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Hellwetter.

möglich es gewesen wäre, in vierundzwanzig Stunden auch nur den hundertsten Theil seiner Büchsen und Gläser und Schachteln in Anwendung zu bringen. Mit welchem Beifall dieses Arzneibüchlein von den Aerzten gleicher Einsicht und Gesinnung aufgenommen wurde, zeigen die acht Auflagen, die es erlebte 1), man kann sich daher des betrübenden Gedankens nicht erwehren, dafs vielleicht Tausende von Kranken mit Kegeler's Arzneien gemifshandelt und bingeopfert worden sind.

Ein dritter Arzt in Leipzig, Dr. Johann Hellwetter, versichert in seiner Flugschrift, in fremden Landen das Schweifsfieber kennen gelernt zu haben, und giebt über das Schwitzen einige ganz gute Rathschläge, die von selbsterworbener Kenntnifs zeugen, und an das ursprünglich englische Verfahren erinnern. Seinem Ausspruche, die Fische seien schädlich, scheint die Erfahrung zum Grunde zu liegen, dafs der anhaltende Genufs von Fischen übelriechende Schweifse hervorbringt, und seine Aufforderung an die Aerzte, die Kranken doch ja nicht zu fliehen, sondern sie fleifsig zu besuchen und sie zu trösten, giebt der Vermuthung Raum, dafs wohl einige von diesen feig und ehrvergessen genug waren, sich zurückzuziehen, oder den Armen ihren Beistand zu versagen.

Fast alle Aerzte dieser Zeit waren im Besitz von Geheimmitteln, die sie entweder in allen, oder doch in den meisten Krankheiten auf eine sehr unziemliche Weise in Gebrauch zogen, und an deren Heilsamkeit die süfsen Vorspiegelungen ihres Eigennutzes sie nicht zweifeln liefsen. Noch waren nicht die scharfen Metallmittel der eben erst entstehenden spagirischen

1) Gruner, Script. p. 11.

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Schule eingeführt worden, doch fehlte es nicht an gewaltigen erhitzenden Arzneien aus dem alten Vorrathe der Empiriker, die fast durchgängig vor den milden Tränken und Syrupen der Arabisten den Vorzug er+ hielten. Hellwetter verkaufte ein unbekanntes Pulver, und eine Menge erhitzender Tincturen (gebrannte Wässer), von denen Dr. Magnus Hundt in Leipzig mit vieler Anpreisung eine Uebersicht giebt. Die Flugschrift dieses Arztes gehört in jeder Beziehung zu den gewöhnlichen, giebt keinen Beweis von verständiger Auffassung der Krankheit, und gehört in das Gebiet des niedern ärztlichen Wirkens, welches in Zeiten der Gefahr dem Volke so leicht zum Gespötte wird, und die Achtung des ärztlichen Standes, zum grofsen Nachtheile des Gesammtwohles so sehr verringert.

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Hundt.

Man glaube indessen nicht, dafs diese Flugschrift Klump. steller von dem Volke, das in so gewaltiger Aufregung Gutes und Schlechtes durcheinander wirft, überall so bereitwillig gehört wurden. Die Schrift eines Dr. Klump in Ueberlingen, der seine Schweifsficberkranken im Ausbruche der Krankheit mit Theriak und allerlei erhitzenden Pestpulvern bestürmte, erregte grofses Gelächter 1), und man kann nicht leugnen, das Volk hatte wenigstens hier und da den Vortheil des gesunden Sinnės gegen die unendlichen Recepte der Aerzte auf seiner Seite. Und nun ist es erfreulich zu sehen, wie dieser gesunde Sinn, der ohne Zweifel von wackeren Aerzten geleitet wurde, in gar vielen Städten zum Heile der Leidenden durchdrang. Dies be

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1) „Vix malevolorum cachinnos morsusque praeteriit. Schiller, Epist. nuncupator. Den Titel der in der Bibliothek zu Strafsburg noch vorhandenen Originalschrift giebt Gruner, Script. p. 12., und einen lateinischen Auszug daraus Gratoroli, fol. 39.

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Wittenberger weist die Flugschrift eines Arztes in Wittenberg 1), Regiment. die in der Sprache des Volkes geschrieben, höheren

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ärztlichen Anforderungen so vollkommen entspricht, dafs ihrem unbekannten Verfasser noch jetzt der gerechteste Beifall zu Theil werden muss. Denn er zeigt durchweg eine sehr genaue Kenntnifs des Schweifsfiebers, und grofse Besonnenheit. Sein Verfahren ist durchaus milde und vorsichtig, er verwirft die Federbetten, warnt aber dringend vor jeder Abkühlung, und empfiehlt daher das in dieser Zeit sogenannte Benähen der Kranken, nämlich den Saum der Decke an das Lager mit Nadel und Faden zu befestigen, verordnet den Kranken mäfsiges, warmes, nicht erhitzendes Getränk 2), erfrischt sie mit Rosensyrup, und schärft es seinen Lesern ein, dafs die meisten Kranken ohne Arznei gerettet werden. Zur Verhütung der unbedingt tödtlichen Schlafsucht bediente man sich aufser anhaltendem Zuspruch, erfrischender Gerüche von Rosenwasser und Riechessig, dem Kranken in einem nicht zu nassen Tuche vorgehalten, oder vorsichtig die Schläfe damit benetzt. Die Genesenden wurden mit grofser Behutsamkeit gepflegt, und es ist wohl nicht der geringste Vorzug dieser ganz gediegenen Flugschrift, dafs sie auch die Zaghaftigkeit der Kranken, mit Gründen einer milden, aber männlichen Religion, wie sie nur irgend dem Sinne dieses Zeitalters entsprach, bekämpfte. Die hier gegebenen Vorschriften sind im Grunde die ursprünglich englischen, die schon im Jahre 1485 die Gewalt der

1) S. im Bücherverzeichnifs: Ein Regiment u. s. w.

2) Irgend ein dünnes, erwärmtes Bier. Warmbier war im nördlichen Deutschland ein allgemein gebräuchliches Getränk. Eimbecker und Bernauer Bier waren schwerere Sorten, und wurden von den Aerzten zur Nachkur empfohlen.

Schweifsfieberseuche gebrochen hatten, und der Verfasser verschweigt nicht, dafs man ihn hierüber schon am 7. August von Hamburg aus belehrt habe. Dafs durch dies Verfahren nicht nur einzelne Kranke 1) gerettet, sondern auch ganze Städte vor allzugrofser Sterblichkeit bewahrt worden seien, wollen wir ihm gern glauben, und wir müssen deshalb um so mehr bedauern, dafs die damalige Heilkunst der starren Schulen ihren Beruf als Priesterin des Lebens so durchweg verkannte, dafs sie mit ihren abenteuerlichen Arzneien mehr Opfer niederstreckte, als die Seuche je abgefordert haben würde.

Wie bald das englische Verfahren die verdiente Anerkennung fand, ist aus einer, der Sache nach fast gleichlautenden lateinischen Schrift zu entnehmen, die ein Auszug aus einigen deutschen Flugschriften zu sein scheint 2). Die einzigen hierin empfohlenen, sehr unschädlichen Arzneimittel sind nächst aromatischen Riechwässern Perlen und Korallen in erwärintem Rosenwasser, efslöffelweise innerlich gegeben. Zur Vorbauung wird der durchweg sehr gebräuchliche Theriak in dem Safte gebratener Zwiebeln, jedoch nur in sehr geringer Gabe empfohlen. Aehnliche gute Ansichten in Betreff des Schwitzens unterschrieben auch wohl noch andere Aerzte 3), und endlich liefs der grofse Rath von Bern, noch unter dem 18. December eine zu Geduld und unerschrockenem Gemüth ermahnende Schrift ausgehen, in der der Gebrauch der Federbetten und aller Arzneien während der Krank

1) „Ich habe in meinem Hause sieben ligen gehabt an der selben seuche, von welchen, Gott lob, keiner starb.“ (Aus dem Briefe eines Hamburgers, in demselben Regiment.)

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Cordus.

die

heit, aufser etwas Zimmtwasser, ernstlich widerrathen
wurde 1). Auch der Hof von Holland empfahl ein
Heilverfahren 2), wahrscheinlich das englische
beiden einzigen Spuren irgend einer väterlichen Für-
sorge der Regierungen für ihre Unterthanen.

Der gelehrte und schöngeistige Euricius Cordus 3) in Marburg hatte, als er schrieb *) noch keine Kunde von dem heilbringenden englischen Verfahren, und trat bei aller seiner Berühmtheit doch nur in die Reihe der gewöhnlichen Rathgeber. Er konnte sich von den aus Italien mitgebrachten Arzneivorschriften nicht losmachen, sondern reichte dem einzigen in Marburg vorgekommenen Schweifsfieberkranken einen zwar sehr gebräuchlichen, aber sehr widrigen Trank von Benedetto 5). Seine Verordnungen zur Vorbauung sind sehr überladen, doch ist bei dem häufigen Gebrauche der Abführmittel, den in dieser Zeit fast alle Aerzte anrathen, wohl zu erwägen, dafs die damalige Völlerei sie im Allgemeinen nothwendiger machte, als vielleicht jetzt. Der Bischoff Ditmar von Merseburg hat der Nachwelt verrathen, der berühmte Mann habe sich vor der neuen Krankheit sehr gefürchtet, und seiner Angst kein Hehl gehabt 6).

1) Stettler, Th. II. S. 33.

2) Wagenaar, a. a. O. S. 509.

3) Sein eigentlicher Name ist Heinrich Spaten, wovon Cordus (der Letztgeborne oder Spätgeborne) eine Uebersetzung sein soll.

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5) R. Pulveris cardiaci (sehr zusammengesetzt aus Edelsteinen und vielen anderen Dingen) 3ij, Pulveris cornu cervi 3j, Seminis Santonici, Myrrhae aa 3. M. f. pulv. Drachmenweise in erwärmtem Weinessig.

6) Chronic. P. 473.

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