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Es ist kein Grund anzunehmen, dafs der Einflufs England. des ärztlichen Standes in dem Mutterlande der Schweifssucht erheblich besser gewesen sei als in Deutschland, denn die Zahl der gelehrten Aerzte war dort noch viel geringer, und der Unterricht in der Heilkunde bei weitem nicht auf der Stufe wie in Italien, Deutschland und Frankreich Der gelehrte Linacre war bereits im Jahre 1524 gestorben; Leibärzte des Königs um die Zeit der vierten Schweifsfieberseuche waren John Chambre 1), Edward Wotton 2), George Owen 3) und wahrscheinlich auch William Butts *), dem Shakespeare 5) ein schönes Denkmal gesetzt hat gewifs sehr ausgezeichnete und würdige Männer 6), doch hat die Nachwelt nichts von ihnen über den englischen Schweifs erfahren. Alle diese Aerzte waren gelehrte und eifrige, ohne Zweifel auch vorsichtige Nachahmer der altgriechischen Heilkunst, ihre Verdienste kamen aber nicht dem Volke zu Statten, das, wenn es nicht mit seinem eigenen Verstande zu Rathe ging, und sich mit hergebrachten Hausmitteln behalf, einer Schaar von Wundärzten anheim fiel, so roh und so unwissend diese nur bei dem damaligen Zustande der Gesellschaft sein konnten).

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4) 1545.,, Vir gravis; eximia litterarum cognitione, sin+ gulari judicio, summa experientia, et prudenti consilio Doctor." Aikin, p. 47.

5) In Heinrich VIII.

6) Ihre Lebensbeschreibungen siehe bei Aikin.

7) Thomas Gale's Beschreibung dieser Klasse ärztlicher Handlanger in den englischen Kriegsheeren giebt hierüber den besten Aufschlufs: „Ich erinnere mich, dafs in dem Feldzuge des weltberühmten Königs Heinrich's VIII., bei Montreuil (1544), ein zusammengelaufenes Gesindel sich für Chirurgen ausgab. Es

11. Flugschriften.

So unerklärlich auf den ersten Anblick das Stillschweigen der gelehrten englischen Aerzte über das Schweifsfieber ist - wozu nützt überhaupt alle Gelehrsamkeit, wenn sie nicht einmal die stürmischen Er

waren Schweinschneider, Pferdeschneider, Schuster und Kesselflicker, bunt durcheinander. Diese trefflichen Leute (man nannte sie dog-leaches, Hundeärzte) machten so grofse Kuren, dafs ihre Verwundeten mit zwei Verbänden für immer abgefunden waren, so dass sie nie wieder über Schmerz, Frost oder Hitze klagten. Als nun der Herzog von Norfolk, der damals Heerführer war, seine Soldaten an leichten Wunden hinsterben sah, so befahl er mir und einigen anderen Feldärzten die Sache zu untersuchen. Wir wanderten daher durch das ganze Lager, und fanden viele jener Leute, die sich für Chirurgen ausgaben, und sich als solche bezahlen liefsen. Fragten wir sie, bei wem sie gelernt hätten, so nannten sie ganz frech irgend einen geschickten Mann, der aber schon längst todt war. Dann zogen sie aus einer Tasche einen Topf voll Schmiere hervor, wie man sie gedrückten Pferden auflegt, oder waren es Schuster oder Kesselflicker, so heilten sie alles mit Schusterpech und altem Pfannenrost, woraus sie, wie sie sagten, eine schöne Heilsalbe machten. Endlich wurden aber diese Menschen festgenommen, und man drohte ihnen für ihre Schandthaten mit dem Galgen, wenn sie nicht sagen wollten was sie wären, worauf sie denn ihre Geständnisse ablegten."

An einer andern Stelle sagt Gale: „Ich habe zur Zeit König Heinrich's VIII. in einem Jahre 72 Chirurgen für die Flotte und das Kriegsheer in London anwerben helfen, die ganz gute Arbeiter (workmen) und alle Engländer waren. Jetzt giebt es deren aber kaum 34, und da die meisten von ihnen in Diensten reicher Edelleute sind, so wüsste ich im Fall der Noth kaum zwölf ganz brauchbare Leute aufzufinden. Was sage ich, ganz brauchbare? Wären doch in ganz England nur zehn Leute, dieden Namen Wundärzte verdienten." Man mache sich hiernach eine Vorstellung von der Hülflosigkeit der Kranken in dem französischen Pestlager vor Neapel im Jahre 1528. Gale (geb. 1507, lebte noch um 1586) war ein zu seiner Zeit sehr wackerer und verdienter. Feldarzt. Aikin, p. 93.

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es doch vielleicht seinen Grund in einem ganz einfachen aufserlichen Umstande. Noch hatte in England die Reformation nicht begonnen, die katholische Kirche stand noch auf ihren Grundpfeilern, und ein geistiger Verkehr der Gelehrten mit dem Volke gehörte noch keinesweges zu den anerkannten Bedürfnissen. Die Aerzte hätten daher die neue Krankheit nur in weitschichtigen lateinischen Büchern bearbeiten können, denn in ihrer Muttersprache schrieben sie ungern, dazu konnte ihnen aber der Gegenstand nicht geeignet erscheinen, denn sie fanden ihn bei ihren hochverehrten Meistern, den Griechen, unbeachtet und unerörtert. Dafs ein Schweifsfieber im Alterthum vorgekommen war, das ihnen hätte Anregung zum eigenen Forschen geben können, wufsten sie nicht, denn Aurelian, der es mit lebendigen Zügen beschreibt, war ihnen entweder unbekannt, oder er wurde von ein damals vollgültiger Grund

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ibnen
ner schlechten Sprache verachtet.

wegen sei

In Deutschland dagegen hatten sich die geistigen Deutschland. Bedürfnisse des Volkes und der Gebildeten schon ganz anders entwickelt. Schon zwölf Jahre früher war hier das Zeitalter der Flugschriften angegangen; die Gedanken Luther's und seiner Gehülfen, und so auch ihrer Gegner, wurden durch eilenden Druck beflügelt, und das Volk nahm leidenschaftlichen Antheil an dem Streite der Gelehrten für seine Ueberzeugung, die durch diese ganz neue und durchgreifende Weise des Unterrichts allmählich gebildet und geleitet wurde. Daher ist es nicht zu verwundern, dafs man auch andere wichtige Gegenstände in Flugschriften zu erörtern anfing, und so sehen wir denn diesen wichtigen Zweig des geistigen Verkehrs, mit allen seinen Vor

Bayer.

zügen und allen seinen Mängeln, auch im Gebiete der Volkskrankheiten, und zwar zum ersten Male in der englischen Schweifsfieberseuche seine zahlreichen Blätter entfalten. In den Seestädten geschah von dieser Seite nichts, denn der Ausbruch der Seuche kam zu unvermuthet, und als diese nach einigen Wochen schon wieder vorüber war, so schien es nicht mehr der Mühe werth, darüber das Volk noch zu belehren.

Diese Ueberraschung zeigt sich ganz deutlich in der Antwort der an das Krankenbett der Herzogin zusammengerufenen Doctoren und Licentiaten in Stettin: die Krankheit wäre ihnen neu und unbekannt, sie wüfsten nichts zu rathen, als herzstärkende Arzneien 1). In Mitteldeutschland dagegen, wo das Gerücht von der neuen Pest schon im August alles in Aufruhr brachte, und der Ausbruch der Seuche in Zwickau die Menschen in wilder Flucht durch einander jagte, flatterten die Schweifsschriften schon in eben diesem Monate, und noch mehr im September nach allen Richtungen umher. Nach dem wissenschaftlichen Mafsstabe sind sie fast alle ohne Werth, viele von ihnen wurden sogar schädlich, und nur sehr wenige verbreiteten gute Ansichten. Die meisten von ihnen sind verloren gegangen, wie z. B. die am 3. September erschienene des Buchdruckers Frantz in Zwickau, in wie grofser Menge sie aber vorhanden gewesen sind, geht schon daraus hervor, dafs Dr. Bayer in Leipzig, der mit der scinigen am 4. September hervortrat, deren schon viele gelesen zu haben versichert, und sich über diese „neuen ungegründten Büchlein" ereifert, von denen die Leute verführt würden, sich Qualen und Martern anzuthun 2). Eben dieser Dr. Bayer schreibt

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im Sinne eines ganz verständigen Alltagsarztes, schilt wacker auf die Vorurtheile der Menschen, und den Unfug der ärztlichen Gewerksleute, auf ihr sinnloses Aderlassen, wenn der Barbier sein Schild aushängt, oder ein rothes Zeichen auf der Lafstafel steht; auch sind einige seiner Rathschläge nicht übel, besonders wenn vom arabistischen Gebrauch der unschädlichen Syrupe die Rede ist, sonst aber bewahrt er redlich den Ballast seines Zeitalters, und hält viel von vorbauenden Aderlässen, Abführungen und starken Arzneien, deren er so viele vorschlägt, dafs seine Leser nothwendig in Verwirrung kommen mussten. Seine Vorschriften über das Schwitzen sind sehr zweckmäfsig, denn er warnt vor dem Erzwingen des Schweifses, richtet sich nach den Umständen, und beginnt selbst die Behandlung mit einem Brechmittel, wenn der Zustand des Magens ihm dazu geeignet scheint. Die Ansteckung zu verhüten, empfiehlt er bei der bevorstehenden Herbstmesse, die Fremden aus sterben, den Landen" in eigenen Herbergen unterzubringen, fleifsig zu räuchern, und vor jeder Mefsbude ein Feuer zu unterhalten.

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Eine andere Schrift von Caspar Kegeler in Kegeler. Leipzig ist ein trauriges Denkmal, des ärztlichen Wunderglaubens, der sich von Herophilus bis in die neueste Zeit durch die ganze Heilkunde hindurchzieht. Sie ist ein wahres Schweifsarzneibuch, ohne alle Einsicht in das Wesen der Krankheit abenteuerlich zusammengewürfelt, eine Fundgrube wunderlicher Pillen und Latwergen aus unzählbaren Bestandtheilen, mit denen sich dieser, dunkele Ehrenmann" vorgenommen hatte, in den Leibern seiner Kranken zu wüthen. Hätte er nur einen Schweifsfieberkranken gesehen, so würde er mindestens inne geworden sein, wie un

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