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für sich allein ausführte. Wenn die andern ruhten, arbeitete er; wenn sie schliefen, wachte er. Zulezt zog er sich von den übermäßigen Nachtwachen und Anstrengungen eine Schwäche im Kopfe zu. In einer Nacht ging er, ehe der Convent zur Matutin aufstand, in die Kirche, stieg auf den Novizenchor, that den Glockenstrang um seinen Hals und sprang so herab. Das Gewicht des Körpers jezte die Glocke in Bewegung und auf das Geläut eilte der Küster erschrocken in die Kirche. Aber er erschrak noch mehr, als er den Mönch dort hängen sah. Er eilte hinzu, schnitt den Strick ab und legte den noch Schnappenden aber fast Erdrosselten auf die Erde. Von dieser Zeit erlangte Balduin den vollen Gebrauch seiner Sinne nie ganz wieder. Er sollte, als Cäsarius dies schrieb, noch leben, aber nur vegetiren. Ob und wann er esse und wann er schlafe, das sei ihm gleichgültig.*)

Ein ähnliches Beispiel von den Folgen überspannter Askeje finden wir in Kloster Michaelstein. Dort lebte ein Mönch, der zugleich Priester war, ein Mann von großer Gelehrsamkeit. Als er eines Tages zur Ader ließ, verlor er so sehr alle seine gelehrten Kenntnisse, daß es schien, als habe er sie zugleich mit dem Blut ausgeschüttet. Er kannte von jener Stunde an keinen Buchstaben, verstand auch nicht ein Wort mehr vom Latein und vermochte keine Silbe Latein zu sprechen. Dabei behielt er aber die Kenntniß von allen sonstigen Dingen, die ihn berührt hatten. Er klagte den Verlust seiner Gelehrsamkeit mit Schmerz vielen Leuten. Da rieth ihm einer: „Nach Verlauf eines Jahres laß an demselben Tage und zur selben Stunde wieder zur Ader; vielleicht erlangst Du so das Verlorne wieder.“ Er that dies und er erhielt sein früheres Wissen wieder. Dies erzählte der Abt von Michaelstein, als er zum Generalcapitel reiste und durch Hemmenrode kam, dem Cäsarius als eine Wundergeschichte. Wir sehen es aber mehr als einen Beweis überspannter Askese an. **)

*) Caesarius Heisterb., Dial. IV, cap. 45.

**) Ibid. X, cap. 4.

In Walkenried lebte ein Mönch, Namens Gerlach, welcher bei der Celebration der Messe die liturgischen Säße häufig in Zerstreuung und gegen die festgesetzte Ordnung las; so kam es, daß er die Worte, welche beim Sacrament des Leibes Christi besonders sorgsam sollten gesprochen werden, mehrmals wiederholte. Ueber diese seine Zerstreutheit war er einst so unglücklich, daß er zur Sühne derselben sich das oberste Glied vom linken Zeigefinger abschnitt. So verstümmelt war er nach kanonischem Gesetz zu jeder priesterlichen Handlung unfähig geworden. Er ging deßhalb nach Rom, wohl von seinem Abt dorthin geschickt, um Dispensation für seine Verstümmelung zu erhalten. Der Papst legte ihm eine Buße auf, erklärte ihn für untauglich zur Verwaltung der Messe, gestattete ihm jedoch, andere priesterliche Handlungen zu verrichten. Das Generalcapitel faßte 1200 folgenden Beschluß: „Der Mönch von St. Maria in Walfalia (Walkenried?), der sich selbst verstümmelt hat (incidit), soll in den bereits erlangten Priestergraden nicht ministriren, auch nicht zu höhern Graden geweiht werden, es sei denn auf ausdrücklichen Befehl des Papstes."*) Vielleicht betrifft dieser Beschluß denselben Fall.

Von der peinlichen Gewissenhaftigkeit, welche in den Cistercienserklöstern herrschte, zeugt folgender Zug: Ein Laienbruder aus Cinna mußte auf einer im Auftrage des Abtes unternommenen Sendung über die Elbe seßen, und der Fährmann verlangte von ihm das Fährgeld. Als er ihm sagte, er habe kein Geld zur Hand, verlangte dieser sein Cingulum oder sein Messer als Pfand. Aber der Laienbruder entgegnete:,, Das kann ich nicht entbehren", und fügte hinzu:,,Ich verspreche Euch mit meinem Orden, daß ich Euch einen halben Denar schicken werde.“ Dieses Versprechen beruhigte den Fährmann und er ließ ihn gehen. Weil das Versprochene jedoch eine so geringe Sache war, so achtete er es nach seiner Rückkehr für eine Kleinigkeit und schickte ihm nichts. Nicht lange darauf erkrankte

*) Epp. Innoc., Lib. II, ep. 194 bei Baluze I, 461. Martène et Durand, Novus thesaur. anecd. IV, 1295.

Winter, Ciftercienser.

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er, und es schien allen, die zugegen waren, daß er sterben müsse. Er verfiel in einen traumartigen Zustand, und da schwebte seiner Seele der Denar, dessen er in der Beichte nicht Erwähnung gethan hatte, vor Augen und wurde so groß, daß er größer als die Welt war. Er konnte um deßwillen nicht sterben. Wieder zum Bewußtsein aufgewacht, erzählte er allen zu großer Verwunderung die Erscheinung. Der Abt schickte daher in aller Eile einen ganzen Denar an den Fährmann, und zu derselben Stunde, wo dieser ihn empfing, starb der Laienbruder. Diese Geschichte, etwas wunderbar ausgeschmückt, erzählte der Abt von Livland dem Cäsarius und dieser bemerkt dazu:,,Je mehr Ordensleute auf einen größeren Lohn als die Weltleute hoffen, um so gewissenhafter müssen sie darauf sehen, daß sie bei ihrem Tode nichts von Erdenstaub mit sich nehmen.“*)

Man muß es dem Orden lassen, daß er in dieser Zeit innerlich und äußerlich als eine von tiefem christlichen Ernste bescelte Genossenschaft dastand. Sein Ruf war im Ganzen genommen ein begründeter. Aber der Orden gab auch etwas auf seinen religiösen Ruhm der Welt gegenüber. Sittlichke Verstöße sollten so bestraft werden, daß sie innerhalb der Klostermauern blieben (1223). Mönche, welche Ordensgeheimnisse an Personen verriethen, die nicht zum Orden gehörten, sollten mit den Verschwörern gleich behandelt werden, und auf Conspiration stand die schwerste Strafe (1208). Was aber dem Orden das ausgedehnte Anschen verschaffte, war nicht sowohl der tadellose Wandel, auch nicht der religiöse Ernst im evangelischen Sinne, sondern vorzugsweise die strenge mönchische Askese, deren Ueberspannung wir an den eben vorgeführten Beispielen gesehen haben. Das war nun einmal der Sinn jener Zeit: je bizarrer die Formen der Askese, je mehr man der natürlichen leiblichen Bedürfnisse spottete, um so größer war der Heiligenschein dieser Büßer. Die Auswüchse hat der gesunde Sinn des Ordens meist fern gehalten; aber eben so streng hielt er auf genaue Beobachtung der in der Ordens

*) Caesar. Heisterb., Dial. XI, cap, 35,

regel vorgeschriebenen asketischen Bestimmungen. So fam es, daß der Glaube der Christenheit den Cistercienserorden mit dem Heilsweg für gleichbedeutend hielt. Es giebt keinen sicherern Weg zur Seligkeit als den Cistercienserorden, so müssent die Abgeschiedenen den Lebenden offenbaren, und von keiner Ges meinschaft kommen weniger Menschen in die Hölle als aus diesem Orden*). Was aber die Geister der Abgeschiedenen den Lebenden sagen, ist eben nichts anderes, als die Weltan schauung der Lebenden selbst. Wollte oder konnte man nicht Eisterciensermönch sein, so war man doch vielfach bestrebt, sich die Gemeinschaft der guten Werke, ein Jahrgedächtniß oder das Begräbniß in einem Kloster dieses Ordens zu sichern. 1203 tritt der Bischof von Verden und sein Capitel mit Walkenried in Brüderschaft **); ebenso 1225 der Bischof von Hildesheim. Biele weltliche Edle, besonders die Grafen von Hohenstein, stiften dort ein Jahrgedächtniß und finden ihre Grabstätte ***). Als Graf Heinrich von Stolberg 1231 ins heilige Land gehen will, erwirbt er vorher die Brüderschaft in demselben Kloster †). Die Grafen von Eberstein suchen und erhalten die Brüderschaft in guten Werken in Amelungsborn. Bei vielen andern ist es uns unbekannt geblieben, weil die Urkunden in dieser Zeit noch verhältnißmäßig spärlich sind. Der Andrang wurde dem Orden selbst zu viel. 1225 beschloß man auf dem Generalcapitel, daß ein Jahrgedächtniß fernerhin nicht so leicht solle zugestanden werden. Indeß für die einzelnen Klöster ist dieser Beschluß ohne Einfluß geblieben. In der folgenden Periode sehen wir diese grade sehr zahlreich auftreten. Mehrfach zogen auch die Eltern mit ins Kloster, wenn ihre Söhne eintraten. Das wird 1210 gemißbilligt, aber viele Aebte weigerten sich, sie zu entlassen; sie beriefen sich jedenfalls darauf, daß sie ja zu den regelrecht aufgenommenen Familiaren gehörten. Aber auch,

*) Caesarius Heisterb., Dial. I, 33.
**) Leuckfeld, Walkenried I, 188.
***) Walt. Urt. I, 168. 233. 390.
†) Ibid., p. 136.

um nur einmal ein Cistercienserkloster gesehen zu haben, begehrten Viele Einlaß. Um diesen Andrang abzuhalten, wird 1217 bestimmt, es sollten zwei Mönche an der Pforte sein.

Der Zudrang zu den Cistercienserklöstern war in dieser Zeit außerordentlich. Es wäre thöricht, behaupten zu wollen, daß alle durch einen aufrichtigen Eifer für ihre Heiligung ins Kloster getrieben worden seien; aber es wäre ungerecht, ihnen allen, oder der großen Mehrzahl unlautere Beweggründe unterzulegen. Cäsarius von Heisterbach schreibt aus der Erfahrung seiner Zeit heraus Folgendes darüber:,,Die Gründe für den Eintritt ins Kloster sind sehr verschiedenartig. Von einigen scheint es, als ob sie allein durch den Ruf und die Eingebung Gottes kämen. Andere werden zum Mönchsleben durch Anstachelung des bösen Geistes getrieben, noch andere kommen aus einem gewissen Leichtsinn. Von den meisten kann man sagen, daß sie durch den Einfluß anderer das Kloster erwählen; das Wort der Ermahnung, die Kraft der Rede und die Macht des klösterlichen Beispiels sind von großer Bedeutung. &8 giebt aber auch Unzählige, die treibt Noth vielfacher Art zum Orden, wie Krankheit, Armuth, Gefangenschaft, Reue über eine Schuld, Gefahr des Lebens, Furcht vor der ewigen Höllenstrafe, Verlangen nach dem himmlischen Vaterlande.“ Zur Erläuterung bringt er eine Anzahl von Beispielen bei, die meist aus der Rheingegend genommen sind und zum Theil schon einer früheren Zeit angehören.*) Und bald darauf schreibt er:,,Wir haben es oft gesehen und sehen es noch täglich, daß einst reiche und geehrte Leute, wie Ritter und Bürger, durch den Drang der Noth zum Orden kommen. Wenn ihre Sache so liegt, dann wollen sie lieber dem reichen Gott dienen und, sezen wir hinzu, die reichen Ordensgüter genießen, als unter ihren Verwandten und Bekannten die Beschämung ertragen, arm geworden zu sein. Als ein angeschener Mann", fährt Cäsarius fort,,,mir einst den Gang erzählt, wie er in das Kloster gekommen sei, fügte er hinzu:, Wenn ich mich in

*) Caesarius Heisterb., Dial. I, cap. 5 sqq.

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