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todt, mit dem Gesicht der Straße zugekehrt. Der Luftdruck hatte sie getödtet. Die Jägerwache und die Posten zwischen den ersten Wällen waren unversehrt. In den Gräben hinter dem zweiten Wall befanden sich links der Brücke Schafe, rechts Rindvieh behufs Verproviantirung der Citadelle. Auch hier sah man deutlich den Weg, welchen der Luftdruck genommen. Während die Schafe getödtet, in Stücke gerissen waren, war dem anderen Vich rechts der Brücke nichts geschehen.

Am Thorwege nach der Wache zu, lag ein schöner blonder, noch blutjunger Französischer Offizier; der Jägerposten hatte ihn, nach der Erschütterung an Kampf glaubend, durch den Kopf geschossen. Als wir eben an dem Kasernenthor vorüberkamen, kam in einem Jägermantel, an seinen vier Zipfeln getragen, der brave Führer der 1. Kompagnie, Lieutenant Dräger, uns entgegen. Der rechte Arm fehlte, das linke Bein war an mehreren Stellen gänzlich zertrümmert, das Gesicht über und über mit Anschwellungen bedeckt, und doch lächelte er uns freundlich entgegen, keine Muskel verrieth Schmerz oder Angst. Das Innere des Citadellenhofes vermag ich nicht zu beschreiben. Aber kein Auge, selbst des härtesten, rauhesten Kriegers blieb thränenleer. Mit dem Augenblick der Erplosion waren die Jäger und Franzosen in die Luft gehoben und gegen die gegenüberliegende Kaserne oder darüber hinaus geworfen. An den Mauern abprallend waren sie dann, todt oder verstümmelt, zugleich mit dem oberen Stock der Kaserne, in den 20 Fuß breiten und tiefen Graben gefallen, und die leberlebenden lagen dort, eingeklemmt in Schutt und Steine, schmerzentstellt, um Hülfe flehend. Vier Französische Offiziere, welche zusammengestanden und gesprochen hatten, lagen wie Seidenpapier zerdrückt unter einem einzigen großen Quaderstein.

Der Herzog von Mecklenburg war durch einen Stein im Rücken, der General Theremin d'Hame durch Steine am Kopfe verwundet, dem Hauptmann Mann war der Hinterkopf gänzlich zerschlagen. Sie alle sind ihren Wunden erlegen. General Théremin d'Hame starb im Krankenhause zu Laon am 4. Oktober 1870; Lieutenant Dräger nach monatelangen Leiden; der Herzog von Mecklenburg starb erst, scheinbar wieder hergestellt, nach neun Jahren 1879 in Heidelberg an seinen in Laon erhaltenen Wunden.

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Der größte Theil der Laoner Besayung bestand aus einheimischen Mobilgarden, welche nun im Kriege in der eigenen Vaterstadt durch die ruchlose Hand des eigenen Kameraden ihr Leben verloren. Ich vermag es nicht zu beschreiben, das Wehklagen und Weinen von Müttern, Frauen, Geschwistern und Kindern, die in der Citadelle nach einem theuren Haupt der Familie oft wohl nach dem Ernährer derselben vergeblich riefen und suchten. Aller Jammer und aller Schrecken einer Schlacht, ja, nicht einmal der Brand von Bazeilles am Abend der Schlacht bei Sedan können auch nur annähernd mit diesem namenlosen Unglück verglichen werden.

Ein Stabs- und Assistenzarzt, vier Lazarethgehülfen unseres Bataillons und wenige Civilärzte hatten gewiß einen schweren Stand; sie erfüllten aber mit Aufopferung aller Kräfte ihre Pflicht, und erst am nächsten Mittag traf das nächste Sanitäts-Detachement ein. Ein alter Französischer Arzt sagte mir selber: >>Mit diesem Tage schäme ich mich, Franzose zu sein!«

Die strengste Untersuchung sollte eingeleitet werden. Der Divisionsauditeur der 6. Kavallerie - Division traf am folgenden Tage ein, um sie zu leiten und die Schuldigen zu ermitteln. Ich selbst war als militärischer Beisizer zu dieser Untersuchung kommandirt, nachdem mir am Morgen die Ehre zu Theil geworden war, den Höchstkommandirenden der Maas-Armee, den Kronprinzen von Sachsen, mit seinem Generalstabschef, General v. Schlotheim, durch die Citadelle führen zu dürfen. Auf der Südspihe der Citadelle sagte der jezige König von Sachsen: »Die schärfste Untersuchung soll gegen den Kommandanten eingeleitet werden, und läßt sich ihm die geringste Schuld nach. weisen, so soll hier ein Galgen errichtet werden, an dem er hängen soll.« Mittags 1 Uhr des folgenden Tages wurden die Französischen Offiziere in dem Saale der Präfektur vernommen; die Unschuld derselben trat sofort klar zu Tage, und am Nachmittag 31⁄2 Uhr betraten wir im Hotel de Dieu das Krankenzimmer des Kommandanten General Theremin d'Hame, vor dessen Thür ein Jägerposten mit gezogenem Hirschfänger stand.

In mattblauem Schlafrock mit rothem Futter, einen weißen festen Verband um die Stirn, lag eine schöne, kernige Soldatengestalt mit grauem Haar und gleichem Schnurrbart. Der General schien Schmerzen zu haben, und das Verhör war kurz. Seine Aussage lautete: »Ich war in Paris, um dort wegen der Bedingungen der Uebergabe der Citadelle von Laon mit der Regierung zu unterhandeln; dieselben wurden einstimmig gutgeheißen. Am Tage nach meiner Rückkehr kam der den Dienst eines Artillerieoffiziers vom Play versehende Sergeant d'Artillerie, Harriot, zu mir und sagte, er wolle bei der Uebergabe die Citadelle in die Luft sprengen. Ich verwies ihm das, glaubte ihm aber nicht, sondern hielt ihn für einen überspannten Kopf und beobachtete ihn während seines Dienstes, ohne weiter Auffälliges zu bemerken. Als ich nach ihm bei der Uebergabe der Citadelle rief, fehlte er, und ehe ich ihn suchen lassen konnte, war das Unglück geschehen.«

Unter den Todten und Verwundeten in allen Lazarethen suchten wir die Spur dieses Harriot, jedoch vergeblich. Endlich am Abend kamen wir in das Haus eines Französischen Artillerieunteroffiziers. Er lag im Sterben und röchelte bereits, umgeben von trostlosen Mitgliedern seiner Familie. Der Divisionsauditeur sprach eindringlich zu ihm, und mit Mühe stieß er noch die Worte hervor: »Harriot, Lunte, Pulvermagazin!« und war todt.

Aus alledem geht hervor, daß Harriot mit der Lunte in der Hand, vom Fanatismus beherrscht, das Pulvermagazin angezündet und dabei selbst seinen Tod gefunden, aber auch den Verlust von 95 Jägern, vieler Preußischer Offiziere und 700 Französischer Soldaten und unschuldiger Einwohner, jeden Geschlechts und Alters, auf sein Gewissen geladen hatte. Die Begleiter des Hauptmanns Mann waren sämmtlich verwundet, zwei Offizierpferde getödtet.

Zudem hatte die Leitung, die durch Schwefelfäden verbunden war, glücklicherweise versagt, sonst wäre das Unglück ein zehnfach schwereres geworden und würde auch die altehrwürdige Kathedrale dem Fanatismus eines Einzelnen zum Opfer gefallen sein.

Die Einwohner Laons wetteiferten darin, das maßvolle, ernste Verhalten der Jäger durch Gastfreundlichkeit zu entschädigen. Der Präfekt von Laon, der die Einwohner stets zum Widerstand aufgereizt hatte, wurde in seinem eigenen

Wagen verhaftet und fuhr, statt nach Hause, auf die Citadelle von Ehrenbreitstein.

Am folgenden Tage fand die feierliche Beisehung der gefallenen Opfer der Citadellenerplosion auf dem Kirchhofe von Laon statt. Es war der ergreifendste Augenblick für alle Anwesenden aus dem ganzen Kriege. In lange Leinentücher gehüllt, senkten wir die aufgefundenen Glieder unserer lieben Kameraden, Freund und Feind, in ein Grab.

Heute erhebt sich auf dieser Stelle ein schönes Denkmal. Zwei preußische Jäger, die Büchse unter dem Arm, aus Sandstein gefertigt, stehen neben dem Grabstein, in dem für alle Zeiten die Namen der gefallenen Opfer des 9. September 1870 eingemeißelt sind. Den Blick wenden sie der aufgehenden Sonne im Often, weithin über die fruchtbare Ebene der Dise schauend, in der Richtung der vielgeliebten Heimath zu. Sie ruhen sanft in fremder Erde!“

So schildert Lieutenant v. Hellfeld die furchtbare Katastrophe und setzt seinen braven Jägern ein unvergängliches Denkmal des Lobes. Unser Regiment hatte mit dem Hauptmann Mann einen seiner tüchtigsten und beliebtesten Offiziere verloren. Er fand einen frühen Tod durch Verräthers Hand, und es war ihm nicht vergönnt, den Ruhmeszug auf Paris mitzumachen.

Der Marsch nach Paris wurde ununterbrochen fortgesetzt, das IV. Korps marschirte über Laon, Vailly, Droizy, Villers Cotterêts, Nanteuil. Das Land, durch das man zog, von Natur verschwenderisch ausgestattet, mit den vielen herrlichen Schlössern, umgeben von üppigen Parkanlagen, reich ausgestatteten Häusern und Villen mit sorgsam gepflegten Gärten, zeugte von der Wohlhabenheit der Bewohner. Diese selbst zeigten sich aber überall außerordentlich feindselig oder mindestens widerwillig. Besonders hatten die vor der Front der Armeeen marschirenden Kavallerie-Divisionen und mit ihnen unsere 1. und 2. reitende Batterie darunter zu leiden. Sie hatten manches Gefecht mit Mobilgarden zu bestehen, wurden auch fortwährend von Franktireurs gereizt, welche nach dem Gefecht sich sofort in Civilkleider steckten und die harmlosen Einwohner spielten - ein Verhalten, welches öfters harte Maßregeln gegen die Bevölkerung nothwendig machte. Je mehr man sich der feindlichen Hauptstadt näherte, desto mehr fand man die Ortschaften von den Einwohnern verlassen, zum Theil sogar die Häuser verwüstet. Auf Anordnung der Regierung der nationalen Vertheidigung zu Paris waren alle Ortschaften vor dem Eintreffen der Deutschen Truppen gründlich ausfouragirt worden. Was die Bewohner nicht hatten mitnehmen können, hatten sie verwüstet, auf den Feldern sogar die Korndiemen in Brand gesteckt. Die Verpflegung bot daher große Schwierigkeiten,

14. September.

besonders da in dem nachgeführten Rindvieh die Rinderpest ausgebrochen war. Es begann die Zeit des ewigen Hammels und der Erbswurst.

Große Freude erregte es, als in diesen Tagen dem Regiment die ersten Eisernen Kreuze verliehen wurden.1)

Unternehmung Am 14. September erhielt das IV. Armeekorps, nachdem die gegen Soiffons. Aisne von der 7. Division auf einer Pontonbrücke bei Missy, von der 8. und der Korpsartillerie auf einer schwankenden Kettenbrücke bei Vailly, die man nur mit der größten Vorsicht benutzen konnte, überschritten war, den Auftrag gegen die Festung Soissons zu rücken. Man wußte zwar, daß die Festung stark besetzt war, doch hoffte man bei der tiefen Lage des Plazes durch Beschießung aus Feldgeschüßen der Aufforderung zur Uebergabe einen wirksamen Nachdruck geben zu können.

15. September

Die 7. Jufanterie-Division wurde auf die Höhe von Billy vorgeschoben, die I. Fuß-Abtheilung marschirte auf, und die 1. schwere Batterie Löwe gab drei Granatschüsse ab. Da aber der Kommandant die Aufforderung zur Uebergabe energisch ablehnte, befahl der anwesende Kronprinz von Sachsen den Weitermarsch des Korps, um nicht unnüt Munition zu verschwenden.

Am 15. September ergingen aus dem Großen Hauptquartier die Befehle zur Einschließung von Paris. Die drei Korps der Maas-Armee sollten am 19. September die Hauptstadt im Norden, auf dem rechten Seine- und Marne-Ufer, einschließen, die 5. und 6. Kavallerie-Division schon am Tage vorher über Pontoise und Poissy die Verbindung mit der Dritten Armee aufsuchen. Das IV. Armeekorps sollte dann auf Befehl des Oberkommandos der Maas-Armee auf dem rechten Flügel der Letteren die Straßen nach Amiens, Beauvais und Rouen sperren und sich bis nach Argenteuil an die Seine ausdehnen.

Das am 16. September bis Nanteuil gelangte IV. Korps marschirte über Dammartin weiter. Die durch Barrikaden, Glassplitter, Einschnitte 2c. hergestellten Hindernisse wurden entweder bald weggeräumt oder umgangen und die vorgeschriebenen Marschziele am 18. September erreicht: 8. Jnfanterie-Division Roissy, Korpsartillerie Le Mesnil Amelot, wo auch die 2. reitende Batterie von der 6. Kavallerie-Division in den Verband der Korps artillerie zurücktrat, 7. Infanterie-Division Dammartin.

1) Siehe Anlage 17.

Das Armeekorps sollte am folgenden Tage über St. Brice

auf Argenteuil marschiren.

Gefecht bei Pierrefitte.

Am 19. September früh wurde der Marsch in die vorgeschriebene 19. September. Stellung angetreten. Eine Erkundung der 12. Husaren, der sich der Premierlieutenant Herzog angeschlossen hatte, ergab, daß größere feindliche Abtheilungen sich zwischen Pierrefitte und St. Denis befanden. Das Korps mußte also hart am Feinde vorbei einen Flankenmarsch ausführen, welchen die 8. Division zu decken hatte. Sie marschirte in zwei Kolonnen mit der 15. Brigade auf Sarcelles, mit der 16. auf St. Brice und Montmorency. Es folgte die Korpsartillerie, dann die 7. Infanterie-Division. Beide Brigaden stießen bei Sarcelles und Deuil auf Vortruppen des Feindes, die sie aber in leichtem Gefecht vor sich her nach Pierrefitte und St. Denis hineinwarfen. Während es vorn lustig knatterte und das Gefecht immer weiter vorwärts ging, sahen unsere Batterieen zum ersten Male die unermeßliche Stadt, welche in hellem Sonnenscheine, still und friedlich in der lachenden Umgebung zu liegen schien. Der Montmartre mit der Solferino-Säule, der Dom der Invaliden, der Arc de triomphe, das Pantheon und die herrliche Notre-Damekirche hoben sich deutlich ab. Es war ein prächtiger Tag, beinahe heiß, die Bäume standen noch im vollen Schmuck des Laubes, die Weinstöcke hingen voll der saftigsten Früchte. Aller Herzen schlugen beim Anblick der stolzen Weltstadt, Jeder fühlte, daß ein großes Ziel erreicht war, aber auch, daß Größeres noch bevorstehe; Niemand ahnte aber, daß hier noch fast fünf Monate Anstrengungen und Entsagungen bevorstanden.

von Paris.

Am Nachmittag wurden Quartiere und Biwaks bezogen. Die Einschließung 13. Infanterie-Brigade in Sarcelles, die 14. und die Korpsartillerie in St. Brice, die 15. Brigade in Graulay, die 16. Infanterie-Brigade in Montmorency und Deuil. Die dem IV. Armeekorps zur Verbindung mit der Dritten Armee unterstellte 2. Garde-Kavallerie-Brigade (Generallieutenant Prinz Albrecht von Preußen (Sohn), 1. und 3. Garde-Ulanen-Regiment) ging zur Beobachtung von Argenteuil noch bis Cormeil en Parisis vor. Die 5. und 6. Kavallerie-Division überschritten am 18. die Dise bei Pontoise, am 20. die Seine bei Triel und traten unter die Befehle der Dritten Armee. Sämmtliche übrigen Theile der Maas- Armee erreichten die ihnen zugewiesenen Stellungen auf der Nord- und Ostfront von Paris ohne Kampf. Die Dritte Armee vollendete die

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