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Erörterungen und Gespräche. Die lyrischen Stücke, die fie, alle zugleich, hersagen, sind prächtig; gleichs wohl sind diese Chöre, bei aller Kraft ihrer Urs theile, doch bloße Kammerherrensentenzen. Das gesammte Volk kann allein jene unabhängige Würde in sich haben, die es ihm gestattet, ein unpartheiis scher Zuschauer zu seyn. Der Chor vertritt die Stelle der Nachwelt. Würde er von persönlichen Affecten hervorgebracht, so müßte es ins Lachers liche fallen; den Stimmeneinklang Mehrerer darf man sich nicht anders erklären, als daß man ihn für den leidenschaftlosen Ausdruck ewiger Wahrs heit hålt.

In feiner Vorrede zur Braut von Messina, beschwert sich. Schiller mit Recht, daß in der mos dernen gemeinen Welt nicht mehr jene einfachen Formen des Volkslebens vorkommen, die sie in die alte poetische zurück verseßen. „Der Pallast der Könige (sagt er) ist jetzt geschlossen; die Ges richte haben sich von den Thoren der Städte in das Innere der Häuser zurückgezogen; die Schrift hat das lebendige Wort verdrängt, das Volk selbst, die sinnlich lebendige Masse ist, wo sie nicht als rohe Gewalt wirkt, zum Staat, folglich zu einem abgezogenen Begriff geworden; die Götter find in die Brust der Menschen zurückgekehrt. Der Dichter muß die Pallåste wieder aufthun, er muß die Gerichte unter freien Himmel herausführen, er muß die Götter wieder aufstellen, er muß alles Unmittelbare, das durch die künstliche Einrichtung des wirklichen Lebens aufgehoben ist, wieder herstellen, und von allen äussern Umgebungen der Menschen nichts aufnehmen, als was die höchste der Formen, die menschliche, sichtbar macht."

Diese Sehnsucht nach andern Zeiten, nach andern Gegenden, ist eine rein- poetische Empfin

dung. Der religiöse Mensch bedarf des Himmels, der Dichter bedarf einer neuen Erde; nur weiß man nicht, welchen Gott oder welche Götter, wels ches oder welche Jahrhunderte die Braut von Messina in uns zurückrufen soll; sie geht aus den modernen Einrichtungen hinaus, ohne uns in die Zeiten des Alterthums zu versetzen. Der Dichter bringt alle Religionen auf einen Punct zusammen; eine Verwirrung, die die hohe Einheit der Tras gödie, die Einheit des alles leitenden Schicksals, zerstört. Die Lagen, die Begebenheiten sind gråßlich; gleichwohl läßt das Entseßen, welches sie ers regen, den Zuschauer ruhig. Der Dialog ist so lang, die Rede so auseinander gesetzt, als håtte jeder nichts zu thun, als schöne Verse herzusagen; als könne man lieben, Eifersucht fühlen, den Brus der haffen, den Bruder morden, ohne aus dem Kreise der allgemeinen Betrachtungen und der phis losophischen Gedankenreihe herauszutreten.

Man findet gleichwohl in der Braut don Messina bewundernswürdige Spuren von Schillers schönem Genie. Don Casar hat seinen Bruder Don Manuel erschlagen. Der Leichnam wird in den Pallast zurückgebracht. Die unglückliche Mutter weiß noch nicht, wen sie verlor; und der Chor, der dem Leichenzuge vorangeht, soll sie darauf vors bereiten:

Durch die Straßen der Städte,

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Vom Jammer gefolget,
Schreckt das Unglück.
Laurend umschleicht es

Die Häuser der Menschen,

Heute an dieser

Pforte klopft es,

Morgen an jener,

Aber noch keinen hat es verschont.

Die unerwünschte

Schmerzliche Bothschaft

Früher oder später
Bestellt es an jeder

Schwelle, wo ein Lebendiger wohnt.
Wenn die Blätter fallen

In des Jahres Kreise,
Wenn zum Grabe wallen
Entnervte Greise,

Da gehorcht die Natur
Ruhig nur

Ihrem alten Geseße,

Ihrem ewigen Brauch,

Da ist nichts, was den Menschen entseße!

Aber das Ungeheure auch

Lerne erwarten im irdischen Leben!

Mit gewaltsamer Hand

Löset der Mord auch das heiligste Band,
In sein stygisches Boot

Raffet der Tod

Auch der Jugend blühendes Leben!

Wenn die Wolken gethürmt den Himmel schwärzen,

Wenn dumpftosend der Donner hallt,

Da, da fühlen sich alle Herzen

In des furchtbaren Schicksals Gewalt;
Aber auch aus entwölkter Höhe
Kann der zündende Donner schlagen.
Darum in deinen fröhlichen Tagen
Fürchte des Unglücks tückische Nähe.

Nicht an die Güter hänge das Herz,

Die das Leben vergånglich zieren:
Wer besißt, der lerne verlieren;

Wer im Glück ist, der lerne den Schmerz!

Als Don Cåsar erfährt, daß seine Geliebte, um derentwegen er den Bruder erstach, seine Schwe ster ist, kennt seine Verzweiflung keine Gränzen; er beschließt, zu sterben. Die Mutter bietet ihm Berzeihung an; die Schwester fleht ihn, zu leben. Umsonst; in seine Qualen mischt sich der Meid, die Eifersucht gegen den vorgezogenen Bruder: 8. v. Staël Deutschland II. .

Er lebt in deinem Schmerz ein selig Leben;
Ich werde ewig todt seyn bei den Todten.
Umsonst täuscht er sich selbst:

Dann, Mutter, wenn ein Todtenmahl den Mörder
Zugleich mit den Gemordeten umschließt,

Ein Stein sich wölbet über beider Stätte,
Dann wird der Fluch entwaffnet seyn – dann wirst
Du deine Söhne nicht mehr unterscheiden,
Die Thränen, die dein schönes Auge weint,
Sie werden einem wie dem andern gelten;
Ein mächtiger Vermittler ist der Tod.
Da löschen alle Zornesflammen aus,

Der Haß versöhnt sich, und das schöne Mitleid
Neigt sich, ein weinend Schwesterbild, mit fanfts
Anschmiegender Umarmung auf die Urne.

Umsonst will ihn die Mutter ins Leben zu

rückrufen:

Ich kann

Nicht leben, Mutter, mit gebrochnem Herzen.
Anblicken muß ich freudig zu den Frohen,

Und in den Aether greifen über mir

Mit freiem Geist. Der Neid vergiftete mein Leben, Da wir noch deine Liebe gleich getheilt.

Denkst du, daß ich den Vorzug werde tragen,

Den ihm dein Schmerz gegeben über mich?
Der Tod hat eine reinigende Kraft,
In seinem unvergänglichen Pallaste
Zu achter Tugend reinem Diamant
Das Sterbliche zu läutern und die Flecken
Der mangelhaften Menschheit zu verzebren.
Weit wie die Sterne abstehn von der Erde,
Wird er erhaben stehen über mir,

und hat der alte Neid uns in dem Leben
Getrennt, da wir noch gleiche Brüder war'n,
So wird er rastlos mir das Herz zernagen,
Nun er das Ewige mir abgewann,

Und jenseits alles Wettstreits wie ein Gott
In der Erinnerung der Menschen wandelt.

Das Gefühl gegen einen Todten ist ein Ges fühl, worin eben so viel Wahrheit als Zartheit liegt. Wer könnte je Herr über die Sehns Sucht werden? Können je Lebende die Schönheit

des himmlischen Bildes erreichen, welches ein abgeschiedener Freund in uns zurückließ? Hat er nicht zu uns gesprochen: Vergiß mein nicht! It er nicht dort ohne Schuh? Wo lebte er sonst noch auf Erden, wenn er nicht im Heiligthum unserer Seele lebte? Und wer unter den Glücklichen dieser Welt verbånde sich wohl so innig mit uns als das Andenken an ihn?

Zwanzigstes Capitel

Wilhelm Tell.

Schillers Wilhelm Tell ist mit den lebhaften glänzenden Farben ausgemalt, die unsre Einbile dungskraft in die pitoresken Gegenden versetzen, wo der ehrwürdige Bund des Rütli vor sich ging. Die ersten Verse, die an das Alpenhorn erinnern; die Wolken, die die Gebirge in zwei Hälften theilen, und die Erde der Thåler von der, die dem Himmel nåher liegt, von den Bergspigen trennen, die Gemsenjäger, die ihrem leichten Raube über die Abgründe nachsetzen; dies Hirtens und Kriegerleben zugleich, welches mit der Natur im Kampf, mit den Menschen im Frieden ist; alles flößt ein lebendiges Intereffe für die Schweiz ein und die Einheit der Handlung in dieser Tras gödie liegt in der Kunst, die Nation selbst zu einer dramatischen Person gemacht zu haben.

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Tells Unerschrockenheit zeigt sich schon im ers ften Acte auf eine auffallend treffende Weise. Ein Unglücklicher, ein Geächteter, von einem der Untertyrannen der Schweiz bis in den Tod vers

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