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aufgestellte Literatur: und das dazu erforderliche Genie nur deswegen so selten, weil es aus dem Auffaffen der Umstände und der poetischen Begeiste rung wunderbar zusammengesetzt seyn muß. Nichts wäre folglich ungereimter, als allen Nationen hier dasselbe System zur Bedingung machen zu wol len; wenn es darauf ankommt, die allgemeine Kunst dem Nationalgeschmack, die unsterbliche Kunst den Sitten der Zeit anzupassen, so sind wes sentliche Nebenbestimmungen und Abweichungen unvermeidlich: daher die vielen verschiedenen Meis nungen über das Wesen des dramatischen Talents; in allen übrigen Zweigen der Literatur berrscht weit mehr Uebereinstimmung im Geschmack.

Es läßt sich, důnkt mich, nicht leugnen, daß, unter allen Nationen, die Französische die meiste Gewandtheit in der Zusammenstellung der theatra= lischen Effecte besiße; ihr gebührt ebenfalls vor allen andern, der Vorzug der Würde in den Si, tuationen und der Haltung im tragischen Stil. Aber, selbst wenn wir ihr diesen doppelten Vorzug einräumen, fühlen wir, daß minder vollkoms men geordnete dramatische Werke tiefer erschüttern können; der Grundriß fremder Stücke ist nicht selten auffallender, kühner; spricht mächtiger, innis ger zum Herzen, und tritt den Gefühlen näher, die uns oft persönlich ergriffen haben.

Den Franzosen macht alles leicht Langeweile, daher suchen sie in allem das langgesponnene zu vermeiden. Wenn der Deutsche das Schauspiel besucht, so geschieht es mehrentheils auf Kos sten der Stunden, die er beim Spieltische würde durchgähnt haben. wo die Einförmigkeit der im mer wiederkehrenden Glücksfälle bald ermådet. Er ist froh, sich in seine Loge still hinsetzen zu können, und läßt dem Verfasser des Stücks gern

alle Zeit, die dieser braucht, die Ereignisse vorzubereiten, und die Charactere zu entwickeln: die französische Ungeduld würde solche Langsamkeit nicht gestatten.

Die deutschen Stücke gleichen gewöhnlich Ges målden alter Maler; die Physiognomien sind schön, ausdrucksvoll, in sich gekehrt; aber alle Figuren stehen auf demselben Gründe, bisweilen bunt durcheinander, bisweilen ruhig neben einander, wie auf den erhobenen Bildwerken der Alten, ohne für den Zuschauer in Gruppen vereinigt zu seyn. Die Frans zosen sind, mit Recht, der Meinung, die Bühne, wie die Malerei, müsse den Gesehen der Perspec tive unterworfen seyn. Besäßen die Deutschen in der dramatischen Kunst ein gewisses Geschick, sie würden es auch in allem übrigen haben; aber in keiner Gattung sind sie eines, selbst unschuldigen, Kunstgriffes fähig; ihr Verstand macht sich in ge= rader Linie Bahn; das absolut Schöne gehört in ihr Reich; aber die relativen Schönheiten, diejes nigen, welche in der Kenntniß der Verhältnisse, in der Schnelligkeit der Mittel liegen, sind nicht immer im Bereich ihrer Geistesfähigkeit.

Es muß auffallen, daß unter diefen beiden Nationen es eben die Französische ist, welche im Ton der Tragödie den gehaltensten Ernst zur Haupts bedingung macht. Dieses erklärt sich aber grade durch die Lustigkeit der Franzosen; sie ist ihnen so natürlich, daß sie alles sorgfältig vermeiden, was im Trauerspiel dahin führen möchte: nicht so der unwandelbar ernste Deutsche; dieser beurtheilt ein Schauspiel immer nur im Ganzen, und wartet das Ende ab, um es zu loben oder zu tadeln. Die Eindrücke der Franzosen sind schneller; vergebens würde man sie vorher damit bekannt ma» chen wollen, daß eine komische Scene eine tras

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gische Situation vorbereiten und heben soll; fie würden über die erste lachen, ohne die Wirkung der zweiten abzuwarten; jedes Einzelne muß für fie so interessant seyn, wie das Ganze; sie geben dem Vergnügen, das sie von den schönen Künsten erwarten, keinen Augenblick Credit.

Die Verschiedenheit der französischen und der deutschen Bühne läßt sich zwar durch die Verschie= denheit im Character beider Nationen erklären; aber an diese natürliche Eigenschaft schließen sich noch systematische Scheidewände, deren Grund wir aufsuchen müssen. Was ich schon oben von der classischen und romantischen Poesie gesagt habe, läßt sich auch auf die dramatische anwenden. Die aus der Fabel geschöpften Tragödien sind ganz ans derer Natur, als die historischen; die mythischen Gegenstände waren so bekannt, von so allgemeis nem Jutereffe, daß man sie nur angeben durfte, um die Einbildungskraft im Voraus in Anspruch zu nehmen. Das ausgezeichnet poetische in den griechischen Trauerspielen, die Dazwischenkunft der Götter, die Einwirkung des Fatums, macht ihren Gang weit leichter; das Detail der Motive, die Entwickelung der Charactere, die Verschiedenheit der Thatsachen ist weniger nothwendig, wo das Ereigniß sich durch eine åbernatürliche Macht ers klärt, ein Wunder kürzt alles ab. Eben deswegen ist auch die tragische sandlung bei den Griechen bewundernswürdig einfach; die darin vorkommens den Begebenheiten werden mehrentheils in der ers ften Scene vorausgesehen, ja vorher verkündigt; eine griechische Tragödie ist eine religiöse Ceremos nie. Das Schauspiel wurde den Göttern zu Eh, ren gegeben; Hymnen, vom Dialog und von Er zählungen unterbrochen, stellten die Götter bald

gnådig bald strafend, und das Schicksal beständig über das Leben der Menschen waltend auf.

Als aber diese Mythen auf die französische Bühne gebracht wurden, gaben unsre großen Dich ter ihnen mehr Mannigfaltigkeit, vermehrten die Zwischenfälle, bereiteten die Ueberraschungen vor, schürzten den Knoten fester. Freilich mußte auf irgend eine Weise das religiöse Nationalinteresse ersetzt werden, welches die Griechen an ihre Stücke fesselte, und wir mit ihnen nicht theilen konnten. Hierin gingen wir aber zu weit; damit nicht zu» frieden, die griechischen Stücke lebendiger zu ma chen, liehen wir den Personen des Alterthums unsre Sitten, unsre Gefühle, die neuere Politik, die neuere Liebeskunst. Eben deswegen können so viel Ausländer keinen Sinn für die Bewunderung haben, die wir unsern tragischen Meisterwerken zollen. Und in der That, sobald man sie in einer fremden Sprache wiederholen hört, sobald sie von der magischen Schönheit des Stils entblößt sind, muß man sich über die wenige Rührung, die sie hervorbringen, und über so manchen Uebelstand wundern, der in ihnen liegt; denn was sich weder mit den Sitten der laufenden Zeit, noch mit den Nationalsitten derer, die man darstellt, vertrågt, gehört doch wohl zu den Uebelstånden? oder ist nur das lächerlich, was den Franzosen nicht åhnlich ist?

Die Trauerspiele griechischen Ursprungs ver... lieren nichts dabei, daß man sie der Strenge der französischen Regeln unterwerfe; wollten wir aber in Frankreich, wie in England, ein historisches Theater haben; wollten wir an unfern Erinnerungen Interesse, in unsrer Religion Rührung finden, wie wäre es dann noch möglich, sich, einerseits, streng an die drei Einheiten zu binden, und andererseits,

dem Prunke anzuhängen, den man sich in unsern Tragödien zum Geseze gemacht hat?

Die Frage der drei Einheiten ist so abgenußt, daß man kaum noch ein Wort darüber verlieren darf; gleichwohl ist, von diesen drei Einheiten, nur die eine wesentlich; die der Handlung: die beiden andern sind ihr untergeordnet. Wenn aber die Wahrheit der Handlung unter der kindischen Noth wendigkeit leidet, sich an den Ort und an die Zeit von vierundzwanzig Stunden zu binden, so heißt, diese Nothwendigkeit auferlegen, nichts mehr und nichts weniger, als dem dramatischen Genie einen Zwang auflegen, demjenigen gleich, der den Dichs ter verdammen würde, alles in Acrostichen zu schreiben ein Zwang, der in beiden Gattungen das Wesen der Kunst der Form aufopfert.

Von unsern großen tragischen Dichtern, ist Voltaire derjenige, der am dstersten moderne Gegens ftånde bearbeitet hat. Um den Zuschauer zu rühs ren, nahm er seinen Stoff aus der Geschichte des Christenthums und der Ritterzeit, und will man -ehrlich seyn, so wird man zugeben müssen, daß bei den Vorstellungen von Alzire, Tancred, Zaïre mehr geweint wird, als bei allen griechischen und römischen Meisterstücken unsrer Bühne. Mit einem sehr untergeordneten Talent, ist es Dübelloy gleichwohl gelungen, auf der französischen Bühne französische Erinnerungen zu wecken, und obschon ihm die Kunst des Stils fehlt, findet man doch in seinen Trauerspielen ein Interesse, dem gleich, welches. die Griechen empfinden mußten, wenn sie die großen Züge aus ihrer Geschichte dargestellt hatten. Welchen Vortheil könnte das Genie aus einer sols chen Stimmung ziehen? Gleichwohl giebt es in den letzten Zeitaltern unsrer Geschichte, kaum eine einzige Begebenheit, deren Handlung an eis

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