Abbildungen der Seite
PDF
EPUB
[ocr errors]

dien auch mit den Gefeßen der Harmonie hinlänglich vertraut. Troßdem wurde ihm von mancher Seite dasjenige, was man Gesangs methode im strengsten Sinn des Wortes nennt, nicht zuerkannt; man warf ihm insbesondere vor, daß er den gebundenen Gesang der Arie zu sehr vernachlässige, und stellte ihm in dieser Beziehung den Sänger Wild entgegen, während man Vogl's geistige Ueberlegenheit ohne weiters zugab. Als seine bedeutendsten Bühnenleistungen galten Orest (in „Ifigenie“), Graf Almaviva (in „Figaro's Hochzeit“), Cheron (in Cherubini's „Medea“) und Jakob (in der Schweizerfamilie“ 1) und in „Josef und seine Brüder"), von welchen namentlich die erste und die beiden zuletzt genannten auf den Knaben Schubert großen Eindruck machten. Seine letzte Rolle war angeblich der Castellan in Gretry's „Blaubart", der im Jahre 1821 neu in Scene gesezt wurde. In diesem Jahr ging das Operntheater in Barbaja's Pacht über, und zu Ende des nächsten trat der Opernsänger Vogl in Pension, um als Liederfänger die bereits angetretene zweite Künstlerlaufbahn mit ebenso großem Erfolg durch eine Reihe von Jahren fortzusehen. Noch im Jahr 1821 bahnte sein Vertrag des „Erlkönig“ dem jungen Schubert die Wege unvergänglichen Nuhmes, und vier Jahre später finden wir beide auf einer gemeinschaftlichen, durch die Kunst belebten und verschönten Reise in Oberösterreich und dem SalzburgerLändchen begriffen. Im Herbst des darauffolgenden Jahres

') Diese Oper wurde im März 1809 zum ersten Mal in Wien aufgeführt. Auch Graf Dunois in „Agnes Sorel“, der Oberst im „Augenarzt" (von Gyrowetz) und Telasko in der „Vestalin“ waren berühmte Rollen Vogl's.

begab sich der von Gichtleiden gequälte, schon alternde Sänger nach Italien, wo er bis zum nächsten Frühjahr verweilte; nach seiner Rückkehr aber zeigte der Hagestolz den erstaunten Freunden seine bevorstehende Vermählung mit Kunegunde Rosas 1) an, einem fast außer allem Zusammenhang mit der Welt erzogenen weiblichen Wesen, zu welchem er schon seit Jahren in einer Art ethisch-pädagogischem Verhältniß gestanden hatte. In seinem 58. Jahr vollzog der Sänger diese Verbindung, welche ihn noch im Herbst seiner Tage mit einem Töchterlein beglückte.

Vogl war keine gewöhnliche Erscheinung, und erfreute sich einer, größtentheils selbst erworbenen, Bildung, wie sie bei Theatersängern selten vorzukommen pflegt. Die klösterliche Erziehung aber, welche er in seiner Jugend genossen hatte, war auf seinen Charakter nicht ohne Einfluß geblieben, und hatte dazu gedient, in ihm eine gewisse Beschaulichkeit zu nähren, die mit seinem Stand und seinen Verhältnissen in sonderbarstem Contrast stand. Der Grundton seines Innern war eine moralische Skepsis, ein grübelndes Zergliedern seiner selbst, so wie der Welt; der Trieb, täglich besser zu werden, verfolgte ihn durch sein ganzes Leben, und wenn ihn, wie alle kräftigen reizbaren Naturen, die Leidenschaft zu gefährlichen Schritten hinriß, so ward er nicht müde, sich darüber selbst anzuklagen, zu zweifeln, ja fast zu verzweifeln. Ein neuer Fehltritt -neue Vorwürfe und Zerknirschung. Lectüre und Studium standen mit dieser Lebensrichtung in innigem Zusammenhang.

') Tochter des ehemaligen Gallerie-Directors am Belvedere in Wien. Bogl's Witwe lebt derzeit in Stadt Steyr.

Das alte und neue Testament, die Evangelien der Stoiker, Marc-Aurel's Betrachtungen, Epiktet's „Enchiridion“ und Thomas a Kempis „Taulerus" waren die steten Begleiter und Rathgeber seines Lebens ). Der im Kloster ansponnene religiöse Faden zog sich sein ganzes Leben hindurch. Auch die Lehren der „Stoa" sagten seiner Denkweise zu; er wußte sie übrigens recht gut mit dem Gefühl für das Schöne zu vereinigen, wie er denn überhaupt einen, für Kunstwerke jeder Art höchst empfänglichen Sinn hatte. Sein Lieblingsschriftsteller war Goethe, der auch auf seine Denk und Anschauungsweise, sowie auf seinen Styl entschieden einwirkte 2).

- und er

Die Aufzeichnungen in seinen Tagebüchern, führte solche schon von früher Zeit her zeigen am anschaulichsten, auf welchen Grundlagen sein inneres Leben beruhte. Unter diesen Tagebuchsnotizen befindet sich auch eine, welche, da sie auf Schubert's Lieder Bezug hat, hier anzuführen kommt: „Nichts hat“ — so lautet die Stelle — „den Mangel einer brauchbaren Singschule so offen gezeigt, als Schubert's Lieder. Was müßten sonst diese wahrhaft göttlichen Eingebungen, diese Hervorbringungen einer musikalischen clairvoyance in aller Welt, die der deutschen Sprache mächtig ist, für allgemein ungeheure Wirkung machen. Wie viele hätten vielleicht zum ersten Mal begriffen, was

') Er liebte überhaupt die Griechen, und copirte ein Werk Epiktets in vier Sprachen. In der Theatergarderobe blätterte er in mäßigen Augenblicken griechische Classiker durch, und sein Wissen uud strenges Auftreten flößte den Theaterleuten nicht wenig Respect ein.

2) So bemerkt Bauernfeld.

es sagen will: Sprache, Dichtung in Tönen, Worte in Harmonien, in Musik gekleidete Gedanken. Sie hätten gelernt, wie das schönste Wortgedicht unserer größten Dichter übersezt in solche Musiksprache noch erhöht, ja überboten werden. könne. Beispiele ohne Zahl liegen vor. Erlkönig, Gretchen am Spinnrad, Schwager Kronos, Mignon's und Harfner's Lieder, Schiller's Sehnsucht, der Pilgrim, die Bürgschaft.“

Zu dem Ausdruck clairvoyance 1) fand sich Vogl durch felgende Thatsache veranlaßt: Schubert brachte ihm eines Morgens mehrere Lieder zur Durchsicht. Der Sänger, eben beschäftigt, beschied den Tondichter auf eine andere Zeit und legte die Lieder bei Seite. Später sah er dieselben allein burch, und fand eines darunter, das ihm besonders zusagte. Da aber die Tonart, in welcher es gesezt war, für seine Stimme zu hoch lag, ließ er es transponiren und die Uebertragung copiren. Nach etwa vierzehn Tazen musizirten die beiden Kunstgenossen gemeinschaftlich, bei welcher Gelegenheit einiges Neue, darunter auch das besagte Lied, vorgenommen wurde, welches Vogl, ohne ein Wort darüber zu sagen, in der Handschrift des Uebersezers auf das Clavier

') In einem Brief, datirt vom 15. November 1831, schreibt Vogl an A. Stadler: „Wenn aber vom Fabriciren, Erzeugen, Schöpfen die Rede ist, mache ich mich aus dem Spiel, besonders seitdem ich durch Schubert erkennen gelernt, daß es zweierlei Arten Composition gibt, eine, die, wie eben bei Schubert, in einem Zustand von clairvoyance ober sonnambulisme zur Welt kommt, ohne alle Willkühr des Tonsezers, wie er muß, durch höhere Gewalt und Eingebung. Ein solches Werk läßt sich wohl austaunen, mit Entzücken genießen, aber ja nicht — beurtheilen, eine andere die reflectirte u. s. w." (Das Schreiben besitt Herr A. Stadler in Wien.)

-

gelegt hatte. Als Schubert die nur in der Tonart umgeänderte Composition angehört, rief er erfreut im Wiener Dialect aus:,,Schaut's, das Lied is nit uneb'n, von wem ist denn das?" Er hat also in diesem Fall nach Verlauf von ein paar Wochen sich seiner eigenen Arbeit nicht mehr erinnert ').

Vogl befaßte sich auch mit Schriftstellerei. Er verfaßte eine Singschule, und sammelte die Erfahrungen, die er als Opernsänger und später als Gesangslehrer gemacht, zu einem Werk zusammen, welches aber unvollendet blieb.

Wie bereits erwähnt, traten der Tondichter und der ausübende Künstler um das Jahr 1817 zu einander in ein näheres Verhältniß. Vogl erkannte alsbald den hohen Werth der Schubert'schen Gesänge, und dieser sah über alle Erwartung erfüllt, was ihm als unausgesprochener Wunsch in der Seele gelegen hatte. Der ernste, gebildete, in Jahren schon vorgerückte Sänger konnte auf Schubert's musikalische Entwicklung einen im Ganzen nur vortheilhaften Einfluß ausüben. Er leitete seine Wahl auf gewisse Gedichte, nachdem er sie ihm vorher mit hinreißendem Ausdruck vordeclamirt hatte, und seine eigenthümliche Auffassung der Schubert'schen Gesänge mußte auf diesen ebenfalls wieder anregend und bildend einwirken.

Schubert kam gewöhnlich in den Vormittagsstunden zu Vogl (der damals in der „Plankengasse“ wohnte 2), um_da

1) Freiherr von Schönstein theilte mir obiges Factum mit, welches ganz geeignet war, auch seine Lieblingsansicht, Schubert sei ein musikalischer Hellseher gewesen, ihm als die richtige erscheinen zu lassen. An den Namen des Liedes konnte er sich nicht mehr erinnern.

2) In späterer Zeit wohnte Vogl auf der Wieden „Alleegasse“.

« ZurückWeiter »