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London

aufgezeichnet haben, oder wenn dergleichen je vorhanden gewesen, dafs sie nicht von den Späteren benutzt worden sind. Denn ohne Zweifel würde sich hier eine sehr denkwürdige Verschiedenartigkeit der Verhältnisse ergeben, und man würde vielleicht die diesmalige ganz eigenthümliche Verbreitung der Luftverderbnifs nach sicheren Thatsachen, nicht nach blofsen Vermuthungen beurtheilen können. So ist schon die einzige noch erhaltene Thatsache sehr auffallend, dafs das Schweifsfieber ein ganzes Vierteljahr bedurfte, um den kurzen Weg von Shrewsbury nach London zurückzulegen. Denn es brach hier erst am 9. Juli aus, und erreichte nach althergebrachter Weise schon in einigen Tagen seine gröfste Höhe, so dafs die reifsende Zunahme des Todesfälle in der ganzen Stadt Schrecken erregte '). Doch war die Sterblichkeit bei weitem geringer als in Shrewsbury, denn es Sterblichkeit. starben in der ganzen ersten Woche nur 800 Einwohner 2), und man kann, wenn auch alle Zeitgenossen über diese ganz wesentliche Frage schweigen, doch mit Bestimmtheit annehmen, dafs die Seuche nirgends länger als funfzehn Tage, vielleicht nur an den meisten Orten, wie sonst gewöhnlich, nur fünf und sechs Tage gewährt habe.

den 9. Juli.

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Der Menschenverlust im ganzen Reiche war sehr bedeutend, so dafs ein Geschichtschreiber sogar von Entvölkerung spricht 3); auch blieb kein Stand verschont, sondern mit gleicher Wuth forderte die Schweifssucht ihre Opfer in den unreinen Hütten der Armen, wie in den Palästen der Grafen und Her

1) Holinshed, p. 1031. u. a.

2) Stow, p. 1023., Baker, p. 332.
3) Godwyn, p. 142.

zöge 1). Hieraus erklärt sich denn auch die allgemeine
Niedergeschlagenheit, und die im ganzen Volke sich
äufsernde Frömmigkeit, die Mutter zahlloser Werke
christlicher Milde und Menschenliebe, durch welche
gewiss viele Thränen getrocknet, viele Waisen und
Wittwen gegen Noth und Mangel geschützt wurden.
Denn diese an sich sehr erfreuliche Erscheinung zeigt
sich nur bei grofsen Niederlagen und allgemeiner To-
desfurcht so lehrt es die Weltgeschichte der Volks-
krankheiten und wir wollen zur Ehre der Eng-
länder gern glauben, dafs der religiöse Aufschwung,
den sie durch ihre, an sich freilich nur dogmatische
Kirchenverbesserung erhalten, keinen geringen Antheil
daran gehabt habe. Doch liegt es leider so in dem
Wesen der menschlichen Gesellschaft: ist die Noth
vorüber, so läfst die Tugend nach,
kaum waren

die Todten betrauert, so kehrte alles wieder zum ge-
wohnten Treiben zurück 2). So bemächtigte sich einst
der Byzantiner während eines grofsen Erdbebens eine
nie gesehene Gottesfurcht; bei Tag und bei Nacht
strömten sie in die Kirchen, man sah nur christliche
Tugend, Entsagung und Werke der Wohlthätigkeit
doch währte es damit nur so lange, bis der Boden
wieder feststand 3).

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Man machte in diesem Jahre die höchst auffal- Ausländer lende Bemerkung, dafs die Schweifssucht die Engländer im verschont, Ausländer in England durchaus verschonte, Auslande erkranken.

1) Unter anderen starb der Herzog von Suffolk und sein Bruder. Godwyn, a. a. O.

2),, And the same being whote and terrible, inforced the people greatly to call upon God, and to do many deedes of charitie: but as the disease ceased, so the devotion quickly decayed." Grafton, p. 525.

3) Gesch. der Heilk. Bd. II. S. 136.

den Engländern dagegen ins Ausland folgte, so dafs diese in den Niederlanden und Frankreich, ja selbst in Spanien, von der ihnen angeborenen Seuche in nicht unbeträchtlicher Anzahl weggerafft wurden, ohne diese irgendwo den Eingeborenen mitzutheilen. Nicht einmal in dem nahen Calais erkrankten die französischen Einwohner 1), und da nun auch weder die Schotten, Bewohner der gemeinschaftlichen Insel, noch die Irländer von dem Schweifsfieber heimgesucht wurden, so können wir die Annahme irgend einer Eigenthümlichkeit in dem ganzen Sein der Engländer, welche sie ausschliefslich für diese Krankheit empfänglich machte, nicht von der Hand weisen. Diese genauer zu bestimmen, möchte um so schwerer fallen, da in dem Ursprungsjahre der Schweifssucht gerade die Ausländer es waren, unter denen die englische Krankheit zuerst ausbrach, und wiederum Engländer, die sich ein Jahr lang in Frankreich aufgehalten, bei ihrer Rückkehr im Sommer 1551 dem Schweifsfieber unterlagen 2). Die Zeitgenossen finden sie freilich in der thierischen Völlerei und der rohen Lebensweise der Engländer, genug in allen den Dingen, die wir zeither kennen gelernt, und die ohne Zweifel auch ihres Theils den Deutschen und Niederländern im Jahre 1529 dieselbe Geifsel zugezogen haben. Kaye, der vollgültigste Augenzeuge, führt sogar zum Beweise dieser Ansicht an, dafs die Mäfsigen in England von

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1) Caius, p. 30. u. a. a. St. ,,And it so folowed the Englishmen, that such Marchants of England, as were in Flaun

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ders and Spaine, and other countries beyond the sea, were visited therewithall, and non other nation infected therewith.“ Grafton, a. a. O. Vergl. Baker, p. 332. Holinshed,

p. 1031.

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2) Caius, p. 48.

der Schweifssucht verschont geblieben, und dagegen einige Franzosen in Calais, die zu tief in die englischen Sitten eingeweiht gewesen, von ihr ergriffen worden wären '). Hierin allein kann jodoch der Grund jener Empfänglichkeit nicht gesucht werden, wir müfsten denn in die althergebrachte Einseitigkeit bei der Erörterung entfernter Ursachen zurückfallen wollen, wobei es sogleich auffallen würde, dafs die Deutschen und Niederländer, die sich seit 1529 doch schwerlich um ein Beträchtliches gebessert hatten, nicht wiederum von dem alten Feinde heimgesucht wurden.

3. Ursachen. Naturereignisse,

Es liegt mithin nahe, oder vielmehr, es bleibt nur übrig, ein unerkanntes Etwas in der englischen Luft anzunehmen, das den Engländern die rheumatische Spannung mittheilte, oder wenn man will, ihre mit unverarbeiteten Säften überladenen Körper 2) so durchdrang, dafs ihre Lebensstimmung bis zur sogenannten Opportunität der Schweifssucht verändert wurde. Bei einem solchen Zustande bedarf es allerdings nicht der gewohnten und mehr eigenthümlichen

1) P. 196. bei Babington. — „, these thre countryes (England, die Niederlande und Deutschland) whiche destroy more meates and drynckes without al order, convenient time, reason, or necessitie, then either Scotlande, or all other countries under the sunne, to the great annoiance of their owne bodies and wittes" etc. Vergl. p. 46. der lat. Ausg.

2) Godwyn, a. a. O. versichert ausdrücklich, die Schlemmer, die mit vollem Magen in die Krankheit gekominen, wären verloren gewesen, und Kaye, aufser den Kindern und Alten wären auch die aus Noth mässigen und abgehärteten Armen entweder frei geblieben, oder sie hätten die Krankheit leichter überstanden. P. 51.

Anlässe, um den letzten Schritt zu der lange vorbereiteten Krankheit zu bewirken, sondern es reichen die ganz allgemeinen Ursachen des Erkrankens hin, um den letzten Anstofs zu geben, wenn dies auch unter einem ganz andern Himmel sein sollte, wie jetzt bei den Engländern unter dem spanischen, und bei dem venetianischen Gesandten Naugerio, der im Jahre 1528 fern von Italien am Fleckfieber erkrankte, unter dem französischen 1)..

Es ist den Lesern ohne Zweifel aufgefallen, dafs alle fünf Erkrankungen in England eine viel längere Dauer hatten, als die einmalige in Deutschland und im übrigen Norden Europa's. Auch diese konnte wohl nur von Eigentümlichkeiten des englischen Bodens herrühren. Suchen wir aber jetzt jenes unerkannte Etwas in der Luft von 1551, das eiov des grofsen Hippokrates, welches seine Gegenwart durch das Erkranken der Völker kund giebt, durch wahrgenommene Erscheinungen anschaulich zu machen, denn weiter vorzudringen ist menschlicher Forschung nicht verWitterung. gönnt. Der Winter von 1550 zu 51 war in England

trocken und warm, das Frühjahr trocken und kalt, Sommer und Herbst waren heifs und feucht 2). Das ganze Jahr zeigte manches Aufserordentliche, ohne jedoch in das Pflanzen- und Thierleben so mächtig, oder in einem so grofsen Kreise einzugreifen, wie die Zeit der vierten Schweifsfieberseuche. Es wird hier und da sogar als ein fruchtbares gerühmnt 3). Am 10. Januar erhob sich ein grofser Sturmwind, der in Deutschland an Häusern und Thürmen nicht geringe Spuren zurückliefs ). Derselbe Tag brachte nicht

1) S. oben S. 76.
3) Schwelin, S. 177. 4) Spangenberg, fol. 463. a.

2) Caius, engl. Ausg. p. 191.

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