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einleuchtend, dass in Beziehung auf dieses Ding an sich der Seele alle ihre Deduktionen Trugschlüsse sein müssen. Die Aufgabe, diese Trugschlüsse im einzelnen aufzudecken, hat sich Kant in der Kritik der reinen Vernunft in der,,Widerlegung der rationalen Psychologie" gestellt und meisterhaft gelöst. Mit zermalmender Klarheit zeigt er dort, dass alle Beweise der Metaphysik für die Immaterialität, Persönlichkeit, Einfachheit und Unsterblichkeit der Seele absolut verfehlt sind; dass alle diese Vorstellungen über das Wesen der Seele wohl Artikel des Glaubens, nicht aber Gegenstände kritischer Beweise (sei es induktiver, sei es deduktiver) sind, noch jemals sein können; dass man deshalb aufhören müsse, sich mit diesen Fragen in der wissenschaftlichen Psychologie abzumühen, und dass man sie lediglich dem Glauben zu überlassen habe. Von dieser Widerlegung der rationellen Psychologie bei Kant ist nichts hinwegzunehmen und nichts hinzuzusetzen; sie steht ebenso erzen und für alle Zeiten massgebend da, wie etwa die formale Logik des Aristoteles. Wir verweisen hinsichtlich des einzelnen hier gänzlich auf den bezeichneten Abschnitt der,,Kritik der reinen Vernunft" und fügen nur hinzu, dass mit dieser Widerlegung Kant einer jeden wissenschaftlichen Psychologie ein für allemal ihre unverrückbaren Bahnen vorgezeichnet hat. Wesen an sich dessen, was wir Seele nennen, ist nicht erkennbar. Wir kennen und erkennen wohl die seelischen Erscheinungen doch nicht das Ding an sich derselben. Fassen wir dieses Ding an sich im Sinne des Materialismus als materiell oder im Sinne des Spiritualismus als immateriell in beiden Richtungen behaupten wir gleich Unbeweisbares und verlassen den sicheren Boden kritischer Erfahrungswissenschaft. Die wissenschaftliche Psychologie nach Kant ist negativ lediglich auf die Abweisung der, aus jenen einseitigen dogmatischen Standpunkten hervorgehenden Unmöglichkeiten und Widersprüche, und positiv auf die allseitige empirische Erforschung der seelischen Erscheinungen hingewiesen. Die metaphysische Frage aber bleibt in ihr im übrigen von nun an ganz aus dem Spiele.

Als zweite Gruppe treten uns die sog. materiellen Erscheinungen entgegen. In Beziehung auf sie stellt sich der Schluss

vom Bedingten auf das Unbedingte dar, wenn die Metaphysik als unbedingten Urgrund derselben die Materie als ein Ding an sich oder eine Materie an sich setzt und nun über die Beschaffenheiten dieser Materie an sich im einzelnen Aussagen zu machen beginnt. Was die Metaphysik in ihren entgegengesetzten Vertretern über diese Materie an sich, über ihre zeitliche und räumliche Begrenztheit oder Unbegrenztheit (ob die stoffliche Welt geschaffen oder von Ewigkeit her sei; ob sie ewig sei oder vergehen werde; ob sie alles sei, oder in Hinblick auf eine unstoffliche, sie beschränkende Welt beschränkt sei); über ihre ins Unendliche teilbaren oder in ihrer Teilbarkeit begrenzten Materienteile; über ihren letzten Urgrund, ob er stofflich oder als ein unstofflicher ausserhalb der Materie (ein immaterieller Gott) sei u. s. w., auch lehren möge all diese Probleme erstrecken sich auf das, was sich als Nichterscheinung völlig der Möglichkeit entzieht, von uns erkannt zu werden, und alle metaphysischen Lösungen müssen daher in gleicher Weise unkritisch ausfallen. Die Widersprüche und Unmöglichkeiten derselben haben wir bei Gelegenheit der einzelnen metaphysischdogmatischen Systeme überall bereits aufgedeckt. Aus all diesen scheiternden Versuchen erwächst kein positives Resultat, sondern lediglich eine Maxime für unsere Forschung, und diese lautet: ,Welche Annahme du auch immer über ein materielles Weltwesen an sich, das nicht in die Erscheinungswelt eintritt und somit kein Gegenstand anschaulicher Erfahrung ist, machen mögest: bleibe dir bewusst, dass du stets nur Hypothesen aufstellen kannst, welche in jedem Falle und zu jeder Zeit ebensoviel Beweismaterial, gegen sich als für sich haben werden. Wahrhaft gesicherte Ergebnisse kannst du hinsichtlich des Materiellen nur im Gebiete der empirischen Erscheinungen gewinnen.“

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Aus dem dritten besonderen Trugschlusse der dogmatischen Metaphysik entsteht die sog. rationale Theologie, deren Widerlegung durch Kant in der ,,Kritik der reinen Vernunft" von derselben unerschütterlichen Bedeutung ist, wie die der rationalen Psychologie. Die psychischen und materiellen Erscheinungen bilden zusammengenommen die Welt als Ganzes, und in Bezug auf dieses entsteht hier die Frage: was der unbedingte Urgrund des Weltganzen

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sei. Diesen unbedingten Urgrund des Weltganzen nennen wir die Gottheit. Die Metaphysik macht sich nun aber daran, in ihren Beweisen das Dasein und das Wiesein Gottes darzulegen. Dass diese Beweise (der kosmologische, der physikotheologische und der ontologische) sämtlich nur Schein beweise sind; dass wir auf Gott als Idee mit Notwendigkeit schliessen müssen, aber über sein Wesen als des Dinges an sich nichts Positives aussagen können, zeigt Kant in der ,,Widerlegung der rationalen Theologie" mit soviel Klarheit und Schärfe, dass auch hinsichtlich dieses Abschnittes nichts zu thun übrig bleibt, und wir deshalb den Leser einfach auf denselben verweisen. Beweise im streng kritischen Sinne, seien es induktive oder deduktive, für das Dasein und das Wiesein Gottes lassen sich von uns Menschen in keiner Gestalt führen; jeder derartige Beweis trägt eine Achillesferse, welche sich vom Kritizismus leicht aufdecken lässt. Die Gottheit ist uns als eine Idee gegeben, welche nicht individuell willkürlich entsteht, sondern aus der Grundfunktion unseres Geisteswesens, der apriorischen Kausalität, mit Notwendigkeit erwächst, die uns auf ein geglaubtes und notwendig zu glaubendes Ding an sich hinführt, dessen Wesen aber im einzelnen, weil es niemals eine Erscheinung in Zeit, Raum, Kausalverknüpfung und Empfindung ist, uns völlig verborgen bleibt. So ist die Gottheit als höchste Idee höchstes Ideal, ein Gegenstand des Strebens und Glaubens, doch nicht des Erkennens. Das ist in grösster Kürze das Ergebnis einer kritischen Theologie im Gegensatz zu jeder metaphysischen Theologie.

Fest umrissen liegen die Grenzen des menschlichen Erkennens jetzt vor uns: Das Reich der Erscheinungswelt in Zeit, Raum, Kausalität und Empfindung ist unserer erfahrungsmässigen und menschlich-relativen Erkenntnis zugänglich; das Reich der Dinge an sich ist uns als geistige Idee und Ideal notwendig gegeben, doch empirisch seinem Wesen nach, weil nicht in Zeit, Raum, Kausal verknüpfung und Empfindung, völlig unerkennbar und unerkannt. So ist das Reich des Wissens und des Glaubens notwendig verbunden und doch auch notwendig getrennt. Sie bestehen

mit gleicher Notwendigkeit und gleicher Gültigkeit nebeneinander und verbieten doch jede Vermischung mit- und ineinander. Dieses Verhältnis von Wissen und Glauben im Sinne des kritischen Empirismus des Näheren darzustellen, bildet folgerichtig den Gegenstand des letzten Kapitels der Philosophie der Naturwissenschaft.

Fritz Schultze, Philosophie der Naturwissenschaft. 2. Teil.

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Zwölftes Kapitel.

Wissenschaft und Religion oder Wissen und Glauben.

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Inhalt: Wissenschaft und Religion fliessen aus demselben Grundquell der apriorischen Kausalität. Bestätigung durch die Entwicklungsgeschichte der Religion. Dogmatischer Hochmut und kritische Demut. Der Kritizismus gegenüber den Dogmen der positiven Religionen. Unbeweisbarkeit aller Dogmen. Notwendiger Glaube noch kein Beweis für die Existenz des Trotzdem Unerkenn

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Geglaubten. Notwendigkeit des Gottes glaubens. barkeit des Gotteswesens. Widerlegung des Atheismus. Das negative Verhältnis des Kritizismus zu den geschichtlichen Religionen. Der notwendige Glaube als Grundlage aller Wissenschaft. Nicht zwischen Wissenschaft und Religion, sondern nur zwischen wissenschaftlichen Einzellehren und religiösen Einzeldogmen besteht Widerspruch und Streit. Das kritisch begrenzte Gebiet der Wissenschaft. Das kritisch begrenzte Gebiet der Religion. Der kritische Glaube. Das Abhängigkeitsgefühl als negative Bedingung des Gottesideeglaubens. Verstärkung des Abhängigkeitsgefühls durch den Kritizismus. Kritizismus und religiöse Stimmung. Kritische Einsicht und sittliches Wollen. 1. Kor. 13. Die kritische Religion als Einheit von kritischem Wissen, kritischem Wollen und kritischem Glauben. Vereinigung von Wissenschaft, Ethik und Religion. Der idealistische Charakter der kritischen Religion. Die Religions- und Glaubensfreiheit des Individuums. Die individuelle phantasievolle Konkretisierung der für unser die Erhebung der Idee zum Ideal.

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Der

Erkennen leeren Gottesidee und erzieherische Wert dieses Ideals. Dogmatischer Stillstand und kritische Fortbewegung im religiösen Glauben. Die Offenbarung der Gottesidee im Menschengeiste, in Natur und Kunst. Kein Widerstreit zwischen Naturwissenschaft und Religion. Universelle und besondere Offenbarung. Die Notwendigkeit und relative Wahrheit der vielen Religionen und Religionsformen. Das positive Verhältnis des Kritizismus zu den geschichtlichen Religionen. Die Religionsformen als notwendige Entwicklungsstufen. Das pädagogische Verfahren in der religiösen Erziehung. Die Mannigfaltig

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