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Formel: aus Nichts wird Nichts. Die Naturwissenschaft stellt den Kausalsatz als schlechthin notwendig und allgemeingültig auf. Dass etwas ohne Ursache geschehen könne, ist für uns völlig undenkbar, und ist eine derartige Behauptung im Ernst auch noch nie. in der Welt ausgesprochen. Denn wenn der Supranaturalismus behauptet, irgend ein Vorgang in der empirischen Welt sei ohne natürliche Ursache entstanden, so meint er doch keineswegs, dass eine Ursache überhaupt fehle; eine Ursache setzt auch er, nur dass dieselbe eine übernatürliche, nämlich in der Allmacht Gottes begründete sein soll. Und wenn Augustin die Welt durch Gott aus Nichts geschaffen sein lässt, so kann zwar von Begreiflichkeit dieses Vorganges keine Rede sein, da der Grundsatz der natürlichen Kausalität völlig aufgehoben ist, aber eine Kausalität ist trotz alledem auch hier gesetzt, nämlich Gottes unbegreifliche Allmacht. Also selbst da, wo wir die natürliche Kausalität geleugnet finden, kommt man von dem Kausalsatz als solchem keineswegs los: in allen Fällen gilt der Satz als absolut notwendig. Es stände nun aber sehr schlecht um diese seine Allgemeingültigkeit, wenn dieselbe lediglich durch Induktion begründet wäre; er hätte dann höchstens den Wert irgend eines empirisch gefundenen Gesetzes, aber nicht den des Kardinalgesetzes für unser Denken überhaupt, von welchem Gesetze es niemals eine Ausnahme giebt. Der Satz hat also apriorische Gültigkeit, und dass er synthetisch ist, zeigten uns bereits Humes Beweise und die Ausführungen Kants in dem Versuch über die negativen Grössen, denn aus der blossen, logisch-analytischen Zergliederung der Ursache liess sich die davon grundverschiedene Wirkung niemals ableiten, vielmehr kam jedes realkausale Urteil nur durch Synthese zweier verschiedener Thatsachen zustande. Als die Grundlage aller Naturwissenschaft erscheint also ebenfalls ein synthetisches Urteil a priori.

Wie steht es nun mit der Metaphysik? Sie ist es, welche Urteile ausspricht, z. B. über das Dasein und Wesen des immateriellen Gottes, über das Dasein und Wesen der immateriellen Seele, über den übernatürlichen Anfang und das übernatürliche Ende und die Urbestandteile der Welt. Nun sehen wir auf der Stelle Fritz Schultze, Philosophie der Naturwissenschaft. 2. Teil.

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ein, dass die Objekte der Metaphysik keine Erfahrungsobjekte sind; wir können den immateriellen Gott oder die immaterielle Seele nicht empirisch wahrnehmen, noch können wir über den Anfang der Welt in Zeit und Raum irgend etwas aussagen, denn kein Mensch hat diesen Anfang erlebt, noch können wir über die Ur- und Grundsubstanz der Welt ein Urteil fällen, da sie niemals in die Erscheinung tritt. Wir haben es also in allen Aussagen der Metaphysik lediglich mit Begriffen und Gedanken in unserem Geiste zu thun, von denen wir schliessen, dass ihnen entsprechende reale Wesen ausser uns existieren. Obgleich es nun zweifelhaft erscheint, ob ein solcher Schluss gerechtfertigt ist, so behauptet doch die Metaphysik die absolute Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit dieser ihrer Sätze, in denen vom blossen Begriff aus auf die Existenz geschlossen wird, und die deshalb Existenzialsätze heissen. Da diese Sätze nun aus sinnlicher Wahrnehmung und Erfahrung heraus, also a posteriori nicht bewiesen werden können, so folgt, dass die Metaphysik sie als apriorische Urteile hinstellt. Zugleich sind diese Existenzialsätze synthetischer Natur. Offenbar sind die Vorstellungen Gott, Seele, Weltanfang u. s. w. zunächst lediglich Gedanken im menschlichen Geiste, zu denen ein entsprechendes äusseres, sinnliches Ding nicht aufgewiesen werden kann. Die Metaphysik geht aber über den psychologischen Thatbestand des blossen Gedachtwerdens dieser Vorstellungen weit hinaus, indem sie behauptet, dass es diesen Vorstellungen entsprechende Existenzen wirklich giebt. Dem blossen Gedachtwerden fügt sie also das Wirklichsein hinzu. Nun kann man aber aus einem blos gedachten Begriff durch logische Analyse niemals eine Existenz herauszergliedern; die Existenzialsätze sind also auch keine analytischen, vielmehr synthetische Urteile, und es zeigt sich mithin, dass auch die Metaphysik synthetische Urteile a priori aufstellt.

Ob nun Mathematik, Naturwissenschaft und Metaphysik mit Recht oder Unrecht, mit gutem oder schlechtem Grunde, ihre notwendigen und allgemeingültigen Urteile aussprechen, ob der Inhalt dieser Urteile wahr oder falsch sei, das bleibt vorerst noch ganz dahingestellt. Bis jetzt hat sich nur dieses ergeben: Jene drei Wissenschaftsarten enthalten unter ihren Urteilen solche,

welche der Form nach synthetische Urteile a priori sind, welche ihrer äusseren Einkleidung nach wie Erkenntnisurteile aussehen. Aber die genaue kritische Prüfung wird erst noch herauszustellen haben, auf welchen, ob wahren oder falschen, Voraussetzungen fussend, die einzelnen Wissenschaften diese ihre Sätze aussprechen. Ehe wir uns jedoch in diese Untersuchung einlassen können, müssen wir im folgenden Kapitel erst den Begriff des ,,a priori“ allseitig erläutern, denn jede Unklarheit gerade über diesen Begriff würde alle folgenden Erörterungen unverständlich bleiben lassen.

Nur eine Bemerkung sei noch an dieser Stelle eingeschaltet! Sie scheint nötig zu sein, um ein Missverständnis zu beseitigen, welches sich leicht hinsichtlich des Ausdrucks ,,Erkenntnisurteil" bilden könnte. Der Empiriker möchte nämlich vielleicht

den Einwurf machen: Sind denn nicht auch die von den Naturwissenschaften über das mechanische, physikalische und chemische Wesen der materiellen Erscheinungen oder über das Leben der Pflanzen, Tiere und Menschen aufgestellten Gesetze Erkenntnisurteile von voller Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit, obgleich sie a posteriori sind? Sind sie denn minder Erkenntnisse als jene Axiome der Mathematik oder als das Kausalaxiom? Warum also nur diese letzteren als Erkenntnisurteile bezeichnen? Wir antworten: Es muss wohl unterschieden werden zwischen primären und sekundären Erkenntnissen und Erkenntnisurteilen. Alle jene a posteriori gefundenen Naturgesetze sind sekundäre Erkenntnisurteile. Als man sie entdeckte, setzten die Entdecker immer schon voraus, sowohl das Kausalaxiom, dass alles seine Ursache habe, als auch die Axiome des mathematischen Denkens. Sie bezweifelten in letzterer Hinsicht nicht, dass 2 mal 2 = 4, und dass zwischen zwei Punkten die gerade Linie der kürzeste Weg sei. Diese letzteren Urteile sind also primär im Verhältnis zu allen jenen im Laufe der Erfahrung entdeckten Naturgesetzen, die somit sekundäre Erkenntnisse sind, und dieses letztere um so mehr, als alle jene a posteriori entdeckten Naturgesetze diese Axiome nicht etwa blos der Zeitfolge nach, sondern der logischen und erkenntnistheoretischen Kausalfolge nach zu ihrer Voraus

setzung haben, von der sie so sehr abhängen, dass sie ohne diese Axiome überhaupt nicht hätten gebildet werden können. Wenn nicht jede Veränderung ihre Ursache hat, wenn nicht 2 mal 2 = 4 ist, wenn der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten nicht die gerade Linie ist, so sind auch alle jene aposteriorischen Naturgesetze falsch und ungültig, denn sie alle sind auf das Fundament jenes Kausalaxioms und jener mathematischen Einsichten gestützt. Will man folglich die Wahrheit unserer Erkenntnis prüfen, so muss man die Prüfung richten auf jene synthetischen Urteile a priori. Sind diese richtig, so ist auch alles richtig, was auf Grund ihrer richtig gefolgert ist. Somit hat die Philosophie der Naturwissenschaft es nicht mit der Untersuchung der aposteriorischen Spezialgesetze der einzelnen empirischen Wissenschaften, sondern lediglich mit den von ihnen allen vorausgesetzten Grundaxiomen, den primären Erkenntnissen, den eigentlichen Erkenntnisurteilen, den synthetischen Urteilen a priori zu thun. Und es rechtfertigt sich daher, wenn nur diese letzteren als Erkenntnisurteile xarov bezeichnet werden und den Gegenstand der Untersuchung bilden.

Drittes Kapitel.

Das Apriori des kritischen Empirismus.

Die gleichartigen Vor

Inhalt: Die Verschiedenheit der Vorstellungen. stellungsformen: Zeit, Raum und Kausalität. Die Vorstellung als Mittleres zwischen Subjekt und Ding. Die Eigenformen des Geistes. Die individuellen und generellen Eigenformen. Erkenntnistheoretischer Individual

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Das Individuell

charakter und erkenntnistheoretischer Gattungscharakter. angeborene vor, also nicht aus, doch in aller individuellen Erfahrung und entfaltet durch, also nicht ohne individuelle Erfahrung. Das individuelle A priori. Die generellen Eigenformen. Zwei Wege zur Erklärung derselben. Der alte sensualistische Weg. Das Der neue kritische Weg. generelle Apriori. Sein Verhältnis zur Erfahrung. Folgerungen aus der kritischen Lehre für die mathematischen Axiome und für das Kausalaxiom. Verhältnis der Lehre zu Humes Skeptizismus. Die falschen Auffassungen des Apriori. Die platonische Fassung.

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Gegensatz des Apriori zum Aposteriori.

Der dogmatisch-dualistische Die angebliche Entdeckung der Stammformen durch Intuition und nicht durch Erfahrung. Das fälschlich angenommene Rangverhältnis zwischen dem Apriori und dem Aposteriori. Zusammenfassung. Die Anwendung der Darwinistischen Entwicklungstheorie Kant und Kopernikus.

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auf die apriorischen Geistesfunktionen.

as bedeutet das A priori? Die genaue Beantwortung dieser Frage ist um so notwendiger, als sich in Betreff dieses Begriffes eine Fülle von falschen Auffassungen gebildet hat, die zu beseitigen sind.

Die Vorstellungen (Anschauungen und Begriffe) sind bei den verschiedenen Menschen so verschieden, als die äussere Umgebung im weitesten Sinne des Worts und die daraus geschöpften Eindrücke, unter deren Einfluss die Menschen stehen, verschieden sind. Eine

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