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bald erhöht und bald schwächt, wer konnte sie an: ders verständlich darthun, als der Lon, der unmits telbar, ohne Dazwischenkunft der Worte, aus der Seele in die Seele dringt. Manlius zückt den Dolch, um Servilius zu durchbohren, er sucht sein Herz und zittert es zu treffen. Die Erinnerung so vieler Jahre, während deren er Servilius liebte, zieht wie ein Nebelflor von Thränen zwischen seine Rache und seinen Freund.

Man hat weniger von dem fünften Aufzug gesprochen, und vielleicht ist Talma darin unvergleichlicher noch, als in dem vierten. Servilius hat allem getroht, zur Sühne für seine Schuld und um Manlius zu retten. Er hat im tiefsten Herzen beschlossen, das Loos seines Freundes, wenn dieser untergeht, zu theilen. Der Schmerz des Mans lius ist durch Servilius Reue gelindert, doch will er ihm nicht gestehen, daß er ihm seinen argen Verrath verzeihe, aber verstohlen ergreift er seine Hand und nåhert sie seinem Herzen, unwillkührlich suchen seine Bewegungen den strafbaren Freund, den er noch vor dem letzten Scheiden umarmen will. Wenig, fast nichts, im Gedichte konnte diese ausnehmende Schönheit einer liebenden Seele ans deuten, der eine langgenährte Liebe noch heilig ist, nachdem Verrath sie zertrümmert hat. Die Rollen Pedro's und Jaffieri's im englischen Stücke deuten diese Situation mit großer Kraft an. Unfrer französischen Tragödie weiß Talma die Kraft, die ihr abgeht, zu geben, und nichts macht seiner Kunst mehr Ehre, als die Wahrheit, mit der er das Unüberwindliche in der Freundschaft ausdrückt. Wo Leidenschaft geliebt, kann Leidenschaft haffen, aber wo die heilige Uebereinstimmung der Seelen das Band geknüpft hat, scheint selbst Frevel es nicht vernichten zu können, und man erwartet die

Reue, wie nach einer langen Abwesenheit die Rückkehr.

Indem ich von Talma mit einiger Ausführe lichkeit gesprochen, glaube ich nicht, mich bei einem diesem Werke fremden Gegenstande verweilt zu has ben. Dieser Künstler theilt im möglichsten Maße, der französischen Tragödie mit, wovon, sey es mit Recht oder mit Unrecht, die Deutschen ihr vors werfen, daß es ihr mangle, nåmlich Eigenthüms lichkeit und Natur. Er weiß in den verschiedenen Stücken, worin er spielt, fremde Sitten:Charactes ristik darzustellen, und kein Schauspieler hat je durch einfachere Mittel gewaltiger zu wirken fich erkühnt. In seiner Declamation find Shakespeare und Racine künstlerisch verbunden, warum sollten nicht auch die dramatischen Dichter versuchen, in ihren Dichtungen zu vereinen, was dem darstellenden Künstler in seinem Spiele zu verschmelzen so vortrefflich glückte?

Acht und zwanzigstes Capitel.

Von den Romanen.

Von allen Erdichtungen sind die Romane die leichteste; es giebt also keine Bahn, in welcher die Schriftsteller der neueren Nationen fich mehr versucht hätten. Der Roman bildet, so zu sagen, den Uebergang zwischen dem wirklichen Leben und dem eingebildeten. Die Geschichte eines Jeden ist bis auf wenige Modificationen ein Roman, der große Aehnlichkeit mit denen hat, welche im Druck . Staël Deutschland II. *

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erscheinen; und persönliche Zurückerinnerungen erz sehen nicht selten die Erfindung. Man hat dieser Gattung größere Wichtigkeit dadurch geben wollen, daß man die Poesie, die Geschichte und die Phiz losophie hinein gemischt hat; allein mir scheint es, als ob man sie dadurch nur entstelle. Moralische Reflexionen und leidenschaftliche Beredsamkeit köns nen in Romanen Platz finden; aber das Interesse der Situationen muß immer das erste Triebrad in Werken dieser Art bleiben, und nichts kann dessen Etelle ersehen. Ist die theatralische Wirkung die unumgängliche Bedingung jedes aufgeführten Dramas, so kann eben so gewiß ein Roman weder ein gutes Werk, noch eine glückliche Dichtung seyn, wenn er nicht eine lebhafte Neugierde einflößt. Vergeblich würde man diesen Mangel durch geists reiche Digressionen ersetzen wollen, die getäuschte Erwartung der Beluftigung würde eine unübers windliche Langeweile verursachen.

Die große Menge der in Deutschland erschie nenen Liebes- Romane hat den Mondschein, die Harfen, welche des Abends im Thale ertönen, und alle die Mittel, wodurch man das Gemüth sonst noch einwiegt, ein wenig lächerlich gemacht; bei dem allen ist in uns eine natürliche Anlage, wels che bei dieser leichten Leferei ihre Rechnung findet, und die Sache des Genie's ist es, sich dieser Ans lage zu bemachtigen, die man vergeblich bekämpfen würde. Er ist so schön, zu lieben und geliebt zu werden, daß dieser Hymnus des Lebens bis ins Unendliche modulirt werden kann, ohne daß das Herz darüber ermattet. Auf gleiche Weise kommt man immer auf einen Gesang zurück, der durch glänzende Noren verschönert ist. Ich mag ins deß nicht leugnen, daß selbst die allerreinsten Romane Böses stiften; sie haben uns von den ins

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Lebens, und man begreift alsdann, warum die Religion, diese Wissenschaft unseres Herzens, das Graufenerregende des Mordes, der gewaltsamen Verfügung über uns selbst, beigemischt hat.

Edthe würde indeß sehr Unrecht haben, wenn er auf das bewundernswürdige Talent, das sich im Werther offenbart, mit Stolz herabsehen wollte. Nicht blos die Leiden der Liebe, sondern auch die Krankheiten der Einbildungskraft in unserem Jahrs hundert, hat er darzustellen gewußt: diese Gedans ken, die sich in unserem Geiste drängen, ohne daß man fie in Willens-Akte zu verwandeln vermag. Der seltsame Contrast eines Lebens, das bei weis tem eintöniger ist, als das der Alten, und einer innern Existens, welche bei weitem belebter ist, verursacht eine Art von Betäubung, gleich der, die man am Rande eines Abgrundes empfindet, und die Ermüdung, die man, nach einer langen Bes schauung, in fich wahrnimmt, kann uns leicht zum Herabsturz fortreißen. Göthe hat mit diesem, in feinen Resultaten so philosophischen Gemählte der Unruhen des Gemüths, eine zwar einfache, aber. dem Intereffe nach wunderbare, Fiktion zu verbinden gewußt. Wenn man in allen Wissenschaften für nöthig erachtet hat, die Augen durch äußerliche. Zeichen zu treffen, ist es dann nicht natürlich, das Herz zu gewinnen, um große Gedanken einzus pragen?

Romane in Briefen sehen immer mehr Ems pfindung als Thatsachen voraus. Nie würden die Alten auf den Einfall gerathen seyn, ihren Dichs tungen diese Form zu geben; erst seit zwei Jahrhunderten hat sich die Philosophie so bei uns eins geschlichen, daß die Zergliederung deffen, was man empfindet, einen so großen Raum in den Büchern einnimmt. Diese Manier, Romane zu schreiben,

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