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Das Halbbataillon v. Lindeiner folgte zuerst dem Halbbataillon v. Lobeck geschlossen als Unterstützungstrupp. Kaum hatte es etwa 100 Meter zurückgelegt, da brachte der Bataillons-Adjutant, Leutnant v. Koenig, dem zweiten Halbbataillon den Befehl, sich links neben das erste zu sehen und ebenfalls Schützen vorzunehmen. Auch das II. Bataillon hatte durch den dichten Wald nicht vorwärts kommen können und ging ebenfalls nach dem Sammelplatz des Regiments zurück. Die zuerst heraustretende 5. und 8. Kompagnie marschierten, sobald sie wieder formiert waren, ohne die 6. und 7. abzuwarten, auf der Straße Gorze-Rezonville ab; ihnen folgte dann die 6. und 7., beide Halbbataillone aus der Tête in Sektionen abgebrochen.

Bevor die Bataillone den Wald erreichten, passierten sie, unmittelbar vor diesem rechts an der Straße lagernd, wohl mehr als 500 Mann des 72. Regiments, welche vom Schlachtfelde bereits zurückgekehrt, sich hier um ihre Fahnen jammelten.

Am Ausgange des Waldes hielt Oberst v. Rer, der Kommandeur der 32. Infanterie-Brigade, und belobte laut die Kompagnien des II. Bataillons wegen ihres geordneten Aufmarschierens. Beim Heraustreten aus dem Walde waren die 5. und 8. Kompagnie aufmarschiert und gingen zunächst in Kompagnie-Kolonnen auseinandergezogen vor. Hauptmann v. Bentivegni ging mit der 5. Kompagnie halbrechts, während Hauptmann Winckler die 8. an der Straße weiter vorführte. Hierbei fielen von der 8. Kompagnie Premierleutnant v. Wallhoffen und Leutnant der Reserve Diercks, beide durch Schüsse durch den Kopf. Als die beiden Kompagnien etwa 300 Meter vorgerückt waren, schwärmten auch sie aus und gingen sprungweise an das 1. Bataillon heran, welches inzwischen bis auf ungefähr 300 Meter an die feindliche Stellung gelangt war. Bei diesem Vorlaufen wurde Hauptmann Winckler durch eine Chassepotkugel durch Arm und Unterleib verwundet. Bei der 5. Kompagnie erhielt Leutnant der Reserve Becher) einen Schuß durch die Brust; mit dem Rufe: Adieu Post als braver Soldat!" sank er zu Boden.

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Von dem anderen Halbbataillon ließ die 6. Kompagnie, bei der sich die Fahne befand, den Têtenzug unter Leutnant v. Sydow I halbrechts schwärmen, und indem sie die Ackerfurchen als Deckung benutzte, lief sie unter ihrem Führer, Premierleutnant v. Manstein, halbrechts, um die östliche Schlucht zu erreichen, in der sich zwei Züge der 1. und ein Zug der 2. Kompagnie befanden. Während des Vorlaufens fiel der Fahnenträger, Sergeant Zimmereck der 8. Kompagnie, von einer Chassepotkugel durch den Kopf getroffen. Der Gefreite Kettner derselben Kompagnie fing den fallenden Fahnenträger auf, während Leutnant der Reserve Freiherr v. Richthofen) der erstarrenden Hand Zimmerecks die Fahne entriß und sie der Kompagnie vorantrug. In der östlichen Schlucht angelangt, übergab er

1) War im Zivilverhältnis Postbeamter.

2) War vom Oktober 1900 ab Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und seit 1904 gleichzeitig Preußischer Staatsminister; starb im Januar 1906.

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500 Meter.

1000

Übersichtstarte des Geländes vom 16. 8. 70.

die Fahne dem Reserveunteroffizier Sorge, der die Fahne während des weiteren Gefechts trug. Die 7. Kompagnie führte Premierleutnant v. Wiese-Kaiserswaldau in Kompagnie-Kolonne hinter der Schützenlinie der 5. und 8. Kompagnie vor. So fast ganz in Schüßen aufgelöst, ging das nunmehr vereinigte Regiment unter einem wahren Hagel von Geschossen zum Angriff vor, den Oberst v. Schöning von der Mitte des Regiments aus leitete. Es stürmten in der Front die 3., 4., 5., 8., 9. und 12. Kompagnie, sowie ein Zug der 1., zwei Züge der 2. und ein Zug der 6. Kompagnie ausgeschwärmt vor. In der östlichen Schlucht befanden sich zur Sicherung des rechten Flügels zwei Züge der 1., ein Zug der 2. und zwei Züge der 6. Kompagnie; in der westlichen Schlucht drangen die 10. und 11. Kompagnie vor. Außer den Unterstützungstrupps in den beiden Schluchten bildete nur die 7. Kompagnie eine geschlossene Reserve.

Die Franzosen hatten ihre Hauptstellung, gegen welche der größte Teil des Regiments vorging, auf einer Höhe (304) etwa 12-1300 Meter südlich Rezonville. An dem vorderen Rande derselben hatte sich der Feind in Schützengräben eingenistet, und an dem südlichen Abhange dieser Höhe lagen, ebenfalls in Schüßengräben verdeckt, zwei Schützenlinien übereinander; die eine auf der Hälfte des Abhanges nach der Maison blanche", einem weithin sichtbaren Wegewärterhäuschen an der Straße Gorze-Rezonville, und in Höhe dieses Weißen Hauses" eine zweite, welche sich bis zu dem östlich gelegenen Walde ausdehnte. Hinter der Höhe standen starke Reserven, welche beim Erscheinen von Verstärkungen auf die Höhe rückten und das ganze Vorgelände mit verheerendem Feuer überschütteten. Als die Bataillone des 11. Regiments aus dem Gehölz von St. Arnould heraus sich entwickelten, wurden sie wieder mit Geschossen überschüttet, die enorme Verluste verursachten. Beim Heraustreten aus dem Walde war vom Feinde selbst keine Spur zu sehen. Seine Schüzenlinien ließen sich nur durch lange Rauchwolfen erkennen, gegen welche unser Regiment vorging.

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An der Höhe vor Rezonville fochten zwei Bataillone des französischen 84. Regiments, welche im Laufe des Nachmittags von dem I. und II. Bataillon des 3. Garde-Grenadier-Regiments unterstützt wurden. Diese vier Bataillone, die noch durch das Garde- Jäger-Bataillon verstärkt worden waren, hatten schon die Angriffe

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Becker: Der Angriff des 2. Schlesischen Grenadier-Regiments Nr. 11 bei Vionville-Gorze am 16. August 1870.

Geschenk der jeßigen und ehemaligen Reserve-Offiziere zum 100jährigen Regimentsjubiläum am 18. Oktober 1908.

der preußischen Regimenter 72 und 40 auszuhalten gehabt, waren aber durch die hinter der Höhe stehenden Reserven wirksam unterstützt worden.

Premierleutnant v. Werder wurde an der Spize der 3. Kompagnie tödlich verwundet, ebenso der Führer der 2. Kompagnie, Premierleutnant v. Wilamowitz.

Alle, vom Kommandeur bis zum Gemeinen, wetteiferten, an den Feind zu kommen. Unsere dichte Schüzenlinie drang unter furchtbaren Verlusten und troß des mörderischen Feuers mit Begeisterung und unwiderstehlicher Tapferkeit vorwärts. Premierleutnant Küper stürmte seiner 4. Kompagnie tapfer voran, und als er einen Schuß in den rechten Arm erhielt, nahm er den Säbel in die linke Hand. Dem Angriff schlossen sich Abteilungen der schon vorher im Gefecht gewefenen Regimenter 8, 40 und 72 an. So sammelte Hauptmann v. Hagen vom Leibregiment schnell einen Haufen seiner Grenadiere, dem sich 40er und 72er anschlossen, und machte den Angriff des 11. Regiments mit.

Chassepot- und Mitrailleusenkugeln, Granaten und Schrapnells hielten in den Reihen der Unsrigen reiche Ernte. Leutnant v. Colomb, Adjutant des I. Bataillons, war schwer verwundet. Viele Offiziere und Mannschaften, wie Premierleutnant und Regiments-Adjutant v. Merckel und die Leutnants Graf Rittberg (Adjutant des II. Bataillons), v. Dresky, Böttger, Unteroffizier Schober der 5., Grenadier Till der 4., Guder der 5., Urban der 6. und Füsilier Sundermann der 10. und viele andere wurden verwundet, blieben aber dennoch im Gefecht, ebenso die meisten leicht Verwundeten.

Beim Halbbataillon v. Lindeiner führte inzwischen der Adjutant, Leutnant v. Koenig, die Schüßenzüge der 10. und 11. Kompagnie unter den Leutnants v. Stockhausen und v. Tschirnhaus II in der ihm von Oberstleutnant v. Klein angegebenen Richtung in der Schlucht vor. Die anderen vier Züge dieser beiden Kompagnien folgten geschlossen.

Als sie von jenseits der Schlucht liegenden Abteilungen des III. Korps erblickt wurden, begrüßten diese 3. Jäger und 48er — mit freudigem Zurufen unsere Füsiliere, die mit lautem Jubel antworteten.

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Die beiden Kompagnien drangen in der Schlucht vorwärts, bis ihnen plötzlich eine etwa zwei Kompagnien starke französische Abteilung im Tritt und mit blasenden Hornisten entgegenkam.

Kurz vorher hatte von der Schlucht aus Hauptmann v. Rosen vom 40. Regiment mit ungefähr zwei Kompagnien seines Regiments, untermischt mit 72ern, einen Angriff gegen die Schützengräben am Weißen Hause versucht, war aber von plötzlich auftretenden feindlichen Massen genötigt worden, wieder zurückzugehen. Diese Abteilungen der 40er und 72er schlossen sich nun teilweise dem Vorgehen unserer 10. und 11. Kompagnie an.

Hinter einer Feldsteinmauer, die sich nördlich eines auf der Sohle der Schlucht befindlichen Steinbruchs hinzieht, blieben die Franzosen halten. Als die Schützenzüge der 10. und 11. Kompagnie auf ungefähr 50 Meter an die Franzosen heran

gekommen waren, eröffneten sie ein verheerendes Schnellfeuer auf den Feind. Inzwischen hatte Hauptmann v. Lindeiner die geschlossenen Züge der beiden Kompagnien aufmarschieren lassen, war im Laufschritt an die Schüßenzüge herangerückt, und ließ nach einer Salve ebenfalls Schnellfeuer abgeben. Als hierauf die beiden Kompagnien gegen die feindliche Abteilung mit dem Bajonett und mit schlagenden Tambours vorgingen, machten die Franzosen Kehrt und wandten sich zur Flucht. Hierbei fielen 45 unverwundete Gefangene in die Hände unserer Füsiliere. Von einem zurückgehenden Franzosen wurde der Adjutant des Füsilier-Bataillons Leutnant v. Koenig, aus nächster Nähe durch den Kopf geschossen und blieb schwer verwundet liegen. Der Führer der 11. Kompagnie, Premierleutnant v. Bongé I, erhielt während des Schnellfeuers einen Schuß ins Bein; er versuchte, am Gefecht weiter teilzunehmen, doch ließ es die Schwere seiner Verwundung nicht zu. Leutnant v. Tschirnhaus II wurde tödlich verwundet.

Während nun die 10. Kompagnie nach rechts die Verbindung mit dem anderen Halbbataillon aufnahm, besetzte die 11. Kompagnie einen weiter vorwärts gelegenen Steinknick und sandte den Franzosen ein wohlgezieltes Verfolgungsfeuer nach.

Nach dem Zusammentreffen der beiden Züge der 6. Kompagnie mit den drei Zügen des I. Bataillons in der östlichen Schlucht gingen diese fünf Züge weiter vor, um die feindliche Höhenstellung zu flankieren.

Auf der ganzen Linie befand sich nun das Regiment im Vorgehen. In der Front griffen sechs Grenadier-Kompagnien und auf ihrem linkem Flügel das Halbbataillon v. Lobeck an, in der östlichen Schlucht drangen die obengenannten fünf Züge vor, und in der westlichen Schlucht focht das Halbbataillon v. Lindeiner.

Trotz des verheerenden Feuers und der geradezu entsetzlichen Verluste stürmten unsere wackeren Schlesier mit wahrem Fanatismus unaufhaltsam weiter. Die 7. Kompagnie, deren Führer, Premierleutnant v. Wiese-Kaiserswaldau, gleich anfangs schwer verwundet wurde, war inzwischen aufmarschiert und dann sprungweise an die Schützenlinien herangelaufen. Der Führer des rechten Flügelzuges, Leutnant der Reserve Jansen, war schwer verwundet liegen geblieben. So erreichte das Regiment über das Weiße Haus hinaus die Hauptstellung des Feindes am Südrande jener Höhe vor Rezonville. Hier kam das Gefecht zum Stehen. Ein furzes, heftiges Schnellfeuer, dann stürzte sich die ganze Linie auf die Franzosen');

1) Die Geschichte des 72. Regiments gibt das Auftreten unseres Regiments in der Schlacht bei Vionville vollständig unrichtig wieder. So wären nach Seite 251, vorlegte Zeile, unsere Bataillone geschlossen, mit nur wenig Schüßen vor sich“ vorgegangen, und nach Seite 252 Zeile 6 wären diese geschlossenen Bataillone sogar bis an die Hauptstellung des Feindes jenseits des Weißen Hauses vorgegangen, dort aufmarschiert und dann erst ausgeschwärmt. Wenn die Bataillone so in geschlossener Masse bei dem verheerendem Feuer vorgegangen wären, so hätten der Regiments- wie die Bataillons-Kommandeure geradezu unverantwortlich gehandelt, und die ungeheuren Verluste wären lediglich Schuld eines so unglaublichen Angriffs. Aber jeder, der im 11. Regiment jenen Riesenkampf mitgemacht, weiß, daß es von vornherein gar nicht anders möglich war, als in Schüßenschwärmen vorzugehen. Naturgemäß hätten dann die Verluste noch sehr viel größer sein müssen, als sie ohnehin schon waren.

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