Stunde des Tages das 19. Regiment unterstellt war. Der General ordnete ausdrücklich an: »Die Stellung am Sinn- und Schlegelsberge festzuhalten und Nüdlingen nicht anzugreifen.« Läge also hier ein Fehler vor, so würde er nicht die Führung des 19. Regiments treffen. Es liegt aber kein Fehler vor. Wir stimmen völlig den Worten des Oberstlieutenants v. Henning bei, der Folgendes

schreibt: »Ich spreche hiermit meine bestimmte Ansicht aus, daß Nüdlingen in seiner eigenthümlichen tiefen Lage und durch seine topographische Form in der beregten Kriegssituation sich weder zur Beobachtung noch zur Vertheidigung eignete. Seine Wegnahme war durch die Kriegsraison nicht geboten.«

Ad 2. Die Umgehung des linken Flügels, die so verhängnißvoll zu werden drohte, wurde durch drei Dinge möglich gemacht:

einmal durch den Wald am Sinnberg, der den Blick nach Norden während alles übrige eingesehn werden konnte sperrte ¡

zu kleinerem Theil durch einen weißen Höhenrauch, der über der Landschaft lagerte

und drittens und vornehmlich dadurch, daß die bis zur Hainmühle vorgeschobene 10. Compagnie diese wichtige Stellung am äußersten linken Flügel freiwillig und ohne entsprechende Meldung aufgab und dadurch den linken Flügel nicht nur entblößte, sondern auch unbeobachtet ließ.

Dies war ein Fehler seitens der 10. Compagnie, wiewohl Mannigfaches zu ihrer Entschuldigung spricht; jedenfalls ist der Führung des Negi, ments kein Vorwurf daraus zu machen; im Gegentheil, seitens desselben geschah alles, um das Unheil abzuwenden. Es operirte dabei mit bemerkens. werther Umsicht und Kaltblütigkeit. Dies führt uns auf den dritten Punkt.

Ad 3. Die Zurücknahme des Gros, also der 2., 3., 4., 9. und 12. Compagnie, ist der Führung des Regiments als ein Fehler angerechnet worden. Schwerlich mit Recht. Wir möchten umgekehrt annehmen, daß darin die Rettung lag. Jedenfalls war es das einzig Correcte. Die ver einzelten, überraschten und übergerittenen Compagnieen waren momentan widerstandsunfähig, sie bedurften der Nalliirung, um einer Kraftentwicklung zu einem energischen Gegenstoß überhaupt noch wieder fähig zu werden. Oberst v. Henning hat sich selbst darüber ausgesprochen: »Den Befehl zum Zurückgehn zu geben, wurde mir als Soldat sehr schwer. Indessen in dem Thalkessel rings umfaßt, ohne Uebersicht, gekannten und überlegenen Kräften gegenüber, erschien es mir bei der taktischen Form, die das Gefecht nun einmal angenommen hatte, unerläßlich, die Rückwärtsbewegung anzuordnen, da ein längeres Ausharren nichts andres bedeutet hätte, als den Erfolg dem Zufall, ja mehr als dem Zufall anheimzugeben. « Dies scheint uns richtig. Der glänzende Schlußakt des Dramas war nur möglich nach vorhergegangener Ralliirung aller vorhandenen Kräfte.

Wenn der Ausgang des Tages schließlich doch ein Mißerfolg gewesen wäre, wenn die Baiern den Sinnberg behauptet und uns zu einem Zurück

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