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Der

Roland von Berlin

Roman von

Wilibald Aleris

(W. Häring)

Zweiter Band

Leipzig

Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.

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REC 1/351

ROL

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בית הספרים הלאמי

והאוניברסיטאי
ירושלים

1.

s war am Abend des Sonntags Esto mihi, und der Sturm heulte und stieß und trieb Wirbel von Schnee durch die Jüdengaffe. Man hätte keinen Hund vors Tor geschickt, und saß hinterm warmen Ofen, wer ihn heizen konnte. Gott sei's gelobt, für die armen Leute! Es hatte dazumalen noch viel Wald rund um Berlin; und den Herren, die sonst streng waren, kam's auf einen Stamm mehr nicht an, den die Elenden sich nachts ins Haus schleiften, damit sie morgens warm fäßen. Auch in der Jüdengasse knackten die Öfen und rauchten die Schornsteine, und die Schicksels rösteten und brieten, daß es durch die Häuser lieblich duftete; und die Frauen zupften und verlasen, wie es sich für Hausfrauen schickt, und riefen und schalten mitunter; aber die Dirnen kicherten, und taten doch, was sie Lust hatten.

In keinem Haus aber waren die Läden so fest geschloffen, als dort am Eck, wo Joel Baruch wohnte; sie hatten mit Moos die Rißen verstopft, und Strohdecken drüber gehängt, sei's gegen den Wind oder gegen die neugierigen Leute. Am Balken der niedrigen Decke hing eine Ampel, die ein schönes Licht ins Gemach warf; aber noch heller brannte und prasselte das Feuer aus dem großen Ofen, darum die Familie saß, die Matrone und noch ein oder zwei ältere Frauen, und an drei oder vier Dirnen von weißer Haut und roten Backen und rabenschwarzem Haar und Augen wie die Kohlen. Und ein

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vier oder fünf Vettern mit auch solchen Haar und auch folchen Augen, saßen und standen darum. und scherzten mit den Mädchen, und sagten ihnen so viel füße und lustige Dinge, daß die Schicksels in einem Lachen blieben. Wer die Burschen am Tage gesehen, wie sie barfuß und zerlumpt, ein paar Hafenfelle oder was es war auf dem Rücken durch die Gassen schlichen, blaß und wie verhungert, und sie wichen jedem, der ihnen entgegen kam, um drei Schritt aus, und blieben stehen und zogen die Müßen: wer sie da sah und ißt wiedergesehen, der hätte sie doch kaum für dieselben gehalten. So ganz anders leuchteten ihre Augen und trugen sie sich, und man sah auch nichts von Bläffe und Elend auf ihren Backen. War's nun der Feuerschein, der sie rötete oder die schmucken Dirnen, die bei ihnen saßen, oder was es sonst war.

Das ging wie ein Raketenfeuer, und verschluckte ein Wort das andere, und alles, was wir schon wissen und auch nicht wissen, erzählten die Vettern ihren hübschen Muhmen. Und was ganz besonders war, denn wer hätte es den Jungen zugetraut, itt sprach einer und hatte sich, als wäre er der Bürgermeister, und nun einer, als wie der Herr von Blankenfelde und ein dritter polterte wie der Pawel Strobant auf des Bartscheers Bude und fiel dann mit einem gar entsetzlichen Gesichte um, als hätte ihn ein Stein ins Maul getroffen. Auch den Henning Mollner ahmte einer nach, und schien's als ob die kecke Miene des Jungen und wie er sich trug und pfiff, ihm selber so wohl gefiel, daß er gar nicht von los konnte. Und die schmucken Muhmen schauten voll Seelenfreude zu, und baten ihn immer wieder, daß der Vetter es noch einmal mache. Auch ergötzte sie's über die Maßen, zu hören, was wißige und spitzige Reden der Narr zu den Weibsen beim großen Bankett Thomas Wynsens gesprochen, und der Narr war kein anderer als der Henning, der sich eingeschlichen. Und dann die Geschichte, wie die Else und die Eva sich in den Haaren gelegen, und wie Henning auf der Leiter ins Rathaus gestiegen, um der Elsbeth das verlorne

Halsband wieder zu bringen, und fast gegriffen wäre als ein Dieb, und nur davon gekommen, weil er den dicken Propst unterm Tisch gefunden.

So lustig erzählten die Vettern, und so hübsch machten fie nach in Miene und Sprache die vornehmen Herren, daß die Schicksels die ganze Nacht gern zugehört hätten; und doch mußten sie's ganz in der Stille und fast heimlich treiben, denn Joel Baruch saß in seinem Kaftan vor seinem Schreibeschrank und schrieb und rechnete und zählte, mit der Brille auf der Nase, und bisweilen, so sie zu laut wurden, hielt die Mutter den Finger an den Mund und wies auf ihn; bis weilen wandte er auch selbst den Kopf ernst um und strafte sie um ihre Torheit.

„Was ist denn los heute," sprach er, sein groß Buch zuschlagend, daß ihr geht geputzt als es sich nicht schickt für die Kinder ihrer Väter! Ist der Sabbat der Christen und nicht unser."

„Sieht's doch keiner," sagte die Mutter, und die Dirnen drückten sich am Ofen zusammen, und lächelten schlau. Wußten sie, daß sie an der Mutter eine Fürsprecherin hatten.

„Ist es nicht gut," fuhr der Alte fort, „so die Kinder ihrer Väter antun die Kleider der Gojim und halten ihre Feste. Keine Mauer ist so dick, sie hat ihre Löcher und Spalten, und so keines Christen Auge durchsieht, schaut es doch der Herr über Israel, der gesprochen hat zu unsern Vätern: Du sollst teine Götter haben neben mir.“

Da fuhr ein fürchterlicher Windstoß durch den Schlot, daß die Funken in die Stube flogen und das Feuer herausschlug, und es heulte gräßlich über die Dächer und auf der Gasse, und eine Lade schlug auf, und ein Fenster und der Schnee stürzte nur so herein. Das Heulen und Pfeifen dauerte noch eine gute Weile, als wenn die Erde untergehn sollte. Die Judenmädchen erschraken, und die Buben wurden auch blaß. Die Mutter hatte die Hände gefaltet, und das tat Joel Baruch auch und fiel auf die Kniee; vorher aber hatte er das Fenster

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