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seines Geburtsortes zu vergewissern, ob der Verurtheilte wegen einer weitern Strafthat zur Untersuchung gezogen oder bestraft worden sei, nicht minder bei der Polizeibehörde oder den mehrern Polizeibehörden, und, wenn der Verurtheilte wenigstens während eines Theiles der Aufschubsfrist eine Schulanstalt besucht hat, bei der Schulleitung und in sonst geeigneter Weise Erkundigungen über die Führung des Verurtheilten und insbesondere darüber einzuziehen, ob er sich eines Allerhöchsten Gnadenactes unwürdig gezeigt habe. Liegen hiernach Bedenken gegen die Führung vor, so hat die Strafvollstreckungs-Behörde gutachtlich, andernfalls ohne weitere Meinungsäußerung unter Beifügung aller Unterlagen Bericht an das Justizministerium zu erstatten. Werden der Strafvollstreckungs-Behörde bis zur Eröffnung der weitern Entschließung des Justizministeriums an den Verurtheilten Umstände bekannt, die von Einfluß auf diese Entschließung hätten sein können, so ist die Eröffnung zu beanstanden und dem Justizministerium Anzeige zu erstatten. Wird von dem Justizministerium eine Verlängerung der genehmigten Aufschubsfrist verfügt, so sind für das weitere Verfahren dieselben Bestimmungen zu beobachten, die für die erste Frist gelten.

„7. Das vorstehend bezüglich der Strafvollstreckung gegenüber jugendlichen Personen angeordnete Verfahren greift Play, soweit ausnahmsweise gegenüber Erwachsenen die Bewilligung einer längern Aufschubsfrist angezeigt erscheint. Nur fallen die Bestimmungen weg, die ihrer Natur nach nur bezüglich jugendlicher Personen angewendet werden können.

„8. Dafern ganz besondere Umstände es angezeigt erscheinen lassen, daß schon die Erhebung der öffentlichen Klage ausgesetzt werde, findet das für den Aufschub der Strafvollstreckung vorgeschriebene Verfahren sinngemäße Anwendung. Die Berichterstattung liegt in diesen Fällen der Staatsanwaltschaft ob. Die Amtsanwaltschaften haben sich zu diesem Zwecke an die vorgesezte Staatsanwaltschaft zu wenden.

„Von der Berichterstattung ist abzusehen, dafern oder so lange in Folge besonderer Umstände, z. B. der Haft Mitbeschuldigter oder der Nothwendigkeit, eine Abschwächung der Beweise zu verhindern, die Verzögerung des Verfahrens mit einem erheblichen, insbesondere einem nicht wieder gut zu machenden Nachtheile verknüpft sein würde.

„Das Justizministerium spricht die Erwartung aus, daß sich alle Behörden und Beamten bei Handhabung der getroffenen Bestimmungen deren im Eingange hervorgehobenen Zweck gegenwärtig halten und in Zweifelsfällen so verfahren werden, wie es der Erreichung dieses Zwecks am meisten entspricht.

"Zu den Berichten sind die hierzu bestimmten neuen Druckformulare zu verwenden.

„An den Vorschriften über das Verfahren bei Abolitions- und Gnadengesuchen wird durch die vorstehenden Bestimmungen nichts ge= ändert.

Dresden, am 25. März 1895.

Ministerium der Justiz
gez. Schurig."

In Preußen wurde durch einen in der zweiten Hälfte des Monats November veröffentlichten Königlichen Erlaß der Justizminister (auf seinen Bericht vom 15. October) ermächtigt, „solchen zu Freiheitsstrafen verurtheilten Personen, hinsichtlich derer bei längerer guter Führung eine Begnadigung in Aussicht genommen werden kann“, nach seinem Ermessen Aussehung der Strafvollstreckung zu bewilligen; in den dazu geeigneten Fällen „will der König demnächst dem Berichte des Justizministers wegen Erlasses oder Milderung der Strafe entgegen= sehen“. Von dieser Ermächtigung soll jedoch vornehmlich nur zu Gunsten solcher erstmalig verurtheilter Personen Gebrauch gemacht werden, die zur Zeit der That das 18. Lebensjahr nicht vollendet hatten und gegen die nicht auf längere als sechsmonatliche Strafe erkannt ist“. Die im preußischen Ministerium des Innern herausgegebene Berliner Correspondenz brachte dazu die folgende Erläuterung:

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Dieser Erlaß bezweckt, den darin bezeichneten Verurtheilten Gelegenheit zu geben, sich durch längere gute Führung den Erlaß der Strafe zu verdienen. In geeigneten Fällen wird der Justizminister auf Grund der ertheilten Ermächtigung einen längern, in der Regel mindestens einjährigen Strafaufschub bewilligen. Die Führung der Verurtheilten wird während dieses als Probezeit anzusehenden Zeitraumes geprüft und, falls die Prüfung ein günstiges Ergebniß hat, die Begnadigung der Verurtheilten beim Kaiser und König von dem Justizminister be= antragt werden. Der Anordnung liegt die Erwägung zu Grunde, daß in manchen Fällen die Nichtvollstreckung der Strafe, wenn sie auf eine Bewährung des Verurtheilten gegründet wird, nicht nur diesem, sondern auch dem Gemeinwohl förderlicher ist, als der Strafvollzug. Das trifft insbesondere bei jugendlichen Verurtheilten zu, weil bei diesen einerseits das Maß der Schuld oft so gering ist, daß es das gänzliche Unterbleiben des Strafvollzuges zu rechtfertigen vermag, anderseits die im allgemeinen noch sittlich unverdorbene und noch erziehungsfähige Person des Schuldigen die Hoffnung auf künftiges Wohlverhalten in hinreichendem Maße gewährleistet. Auch liegt bei diesen Verurtheilten

die Besorgniß vor schädlichen Einwirkungen des Verkehrs mit verdorbenen Mitgefangenen beim Vollzuge von Freiheitsstrafen besonders nahe. Der allerhöchste Erlaß betrifft daher vornehmlich nur solche Verurtheilte, die zur Zeit der That das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, ohne jedoch Erwachsene, da ausnahmsweise auch bei solchen ähn= liche Gründe für eine Begnadigung sprechen können, grundsäßlich auszuschließen. Er bezieht sich ferner, ebenfalls ohne einen unbedingten Ausschluß anderer, vornehmlich nur auf erstmalig und zu nicht längern als sechsmonatlichen Freiheitsstrafen verurtheilte Personen, womit zugleich ausgedrückt ist, daß Fälle, die entweder wegen des Vorlebens des Thäters oder wegen der nähern Umstände der That zu den schweren gerechnet werden müssen, sich für die Gewährung der Vergünstigung nicht eignen. Diese Vergünstigung wird hiernach nur solchen Verurtheilten zu Theil werden, die sich leichterer Strafthaten schuldig gemacht haben, deren Fehltritt nicht auf Verdorbenheit und verbrecherische Neigungen, sondern mehr auf Leichtfertigkeit, Unbesonnenheit, Unerfahrenheit oder Verführung zurückzuführen, und bei denen auch sonst die Hoffnung begründet ist, daß sie durch gute Führung sich des Straferlasses würdig machen werden. Zu den zu Freiheitsstrafen Verurtheilten sind auch solche Personen zu rechnen, gegen die nur für den Fall der Unbeitreiblichkeit einer in erster Linie verhängten Geldstrafe eine Freiheitsstrafe festgesezt ist. Ueber die hiernach als geeignet erscheinenden Fälle wird dem Justizminister von den zuständigen Justizbehörden den ersten Staatsanwälten und, soweit amtsgerichtliche oder schöffengerichtliche Urtheile in Betracht kommen, Amtsgerichten durch Vermittlung der ersten Staatsanwälte - fortlaufend berichtet werden. Da also jeder Straffall von Amtswegen daraufhin geprüft wird, ob er sich für das neue Gnadenverfahren eignet, so bedarf es der Einreichung von Gnadengesuchen nicht, um eine solche Prüfung herbeizuführen. Selbstverständlich steht diese Einreichung aber nach wie vor jedermann frei. Mit der vom Justizminister erfolgten Bewilligung der Strafaussehung ist über die endgültige Begnadigung des Verurtheilten nicht entschieden. Die Entscheidung bleibt vielmehr lediglich der spätern Allerhöchsten Entschließung vorbehalten, wobei die Frage, ob der Verurtheilte sich in der Zwischenzeit gut geführt hat, hauptsächlich von Bedeutung sein wird. Die Führung wird am Ende der Probezeit durch geeignete Erkundigungen festgestellt werden. Um diese als gut bezeichnen zu können, wird im allgemeinen das erste Erforderniß sein, daß der Verurtheilte nicht von neuem bestraft worden ist. Außerdem wird auch ein zufriedenstellendes Gesammtverhalten des Verurtheilten in seinen wesentlichen Lebensbeziehungen gefordert werden müssen. Anderseits wird,

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auch wenn weitere Bestrafungen vorkamen, die Annahme guter Führung nicht immer auszuschließen sein, z. B. dann nicht, wenn die neue Bestrafung wegen einer geringfügigen Uebertretung oder auch wegen eines leichten Vergehens erfolgte, das unter moralisch besonders entschuldigenden Umständen verübt war. Erweist sich der mit einer Strafausseßung Bedachte während der Probezeit als zweifellos unwürdig, so kann die Vergünstigung von dem Justizminister widerrufen werden. Ist die Probezeit abgelaufen, ein sicheres Urtheil über die sittliche Haltung des Verurtheilten aber noch nicht zu gewinnen, so kann ausnahmsweise eine Verlängerung der Strafausse zung bewilligt werden."

Der officiöse preußische Commentar betonte weiter, daß die im Vorstehenden dargestellte Neuerung die praktische Durchführung des Grundgedankens der bedingten Verurtheilung bezwecke, hob aber zugleich die folgenden wesentlichen Unterschiede und Einschränkungen hervor: 1. Die Entscheidung über Aussehung und Erlaß der Strafe ist nicht den Gerichten übertragen, sondern erfolgt im Wege der allerhöchsten Gnade und in allen Fällen auf Grund einer von der Centralstelle vorgenommenen Prüfung. 2. Der schließliche Erlaß der Strafe ist nicht von dem Ausbleiben einer weitern Bestrafung innerhalb einer bestimmten Zeit, sondern von guter Führung des Verurtheilten während dieser Zeit abhängig gemacht. 3. Die Einrichtung ist in der Hauptsache auf jugendliche Verurtheilte, außerdem aber jedenfalls auf leichtere Straffälle und der Gnade nicht unwürdige Personen beschränkt.

Zur Ausführung des für Preußen ergangenen königlichen Erlasses ist eine ministerielle Instruction an die Oberstaatsanwaltschaften gerichtet worden, welche jedoch als secret behandelt wird und bisher der Deffentlichkeit nicht zugänglich geworden ist.

Das königliche Decret an den Justizminister, durch welches die Einführung des widerruflichen Strafaufschubs in die Rechtspflege des Königreichs Württemberg angeordnet wird, ist vom 24. Februar 1896 datirt und bestimmt, „daß demjenigen Theil der Jugend, welcher sich nur aus Unbesonnenheit und Unerfahrenheit zu einer minderschweren Verfehlung wider das Strafgeseß hat verleiten lassen“, im besondern die königliche Gnade zugewendet werden soll, jedoch für die Regel nicht in der Art, daß sofort die erkannte Strafe nachgelassen würde, vielmehr versuchsweise so, daß dem von einem bürgerlichen Gericht rechtskräftig Verurtheilten zunächst im Falle seines Einverständnisses ein stets widerruflicher Strafaufschub von dem Justizministerium gewährt und erst später, nach Umfluß einer angemessenen Probezeit, bei guter Führung Strafnachlaß oder Strafmilderung vom Könige verfügt wird. Vorausseßung einer solchen Gnadenerweisung ist insbesondere, daß der Verurtheilte zur Zeit der That das

achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, daß er nicht schon früher eine Freiheitsstrafe erstanden hatte, und daß die ihm nunmehr zuerkannte Freiheitsstrafe die Dauer von drei Monaten nicht überschreitet. Doch kann troz des Fehlens der kaum erwähnten Vorausseßungen ausnahmsweise, wenn sich der Fall sonst besonders hierzu eignet, Strafaufschub mit der Aussicht auf spätern Strafnachlaß oder spätere Strafmilderung gewährt werden." Der Justizminister hat dem Könige die geeigneten Fälle jeweils nach Ablauf der Probezeit zur Entschließung über die etwaige gnadenweise Gewährung des Nachlasses oder die Milderung der Strafe vorzulegen.

In Ausführung dieses königlichen Erlasses hat das württembergische Justizministerium unter'm 26. Februar eine sehr eingehende Verordnung erlassen, welche im wesentlichen von denselben Gesichtspunkten ausgeht wie die entsprechenden sächsischen und preußischen Verordnungen.

Für das Königreich Baiern veröffentlichte das Justizministerialblatt vom 8. April 1896 zwei Bekanntmachungen des Staatsministeriums der Justiz vom 24. März 1896 betr. die Einführung der „bedingten Begnadigung“. Gemäß der ersten hat Prinz Luitpold, des Königreichs Baiern Verweser, mit Entschließung vom 15. Januar 1896 das Staatsministerium der Justiz beauftragt: „Im Strafverfahren Verurtheilten, welche eine Freiheitsstrafe zu erstehen haben und bezüglich deren mit Rücksicht auf ihre persönlichen Verhältnisse und die Umstände der Strafthat bei längerm Wohlverhalten der Erlaß oder eine Milderung der Strafe in Aussicht genommen werden kann, in widerruflicher Weise einen Aufschub der Strafvollstreckung zu bewilligen und nach Ablauf der Probefrist, wenn der Verurtheilte eine gute Führung gepflogen hat, wegen etwaiger Begnadigung desselben Bericht zu erstatten, von dieser Ermächtigung jedoch regelmäßig nur Gebrauch zu machen, wenn die erkannte Strafe drei Monate nicht übersteigt und der Verurtheilte bei Begehung der strafbaren Handlung das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, auch noch keine Freiheitsstrafe erlitten hatte."

Zum Vollzuge dieser Entschließung hat dann das Staatsministerium der Justiz im Einverständnisse mit dem Staatsministerium des Innern und der Finanzen nähere Anordnungen getroffen, von deren Mittheilung abgesehen werden kann, da dieselben sich von den sächsischpreußischen diesbezüglichen Anordnungen wesentlich nicht unterscheiden.

Inzwischen ist wohl in sämmtlichen deutschen Bundesstaaten die Einführung der bedingten Begnadigung nach sächsisch-preußischem Muster erfolgt.

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