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componiren hatte, interessante Vocal- und Instrumentalsäße in sich schloß 1).

Die dem Componisten damals gemachten Vorwürfe zu greller Harmonienfolgen, fortwährenden Modulirens, Ueberladung der Instrumentation u. s. w. würden sich bei der heutigen Geschmacksrichtung zweifellos in das Gegentheil verwandeln. Die Musik zur „Zauberharfe" verdiente aus dem Schutt herausgeholt zu werden, da sie in der That Schönes aufweist, und Schubert selbst sie zu seinen gelungeneren Arbeiten zählte 2).

Es kommt nun abermals einer jener Züge zu verzeichnen, welche die Größe und Vielseitigkeit des Schubert'schen Genius in schlagender Weise darthun.

Beinahe um dieselbe Zeit, als unser Tondichter mit der musikalischen Bearbeitung abgeschmackter Textbücher für das Theater beschäftigt war, entstand in geweihten Stunden, und wie es scheint in völliger Abgeschiedenheit eine seiner bedeutendsten und eigenthümlichsten Tondichtungen religiösen Charakters, deren Genesis ein Geheimniß ist und es wahrscheinlich immerdar bleiben wird, da selbst Schubert's vertrauteste

1) Einer der größeren Entreacte ist in der That ein interessantes Musikstück.

2) Die Partitur der Zauberharfe besaß noch im Jahre 1835 Ferd. Schubert; eine Copie mag sich wohl in dem Archiv des Theaters an der Wien befunden haben oder daselbst noch befinden. Die Verlagshandlung Spina besitzt das Autograf zweier Entreacte, einer Ouverture zum dritten und des Nachspieles dazu. Eine Abschrift der Partitur der Tenorarie (Palmerins) und den Clavierauszug derselben befindet sich bei Joh. v. Spaun. Die Ouverture (op. 26) wurde in Wien im Theater als Einleitung zu der Operette „der häusliche Krieg“ aufgeführt.

Freunde, namentlich auch Franz von Schober, der doch gerade in dem Jahre 1820 mit ihm vielfach in persönlicher Berührung stand, über die Veranlassung und andere äußerliche Umstände, unter welchen das in Rede stehende Werk ge= schaffen wurde, keine Aufschlüsse zu geben vermögen, einem großen Theil von Schubert's Umgebung aber die Existenz desselben überhaupt verborgen geblieben ist. Das hier gemeinte „Oratorium" Lazarus oder die Feier der Auferstehung von Schubert als Ostercantate bezeichnet - wurde, wie aus der Originalpartitur zu ersehen, im Februar 1820, also höchst wahrscheinlich in jener Behausung in der Wipplingerstraße, welche Schubert damals gemeinschaftlich mit Mayrhofer inne hatte, in Angriff genommen.

Die Feier der Auferstehung ist eines der religiösen Gedichte des, als pädagogischer und theologischer Schriftsteller bekannten August Hermann Niemeyer), weiland Kanzler der Hochschule in Halle.

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In dem Vorwort zu jener Gedichtsammlung findet sich unter andern auch folgende Stelle: Die Oratorien, besonders die vier ersten, haben in den Jahren 1776 bis 1780 ein sehr großes Publikum bekommen. Sie hatten es vorzüglich einem in jener Periode sehr geschäßten Componisten, dem seligen Musikdirector Rolle 2) zu danken, der sie zuerst

A. H. Niemeyer, geb. 1754 in Halle a. d. Saale, wurde 1780 Professor der Theologie und Aufseher des königl. Pädagogiums daselbst, 1804 Oberconsistorialrath und 1814 Universitätskanzler und starb (gleich Schubert) im Jahre 1828. Er schrieb geistliche Briefe, religiöse Gedichte, Predigten, Pädagogisches, eine Charakteristik der Bibel u. s. w.

*) Rolle Johann Heinrich, geb. 1718, gest. 1785 als Musikdirector in Magdeburg, galt als correcter und geschmackvoller Tonsezer. - In

v. Kreißle, Franz Schubert.

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in den damals sehr glänzenden Magdeburger Concerten vollständig aufführte." Diese Worte wurden am 8. April 1814 geschrieben; sechs Jahre darauf (im Februar 1820) sette Schubert die Dichtung Niemeyer's in Musik, wovon dieser in den folgenden acht Jahren, die er und Schubert noch zu leben hatte, wohl nie etwas erfahren hat.

Aber selbst nach weiteren dreißig und mehr Jahren seit des Componisten Tod wirkte die erste Kunde von der Existenz eines Oratoriums von Franz Schubert noch immer überraschend, obwohl die Original-Partitur der ersten „Handlung" sich wahrscheinlich durch einen beinahe gleich langen Zeitraum bereits in dem Besige der Musikalienhandlung Diabelli und Comp. (derzeit Spina) in Wien befunden hat. Es bedurfte der Entdeckung einer, in der Spaunschen Schubertsammlung enthaltenen Abschrift dieses Werkes durch den Verfasser dieses Buches, im Jahr 1860, und des im Spätherbst des darauffolgenden Jahres ebendemselben beschieden gewesenen Fundes des größten Theiles der Originalpartitur der zweiten Handlung", um das Werk aus dem Dunkel, in dem es so lange gelegen, endlich an's Tageslicht zu fördern 1), und (im März 1863) in Wien zur ersten öffentlichen Aufführung zu bringen.

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neuester Zeit (1862) erschien „Lazarus", Oratorium in zwei Abtheilungen, componirt von Johann Vogt, nach den Worten der h. Schrift und wurde am 19. März 1863 zuerst in Dresden aufgeführt.

1) Schon im Jahre 1859, als ich mich mit der „Biographischen Stizze" beschäftigte, war mir bei der Durchsicht der Witteczek'schen (Spaun'schen) Schubertsammlung die Cantate „Lazarus“ bekannt geworden, deren auch in der „Skizze“ (S. 26 und 95) mit dem Bemerken Erwähnung geschieht, daß von ihr nur die erste Handlung com

Niemeyer's Dichtung zerfällt in drei Theile, oder "Handlungen", wie sie Schubert nennt, von welchen der erste mit dem Tod des Lazarus, der zweite mit seinem Begräbniß und dem Trauergesang der Freunde über den Dahingeschiedenen, der dritte mit seiner Auferweckung abschließt. Von diesen ist der musikalische Theil der ersten Handlung im Original, und zwar in einer äußerst saubern Handschrift (im Besiz der Musikalienhandlung Spina in Wien) und in

ponirt sei. Ich zweifelte an der Richtigkeit dieser Angabe um so weniger, als dem Schubertenthusiasten Witteczek nicht leicht eine Composition seines Freundes (zumal eine bedeutendere) entging, und Ferdinand Schubert (dessen Unzuverlässigkeit hier abermals in grellem Lichte erscheint) in seinen Aufzeichnungen nur von Einer Handlung spricht. Bald aber sollte ich eines Besseren belehrt werden. Im Spätherbst 1861 lud mich der als musikalischer Schriftsteller geschätzte Herr Alexander Thayer aus Boston (derzeit der nordamerikanischen Gesandtschaft in Wien zugetheilt) in seine Behausung ein (damals in Neuwien), um mir Schubert-Manuscripte vorzuweisen. Da wurde mir bei der Durchsicht des Notenpackes, den mir der zuvorkommende Mann zur Verfügung stellte, eine freudige Ueberraschung zu Theil. Ich fand daselbst bie OriginalPartitur der Opern „Alfonso und Estrella“, jene der „Zwillingsbrüder“, Streichquartette, Clavierstücke, Lieder und die zweite Handlung des „Lazarus“, diese leider nicht ganz complet. Es schien mir geboten, von diesem Funde die Directionsmitglieder des Musikvereins: Herrn Dr. Bauer und Herrn Herbeck in Kenntniß zu setzen, welchen es auch gelang, von dem Besißer der Manuscripte die Herausgabe derselben gegen angemessene Entschädigung im Rechtsweg zu erwirken, und sohin die sämmtlichen Autografe dem Wiener Musikvereinsarchiv als eine werthvolle Bereicherung seiner Schätze einzuverleiben. Glücklicher Weise fand sich bei der Witwe des Ferd. Schubert nachträglich noch ein Hest von „Lazarus“ vor, womit ein passender Abschluß gewonnen war. Weiz tere Forschungen nach dem letzten Bogen blieben bis jezt resultatlos.

Abschriften (welche Hofrath v. Spaun und der Musikverein in Wien besigen) vollständig erhalten; der als Original-Manuscript aufgefundene zweite Theil reicht noch mit ein paar Recitativgesängen (des Nathanael und der Maria) über den Wechselchor der trauernden Freunde des Dahingeschiedenen hinaus, mit welchem, so lange der lette Bogen der Partitur fehlt, dieser Theil abzuschließen sein wird. Das noch fehlende Fragment enthält, dem Text zufolge, als Musikstücke eine Arie der Martha, mehrere kurze Recitativstellen und einen Chor der Freunde 1).

1) Die betreffenden Stellen der Dichtung lauten:

Martha.

Und stünden selbst der Engel Reih'n

um seinen Geist gedrängt,

Ich drängte mich in ihre Reih'n

Auf Fittigen der Liebe ein

Und rief: Ihr Engel, er ist mein!

Nathanael.

Einst wenn vom Abend und vom Morgen her

Der Weltenrichter ruft, dann Martha ist er dein,
Dann ist er unser, ewig ungetrennt !

Jezt gebt dem Staube, was ihm angehört!
Singt, Jünglinge, singt,

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Im Hügel, der den Hain umlaubt,

Im heiligen Ruhethal der Frommen.

(Man senkt den Leichnam in die Grabhöhle.)

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