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III.

(1815.)

Wir treten in das Jahr 1815, Schubert's achtzehntes Lebensjahr. Dasselbe erscheint, was die Zahl der in diesem Zeitraum entstandenen Compositionen anbelangt, als das reichste. Ueber hundert Lieder, ein halbes Dußend Opern und Singspiele, Sinfonien, Kirchen-, Kammer- und Claviermusik drängen sich da zusammen, und es ist geradezu unbegreiflich, woher der in der Schule und bei Salieri Vielbeschäftigte die fisische Zeit genommen hat, eine solche Masse von Notenzeichen auf das Papier hinzuzaubern.

Unbekümmert um Form, inneren Gehalt, Länge oder Kürze der Gedichte griff er für seine Lieder und Gesänge bald nach umfangreichen Balladen von Goethe, Schiller, Hölth, Bertrand, Körner, bald nach kurzen Strofenliedern der damals beliebten Dichter Schulze, Kosegarten, Mathisson, Klopstock, Fellinger, Stollberg u. f. f., oder nach den Gesängen Ossian's, nie verlegen um das musikalische Gewand, in welches er dieselben kleiden wollte. Einige von den in diese Zeit fallenden Liedern reihen sich schon dem Besten an, was Schubert auf diesem Gebiet geschaffen; dagegen finden sich unter der großen Masse auch solche, die einen verhält

nißmäßig geringen Werth haben '). Mit besonderer Vorliebe wendete er sich damals der Composition großer Balladen zu, und „Emma und Adelwold" - von Bertrand 2) ist wohl das umfangreichste Gesangstück, das Schubert je niedergeschrieben hat.

Der Zeitfolge nach ist die Ballade „Minona“ von Bertrand (componirt am 8. Februar) die erste. Diese Composition ist schon unverkennbar von Schubert'schem Geist durchweht und erinnert, namentlich in der Clavierbegleitung, an die Ossian’schen Gesänge, von welchen einige zu eben dieser Zeit entstanden sind. Noch mehr ist dies der Fall mit „Amphharaos“ von Theodor Körner, welches große Gedicht er in der unglaublich kurzen Zeit von fünf Stunden (wie auf dem Original bemerkt ist) in Musik sezte. Die Composition ist bedeutend und verfehlt nicht des Eindruckes, wenn sie von einem tüchtigen Sänger ausdrucksvoll vorgetragen wird.

Am 7. Juni nahm er Bertrand's Ballade: „Emma und Adelwold" in Angriff. Die zu diesem Gedicht geschriebene

') Herr Spina besitzt die Autografe von sieben Liedern, die an ein und demselben Tag (15. Oct. 1815) componirt wurden; am 19. Oct. folgten abermals vier Lieder.

2) Wer der Verfasser der obengenannten Balladen (Bertrand) seinem Stande nach gewesen, und wie Schubert auf diese, wie es scheint, nie im Druck erschienenen Gedichte verfallen sein mochte, darüber ist mir keine Sicherheit geworden. Möglich, daß es Anton Franz Bertrand war, der das Duodrama: „Pyramus und Thesbe“ (Halle 1787) für den Componisten Benda schrieb. Die Autografe der Balladen: „Emma und Adelwold“, „Minona“, „die Nonne“, und „Amphiaraos“ besißt die Verlagshandlung Spina.

Musik füllt nicht weniger als fünfund fünfzig Seiten im Manuscript aus. Die Composition zerfällt in viele, durch Tonart und Rhythmus getrennte Theile, ist stellenweise bedeutend und zeichnet sich durch jene prägnante Charakteristik aus, die bei Schubert's Tondichtungen aus dieser Zeit überhaupt schon hervortritt. Einmal im Zug mit den Balladen, componirte er (am 16. Juni) die bekannte Schauergeschichte von Hölth: „Die Nonne";

Es lebt in Welschland irgendwo

Ein schöner junger Ritter, u. s. w.

Auch dieses ausgedehnte Gesangsstück besteht aus mehreren Theiler, Vor- und Nachspielen, Recitativen u. s. f. und ist mit einer Sicherheit und Freiheit in der Sing- und Begleitungsstimme componirt, welche den Meister nicht verkennen läßt 1).

Nach einer Mittheilung des Frh. Josef v. Spaun fällt in die letzten Tage dieses Jahres, oder spätestens in

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1) Nebst den erwähnten Balladen gehören noch die Bürgschaft“ (von Schiller), „Die Spinnerin“, „Der Sänger“, „Der Nattenfänger“ (von Goethe) und „Der Liedler“ (von Kenner) diesem Jahre an. Unter den anderen (im Gesammt - Verzeichniß enthaltenen) Liedern befindet sich „Punschlied“ (von Schiller), dessen Schluß mit jenem in „Lodas Gespenst“ ein und derselbe ist; ferner „Mignons Gesang“ mit Nr. 4 bezeichnet; Schubert hat nämlich dieses Gedicht vier Mal als Lied, außerdem ein Mal als Duett und ein Mal als Quintett, componirt; sodann „Der Kampf“ („Freigeisterei der Leidenschaft“ von Schiller), von welchem nur ein Paar Strofen in Musik gesezt sind, und eine „Improvisation“ von Schiller:

Es ist so angenehm, so süß,

Um einen lieben Mann zu spielen,
Entzückend wie im Paradies

Des Mannes Zauberkraft zu fühlen.

den Beginn des Jahres 1816 ) auch noch die Composition des „Erlkönig“, jenes. nächst dem bald darauf entstandenen „Wanderer" populärsten Liedes von Schubert, welches sechs Jahre später den Ruf desselben zuerst begründete und in kurzer Zeit Gemeingut der ganzen musikalischen Welt wurde. Schubert schrieb dieses Lied an einem Nachmittag auf seinem Zimmer in dem väterlichen Haus am Himmelpfortgrund. Spaun kam eben dazu, als sein Freund sich in Mitte der Arbeit befand. Er hatte das Gedicht in steigender Aufregung ein Paar Mal durchgelesen, und da während dieser Beschäftigung auch der musikalische Inhalt zu vollkommener Klärung gelangt war, wühlte er das Lied in jener Spanne Zeit auf das Papier hin, die eben zur Vollbringung der nur mehr noch mechanischen Arbeit erforderlich war. Die fertige Composition wurde am Abend desselben Tages in das Convict gebracht, wo sie Schubert und nach ihm Holzapfel den Freunden vorjang). Da diese bei der Stelle: Mein Vater, jezt faßt er mich an", bedenkliche Gesichter schnitten, übernahm es der Musikmeister Ruczizka, sie über die Zulässigkeit der musikalischen Dissonanz (die heut zu Tage sich ganz harmlos ausnimmt) aufzuklären und zu beruhigen. Als Vogl mit Schubert bekannt wurde, bemächtigte er sich sogleich dieses für ihn wie geschaffenen Liedes und sang es häufig in

1) Das Datum ist ohne Zweifel auf dem Manuscript angegeben. Dieses besitzt Frau Clara Schumann. Das Lied ist übrigens von Sch. zweimal componirt worden, das zweite Mal mit der, auch in den Stich übergegangenen Triolen begleitung.

2) Damit entfallen die mannigfachen Ausschmückungen, mit welchen die geschäftige Fantasie die Genesis des „Erlkönig“ zu umgeben wußte.

Privatcirkeln, bis er endlich im Jahre 1821 bei Gelegenheit einer im Operntheater veranstalteten Akademie den „Erlkönig“ in die Oeffentlichkeit einführte 1).

Nach dem Erscheinen des „Erlkönig“ im Stich wurde die Composition in verschiedener Weise ausgenüßt. So schrieb Anselm Hüttenbrenner „Erlkönig-Walzer", über welche Profanirung Schubert etwas ungehalten war, und die in der Musikzeitung des bekannten Tondichters und Schriftstellers Friedrich August Kanne darüber erschienenen Disticha sich herausschrieb, um sie Herrn Jos. Hüttenbrenner, wahrscheinlich zur weiteren Mittheilung an Anselm, zu übergeben. Die Disticha lauteten :

1. Das Gefü hl.
(Frage.)

Sag mir, strömt das Gefühl der jetzigen Welt nur dem Bein zu?

Antwort:

Seit sich die Menschen geschnürt, sanken die Herzen hinab.

2. Köder.
(Frage.)

Sage mir, lieblicher Kauz, was siehst in den Werken des Goethe?

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Sprich, wie tanzt man den deutsch der Geisterwelt furchbare Schauder? Antwort:

Kann man nicht jegliches Lied tanzen der heutigen Welt?

An Bearbeitungen der Schubertschen Ballade in Cantatenform, für Orchester und an mannigfachen Transcriptionen fehlt es nicht. — Auch über den Werth des Liedes wurde gestritten, und während es die einen zum Himmel erhoben, meinte ein Kritiker in der allgem. musik. Leipziger Zeitung, alles was der König sage, sei unwahr, da an diesen schmeichelnden Melodien vielleicht eine weibliche Tugend, nimmermehr aber ein Kind vor Grausen in den schüßenden Armen des Vaters sterben werde.

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