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Wunderkind in seinem sechsten Lebensjahre ein Clavierconcert zu Papier brachte, oder vielmehr darauf hinkleckste, und in seinem achten eine Sinfonie für Orchester schrieb 1), so ist vielleicht bei keinem der großen Tondichter der Schaffenstrieb so frühzeitig erwacht und mit so unwiderstehlicher Gewalt zum Durchbruch gekommen, als bei Franz Schubert.

Sein Bruder Ferdinand bezeichnet 2) zwar die, im Jahre 1810 entstandene vierhändige Fantasie als dessen erste Claviercomposition, und den im Jahre 1811 componirten „Klagegefang der Hagar" als sein erstes Lied; es ist aber außer allem Zweifel, daß Franz schon vor dieser Zeit Lieder, Clavierstücke und selbst Streichquartette geschrieben hat, wie denn auch unter seinen Gesangscompositionen einige, deren Entstehungszeit nicht angegeben ist, durch ihre Unbedeutendheit auf jene früheste Periode des Schaffens hinweisen.

Eilf Jahre alt und im Besiße einer hübschen Sopranstimme, ließ sich Schubert auf dem Chor der Lichtenthaler Pfarrkirche als Solist im Gesang und als Violinspieler verwenden und

1) Mozarts erste Sinfonie datirt aus dem Jahre 1764 (s. v. Köchel them. Catalog).

2) In den Aufsätzen „Aus Franz Sch's Leben“, enthalten in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ Nr. 33-36 Band 10, Jahrg. 1839. Das darin vorkommende Verzeichniß umfaßt alle jene Schubert'sche Compofitionen, welche sich damals (1839) entweder im Besitz Ferdinand Sch's. oder der Verlagshandlung Diabelli befanden, ist daher nicht erschöpfend. Der Werth dieser Zusammenstellung besteht aber darin, daß in derselben Schubert'sche Compositionen, namentlich aus der frühesten Periode, aufgezeichnet erscheinen, welche, da sie in der Zwischenzeit verloren gegangen sind, ohne diese Zusammenstellung auch dem Namen nach nicht mehr gekannt sein würden.

trug nach den Versicherungen noch lebender Ohrenzeugen mit schönem und richtigem Ausdruck vor.

Den Bemühungen des Vaters gelang es, den Knaben nunmehr in die kaiserliche Hofcapelle zu bringen und ihm dadurch einen Platz als Zögling in dem Stadtconvicte zu verschaffen. Es war im October 1808, daß Franz den damaligen beiden Hofcapellmeistern Salieri und Ehbler1) und dem Gesangsmeister Korner zur Ablegung der Probe vorgestellt wurde. Als die zu gleichem Zweck erschienenen Knaben des kleinen Schubert gewahr wurden, der, nach damaliger Sitte mit einem hechtgrauen fast weißlichten Rocke angethan, daher kam, meinten sie, das wäre gewiß eines Müllers Sohn, dem könne es nicht fehlen.

Wie nicht anders zu erwarten, erregte Schubert's Probesingen die Verwunderung der prüfenden Herren; er löste die ihm vorgelegte Aufgabe so trefflich, daß seine Aufnahme als Sängerknabe in die Hofcapelle und als Zögling in das Convict ohne weiters erfolgte. Die Uniform, mit der goldenen Borte daran, für deren Glanz auch Schubert nicht unempfänglich war, mußte über den schweren Abschied hinaushelfen, den der Knabe von allen jenen, die ihm bisher im Leben nahe gestanden, für längere Zeit hinaus zu nehmen hatte.

Er war nun Sängerknabe der kais. Hofcapelle; da er übrigens auch die Violine mit ziemlicher Fertigkeit zu spielen verstand, wurde er dem sogenannten kleinen Convictisten-Orchester zugetheilt, dessen Aufgabe es war, größere Tonwerke,

1) Eybler Josef, geb. 1764 zu Schwechat bei Wien, ein Schüler Albrechtsbergers, wurde 1792 regens chori in der Karmeliterkirche in Wien, 1801 kais. Musiklehrer, 1804 Vice- und 1825 Hofkapellmeister. Er starb in Wien 1846.

namentlich die Sinfonien von Haydn und Mozart, dann die damals noch mit verwundertem Blicke angesehenen Werke Beethoven's in fast täglichen Uebungen einzustudiren und zur Aufführung zu bringen.

Von diesen Orchesterstücken waren es namentlich einige Adagio's aus Haydn’schen Sinfonien und die G-Moll-Sinfonie) von Mozart, welche auf den mehr ernsten, gegen seine Umgebung nicht besonders freundlichen Knaben tiefen Eindruck machten, der sich aber beim Anhören der Sinfonien von Beethoven sofort zum Entzücken steigerte. Seine Vorliebe für diesen letteren trat schon damals entschieden hervor; war es doch ihm, wie keinem sonst beschieden, dem großen Meister, zu welchem er als zu seinem Ideale fortan hinaufblickte, unter Wahrung vollster Selbstständigkeit, in immer stolzerem Fluge nachzustreben.

Die Sinfonien von Krommer 2), die ihres heiteren Charakters wegen damals gerne gehört wurden, fanden in

') Man höre die Engel darin singen, pflegte er zu sagen. (Aus Josef Spann's Ausschreibungen.)

2) Krommer (Franz), geboren 1759 zu Kamenit in Mähren, war ein noch zu Anfang dieses Jahrhunderts beliebter Componist. Sein Lehrer war seines Vaters Bruder, regens chori in Turas, der ihn zum Organisten erzog; alle weitere Musikbildung erwarb er sich durch eifriges Selbststudium. Bekannt als tüchtiger Violinspieler kam er in die Capelle des Grafen Agrum nach Simonthurn in Ungarn, wurde später Chordirector in Fünfkirchen, dann Capellmeister beim Regiment Karoly, ging endlich mit dem Fürsten Grassalkowitz als Musikdirector nach Wien, wo er nach dessen Tod privatisirte, und theils durch Unterricht theils durch den Ertrag seiner beliebt gewordenen Compositionen ein anständiges Auskommen faud. Nach Kozeluch's Ableben (1814) wurde er Kammercompositeur, und starb in Wien am 8. Jänner 1831, nachdem er

seinen Augen wenig Gnade, wogegen er jene des Kozeluch1), wenn ihr etwas veralteter Styl von den Musikern bespöttelt wurde, den Krommer'schen gegenüber, mit Wärme zu vertheidigen pflegte. Die Ouverture zur „Zauberflöte“, zu „Figaro's Hochzeit" und die Mehul'schen zählte er zu seinen Lieblingen.

Es konnte nicht fehlen, daß Schubert, der in dem kleinen Orchester alsbald zur ersten Violine vorgerückt war, vermöge seines eminenten Musiftalentes und des Ernstes, womit er die Kunst betrieb, auf dasselbe einen nicht unerheblichen Einfluß gewann, in Folge dessen ihm auch für den Fall der Abwesenheit des Dirigenten Ruczizka die Leitung des Orchesters an der ersten Violine übertragen wurde.

Gleichzeitig war aber auch in dem dreizehnjährigen Knaben der Schaffenstrieb mit unwiderstehlicher Gewalt erwacht; schon vertraute er den Kameraden unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, daß er öfter seine eigenen Gedanken zu Papier bringe.

schon geraume Zeit seinen Ruhm überlebt hatte. Er componirte sehr viel, und zwar in einem gemüthlich heiteren, nicht selten an das Hausbackene streifenden Styl.

1) Kozeluch (Leopold), geboren 1753 zu Wellwarn, starb in Wien 1814. Anfangs zur Jurisprudenz bestimmt, verließ er diese Bahn, um sich ausschließlich der Musik zu widmen. 1778 übersiedelte er nach Wien, wo er als Musiklehrer sehr geachtet, bei Hof und in den höchsten Adelsfreisen Lectionen gab. 1792 wurde er als Mozart's Nachfolger zum kaiserlichen Kammercompositeur ernannt. Er schrieb eine große Anzahl von Musikstücken aller Art, die aber derzeit der Vergessenheit anheimgefallen sind. Seine Tochter Katharina, verehelichte Cibbini, Kammerfrau am kais. Hofe, war bekannt als gute Clavierspielerin.

Diese strömten ihm bereits in Hülle und Fülle zu, und es fehlte nur zu oft an Notenpapier, um sie darauf festzuhalten. Da Schubert nicht in der Lage war, sich solches um Geld anzuschaffen, sorgte eine gütige Freundeshand 1) dafür, und der Verbrauch davon wurde nun ein ganz außerordentlicher.

Sonaten, Messen, Lieder, Opern, ja selbst Sinfonien lagen, nach dem Zeugnisse von Gewährsmännern, zu jener Zeit bereits fertig vor, wovon er jedoch den größten Theil, als bloße Vorübung, vertilgte.

Wie bereits erwähnt, schrieb Franz im Jahre 1810 (April) eine große vierhändige Fantasie (die sogenannte „,Leichenfantasie“), welcher im Jahre 1811 und 1813 noch zwei Fantasien von kleinerem Umfang folgten. Das ersterwähnte Clavierstück dehnt sich über 32 enggeschriebene Seiten aus, und enthält ein Dußend in verschiedenem Charakter gehaltener Tonstücke, deren jedes in einer anderen, als der ursprünglichen Tonart endet. Claviervariationen, die er seinem Vater als erstes Product seines Tonsages vorspielte, trugen schon das ihm eigene Gepräge 2).

In das Jahr 1811 fällt die Composition der Lieder: „Ha= gar's Klage“, „der Vatermörder", mehrerer Instrumentalstücke3) und der eben erwähnten zweiten Clavierfantasie.

„Hagar's Klage") ist darum beachtenswerth, weil es das erste bedeutendere Gesangsstück ist, welches Schu

') Ohne Zweifel Josef Spaun.

2) Ferdinand Schubert: „Aus Franz Sch's. Leben“, 1839.
3) Nach Ferdinand Sch's Verzeichniß: Eine Quintett-Ouverture

(für Ferdinand Sch. comp) und ein Streichquartett.

*) „Hagars Klage“ hat den Convictisten wahrscheinlich in einer der deutschen Chrestomathien, wie solche in den Gymnasien in Gebrauch waren

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