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Der Kissinger Kirchhof liegt hoch; wie ein Kastell springt er in die Straße vor, so daß, wer von der Stadt aus an ihm vorüber will, erst von der schmalen Front, dann von der langen Flanke aus unter Feuer genommen werden kann. Die Länge des Kirchhofs ist 200 Schritt, seine Breite 30; eine Mauer aus rothen Quadern faßt ihn ein. Das Mauerwerk, in Folge unebenen Terrains, wechselt zwischen 4 und 8 Fuß Höhe; etwa ebenso hoch ist der Erdwall (der Abhang), auf dem die Mauer sich erhebt. Zwei Gebäude stehen auf dem Kirchhof: das Meßnerhaus und die Marien-Kapelle. Legtere, ein geräumiger, mit Bildnissen und vergoldeten Nococo-Heiligen reich ausgeschmückter Bau, liegt etwas zurück; das Meßnerhaus aber, hart an der Ecke von Front und Flanke, beherrscht das ganze Terrain, namentlich die breite, von der Stadt her zum Kirchhof hinaufführende Straße. Unmittelbar neben dem Hause (auch in Front) ist der Eingang zum Kirchhof; steinerne Stufen führen hinauf; hart an der untersten Stufe, den Eingang mit ihrer Krone überdeckend, erhebt sich eine Linde; in Front der Linde ein Muttergottesbild.

Dies war der Ort, den Hauptmann Thoma, etwa um 12 Uhr, mit 300 Mann vom bairischen 15. Regiment besetzt hatte. Mit ihm waren Oberlieutenant Hoppe und die Lieutenants Heßle und Mayer.

Als der Hauptmann eine typisch - bairische Figur: klein, embonpoint, lebhaft und tapfer seine 300 beisammen hatte, gab er Befehl, alles zur Vertheidigung einzurichten, das Meßnerhaus wurde zu einer kleinen Festung umgeschaffen und an der langen Seitenmauer hin aus Tonnen, Sägeböcken, Bohlen und Balken (die man einem gegenübergelegenen Holz, und Bretterhof, entnehmen konnte) ein Gerüst hergerichtet, gerade hoch genug, daß der Mann sein Gewehr auflegen und selbst mit Leichtigkeit Deckung nehmen konnte. Die besten Schüßen hatten einzelne Steine aus der Mauer ausgelöst und auf die Weise Schießscharten gewonnen.

Nachdem so alles vorbereitet und das Meßnerhaus mit einzelnen Posten zum Auslugen besezt worden war, zogen sich die 300 in die Marienkapelle zurück, die einerseits Schuß gegen die Mittagshiße, andrerseits einige Deckung gegen die dann und wann einschlagenden Granaten gewährte. Mehrere Grabsteine und Denkmäler wurden durch solche in die Jrre gehenden Kugeln und Sprenggeschosse getroffen, unter andern der Grabstein eines Preußen, des Sattlermeisters Carl Teschner aus Groß- Glogau, der am 5. Juli 1865 im Bade zu Kissingen gestorben, also genau vor Jahresfrist auf dem Kissinger Kirchhofe beigesetzt worden war. Die Sprengstücke der Granate sowohl, wie des zersplitternden Grabsteins richteten noch unter den Nachbar-Monumenten eine Verheerung an und schlugen von

einem im gothischen Style errichteten Grabdenkmal die Spißen und Zacken herunter. *)

Um 14 Uhr rückten die Unsren, die sich bis dahin im Centrum der Stadt zurückgehalten hatten, gegen den Kirchhof vor. Es waren Abtheilungen der Brigade Wrangel: die 2. und 3. Compagnie vom 15. und ebenso die 2. und 3. Compagnie vom 55. Regiment unter Führung Majors v. Boecking. Die Posten im Meßnerhause machten Meldung.

»Nun, ihr Leute, machts hinaus«, rief Hauptmann Thoma, kommen's. <<

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Alles griff nach den Gewehren und nahm seinen Stand; die einen im Haus, die andern an der Mauer hin. Nur einer von denen, die in der Kapelle Zuflucht gesucht hatten, blieb an den Altarstufen zurück. Er durfte es. Das war Kaspar Bezer, der Meßner und Todtengräber. In seiner Familie war das Meßner- und Todtengräberamt schon seit dreihundert Jahren. Heute, am 10. Juli, war der hundertjährige Geburtstag seines Vaters. Er sank in die Knie und betete: »Gott, daß ich diesen Tag nie gesehen hätt'!«

Die Unsren rückten rasch vor; sie nahmen die Giebelseite des Meßnerhauses unter ein heftiges Feuer; Kalk und Mörtel stoben umher, aber kein Baier war getroffen. Um so besser trafen die Baiern uns; ein Stocken kam in die Vorwärtsbewegung; es erschien unstatthaft, eine Position, die von keiner hervorragenden Bedeutung war, coute qu'il coute im ersten Anlauf zu nehmen. Man entschloß sich also zu retardiren, andre Compagnieen heranzuziehen und entweder eine Umgehung dieser Kirchhofsstellung oder doch einen Angriff von verschiedenen Seiten her zu versuchen, bis dahin aber ein Schüßengefecht fortzuspinnen.

Und so geschah es. Es mochte 3 Uhr sein, als sich weitre Abtheilungen der Unsrigen, namentlich Compagnieen vom 53., erst rechts ausbiegend und dann wieder einschwenkend, in Gärten und Vorstadt-Häusern festgesezt und auf Entfernung von kaum hundert Schritt (wenig mehr als die Straße lag zwischen ihnen) der langen Kirchhofsmauer gegenüber eingenistet hatten. Jezt war es möglich, die Position von zwei Seiten her unter Feuer zu nehmen. Aber an der vorzüglichen Deckung scheiterte alles Tirailliren. Dies war kein Kampf, der mit der Schußwaffe zum Austrag gebracht werden konnte.

Von dem Augenblick an, wo das feststand, war auch die Sache entschieden. In dichten Schwärmen brachen unsre 53 er über die Chaussee

*) Die Groß. Glogauer, so wenigstens war intendirt, haben den Grabstein ihres Landsmannes (der ein in der Stadt sehr respektirter Mann war) durch eine geschickte Cementirung, etwa wie man ein Biscuit Bild kittet, wieder herstellen und der alten Inschrift die neue hinzufügen lassen: am 10. Juli 1866 von einer preußischen Granate getroffen.“

vor, den Abhang hinauf und durch einen Seiten-Thorweg hindurch, den man von innen her mit Hülfe alter Grabsteine verrammelt hatte. Die Grabsteine stürzten um und über zahlreiche Kindergräber hin, die hier an kleinen Kreuzen die immer wiederkehrende Inschrift tragen: »Hier ruht das schuldlose Kind« (und dann der Name) drangen die von Kampf erhißten Westphalen in den Kirchhof ein. Der Thorweg war ziemlich genau in Mitte der langen Mauer. Das Einbrechen und Vordringen an dieser Stelle war wie ein Keil, der die Vertheidiger in zwei Hälften theilte; was rechts stand und noch Kraft hatte zum Klettern und Springen, konnte fliehn (man ließ es geschehn); was links stand, war abgeschnitten.

Links stand auch das Meßnerhaus, dicht besezt in Erdgeschoß und erstem Stock. Von allen Seiten her anstürmend, nahmen es die Sieger im ersten Anlauf; Widerstand war nuzlos und die Meisten gaben sich gefangen, aber nicht alle. Ein 53 er seßte einem Baier das Gewehr auf die Brust und rief ihm zu: »nimm Pardon«. Der Baier aber, statt aller Antwort, schlug das Gewehr bei Seite und sprang dem Westphalen an die Kehle. Auf so nahe Distanze konnte dieser sein Gewehr nicht brauchen und warf es fort. Beide zogen ihre Säbel und mit der Linken sich krampfhaft an den Kragenstücken haltend, hieben und hackten sie jezt auf einander ein. Eine preußische Kugel machte dem Kampf ein Ende.

Alles, was nach rechts hin die Mauer überklettert hatte,*) hatte inzwischen das freie Feld gewonnen; mit ihnen war Hauptmann Thoma Alles drängte die Chaussee hinan auf Winkels zu. »Halt, ihr Leute«, rief jezt der Hauptmann, als er sah, was er noch beisammen hatte. »Halt!« und sie standen. Es waren noch 200 Mann.

Zur Seite der Chauffee, einen rechten Winkel mit ihr bildend, zog sich ein Graben; dahinter nahmen die 200 Stellung und suchten Deckung, so gut sie zu finden war. Ein kurzes Gefecht entspann sich; aber es war das lezte Aufflackern des Kampfes. Dieser kümmerliche Graben war keine zu haltende Position und unter dem Feuer unsrer nachdrängenden und überflügelnden Schüßen stob die dünne Linie auseinander. Hauptmann Thoma, auf den Tod verwundet, fiel in Gefangenschaft; mit ihm sein Oberlieutenant und wohl die Hälfte der Mannschaften. Der Rest floh auf Winkels und Nüdlingen zu.

161 Mann, die Todten und Verwundeten ungerechnet, fielen am Kissinger Kirchhof den Siegern in die Hände. Sie wurden in derselben

*) Einer, ein sicherer Mann“, ließ sich, während des Kletterns, in den kleinen, dreiwinkligen Raum hinabgleiten, der in der südöstlichen Kirchhofsecke durch eine schrägstehende Familiengruft gebildet wird. Hier mußte er bis zur Nacht verbleiben, ehe er seinen weitern Rückzug bewerkstelligen konnte.

Marienkapelle untergebracht, in der sie die Stunde vor dem Kampfe zugebracht hatten. Später schaffte man sie nach Preußen. Nur einer entkam glücklich. Er hatte sich, während alle andern Gefangenen unten im Kirchenschiff lagerten, oben auf der Kanzel einquartiert, duckte sich, als die Kirche geräumt wurde und rettete sich durch diese einfache Procedur. Uebrigens mag auch das noch eine Stelle hier finden, daß ein Münsterländischer Cürassier, den man als Wachtposten vor die Kapelle gestellt hatte, abzulösen vergessen wurde. Er stand zwei Tage lang auf Posten, ruhte dann und wann eine halbe Stunde, während welcher die Meßnersfrau den Wachtdienst für ihn that und schlief immer erst mit der Beschwörungsformel ein: wecken's mich, Frau, oder 's kost't mein Leben.«

Das Gefecht bei Winkels und Nüdlingen.

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JE Baiern waren aus Kissingen hinausgeworfen, auch die Kirch. hofsposition war verloren. Von ihrer ursprünglich innegehabten Stellung hielten sie nur noch, im Nordosten der Stadt, den Sinnberg fest. Hier standen noch, unter Cavallerie Bedeckung, dieselben Batterieen, die am Morgen des 10. ihr Feuer gegen die Höhen jenseits der Saale, gegen den Staffelberg und den Altenberg eröffnet hatten. In diese Position am Sinnberg rückten jezt auch die aus Kissingen sich zurückziehenden Bataillone der Division Zoller ein, wie es schien, entschlossen, an dieser Stelle einen erneuten Widerstand zu versuchen.

Sie durften es wohl. Denn, ganz abgesehen von der natürlichen Festigkeit der Stellung, war an eben dieser Stelle, von Münnerstadt her, auch eine neue Truppe eingetroffen, die Division Feder. Diese neue Division besezte den Höhenkranz, der das Dorf Winkels vom Rücken her einschließt, belegte das Dorf selbst, verstärkte den Sinnberg mit einigen Ba taillonen und schob das 7. Jäger Bataillon auf den südlich der Chaussee sich hinziehenden Waldhöhen bis halben Wegs gegen Kissingen vor. Es war eine Hufeisenstellung, mit zwei Divisionen (Zoller und Feder) besezt; Winkels an der offnen Seite, schluchtartig, hart an der Chaussee.

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