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ihnen mehr oder weniger einen (o engen Kreis vor, daß sie der Vollkommenheit des Stils schlechs terdings bedürfen, um bewundert werden zu kön nen. Wollte man in Frankreich, in einem Trauers spiele, irgend eine Neuerung wagen, so würde es gleich von allen Seiten heißen: es ist keine Tragödie, es ist ein Melodram. Wäre es aber nicht der Mühe werth, zu untersuchen, weswegen die Melodramen so vielen Leuten gefallen? In Eng. land finden alle Classen Vergnügen an Shakespears Stücken. Unfre schönsten Tragödien hingegen has ben kein Intereffe für den gemeinen Mann; unter dem Vorwande eines zu reinen Geschmacks, einer zu zarten Empfindung, um sich gewiffen Erschütte rungen hingeben zu können, theilt man bei uns die Kunst in zwei Theile; die schlechten Stücke enthalten rührende Situationen, in nachläßigen Reimen vorgetragen; die schönen Stücke liefern in bewundernswürdigen Bersen, würdevolle, aber eben. deswegen oft kalte, steife Situationen. Wir besitzen nur eine überaus kleine Anzahl von Tragddien, welche die Einbildungskraft aller Menschen, aus allen Claffen, zugleich erschütterten.

Die Bemerkungen, die ich mir hier erlaube, haben keineswegs zur Absicht, gegen unsre großen Meister den geringsten Ladel zu äußern. Mögen immerhin in den Stücken der Ausländer einzelne Auftritte lebhaftere Wirkungen hervorbringen; den= noch läßt sich mit dem bedeutsam auftretenden, in einander greifenden Ganzen unsrer dramatischen Meisterwerke nichts in Vergleichung bringen; die Frage ist bloß, ob, wenn man sich, wie bisher ges schah, auf ihre Nachahmung beschränkt, jemals neue Meisterstück hervorgehen werden? Im Leben darf nichts stillständig seyn; die Kunst wird zu Stein, sobald sie nicht in Bewegung bleibt. Eine

zwanzigjährige Revolution hat der Einbildungss kraft andre Bedürfnisse mitgetheilt, als die sie zur Zeit Crebillons und seiner Romanenschilderungen der Liebe und der Gesellschaft kannte. Die gries chischen Stoffe sind erschöpft; einem einzigen Dichter, Lemercier, ist es gelungen, in einem ans tiken Felde neue Lorbeern einzuernten, und den Agamemnon zu schreiben; aber des Jahrhunderts natürliche Tentenz ist das historische Trauerspiel.

In den Begebenheiten, welche Nationen ins teresfiren, ist alles Trauerspiel; und das unermeßliche Drama, welches seit sechstausend Jahren vom Menschengeschlecht aufgeführt wird, wårde dem Theater unzählig reichhaltige Stoffe liefern, sobald der dramatischen Kunst mehr Freiheit vers stattet wäre. Die Regeln sind der bloße Wegweis ser des Genies; sie sagen ihm bloß: hier sind Cors neille, Racine, Voltaire durchgekommen. Wozu aber, wenn man nur das Ziel erreicht, über die Wege klügeln und meistern? und ist dieses Ziel nicht die Rührung des Gemüths durch Veredlung?

Die Neugier ist eines der großen Triebråder der Bühne; gleichwohl bleibt das Interesse, das die Tiefe des Affects hervorbringt, das einzig uns erschöpfliche. Man gewinnt Sinn für die Poesie, die den Menschen dem Menschen offenbart; man fieht mit Theilnahme, wie das Geschöpf nach uns ferm Bilde gegen das Leiden ankämpft, unterliegt, den Sieg davon trägt, unter der Gewalt des Schicksals dahinsinkt und wieder emporsteigt. In einigen unserer Trauerspiele stößt man auf eben so gewaltsame Lagen als in englischen oder deutschen; nur sind diese Lagen nicht in ihrer ganzen Stärke dargestellt; eft hat man mit Bedacht, aus Affecta= tion, die Wirkung einer Situation gemildert oder besser zu sagen, sermischt. Höchst selten tritt man

aus einer conventionellen Natur heraus, die das Recht zu haben glaubt, die Sitten der Alten, wie die Sitten der Neuern, mit denselben Farben außzumalen, das Verbrechen wie die Tugend, den Mord wie die Galanterie zu behandeln. Diese Natur ist schön und mit Auswahl geschmückt; wird aber am Ende zur Last; und das Bedürfniß, fich in tiefere Geheimnisse zu stürzen, muß das Genie unwiderstehlich ergreifen.

Es wäre daher sehr zu wünschen, man könnte den Umkreis durchbrechen, den Abschnitt und Reim um die Kunst gezogen haben; es wird nothig, mehr Freiheit zu gestatten, mehr Kenntniß der Geschichte zu fordern; denn wollte man sich fortdauernd und ausschließlich an inimer matter werdende Nachbildungen einiger Meisterwerke hals ten, so würde man zuletzt nur Heldenschaupuppen auf der Bühne sehen, die der Pflicht die Liebe aufs opfern, der Sclaverei den Tod vorziehen, in ihren Handlungen, wie in ihren Reden, von der Ans tithesenwuth ergriffen werden, aber mit dem wuns dernswürdigen Geschöpfe, das man den Mensch e n nennt, eben so wenig gemein haben, als sie mit dem furchtbaren Schicksal, das dieses Wesen abs wechselnd mit sich fortreißt und verfolgt, in Vers bindung stehen.

Die Fehler der deutschen Schaubühne sind. leicht bemerkbar; denn in den Künsten wie in der Gesellschaft, fällt alles, was mit dem Mangel an Weltgebrauch im Zusammenhange steht, selbst obers flächlichen Gemüthern in die Augen; da es im Gegentheil nothwendig ist, um die Schönheiten zu fühlen, die aus der Seele entspringen, bei der Ab. schätzung der Werke, die uns vorgelegt werden, mit einer Art von Gutmüthigkeit zu Werke zu gehen, die mit einer höhern Uebersicht vollkommen vers

einbar ist. Das Spotturtheil ist nicht selten ein gemeines Gefühl, das sich die Stirn der Unvers schämtheit giebt. Die Fähigkeit hinter/allen Fals ten und Geschmacksfehlern in der Literatur, wie hinter allen Absprüngen im Leben, die wahre Größe eines Kunstwerks und eines Menschen herauszus finden; diese Fähigkeit ist die einzige, die dem kritischen Richter Ehre macht.

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Indem ich hier ein Theater bekannter mache, dessen Grundsähe von den unsrigen so gar abweis chen, bin ich fern, behaupten zu wollen, diese Grundsätze seyen die bessern, und noch weniger, man müsse sie in Frankreich befolgen; nur so viel ist ausgemacht: fremde Combinationen können zu neuen Ideen Anlaß geben; und wenn man sieht, von welcher Dürre unsre Literatur bedroht wird, ist der Wunsch ziemlich natürlich, daß es unsern Literatoren gefallen möge, die Gränzen ihrer Laufs bahn etwas weiter. abzustecken, und auch ihrerseits in dem Gebiete der Einbildungskraft Eroberungen zu machen. Sollte es den Franzosen schwer dunken, einem Rathe, wie diesem, Gehör zu geben?

Sechszehntes Capitel.

Lessings Schauspiele.

Vor Lessings Zeiten hatten die Deutschen keine Schaubühne; sie begnügten sich mit Uebers setzungen oder mit Nachahmungen fremder Stücke. Das Theater fühlt mehr als alle übrigen Zweige der Literatur, das Bedürfniß einer Hauptstadt, welche die Hülfsquellen des Reichthums und der

Künste vereinige: und in Deutschland ist alles noch vereinzelt. In der einen Stadt giebt es Schauspieler, in der andern dramatische Schrifts steller, in einer dritten das Publikum; aber nirs gends ein gemeinschaftlicher Vereinigungspunkt. Lessing machte von der natürlichen Thätigkeit seines Characters Gebrauch, um seine Landsleute mit einem Nationaltheater zu beschenken, und schrieb eine Zeitschrift unter dem Titel Dramaturgie, in der er die aus dem französischen übersetzten Stücke, welche vorzüglich in Deutschland aufges führt wurden, kritisch beleuchtet: die Richtigkeit seiner Recensionen beweiset, daß er noch mehr Phis losoph als Theaterkenner war.

Leffing dachte überhaupt, wie Diderot, über die dramatische Kunst. Er war der Meinung, die frenge Regelmäßigkeit der französischen Tragödie sey ein großes Hinderniß zur Behandlung einfacher rührender Gegenstände; und um die Lücke auszus füllen, bliebe nichts übrig, als das Drama. Mit dem Unterschiede, daß Diderot, in seinen Stücken, die Ziererei der Natürlichkeit an die Stelle des Regelzwangs der Herkömmlichkeit setzte, und daß Leffings Talent wirklich einfach und natürlich ist. Er ist der erste, der den Deutschen den ehrenvollen Antrieb gab, mit eigenem Genie für das Theater zu schreiben. Die Originalität seines Gemüthe zeigt sich in seinen Stücken; diese Stücke sind gleichwohl eben den Grund ähen unterworfen, als die unsrigen; ihre Form hat nichts besonders, und obschon er sich über die Einheit des Orts und der Zeit wegsehte, so hat er sich doch nie, wie Göthe und Schiller, zur Geburt eines neuen Systems erhos ben, Minna von Barnhelm, Emilia Galotti und Nathan der Weise verdienen, vor allen Dramen Lessings, eine nähere Auseinanderseßung.

Ein

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