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„Das Ziel dieser Dichtung," sagt Jean Paul selbst,,,ist die Entschuldigung ihrer Kühnheit. Wenn einmal mein Herz so unglücklich und ausgestorben. wäre, daß in ihm alle Gefühle, die das Daseyn Gottes bejahen, zerstört wåren: so würd' ich mic) mit diesem meinem Aufsatz erschüttern und - er würde mich heilen und mir meine Gefühle wieders geben. Die Menschen läugnen mit eben so wenig Gefühl das göttliche Daseyn als die meisten es annehmen. Sogar in unsere wahren Systeme fammeln wir immer nur Wörter, Spielmarken und Medaillen ein, wie geizige Münzkabinetter; - und erst spät setzen wir die Worte in Gefühle um, die Münzen in Genůffe. Man kann zwanzig Jahre lang die Unsterblichkeit der Seele glauben

erst im ein und zwanzigsten, in einer großen Minute, erstaunt man über den reichen Inhalt dieses Glaubens, über die Wärme dieser Naphtaquelle." Nede'des todten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sey.

Wenn man in der Kindheit erzählen hört, daß sich die Todten um Mitternacht, wo unser Schlaf nahe bis an die Seele reicht und selber die Träume verfinstert aus ihrem Aufrichten, und daß sie in den Kirchen den Gottesdienst der Lebendigen nachåfs fen: so schaudert man der Todten wegen vor dem Lode; und wendet in der nächtlichen Einsamkeit den Blick von den langen Fenstern der stillen Kirs che weg und fürchtet sich, ihrem Schillern nach, zuforschen, ob es vom Monde niederfalle. Die Kindheit, und noch mehr ihre Schrecken als ihre Entzückungen, nehmen im Traume wieder Flügel. und Schimmer an, und spielen wie Johannes, würmchen in der kleinen Nacht der Seele. Zers drücken uns diese flatternden Funken nicht! Lass set uns sogar die dunkeln peinlichen Träume als

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hebende Halbschatten der Wirklichkeit ! Und womit will man uns die Träume ersehen, die uns aus dem untern Getöse des Wasserfalls wegtragen in die stille Höhe der Kindheit, wo der Strom des Lebens noch in seiner kleinen Ebene schweigend und als ein Spiegel des Himmels seinen Abgründen entgegenzog? Ich lag einmal an einem Sommerabende vor der Sonne auf einem Berge und entschlief. Da träumte mir, ich erwachte auf. dem Gottesacker. Die abrollenden Råder der Thurmuhr, die eilf Uhr schlug, hatten mich ers weckt. Ich suchte im ausgeleerten Nachthimmel die Sonne, weil ich glaubte, eine Sonnenfinsterniß verhülle sie mit dem Mond. Alle Gråber was ren aufgethan, und die eisernen Thüren des Gebeinhauses gingen unter unsichtbaren Hånden auf und zu. An den Mauern flogen Schatten, die nies mand warf, und andere Schatten gingen aufrecht in der blassen Luft. In den offnen Särgen schlief nichts mehr als die Kinder. Am Himmel hing in großen Falten blos ein grauer schwüler_Nebel, den ein Riesenschatte wie ein Neh immer nåher, ens ger und heisser herein zog. Ueber mir hört' ich den fernen Fall der Lauwinen, unter mir den ersten Tritt eines unermeßlichen Erdbebens. Die Kirs che schwankte auf und nieder von zwei unaufhör. lichen Mißtönen, die in ihr mit einander fåmpften und vergeblich zu einem Wohllaut zusammens fließen wollten. Zuweilen hüpfte an ihren Fens stern ein grauer Schimmer binan und unter dem Schimmer lief das Blei und Eisen zerschmolzen nieder. Das Netz des Nebels und die schwan, kende Erde rückten mich in den fürchterlichen Tems pel, vor dessen Thore in zwei Gift- Hecken zwei Basilisken funkelnd brüteten. Ich ging durch uns bekannte Schatten, denen alte Jahrhunderte aufgedruckt waren, Alle Schatten standen um den

leeren Altar, und allen zitterte und schlug statt des Herzens die Brust. Nur ein Lodter, der erst in die Kirche begraben worden, lag noch auf seis nem Kiffen ohne eine zitternde Brust, und auf seinem lächelnden Angesicht stand ein glücklicher Traum. Aber da ein lebendiger hinein trat, ers wachte er und lächelte nicht mehr, er schlug müh. sam ziehend das schwere Augenlied auf, aber ins nen lag kein Auge und in der schlagenden Brust war statt des Herzens eine Wunde. Er hob die Hände empor und faltete sie zu einem Gebet; aber die Arme verlängerten sich und löseten_sich ab, und die Hånde fielen gefaltet hinweg. Oben. am Kirchengewölbe stand das Zifferblatt der Ewigs keit, auf dem keine Zahl erschien und das sein eigner Zeiger war; aber ein schwarzer Finger zeigte darauf und die Todten wollten die Zeit darauf sehen.

Jeht sank eine hohe edle Gestalt mit einem unvergånglichen Schmerz aus der Höhe auf den Altar hernieder und alle Lodte riefen:,,Christus ! ist kein Gott ?"

Er antwortete: „es ist keiner.“

Der ganze Schatten eines jeden Todten ers bebte, nicht blos die Brust allein, und einer um den andern wurde durch das Zittern zertrennt.

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Christus fuhr fort: Ich ging durch die Wel,,ten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den ,,Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; ,,aber es ist kein Gott. Ich stieg herab, so weit ,,das Seyn seinen Schatten wirft und schauete in ,,den Abgrund und rief: Vater, wo bist du; aber ,,ich hörte nur den ewigen Sturm, den niemand ,,regiert, und der schimmernde Regenbogen aus Wesen stand ohne eine Sonne, die ihn schuf, ,,über dem Abgrunde und tropfte hinunter. Und ,,als ich aufblickte zur anermeßlichen Welt nach

,,dem göttlichen Auge, starrte sie mich mit einer ,,leeren schwarzen bodenlosen Augenhöhle an; und die Ewigkeit lag auf dem Chaos, zernagte ,,es und wiederkåuete sich. — Schreiet fort, Miß ,,töne, zerschreiet die Schatten; denn Er ist nicht!"

Die entfärbten Schatten zerflatterten, wie weißer Dunst, den der Frost gestaltet, im warmen Hauch zerrinnt; und alles wurde leer. O da ka, men, schrecklich für das Herz, die gestorbenen Kins der, die im Gottesacker erwacht waren, in den Tempel, und warsen sich vor die hohe Gestalt am Altare und sagten: Jesus! haben wir keinen Vater?" Und er antwortete mit strömenden Thrånen: wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater."

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Da kreischten die Mißtdne heftiger die zitz ternden Tempelmauern rückten auseinander und der Tempel und die Kinder sanken unter und die ganze Erde und die Sonne sanken nach und das ganze Weltgebäude sank mit seiner Uners meßlichkeit vor uns vorbei. u. s. w.

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Ich werde diesem Traum keine Betrachtungen ́ hinzufügen. Seine Wirkung auf die Leser hångt einzig von der Wendung ihrer Einbildungskraft ab; mich hat der düstere Geist, der darinnen herrscht, ergriffen, und es schien mir schön, die furchtbare Schrecken, welche die ihres Gottes bes raubte Creatur ergreifen müssen, also jenseits des Grabes hinaus zu setzen.

Man würde kein Ende finden, wenn man die geistreichen und rührenden Romane ohne Zahl, welche die deutsche Literatur besitzt, einzeln recen= firen wollte. Lafontaine's Romane insbesondere, welche alle Welt mit so großem Vergnügen, wenigstens einmal, durchliest, ziehen gemeiniglich mehr durch den Reiz der Details an, als durch den

Plan der ihnen zum Grunde liegt. Reines Erfinden wird mit jedem Tage seltener, und es ist überdem nicht leicht, daß Romane, die die Sitten schildern, in verschiedenen Låndern gleichen Beifall finden. Der große Vorzug, den man demnach aus demStudis um der deutschen Literatur für die eigene ziehen kann, ist der Antrieb zum Wetteifer. Man muß Kraft zu eignen Dichtungen daraus zu schöpfen suchen, nicht fertige Werke, um sie geradezu zu übertragen.

Neun und zwanzigstes Capitel.

Von den deutschen Geschichtschreibern und von Johannes von Müller insbesondere.

In der Literatur ist die Geschichte das, was der Kenntniß der öffentlichen Angelegenheiten am nächs sten tritt. Ein großer Geschichtschreiber ist beinahe ein Staatsmann; denn es ist sehr schwer über politische Begebenheiten richtig zu urtheilen, ohne, bis zu einem gewiffen Punkte, die Fähigkeit zu besitzen, vermöge welcher sie geleitet werden; auch sieht man, daß die meisten Geschichtschreiber sich mit der Regierung ihres Landes auf gleicher Hdhe befinden, und nur so schrei ben, wie sie handeln könnten. Von allen Geschicht schreibern sind die des Alterthums die ersten, weil es keine Epoche giebt, wo Männer von großem Talent ein entschiedeneres Uebergewicht über ihr Vaterland ausgeübt hätten. Den zweiten Rang behaupten die englischen Geschichtschreiber; in England ist es bei weitem mehr die Nation, als der einzelne Mann, was Größe hat; auch sind die Geschichtschreiber dieses Landes zwar minder dramatisch, aber philosophischer, als die Alten. Bei den Engländern haben allgemeine Ideen größere Wichtigkeit, als Individuen. Unter Italiens Geschichtschreibern ist Macchiavelli der Eins zige, der die Begebenheiten seines Vaterlandes auf

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