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so ernst und so mannigfaltig, fo fruchtbar und so einsam, daß man geneigt ist, zu glauben, er selbst habe sie angebaut, ohne alles zuthun der heutigen Anwohner. Dieser Strom erzählt, im Vorübers fließen, die Großthaten der ehemaligen Zeit, und Herrmann's Schatten scheint noch längs den steilen Ufern einher zu schreiten.

Die gothischen Denkmäler sind die einzig merk würdigen in Deutschland. Diese Denkmåler erins nern an die Jahrhunderte des Ritterthums; beis nahe in allen deutschen Städten stehen in öffentli chen Kunstsåler Ueberbleibsel jener Zeiten aufges stellt. Man sollte glauben, die Bewohner des Nor dens, die Welteroberer, håtten, ehe fie Germanien verließen, ihr Andenken unter verschiedenen Gestals ten zurückgelaffen, und das ganze Land gliche dem Aufenthalte eines großen Volks, das feit langer Zeit weggezogen. In den mehrsten Zeughäusern deutscher Städte findet man gemahlte Rittergestalten von Holz, in völliger Rüstung; Helm, Schild, Schienen, Sporen, alles ist nach alter Weise, und man geht unter diesen stehenden Todten eins her, deren aufgehobener Arm den Nachbar zu trefs fen scheint, der dem Streich mit eingelegter Lans ze begegnet. Dieses unbewegliche Bild ehedem so lebhafter Handlungen macht einen peinlichen Eins bruck. Eben so hat man nach großen Erderschüts terungen verschüttete Menschen ausgegraben, an de nen man noch immer den letzten Ausdruck ihres lezten Gedankens deutlich bemerken konnte.

Die neuere Baukunst in Deutschland liefert nichts, der Anführung Würdiges; im Ganzen aber sind die Städte wohl gebaut, und die Eis genthümer verzieren ihre Häuser mit einer Sorg. falt, die an gutmüthige Spielerei gränzt. In mans chen Städten sind die Häuser von auffen bunt ans gemahlt;

genahlt; man stößt auf Heiligenbilder, auf Zierras the aller Sattung, nicht eben vom besten Geschmack, wodurch aber die Einförmigkeit der Wohnungen unterbrochen und der Wunsch angedeutet wird, bei feinen Mitbürgern und den Fremden sich gefällig zu machen. Der Glanz und die äußere Pracht eis, nes Pallastes verråth die Eigenliebe des Eigens thümers; die sorgsame Verzierung, die Ausschmük kung, der gute Wille der kleinen Wohnungen haben etwas Gastfreundliches.

Die Gärten find in einigen Theilen von Deutschland fast eben so schön als in England. Immer seht der Lurus der Gärten die Liebe zur Natur zum Voraus. In England. stehen einfach gebaute Häuser mitten in den prächtigsten Parks; der Eigenthümer vernachläßigt seine Wohnung und schmückt mit Sorgfalt das Feld. Dieser Verein von Einfachheit und Pracht findet sich, obschon nicht in demselben Grade, in Deutschland wieder; gleichs wohl leuchtet bei dem Mangel an großem Reicha thum, verknüpft mit dem alten Adelstolz, eine gewisse Vorliebe zum Schönen hervor, welche, spåfer oder früher, Geschmack und Grazie hervorbrins gen muß, weil sie die wahre Quelle beider ist. Oft stellt man in den prächtigen Gårten deutscher Für sten, neben mit Blumen umpflanzten Grotten, Aeolsharfen auf, damit der Wind zugleich Töne und Düfte durch die Lüfte herbeiführe. Also sucht die Phantasie der Bewohner des Nordens sich eine italienische Natur nachzubilden; und an einigen glåns zenden Tagen des schnell vorübergehenden Soms mers gelingi es ihnen wirklich, Täuschung her. vorzubringen.

v. Staël Deutschland I.

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Zweites Capitel.

Sitten und Character der Deutschen.

Nur einige Hauptzüge können der deutschen Nation gemein seyn; denn die Abweichungen dieses Landes sind so groß, daß man nicht weiß, wie man so verschiedenartige Religionen, Regies rungsformen, Clima's, ja Völker unter einen und denselben Gesichtspunct bringen soll. Das sůdlis che Deutschland ist, in vieler Hinsicht, von dem nördlichen durchaus verschieden; die Handelsstådte haben nicht die geringste Aehnlichkeit mit denen,. welche als Universitäten berühmt sind. Die kleis neren Staaten sind von den beiden großen Mos narchieen, Preußen und Oestreich, wesentlich abs weichend.

Deutschland war ein aristocratischer Bundes staat. Dem Reiche fehlte es an einem gemeins schaftlichen Mittelpunct der Aufklärung und des Ges meingeistes. Es bildete keine zusammenhängende Nation; dem Bündel fehlte das Band. So nachthei= lig diese Verschiedenheit Deutschlands seiner politis schen Kraft war, so vortheilhaft war sie den Vers suchen aller Gattung, denen sich Genie und Ein. bildungskraft überlassen mochten. Es herrschte eis ne Art sanfter friedlicher Anarchie darin, im Fach literarischer und metaphysischer Meinungen, wobei es jedermann frei stand, seine individuelle Acht der Dinge ganz nach Gefallen zu entwickeln.

Da es keine Hauptstadt giebt, die der Sams melplatz der guten Gesellschaft von ganz Deutsch land ist, so kann der gesellige Geist seine Gewalt nur wenig geltend machen, so fehlt es dem berrs schenden Geschmack an Einfluß, und den Wafs

fen des Spotts am Stachel. Der große Theil der Schriftsteller arbeitet in der Einsamkeit, oder in dem engen Kreise kleiner Umgebungen, über die fie die Herrschaft führen. Sie geben sich, jeder besonders, allem hin, was eine ungezügelte Eins bildungskraft ihnen eingiebt; und wenn sich in Deutschland eine Spur der Modegewalt blicken läßt, so besteht sie bloß darin, daß sich jeder ets was damit weiß, sich von allen ändern zu unters scheiden. In Frankreich ist es gerade das Gegens theil; da strebt alles nach dem Lobe, das Mons tesquieu Voltairen ertheilt, wenn er sagt:,,Er hat mehr als irgend jemand, den Verstand, den jeder mann hat.) Die deutschen Schriftsteller würs den sich eher noch entschließen, die Ausländer, als ihre Landsleute nachzuahmen.

In der Literatur, wie in der Politik, haben überhaupt die Deutschen zu viel Achtung für das Ausland, und nicht genug Nationalvorurtheile. Bei Einzelnen ist die Verläugnung feiner selbst und die Achtung des Andern eine Lugend; nicht so beim Patriotismus der Nationen: dieser muß egoistisch feyn. Der Stolz der Engländer trågt zu ihrer pos litischen Existenz mächtig bei; die gute Meinung der Franzosen von sich hat von jeher ihr Ue bergewicht in Europa verstårken helfen; der edle Stolz der Spanier machte sie einst zu Herren eis nes Theils des Erdkreises. Die Deutschen sind Sachsen, Preußen, Baiern, Oestreicher; aber der germanische Character, welcher die Stärke aller übrigen begründen sollte, ist zerstückelt, wie das Land selbst, was so verschkedene Herren zählt.

Ich werde das südliche Deutschland besonders untersuchen, und das nördliche wieder besonders; *) Mutterwis.

für jetzt aber mich mit Bemerkungen begnügen, die der gesammten Nation gemein sind. Die Deuts schen sind im Allgemeinen aufrichtig und treu; fast immer ist ihr Wort ihnen heilig, und der Betrug ihnen fremd. Sollte sich je die Falschheit in Deutschland einschleichen, so könnte es nur gesches hen, um sich den Ausländern nachzubilden; um zu zeigen, daß sie eben so gewandt seyn können als jes ne; vor allem, um sich nicht von ihnen hinter's Licht führen zu lassen; bald aber würde der gesunde Vers stand und das gute Herz die Deutschen auf die Ues berzeugung zurückbringen, daß man nur durch seine eigene Natur stark sey, und daß die Gewohnheit des Rechtlichen uns ganz und gar unfähig zur Arglist mache, selbst dann, wenn wir sie ges brauchen möchten. Um aus der Immoralitat Vors theil zu ziehen, muß man in jeder Hinsicht leicht bewaffnet seyn, nicht aber ein Gewissen im Herzen, und Bedenklichkeiten im Kopfe führen, die uns auf halbem Wege aufhalten, und es uns um so mehr bereuen lassen, vom alten Wege abgewichen zu seyn, da es uns unmöglich wird, in der neuen Straße leicht vorzuschreiten.

Es wäre, dunkt mich, leicht zu beweisen, daß, ohne Moral, alles in der Welt Ohngefähr und Finsterniß ist. Gleichwohl hat man oft bei den Völkern lateinischen Ursprungs eine Politik anges troffen, die mit seltener Gewandtheit die Kunst bes saß und ausübte, sich von allen Pflichten loss zumachen. Der deutschen Nation hingegen darf man es zum Ruhme nachsagen, daß es ihr beis nahe an der Fähigkeit fehlt, die geschmeidig-dreist es versteht, jede Wahrheit jedem Vortheil zu Guns ften zu beugen, und die heiligen Verbindlichkeiten der kalten Berechnung aufzuopfern. Ihre Mängel fowohl, als ihre Eigenschaften, unterwerfen diese

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