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ihrer Ruhe aufgescheucht hatte, wie sie vielleicht einzig in der Weltgeschichte dasteht.

Eine Frage, welche schon seit einiger Zeit in die Öffentlichkeit gedrungen war, ohne daß ihr anfänglich große Bedeutung beigelegt wurde, sollte den Franzosen die erwünschte Handhabe bieten, uns den Krieg aufzudrängen.

Es war die spanische Thronkandidatur des Erbprinzen von Hohenzollern.

Selten wohl ist ein Krieg mit solcher Frivolität heraufbeschworen, als der vom Jahre 1870. Da es an jeder wirklichen Ursache fehlte, mußte zur Lüge und Entstellung der Tatsachen gegriffen werden. Zuerst erhob sich das Geschrei in der französischen Presse. Die Pariser Zeitungen überboten sich in Schmähungen und Drohungen gegen Preußen, das „in seiner Unersättlichkeit nun seine Machtsphäre auch auf die spanische Halbinsel ausdehnen wollte". Von seiten der französischen Regierung ergingen bald Noten nach Berlin, in denen auf den peinlichen Eindruck, den die Thronkandidatur bei dem französischen Volke hervorgerufen habe, hingewiesen wurde.

Um jeden Anlaß zu einem Konflikt zu beseitigen, verzichtete Prinz Leopold auf die Annahme der Krone.

Damit schien die Erhaltung des Friedens gesichert. In Paris aber dachte man anders und sann auf neue Pläne, um das vorgesteckte Ziel, Demütigung Preußens oder Krieg, zu erreichen.

Der Schlußakt dieses französischen Intrigenstückes spielte sich in Ems ab, wo sich König Wilhelm damals zur Kur befand.

Am 13. Juli, nachdem Tags zuvor die Verzichtleistung des Prinzen in Paris offiziell bekannt geworden war, erbat der französische Botschafter Graf Benedetti eine Audienz und verlangte von unserem Könige, er solle die bestimmte Erklärung abgeben, daß er auch in Zukunft nie wieder seine Einwilligung geben werde, wenn die Kandidatur etwa wieder auftauchen sollte.

Natürlich wurde diese Zumutung von Seiner Majestät mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen und der Botschafter, als er wenige Stunden später abermals um eine Audienz über denselben Gegenstand nachsuchte, auf den geschäftsmäßigen Weg durch das Auswärtige Ministerium verwiesen.

Hiermit war der Krieg zur Gewißheit geworden. Frankreich machte mobil. Schon am 14. Juli nachmittags durchzogen Banden die Straßen von Paris mit dem Rufe: „,à Berlin, à Berlin!" Inf. Regt. Graf Tauenkien (3. Brandenb.) Nr. 20. 3. Aufl.

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Am 15. Juli früh verließ der König Ems, um über Kassel und Magdeburg in seine Hauptstadt zurückzukehren. Der Telegraph hatte bereits überall die Nachricht von den beleidigenden Zumutungen, die man an unseren König gestellt, verbreitet. Ganz Deutschland jauchzte auf über die Antwort, welche der greise Monarch dem französischen Übermut gegeben hatte.

Auf allen Stationen wurde er mit stürmischem Enthusiasmus begrüßt. Das deutsche Vaterlandsgefühl war infolge der Ereignisse der lezten Tage mächtig erwacht, und überall, im Norden wie im Süden, schlugen dem Heldenkönige die Herzen voll Liebe und Vertrauen entgegen.

Noch in der Nacht vom 15. zum 16. Juli wurde in Berlin in einem Kriegsrate, unter Vorsiß Seiner Maj e st ät, der Mobilmachungsbefehl für das ganze norddeutsche Heer ausgesprochen.

Die süddeutschen Staaten zögerten nicht, treu ihren Allianzverträgen, die Sache Preußens auch zu der ihrigen zu machen, und erließen gleichfalls Mobilmachungsorders für ihre Armeen.

Es war eine herrliche, eine unvergeßliche Zeit! Ganz Deutschland trat unter Waffen, geeint wie nie zuvor.

Am 19. Juli eröffnete der König im Weißen Saale die außerordentliche Situng des Norddeutschen Reichstages. Die Worte der Thronrede, in welcher der tiefbewegte Monarch den Ernst der Lage schildert und sein Vertrauen auf den Sieg der gerechten Sache ausspricht, machten auf alle Anwesende einen überwältigenden Eindruck. Bei den mit gehobener Stimme gesprochenen Schlußworten:

„Wir werden nach dem Beispiele unserer Väter für unsere Freiheit und für unser Recht gegen die Gewalttat fremder Eroberer kämpfen und in diesem Kampfe, in dem wir kein anderes Ziel verfolgen, als den Frieden Europas dauernd zu sichern, wird Gott mit uns sein, wie er mit unseren Vätern war",

brach unter den Versammelten ein Sturm der Begeisterung los, und wie aus einem Munde brauste es durch den Saal: „Hoch lebe Seine Majestät, König Wilhelm!"

Wenige Stunden später wurde dem Bundeskanzler die offizielle Kriegserklärung Frankreichs zugestellt.

Noch an demselben Tage es war der 60jährige Todestag der unvergeßlichen Königin Luise — hatte der König die Stiftung jenes schönen Ehrenzeichens erneuert, das die jüngere Generation voll

Ehrfurcht auf der Brust der Helden der Befreiungskriege jah, des
Eisernen Kreuzes.*)

Es war dies ein bedeutungsvoller Hinweis auf jene große Zeit, eine Mahnung an die Söhne und Enkel, es jenen alten Kämpfern an Tapferkeit und Opferwilligkeit gleichzutun.

Und in der Tat war die Zeit wohl dazu angetan, Erinnerungen an die Freiheitskriege zu wecken. Das ganze Deutsche Reich durchwehte aufs neue der Geist von 1813. Städte und Provinzen jubelten der Regierung in loyalen und patriotischen Adressen zu, bereit zu jedem Opfer. Von allen Seiten strömten Freiwillige zu den Regimentern und verlangten, gegen den fränkischen Friedensbecher in die Reihen des Heeres eingestellt zu werden. Mit Ernst, aber auch mit vollem Vertrauen blickte man in die Zukunft. Kein wüstes Siegesgeschrei, kein Prahlen, wie jenseit des Rheines, machte sich geltend, aber überall gehobene, für das Vaterland begeisterte Stimmung.

Treten wir nach dieser allgemeinen Umschau zurück in den engeren Kreis unseres 20. Regiments und in seine Garnison, die alte Lutherstadt an der Elbe.

Auch hier verfolgte die Einwohnerschaft die Entwicklung der politischen Ereignisse begreiflicherweise mit dem gespanntesten Interesse. In jenen aufgeregten Julitagen schien auch das Leben in Wittenberg mit einem Schlage wie verändert. Alles nahm einen höheren Schwung. Auf den sonst stillen Straßen sah man zu jeder Tageszeit Gruppen in erregtem politischen Gespräch. Die öffentlichen Lokale waren vom Morgen bis zum Abend mit dichten Menschenmassen angefüllt. Jedem war es ein Bedürfnis, seine Gedanken und Gefühle mit Gleichgesinnten auszutauschen und es gab ja glücklicherweise in dieser Zeit nur eine Gesinnung, die es denn auch mit sich brachte, daß Menschen aus ganz verschiedenen Lebensstellungen, Männer, die bis dahin vielleicht nie ein Wort gewechselt hatten, sich ohne Scheu und Zurückhaltung einander näherten, um in gemeinschaftlichen Zornausbrüchen gegen den friedenstörenden Gallier ihren patriotischen Gefühlen Luft zu machen.

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Am 16. Juli, morgens 8 Uhr, ging beim Regiment der Mobilmachungsbefehl ein.

*) Beilage 1.

16. bis 23. Juli. Mobil.

machung.

Mobilmachung! Wie viele Köpfe und Hände sezt dies eine Zauberwort in Bewegung! Transporte gehen und kommen nach und von allen Seiten. Hier gehen Kommandos ab, um Truppenteilen, die sich erst neu formieren sollen, als Stamm zugeführt zu werden, dort haben andere Kommandos die Bestimmung, für das eigene Regiment Reserven abzuholen oder fremden Regimentern solche zu überbringen. Keine Hand ist müßig. Was nicht abkommandiert wird, hat in der Garnison alle Hände voll zu tun. Und alle Arbeit, scheinbar oft zusammenhanglos, dient nur dem einen Zweck, in wenigen Tagen das Regiment in voller Kriegsstärke und in Kriegsausrüstung zum Ausrücken bereit hinzustellen und gleichzeitig durch Formierung von Ersazbataillon und Handwerkerabteilung für den nötigen Nachschub an lebendem und totem Material zu sorgen. Das Charakteristische unserer Rüstungen ist die wundervolle Teilung der Arbeit und die dadurch ermöglichte Verschmelzung von atemloser Hast mit peinlicher Ordnung und Sicherheit. Alles geht regelmäßig wie ein Uhrwerk. Kein Fragen, keine Stockungen. Bis in das kleinste Detail ist alles durch den musterhaften Mobilmachungsplan vorher geregelt. Jeder kennt seine Bestimmung. Die Beförderung von Personal und Material ist durch die im Frieden vorbereiteten Fahrpläne auf die Minute genau geregelt.

Auch beim Regiment arbeitete in jenen heißen Julitagen die Mobilmachungsmaschine mit größter Regelmäßigkeit. Am fünften Mobilmachungstage trafen die Reservetransporte aus Berlin, Potsdam und Jüterbog ein und wurden gleich nach der Ankunft auf dem kleinen Ererzierplaze vom Oberst v. Fla to w auf die Kompagnien verteilt.

Es war eine Lust, die Freudigkeit zu sehen, mit der diese Mannschaften zu den Fahnen kamen. Niemand wollte zum Ersaßbataillon. Jeder drängte sich danach, in das mobile Regiment eingestellt zu werden.

Die leutselige Art unseres Regimentskommandeurs gewann ihm schon heute alle Herzen. Seine Frage: „Na, Kinder, werdet Ihr denn auch ordentlich auf die Franzosen drauf geh'n?“ wurde von allen Seiten mit einem begeisterten: „Zu Befehl, Herr Oberst!“ beantwortet.

Bei aller Strammheit, mit der das rein Dienstliche des Verteilungsgeschäftes vollzogen wurde, herrschte auf dem Plaße ein

munteres Treiben, und manche wißige Bemerkung, besonders von Mannschaften des Berliner Ersatzes, erregte nicht selten das allgemeinste Gelächter. Sehr komisch wirkte es, als ein leicht angeheiterter Mann, der früher beim Leib-Regiment gedient hatte, in ernstestem Tone den Kaiser der Franzosen mit den Worten apostrophierte: „Louisken, Louisken, wat wirscht du dir wundern, wenn du mir bei die 20er find'st!"

Nach Ankunft der Augmentation war es nicht mehr möglich), sämtliche Mannschaften in Wittenberg unterzubringen; ein Teil der umliegenden Dörfer wurde deshalb mitbelegt.

Schon am siebenten Mobilmachungstage konnte das Regiment dem Generalfommando melden, daß die Mobilmachung beendet sei.

Die kurze Zeit, welche nach Einkleidung der Mannschaften den Kompagnien noch verblieb, wurde zum Ererzieren verwendet; auch eine größere Gefechtsübung mit scharfen Patronen mußte auf Befehl des Regiments von jeder Kompagnie noch abgehalten werden.

Am 22. Juli besichtigte der Regimentskommandeur, Oberst v. Flatow, die beiden Musketier-Bataillone auf dem Exerzierplage und hielt den Mannschaften bei dieser Gelegenheit eine von echt patriotischem und soldatischem Geiste durchwehte Ansprache. Er ermahnte das Regiment, in dem bevorstehenden Kampfe jederzeit strenge Mannszucht zu bewahren und die Ehre der Fahnen hochzuhalten über alles. Die kernigen Worte, die mit einem Hurra auf den Königlichen Kriegsherrn schlossen, waren von wahrhaft zündender Wirkung. Weithin brauste das tausendstimmige Hurra über den Plaz, und gewiß war niemand in den Reihen des Regiments, der in diesem Augenblick nicht das Gelübde tat, als braver Soldat für seinen König siegen oder sterben zu wollen.

Noch an diesem Tage kam der Marschbefehl für das Regiment an. Das I. Bataillon sollte am 23. Juli, 5 Uhr 25 Minuten nachmittags, der Regimentsstab und das II. Bataillon um 6 Uhr 55 Minuten mit der Bahn von Wittenberg aus, das Füsilier-Bataillon von Jüterbog aus, bis wohin es von seiner Garnison Treuenbrießen zu marschieren hatte, abfahren.

Ehe wir mit dem Regiment die Garnison verlassen, wollen wir uns die Zusammensezung des Offizierkorps und die Veränderungen, welche mit der Mobilmachung in den höheren Kommandostellen eingetreten waren, näher ansehen.

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